Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Der Stadtreisende.

I.

Ehrgeiz und Gewinnsucht führen den Menschen ungleiche Bahnen. Den Einen treibt es aus Neu-Cöln am Wasser und der Königsstraße nach Californien, der Andere findet sein Californien in der Königsstraße und Neu-Cöln am Wasser. Jener steigt an Bergabhängen der Cordilleren empor, die Physiognomieen der Vulkane zu studiren, und fürchtet nicht, in Klüfte und Abgründe zu stürzen, dieser klettert mit Calicotproben und Futterkattunen bis in das vierte Stockwerk empor, studirt die Physiognomieen der Menschen und bebt nicht vor dem Gedanken zurück, gewaltsam vier beinzerschellende Treppen hinabgeschleudert zu werden. Es giebt Weltreisende, aber es giebt auch Stadtreisende. Wir haben nur einen Verfasser des Kosmos, aber wir besitzen unzählige Straßentouristen und fahrende Kosmopoliten des Handels.

Der Stadtreisende ist ein Mann, dessen Heimath in einem fernen Büreau und Waarenlager für Kaffee, Zucker, Rum, Farbestoffe, Wolle und seidene oder baumwollene Waaren u. dgl. m. liegt; 26 er befährt die Häuser einer Stadt, um diese Waaren abzusetzen, und lebt von der Tantième, welche ihm sein Haus zahlt. Für gewöhnliche Reisende ist das Wort Gastfreundschaft ein schöner Laut; der Stadtreisende kennt keine Gastfreundschaft. Obgleich in einer civilisirten Welt, lebt er dennoch allen Gefahren ausgesetzt, wie sie nur der unvorsichtige Umgang mit den Nationen mit sich bringt, welche die ehrwürdige Sitte bewahren, entweder den unvorsichtigen Ankömmling zu scalpiren, oder ihn nach englischer Sitte halbgar gebraten als Diner einzunehmen. Das Bewußtsein, fortwährend Drangsalen und Gefahren ausgesetzt zu sein, als da sind: Abklemmen von Fingern, welche unvorsichtig zwischen eine unwillig und schnell zugeschlagene Thür geschoben sind, Bisse von kleinen oder bösartigen Hunden, Ricochettschüsse von Borstwischen oder Besenstielen, Kernschüsse von Schemelbeinen, Ueberschwemmungen von Auswaschwasser; dieses Bewußtsein giebt dem Stadtreisenden eine siegesgewisse Ueberlegenheit über die Menschen, wie sie sonst nur Marmorbildern der alten Welt und modernen Ministern eigen zu sein pflegt. Eine antike Festigkeit ruht auf dem Exterieur des Stadtreisenden, er ist der Mann, den die kleinen Wechselfälle des Lebens nicht mehr erschüttern; der Mann, der stets ein wechselfälliges Leben führt. Wie der alte Lacedämonier, wenn er in die Schlacht ging, putzt er sich vor seinen Stadtreisen; wie jener sich nie von seinem Schilde, so trennt er sich nie von seinen Proben.

Sein Privatleben selbst bildet mit den 27 Stürmen und großen Ereignissen seiner äußeren Existenz einen friedlichen lieblichen Contrast; sanft verrinnt es zwischen Macassaröl und Bartwichse. Wie die Helden der Sage kehrt er nach unglaublichen Thaten und mythischen Kopfnüssen, an denen das gewöhnliche Menschenkind zu Grunde geht, Abends an seinen Heerd zurück und übt sanfte Künste des Friedens. Ein reines Gewissen und eine Violine mit geflickter E-Saite sind des stadtreisenden Menschen schönstes Ruhekissen.

Der Stadtreisende erhebt sich Morgens um neun Uhr von seiner Pferdehaarmatratze, steigt auf das Bärenfell vor seinem Bette, und wirft einen fragenden Blick in den Trimeau, der hart vor seiner Schlummerstätte aufgestellt ist, damit bei dem Lever des Stadtreisenden der schönste Mensch des Erdenrunds: sein Spiegelbild anwesend sei. Nachdem das Resultat dieser Beobachtung zufriedenstellend ausgefallen ist, denn der Stadtreisende ist ein Mann, der als selten begabter Geist mit seinem Zeitalter fortschreitet und alle Phänomene der Glatze und Krähenfüße an den Augen mit dem Entwicklungsgange der Geschichte philosophisch vereinbart, schleudert er mit einer schwungvollen Gebehrde, die er von Rott als Lear gelernt hat, seinen violetten manchesternen Schlafrock über die Achseln und zieht mit herablassendem Gestus rothsaffianene Morgenstiefeln an. Da er weiß, daß es auf Erden für den Menschen keine demüthigendere Stellung giebt, als die des Stiefelnanziehens, bei der sich selbst die Mächtigen der Erde bücken müssen, so unternimmt er dieses Geschäft fern von dem Spiegel 28 in einer dunklen Ecke. Niemand darf Zeuge dieser Erniedrigung einer gebietenden Natur sein. Alsdann wirft der Stadtreisende einige Phrasen aus Belisar oder der Sonnambula hin. Er singt ja den Elvino sowohl als den Alamir ausgezeichnet und prüft sein Falsett in einigen ganz besonders schwierigen Tonverbindungen. Da er Ursache hat, mit seiner Stimme nicht ganz zufrieden zu sein und namentlich das hohe E nicht prompt und sonor anspricht, klingelt er und bestellt bei der Wirthin das Gelbe von einem Ei mit zerstoßenem Zuckerkand. Bis das Ei kommt, geht er im Zimmer auf und ab und malt sich die traurigen Folgen aus, die für ihn aus dem Verluste seiner Stimme entstehen könnten, denkt an den verfluchten Weinreisenden, seinen musikalischen Feind, der mit ihm um die Palme des ersten Tenors unter den Stadtreisenden kämpft, und zerknirscht endlich mit einer Hast und Erbitterung den Zuckerkand, als ob er den verfluchten Weinreisenden selber zwischen den Zähnen hätte. Nach der Besorgung der künstlerischen Angelegenheiten folgt der Kaffee, den der Stadtreisende mit hohem Anstande einnimmt. Als belesener Mann und genauer Kenner der Sitten alter und neuer Zeiten hat er gefunden, daß namentlich die orientalischen Völker einen eigenthümlich großartigen und klassisch ruhigen Anstand in den Situationen des Kaffeetrinkens und Tabackrauchens entwickeln sollen. Er hat sich deshalb ein Nargileh zugelegt und raucht seine Wasserpfeife, sitzend auf dem Sopha mit untergeschlagenen Beinen. Leider muß er sich selbst sagen, daß die nach Schönheit 29 dürstende Menschheit um seinen Anblick komme und daß er jenem Kunstwerke gleiche, das nach des Philosophen Definition gar nicht existire, wenn es in den Urwäldern Südamerika's verborgen sei, da der Begriff des Kunstwerkes erst durch den Beschauer vollendet werde. Der Stadtreisende wechselt deshalb das Sopha mit dem Fensterkissen, auf welches er sich zwar nicht mit untergeschlagenen Beinen setzt, aber doch mit verschränkten Armen stützt, nachdem er die Wasserpfeife mit einer Cigarre vertauscht, den rothen Carneolsiegelring an den Zeigefinger gesteckt und sein Haupt mit dem Feß bedeckt hat. Der ächte Stadtreisende trägt nämlich öffentlich nur den pariser Gibus, privatim nur den Feß. Er deutet damit an, daß sein Herz allerdings an den gastfreien Gewohnheiten der Orientalen, an Haremssitten und Mokkaphantasieen hänge, daß ihm aber auch die Neuerungen und Fortschritte der türkischen Civilisation wohlbekannt seien. Im Geheimen wiegt er sein Herz in der süßen Hoffnung, vermöge des Feß, wenn nicht für den Gesandten der hohen Pforte selber, so doch für einen ächttürkischen Attaché gehalten zu werden. So öffnet er mit großem Geräusch beide Fensterflügel und bläst wie ein Packetboot, das seine Dampfkraft prüfen will, einige schnelle blaue Wolken in die Straßenluft hinaus. Da es etwas kühl ist, kehrt er um und legt ein Cachenez mit türkisch-rothem Grunde und blauen Blumen an. Jetzt folgt die sofortige Prüfung der Fenster des gegenüberliegenden Hauses, in dem einige Mädchen und Frauen wohnen, deren Herzen 30 gebrochen zu haben der Stadtreisende sich schwere Vorwürfe und manchen kummervollen Moment macht. Diese Mädchen und Frauen sind, um dem Anblick ihres gefährlichen Adonis zu entgehen, so weit gekommen, wenn er zu Hause ist, sämmtliche Vorhänge und Fenster nicht zu öffnen, und der Stadtreisende billigt, wenn auch mit dem leisen Bedauern, daß zu viel Liebenswürdigkeit und Schönheit am Ende auch ihren Besitzern verderblich zu werden pflegen, diese strenge aber weise Maßregel.

Der Stadtreisende stellt nun einige Betrachtungen und Beobachtungen über sich selbst an, welche die Zukunft des Tages zum Gegenstande haben, aber erst später enthüllt werde dürfen; der große Moment der Toilette rückt immer näher. Ihm voran geht der noch größere des Frisirens. Unser Mann hält in der Farbe seines Haares die richtige Mitte zwischen dem Goldhaar des alten braven Teutonen Arminius und dem nächtlich-schwarzen Nathan, der, obwohl nur in Calico machend, doch durch seine furchtbare Zudringlichkeit unserem Helden das Terrain ganzer Stadttheile verdirbt. Sein Haar richtig gescheitelt, macassargeölt, mit Bandeauline getränkt, schlägt die verbrauchten Gleichnisse der Dichter aus dem Felde. Von jetzt an werden die lyrischen Poeten sich nicht mehr in dem blauen Aug der Geliebten, im silbernen Bache, in der glatten Eisfläche und ihrer eigenen Narrheit spiegeln, sondern in dem blanken Scheitel der Stadtreisenden. Wie jener Römer bringt er vor dem Spiegel Stunden lang zu, ein einziges 31 widerstrebendes Haar der richtigen naturgemäßen Locke anzureihen. Ist aber dieses Werk vollendet, dann überkommt den Stadtreisenden Siegesgewißheit, er stürzt eilig in seine Kleider, schmückt das Oberhemd mit einer riesenhaften Nadel, als deren Knopf irgend ein fabelhaftes Thier aus getriebenem Golde prangt, ergreift das Stöckchen mit dem elfenbeinernen Frauenknie, woran er auf der Straße zu käuen pflegt, drückt den Gibus verwegen aber nur locker auf das duftende Gelock und geht am Horizont der Straße in lackirtem Gestiefel auf.

Diese Zeilen, die nur vom Privatleben des Stadtreisenden handeln, berühren noch nicht das wüste Treiben seines geschäftlichen Lebens; wir finden ihn wieder am späten Nachmittage, beschäftigt mit einer Partie »Sechs und Sechszig« oder den ultratalmudistischen Spielen »Franzefuß« und »Klabbergaß«. Als Mann von Geist pflegt er regelmäßig in diesen Spielen seinem Gegner einige Thaler abzunehmen und gewöhnlich unvorsichtige Neulinge des Provinzialhandels, Jünglinge, die erst seit kurzer Zeit in das Residenzgeschäft eingerückt sind und es für die höchste Ehre erachten, mit dem so berühmten Reisenden zu spielen, in aller Form Rechtens einzuschlachten. Dann sieht der Stadtreisende nach seiner großen Cylinderrepetiruhr mit stehenden Secunden, rückt vor dem Spiegel die Cravatte zurecht und begiebt sich in die Gesellschaft, deren Zierde er heute eben ist.

Die Gesellschaft, zu der sich der Held des Tages begiebt, ist folgerichtig eine musikalische, 32 und zwar eine vokalinstrumentale. Vier junge Handlungsreisende haben ein reizendes Männer-Quartett begründet, das sich befleißigt, nicht nur des Deutschen und Preußen Vaterland, sondern auch einige Lieder von Kücken und Schäffer mit besonders ergreifenden Nasaltönen der Tenöre und rücksichtsloser nie endender Tiefe der Bassisten vorzutragen. Nicht flennt schneidender der Katze Jammer zum Märzhimmel, kein Hund jammert wehmüthiger ob seines getretenen Schwanzes, als der einsame Gesang der Stadtreisenden, wenn er aus der Höhe des oberen Geschosses über die Straße schallt und von allen Kranken und Wöchnerinnen verwünscht wird. Für dieses Quartett hat unser Stadtreisender sein Falsett aufgespart, hier ist die Arena für sein hohes C, hier lacht er über die kümmerlichen Anstrengungen von Leuten wie Rubini und Moriani. Nur die Eifersucht, mit der er über seinen Ruhm wachen muß, verbittert zuweilen die sanfte Stimmung, die in seinem Busen wohnt und anderen Sterblichen durch seine süßen minniglichen Klagelaute mitgetheilt wird. In dieser Gesellschaft läßt er sich endlich auch, durch die Bitten der Frau vom Hause und mehrerer Töchter, nicht der Freude, sondern des Schmerzes, erweichen, seine berühmte Arie des Alamir: »Zittre Byzanz!« zu singen, wobei alle Gegenstände im Zimmer, die nicht niet- und nagelfest sind, mit Byzanz zittern. Nach der Arie bringt man das Gespräch auf die Kraft der Stimmen, und der Stadtreisende erzählt zum zweihundertfünfundsiebenzigsten Male die Geschichte von dem Bierglase, das er an der 33 Table-d'hôte zu Teplitz »zersungen« hat, indem er sein C darin kräftig aushielt.

Nach diesem Nonplusultra der Gesangskunst kann das Streichquartett einiger jungen Leute, die im Gebrauch ihrer Instrumente durch ihre an ewigem polarischem Froste leidenden Hände sehr verhindert werden, nur unbedeutende Sensation erregen. Sie spielen ein Quatuor von Beethoven so kostbar, daß gerechterweise diese Instrumente nie wieder zu profanem Gebrauche entweiht werden, sondern ihnen unmittelbar nach dem Rondo auf den Köpfen zerschlagen werden müßten. Nach dem Abendessen, das durch einen improvisirten kalten Punsch eine poetische Zugabe erhält, an der unser Stadtnomade seiner Stimme wegen leider keinen Theil nehmen darf, singt er noch einige Couplets leichterer Art, zu einer Guitarre mit blauem Bande und küßt die Tochter des Hauses hinter einer Thür herzhaft ab, wobei etwas Bartwichse auf ihren zarten Wangen sitzen bleibt.

Gegen elf Uhr trennt man sich, um den heiteren Verlauf des Tages in Hollerbachs Colosseum in göttergleicher Natürlichkeit mit privilegirten Bachantinnen zu beschließen.

So sieht die heitere Seite eines stadtreisenden Daseins aus.

II.

Es ist psychologisch interessant, wenn auch wehmutherregend, daß der Stadtreisende durch eine übergroße Liebe zu sich selbst, die Schrecknisse der Welt in seinem Innern zu betäuben 34 und seiner Phantasie idyllische Richtungen zu geben sucht. Nicht alle Reisende lieben die Musik, obwohl dieses Steckenpferd das am meisten gerittene zu sein pflegt. Auch andere Künste, durch deren Ausübung man sich leichter in die Herzen und Thüren der Menschen zu schleichen vermag, sind bei ihrer Zunft beliebt. Einige sind schlechte Portraitmaler und trennen sich nie von einem Kasten mit bunten Stiften und einigen Bläschen halb vertrockneter Oelfarbe. Sie haben ewig in ihrem Zimmer eine Staffelei mit einem Gemälde stehen, das wie die Weltschöpfung nie fertig wird, ein Gemälde, an dem im hohen Sommer die Fliegen als musivische Künstler mitarbeiten. Stadtreisende dieser Art verfallen leicht in eine schwermüthige Haltung, wissen Oehlenschlägers Correggio auswendig und tadeln gern den Undank der Großen gegen die Kunst und die Lauheit des Publikums gegen die armen Künstler. Sie behaupten von sich, daß sie eigentlich mit einem unverkennbaren Talent zur Bildhauerei auf die Welt gekommen, aber durch ihren Beruf von dieser großartigen Kunst abgekommen seien. Wer ein so bewegtes Leben führe, könne sich nicht mit Marmor und Meißel umherschleppen. Wenn man aus einer Kunstausstellung einen jungen Mann mit elegisch gekämmtem Haar, luguber gestutztem Backenbart und großen blendendweißen aber zurückgeschlagenen Manschetten, die Hände auf dem Rücken gefaltet und in ihnen einen Katalog, mit finsterer und unzufriedener Miene vor dem großen Oelbilde irgend eines berühmten Künstlers stehen sieht, kann man darauf rechnen, 35 den malerischen Stadtreisenden vor sich zu haben. Eben so sicher kann man aber annehmen, daß ein gewisses Portrait in der Ecke, welches einen jungen Mann vorstellt, der beim schwärmerischen Schimmer des Mondes einen Preiscourant betrachtet, das Conterfei seines eigenen Götterbildes ist, unter dem nicht das gelehrte »ipse fecit« fehlt. Unglückliche Familienväter, die von ihm einmal Waare genommen und lebende Töchter haben, können sich seiner in diesem irdischen Jammerthale nicht mehr erwehren. Gleich dem Podagra und dem Hunde verläßt er solche Leute nicht wieder, sondern portraitirt die Töchter und putzt die Bilder alljährlich, wie die Holländer ihre Häuser, mit frischer Farbe wieder ab.

Andere sammeln Conchylien, Käfer und Schmetterlinge und besitzen einige Kenntnisse in den Naturwissenschaften. Sie treiben einen Tauschhandel mit Doubletten und dringen so in Häuser und Familien, die ihnen sonst ewig verschlossen bleiben würden. So mancher harmlose Insectensammler hat seinen wissenschaftlichen Eifer durch eine ihm angeschmierte schlechte Wein- oder Cigarrensorte schmerzlich enttäuscht gesehen. Der Stadtreisende dieser Art bleibt stets heiter. Sein Motto ist, daß die Natur gleich ihm ewig vergnügt sei und nichts von Kummer und Herzeleid wisse.

Eine ganz besondere, ernste und würdige Sorte von Stadtreisenden sind die Sammler von Meerschaumpfeifenköpfen, mit denen sie nach Befinden der Umstände auch einen kleinen Handel zu treiben lieben. Gewöhnlich pflegen diese Herren vielgeprüfte ältere Männer zu sein, die etwas erspart 36 haben und sich bald etabliren wollen. Junge Stadtreisende sind dieser Liebhaberei selten ergeben.

Der Wahnsinn, in den die jungen Stadtreisenden am leichtesten verfallen, ist die fixe Idee, daß sie feine Reiter seien. Ein edler Stolz und das Bewußtsein einer höheren Lebensaufgabe hält sie jedoch ab, sich unter die gemeinen Sonntagsreiter zu mischen. Sie besuchen die Buden der Kunstreiter, unterhalten Liebschaften mit den Schulreiterinnen, kommen mit vertraulicher Miene aus den Stallungen, während die Vorstellung dauert, und zeichnen sich durch silberne, spiegelblank geputzte Sporen aus. In ihren eigenen Reitversuchen werden sie von einem unerklärlichen Mißgeschick verfolgt, weshalb die Mehrzahl von ihnen aus den Reihen der praktischen in die der theoretischen Reiter übergegangen ist. Durch die Beobachtungen wahlfähiger, gesetzter Männer ist festgestellt worden, daß einige den Unwillen der von ihnen gerittenen Miethspferde in einem so hohen Grade gereizt haben, daß diese sie mit den Zähnen beim Fuße gepackt und aus dem Sattel gezogen haben. Thatsachen, welche die Erziehung der preußischen Miethspferde als auf einer sehr niedrigen Stufe stehend erscheinen lassen. Man findet den reitenden Stadtreisenden am häufigsten an Wochentagen in Charlottenburg, wo er vor dem türkischen Zelt auf- und absprengt, so lange es nämlich seinem Pferde gefällig ist, ihm diese Freude zu machen.

Andere Stadtreisende haben unzertrennliche Bündnisse mit Hunden geschlossen. Der 37 Bulldogg ist bei ihnen besonders beliebt, weil er nach ihrer Angabe vortrefflich beißt. Diese Reisenden pflegen verbitterte menschenfeindliche Gemüther zu besitzen und Rachegedanken gegen treulose Kunden und grobe ablehnende Charaktere zu hegen. Sie phantasiren gern in Zwielichtsstunden davon, solche Individuen von ihrem Buldogg zerreißen zu lassen. Ein feiner geschäftsmäßiger Zug an ihnen ist, daß sie ihre Hunde nie im Amt mitnehmen, um alle etwaigen blutigen Conflicte zwischen ihren und anderen Hunden oder sehr beliebten Hauskatzen zu vermeiden. Meistens besitzen sie auch einige thierarzneiliche Kenntnisse, treiben Würmer ab, scheeren intimen Freunden allerhöchst eigenhändig ihre Pudel und sind, wenn sie Jagd- und Hühnerhunde besitzen, leidenschaftliche Jäger. Zuweilen bemerkt der Menschenkenner an letzteren einen Zug von tiefer Schwermuth, der daher rührt, daß sie einen unvorsichtigen Freund auf der Jagd erschossen haben. Glücklicher Weise ist dies nur eine Münchhauseniade.

Die literarischen Stadtreisenden machen eine besonders distinguirte Klasse aus. Diese Kategorie wird nicht sowohl von denen gebildet, welche schreiben, denn außer ihren Tagebüchern und ihrer Correspondenz nach außerhalb pflegen sie keine schriftstellerischen Resultate zu erzielen, als von den Liebhabern der klassischen Literatur. Man muß es auffallend finden, daß diese höheren Stadtreisenden eine grimme Verachtung gegen die neue Literatur nähren und mit Liebe an den älteren, namentlich an Goethe hängen. Einer von ihnen, der auch stark im Tenor und mit der Palette 38 war, konnte von keinem anderen Dichter, als von Goethe reden hören. Wilhelm Meister kam nie von seinem Cylinderbureau, und in Gesellschaft pflegte er gern das Gespräch auf die Farbenlehre zu bringen. Dieser junge Mann bereiste die Stadt im Interesse des Colonialwaarenvertriebes eines großen englischen Hauses.

III.

Ist das Privatleben der Stadtreisenden durchschnittlich ein von anakreontischen Belustigungen durchwebtes, ein Kleinarkadien, so erliegt ihre öffentliche Beschäftigung, ihr Beruf, sich verschiedenen und hartnäckigen Naturen anpassen zu müssen, den bittersten Unannehmlichkeiten. Das Schicksal raubt ihnen mit der Linken, was es ihnen mit der Rechten geschenkt hat; aber es stählt sie die Erfahrung und das unerschütterlichste Selbstvertrauen. Als Goethe jene denkwürdigen Verse in seinem Tasso niederschrieb: »Es bildet ein Talent sich in der Stille, doch ein Charakter in dem Strom der Welt«, hatte er gewiß den Stadtreisenden vor sich und es war ihm so eben ein Anker Niersteiner oder Laubenheimer ausgeredet worden.

Alle Typen der Stadtreisenden auszuführen, geht weit über den spärlichen Raum eines Aufsatzes hinaus; der Stadtreisende harrt noch seines Büffon. Nur einige in die Augen fallende Nuancen können hier zu ihrer Geltung gelangen. Das Leben der Wein- und Tabaks-Stadtreisenden ist Großstädtern am interessantesten; diese beiden Klassen zu beobachten, ist ihm die meiste 39 und fruchtbarste Gelegenheit geboten. Aber auch unter ihnen giebt es fast eben so viel Spielarten als Individuen und es lassen sich eben nur gewisse, großartige Züge des Naturells, als Zudringlichkeit, dickes Fell und Maulfertigkeit als maßgebend festhalten. Der Weinreisende ist die bekannteste aber auch verfolgteste und gemiedenste Species. Als die edle Gattin eines reichen Weinhändlers erfuhr, daß ihr ältester Sohn, der im Geschäfte des Vaters war, seinen ersten Ausflug in die Welt als Weinreisender machen sollte, verfiel sie, eingedenk des Ruhmes der Ahnen, sie war eines geheimen Rathes Tochter, in Verzweiflung und wollte sich von ihrem Gemahl scheiden lassen. Nur den Vorstellungen des Familiengeistlichen, daß ohne Gottes Willen dem Menschen kein Haar auf seinem Haupte gekrümmt werde und daß der Weinreisende wie der Sperling auf dem Dache, unter dem Schutze des Herrn stehe, gelang es, die unglückliche Mutter zu beruhigen und durch die Religion zu stärken. Der Sohn reiste ab und kam nach einem Vierteljahre zurück mit einem Zittern der Hände, das er sich durch den übertriebenen und erzwungenen Genuß des Weines zugezogen hatte. Er zitterte so lange, bis er an einem Morgen nicht mehr zitterte, weil er todt war.

Er war zu jung zum Weinreisenden gewesen. Es ist nothwendig, daß der Reisende dieser Art ein gesetzter Mann sei, da aber keiner in seinen besten Jahren auf die Welt kommt, sondern erst allmälig heranwächst, pflegt man die jüngeren Weinreisenden zuerst gern über Land zu schicken. 40 Der Stadtreisende in Wein muß ein Mann reiferen Alters sein, ein Mann, der alle Gefahren des Weines hinter sich hat. Er besitzt eine kalte unerschütterliche Ruhe, die leider seine jungen und grünen Weine nicht zu theilen pflegen. Wenn er in euer Zimmer tritt, macht er den Eindruck eines philosophischen Kopfes, dessen Ansichten durch viele Leiden geläutert und befestigt sind. Mehr blaß als geröthet, ist er meistens eher mager als fett und nichts verräth an ihm den Weintrinker. Nur der scharfe Beobachter erkennt in ihm an gewissen Putzgegenständen, welche eine erhitzte Einbildungskraft verrathen, den Reisenden. So pflegt er an seiner zarten goldenen Uhrkette sehr gern eine Menge kleiner französischer Berloquen zu tragen, um sie nach Tische oder in sonstigen ruhigen Momenten abzuschrauben und zur Unterhaltung der Gesellschaft umherzureichen. Obgleich er den Rock zugeknöpft trägt, guckt doch am Halse der Kragen hervor und verräth einen Sammet von greller Farbe, die wahrscheinlich der gewöhnliche schlichte Civilist nie tragen wird. Der tief erfahrene Reisende und Kenner der Privatmenschen, auch wenn er nicht mehr auf seinem Angesicht jenen Pfirsichhauch der Jugend hat, muß stets etwas geeignet Auffallendes bei sich haben, die Aufmerksamkeit der Menschen zu fesseln. Ein großer Champagnerreisender, eine Art moussirender Rothschild besaß u. a. eine Tabacksdose von getriebenem Golde, welche das Champagnerlied aus dem Don Juan spielte. Mit Hülfe dieser allerdings kostbaren Dose konnte er in jedem Augenblicke nach Belieben das Gespräch auf seine Waare bringen. 41 Dieser Mann war aber auch der Neid der ganzen Schule und berühmt wegen seiner Geschäfte. Ein anderer trug einen sauberen Stock, der aus einer Weinrebe zugerichtet war und als Knopf einen Smaragd besaß. An diesen Stock pflegte er die Geschichte des Weinberges zu knüpfen, aus dem er stammte, um so seinen Zuhörer unvermerkt und allmälig in die Tinte zu bringen.

Man theilt die Stadtreisenden in Wein in zwei Klassen. Die eine geht zu den Weinhändlern, die andere nur in die Privathäuser. Die erste Klasse ist die solidere, bessere, da sie ausschließlich mit Kennern zu thun hat. Im Ganzen sind ihr die kleineren Kunstgriffe des Metiers fremder und das Exterieur ihrer Mitglieder täuscht selbst ein erfahrenes Auge. Ein hagerer, ernster Mann, der bei Tisch nur Wasser trank, von Bildern und schwarzer Kunst sprach, am Magen litt und aus einer hölzernen schlechten Dose schnupfte, reiste für ein großes rheinisches Haus. Dagegen entdeckt man wieder Anomalien der schreiendsten Art. Einer dieser Stadtreisenden schminkt sich noch heute roth und weiß, schnallt seinen Rock inwendig zu, wie die russische Garde, trägt seit zwanzig Jahren Haar und Schnurrbart von herrlicher acherontischer Schwärze und wähnt das weibliche Berlin in sich verliebt. Der Wahrheit zu Ehren sei hier aber bemerkt, daß dieser Mann nicht Weinreisender, sondern für ein londoner Haus Rumreisender ist. Die erste Klasse steigt Vormittags in die Weinkeller der Hauptstadt hinab, erkundigt sich nach den Principalen, bestellt ein Frühstück und verwickelt den Principal in ein Gespräch über den 42 muthmaßlichen Ausfall der Jahresernte. Von diesem Gespräch aus müssen nun die unsichtbaren Fäden gesponnen werden, in deren Gewebe der Weinhändler zuletzt mit der Einwilligung zu einer Probe erliegt. Diese Probe ist schon ein halber Sieg des Stadtreisenden, das Prävenire zum eigentlichen Sündenfall. Am Tage der Probe stellt er sich mit sechs bis acht kleinen Fläschchen ein, in welche allezusammen kaum ein halbes Quart geht. Die Hälfte jedes Fläschchens wird in ein Weinglas gegossen und je Fläschchen und Glas nebeneinander postirt, worauf Principal und Weinreisender riechen, kosten, schnüffeln, wieder kosten, schmatzen, schütteln, gegen das Licht halten, von Oben und Unten betrachten. Hat sich der Principal für eine Sorte entschieden, so werden die Nektarsorten wieder vorsichtig, als ob sie flüssiges Gold wären, in ihre Fläschchen zurückgegossen und der Reisende zieht weiter. Er hat seinen Tag nicht verloren, sondern schreibt die Bestellung sofort nach Hause.

            nunc est bibendum
nunc pede libero pulsanda tellus.

Und er fährt mit Bassisten des Theaters, die seine Freunde sind, nach Potsdam.

Die zweite Klasse ist die gefährlichere. Wer besäße einen, wenn auch noch so kleinen Weinkeller und könnte an seinen Magen schlagen und sagen, er hätte ihn nicht wenigstens einmal durch die Schuld eines dieser Stadtreisenden verdorben. Es ist leider nur allzuwahr und wirft abermals einen betrüblichen Reflex auf den deutschen Volksstamm, daß diese Herren das meiste Weh und Uebel durch vaterländische Weine anstiften. Da 43 war einer unter ihnen, der Vieler Sündenbock sein mag, den die Natur knorrig und verwachsen, wie die unscheinbare Rebe selber, geschaffen hatte. Wenn er saß, konnte er nur mit Hülfe eines dicken ledernen Kissens über dem Horizont des Tisches sichtbar werden, aber in dieser gebrechlichen sterblichen Hülle wohnte ein weitsehender, gewaltiger und feiner Geist. In wessen Haus er trat, der war verloren und sein Keller mit einem elenden Krätzer belastet. Keine Sorte auf Erden war so sauer; er hatte doch süße Worte für sie. Kein Jahrgang war so matt; er hätte ihm nicht mit geistreichen Worten aufgeholfen. In den Reden dieses Krüppels duftete und perlte aller Geist und Zauber, der seinen sämmtlichen Weinen fehlte. Er umspann die Seele mit himmlischen Schmeicheleien und lockte das Geld aus den Taschen, wie der Rattenfänger von Hameln die lieben Kinder aus der Stadt, aber sein Krätzer stürzte dem Leichtgläubigen wie ein krallender Wüthrich in den Bauch. Die freudigsten, strahlendsten Etikette schmückten mit Gold en quatre couleurs seine Flaschen, aber wer sie leerte, über den fielen die Dämonen der Kolik, die Geister des Hämorrhoidalismus, die Hexen des Bleizuckers und Schwefels her, der wälzte sich Nachts schlaflos auf seinem Lager. Oft vor Gericht gestellt, ward der Mann stets freigesprochen. Bei Ueberfluß an Klägern fehlten stets triftige Beweise. Es stand in den Sternen geschrieben, daß die Welt von diesem Ungeheuer befreit werden sollte. Ein Professor der Geschichte, leichtgläubiger und in sich versunkener Gelehrte, war oft 44 von ihm hintergangen, zuletzt an den Rand des Grabes geführt worden; er hatte ihm Rache geschworen. Lange war der Professor zweifelhaft gewesen, ob er ihn durch Gift oder Dolch, ob durch List oder Gewalt fällen sollte. Nach langem Zweifel zog er den spanischen Rohrstock vor. Als der Stadtreisende kam, um ihm eine mit dem Namen Laubenheimer bezeichnete concentrirte Essigsäure anzuempfehlen, fiel der Professor über den rheinischen Säuerling her und hieb ihn durch, wie Sterbliche nur in den mythologischen Zeiten durchgehauen wurden. Eine fabelhafte Geldstrafe war das Resultat dieser unerlaubten Selbsthülfe, die sich aus dem Naturrecht. aber nicht aus dem Landrecht rechtfertigte. Seit dieser Zeit ist unser Wurm verschwunden aus dem Territorium der Stadt. Eingedenk des Spruches, »böse Beispiele verderben die Sitten,« meidet er die Behausungen der Menschen und beeifert sich nicht mehr, ihnen den Wein der Freude zu verfälschen. Er genießt jetzt am Rhein mit seinem Bruder in einer reizenden Villa die Früchte der Jugend und Anstrengungen Beider. Von diesem Manne sagte ein von ihm betrogener Menschen- und Weinkenner: daß er aus reiner kindlicher Freude am Fälschen, den Thau des Himmels mit Bleizucker versetzen, den Regen in den Wolken schwefeln und an den goldenen Strahlenkelch der Sonne ein falsches Etikett kleben würde, wenn er dazu gelangen könnte! 45

IV.

Die Paria's unter den Stadttouristen sind diejenigen, welche Propaganda für Cigarren, Taback und Pfeifen machen. Sie sind merkwürdiger Weise Reisende und Wegelagerer in einer Person. Die Gesetzgebung der modernen Staaten leidet in Hinsicht dieser fahrenden Industriellen an einer um so empfindlicheren Lücke, als sie den Genuß des Tabacks unter freiem Himmel gestattet hat und so der opferfähige Wanderer durch den Rauch seiner eigenen Cigarre als Beute bezeichnet wird.

Alle Leute, welche in den Stand der heiligen Ehe getreten sind, haben sich schon über gröbliche Verletzung ihrer anständigen Gefühle beklagt, wenn unmittelbar nach dem Segen des Priesters, fast in einem Pulsschlage, einem Athemzuge mit dem Amen, der Küster mit seinem Notenblatt zwischen die Neuvermählten tritt und ein Almosen beansprucht. Man hat den Küstern mit Unrecht den schweren Vorwurf der Zudringlichkeit erster Klasse gemacht. Man kann mit ihnen vorher handeln. Gegen ein Pauschquantum läßt sich der hartnäckigste Küster abfinden; noch keiner ist den Tabacksreisenden losgeworden. Diese Klasse vollführt das wirklich an der Menschheit, was Karl Moor seinem Bruder Franz nur androhte; die Tabacksreisenden zerren den rauchenden Franz aus den Armen der Liebe, sie reißen ihn vom Altar, wenn er zu seinem Gott betet, ja sie schicken ihm eine Viertelkiste, wenn er ein 46 Dutzend zur Probe verlangt hat! Dem wahren Cigarrenreisenden ist nichts heilig, als der Absatz seiner zusammengedrehten Stinkkräuter. Sich vor ihm zu retten, giebt es keine Mittel, selbst nicht den Dampf seiner eigenen Cigarren. Ihn äußerlich zu erkennen, ist kein Kriterium vorhanden. Ein Mann stand wegen Todschlags vor den Assisen, er hatte in der Hitze der Leidenschaft mit seinem Stiefelknecht nach dem Kopfe eines Mannes geworfen, der seit einem Jahre täglich dreimal in seinen Laden gedrungen war und ihm Dos Amigos angeboten hatte; die Geschwornen sprachen das Nichtschuldig über ihn aus. Das Volk trug ihn im Triumph von dannen. Wie aber in den Fängen der Handwerksburschen des Volkes reiner kindlicher Glaube wiederklingt, so heißt es auch in jenem herrlichen Liede der Bänkelsänger über den Uebelthäter Pistorius:

Dem Tod am Rad entging Pistor',
Er schifft' sich ein nach Baltimor',
Dort büßet er am fernen Strand
Die Schuld als Tabacksfabrikant.

So findet der klare Geist und das tiefe Gemüth der Volkspoesie in allen Verhältnissen das absolut Richtige: ohne Tabacksfabrikanten keine Tabacksreisende!

Der städtische Tabacksreisende pflegt in den meisten Fällen noch ein anderes Geschäft zu haben. Sehr zu seinem moralischen Nachtheil unterscheidet er sich von allen übrigen Stadtreisenden wesentlich dadurch, daß seine Reiseagenda ihren Mann nicht nährt, auch pflegt er in den wenigsten Fällen Ambassadeur oder auch nur 47 außerordentlicher Botschafter einer auswärtigen tabackspinnenden Großmacht zu sein. Er ist stets Besitzer der verschiedenen unerlaubten Tabackssorten, daher seine unglaubliche Zähigkeit und Hartnäckigkeit, diese Waare an den Mann zu bringen. Seit die vaterländische Tabackscultur eine so große Ausdehnung gewonnen hat, ist es für keinen verwegenen Geist mehr mit Schwierigkeiten verknüpft, einen beträchtlichen Vorrath patriotischer Cigarren zu erwerben. In unserem so heruntergekommenen Zeitalter finden sich außerdem mit Leichtigkeit die nöthigen negativen Eigenschaften der Charactere, um die nöthige Anzahl tüchtiger Touristen zu beschaffen.

Man kann mit apodiktischer Gewißheit annehmen, daß der Tabackreisende nur inländisches Product und Fabrikat vertreibt. Kein reeller Besitzer von Havannablättern erniedrigt sich so weit, gestiefelt auf die Straße hinabzusteigen, in die Häuser zu dringen und den Leuten »Wehrauch« zu streuen.

Unglücklicher Wanderer, der du in einen öffentlichen Garten gegangen bist und von einem jungen Manne mit kümmerlichem Knebelbart um Feuer gebeten wirst, steh' auf und flieh', denn seine erste Frage wird sein, »was haben Sie für die Cigarre bezahlt?« Der kümmerliche Knebelbart ist ein Stadtreisender mit Cigarren, der die seine in Gungl's Gartenconcerten dreißig Mal den Abend über ausgehen läßt, um stets neue Handelsbeziehungen anknüpfen zu können. Kein Ort der Erde ist so verborgen, entlegen und heilig, daß diese Unholde ihn nicht erreichten; ich 48 habe viel, ich habe bitter von ihnen gelitten! Nur die Wanze und ihre Familie hasse ich gleich stark wie den übelduftenden Cigarrenreisenden.

Am ersten Tage meiner Ehe ward zum ersten Mal an der Klingel von einem dieser Männer gerissen, der mit Cigarrenproben eindrang; ich habe nie mit besonderer Liebe und Stimmung einen Aufsatz im Redactionslokal geschrieben, ohne daß ich durch diese Dämonen gestört worden wäre; ich habe mir das Rauchen auf der Straße abgewöhnt, um nicht von ihnen erkannt und verfolgt zu werden. Selbst an die Tische des schweigsamen tiefsinnigen Schachspieles wissen sie zu gelangen. Ein junger bescheidener Mann pflegte sich im Sommergarten unseres Clubs an die Schachtische zu setzen und aufmerksam zuzusehen. Niemand fand den Jüngling verdächtig; er war zuletzt doch ein Tabacksreisender gewesen. Mit vollendeter Geschicklichkeit hatte er mehrere Mitglieder in Cigarren ganz unglaublich frech betrogen. Aber wenn Reisende von der Nemesis ereilt zu werden pflegen, so sind es die Cigarrenreisenden. Nicht der Pilger durch die dürre Wüste, nicht der Schiffer auf den pesthauchenden Strömen Südamerika's, nicht der Auswanderer über Land nach Californien, nicht der Berliner, der bei Thauwetter aus dem Schauspielhause kommt und über den Gensdarmenmarkt gehen muß, haben ähnliches Ungemach auszustehen. Ein entschlossener Mann meiner Bekanntschaft hat ein Gelübde gethan, jeden Cigarrenreisenden an dem Kragen zu packen und hinauszuwerfen. Dieser Mann ist zu religiös, um sein Gelübde zu 49 brechen. Ein Anderer hat seinen kleinen Spitz auf Cigarrenreisende abgerichtet und dieser talentvolle Hund riecht schlechte Tabacksproben mit derselben Präcision heraus, wie ein Hühnerhund die Spur irgend eines wilden Geflügels. Besagter Herr, ein etwas mephistophelischer Geist, pflegt dann boshafter Weise die Tabacksreisenden in ein längeres scheinbar wohlwollendes Gespräch zu verwickeln, während der Spitz, der natürlich durch nichts zur Ruhe gebracht werden kann, bald in die Beinkleider, bald in den Paletot des Reisenden zierliche dreieckige Löcher reißt. Da die Reisenden dieses Artikels meistens sehr oft wiederkommen und sehr heftig die Thürklingeln zu ziehen pflegen, da sie vom vielen Treppensteigen meistens athemlos anlangen und durch häufiges Klingeln schwere Hände haben, werden sie von den Köchinnen unglaublich gehaßt und gern absichtlich aus Versehen mit schmutzigem Wasser auf den Treppen begossen oder durch einen Strauchbesen, der aus Unvorsichtigkeit von oben herabfällt, aus ihren Speculationen aufgeschreckt.

Beobachtern wird deshalb ein gewisses unsicheres Wesen der Cigarrenreisenden auffallen, eine halblaute höchst vorsichtige Sprache, häufiges Umsehen, niedergeschlagene Augen, die Keinen offen anblicken können. Schon Steffens rieth, im Gespräch das Auge des Diplomaten zu suchen, da keines Menschen Auge lügen könne; dies gilt in viel höherem Grade von den Blicken der Tabacksreisenden. Doch kannte ich wieder notorische Tabacksreisende, die blond mit gescheiteltem Haare aus großen blauen Kinderaugen den Raucher offen 50 anblickten, wie die Blumen die Prinzessin Leonore im ersten Akte des Tasso, und den vertrauenden Käufer doch unendlich über das Ohr gehauen haben.

Die Beobachtung folgender Lebensregeln wird deshalb anzuempfehlen sein.

Keiner soll von einem Unbekannten eine Gefälligkeit annehmen, denn er kann nicht wissen, ob er sie nicht durch zweihundertfünfzig Stück stinkende Cigarren gut machen muß.

Besitze einen geschmeidigen Rohrstock von der Dicke eines schlanken Daumens.

Antworte Jedem, der dich nach deiner Cigarrensorte fragt, auch wenn du eben die brennende Cigarre im Munde hast: du rauchest nie!

Ruft Jemand deinen Namen auf der Straße hinterdrein, und es ist nicht einer deiner Freunde, so steige schnell in die nächste Droschke und laß dich eine Stunde lang spazieren fahren, damit du keine Cigarren kaufen mögest.

Dringt Jemand mit Cigarrenproben in deine Wohnung, so frage ihn augenblicklich nach seinem Hausirschein, damit er dich sofort für einen geheimen Polizisten halte und Fersengeld gebe.

Bist du ungeachtet aller Vorsichtsmaßregeln, trotz Stöcken, Spitzen und tapferen Köchinnen, das Opfer eines Tabacksreisenden geworden, so verwahre zu ewigem Angedenken seine Cigarren, denn es sind die besten Gastcigarren, die du erwerben kannst, und du wirst damit lästige Besucher für immer abschrecken können. 51

 


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