Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Nachtgedanken eines deutschen Tabacksrauchers bei der Kunde vom drohenden Tabacksmonopol.

Komm her geliebte Trösterin in traurigen Stunden, theure Tabackspfeife! sei mir gegrüßt und gestopft mit lieblichem Varinasknaster, den des Engländers Schiff von den Küsten des freien Amerika originaliter herüberbrachte nach Hamburg, Varinasknaster, den ich zerschneide, wie ihn des schwarzen Sklaven Hand zusammendrehte in eine köstliche schwere Rolle, sende du Theure dein blaues Gewölk in die dämmernden Lüfte und bringe in diesen schwülstigen Anfang à la Young ein wenig Klarheit und Lesbarkeit, damit mein Freund, der deutsche Leser, nicht sofort meinen Aufsatz aufflammen läßt – in verächtlichem Fidibus!

Sie brennt, sie ist beseelt – sie hat Luft! Gestern noch fuhr ich ihr mit einem langen Drahte, daran geschmeidige Borsten waren, durch ihr respectables Innere und zog heraus des Rauchers 109 ewigen Haß: den sogenannten Polacken, d. h. ein Pfröpflein die Röhre verstopfenden Tabacks, das man wiederum in Polen: einen »Deutschen« nennt; so gegenseitig ist die Verachtung. O könnte man doch mit einem solchen Borstendraht und Pfeifenräumer auch durch die Verfassungsfeinde und Ausländer fahren und die reactionären Pfropfen und Polacken aus ihrem enggebohrten Innern ziehen; du, meine geliebte Pfeife, wärst nicht in Gefahr, gestopft zu werden mit inländischen Kräutern und pestilenzialischem Wegerich und Lattich.

In den Zeitungen habe ich gelesen und das lange Gesicht meines Tabackshändlers straft sie nicht Lügen, daß die Rede ist von einer Knechtung des fremden Tabacks in Deutschland!

Ich glaube bei Gott, daß sich das lange Gesicht von Tabackshändler einbildet, die Deutschen werden ihr Nationalitätsgefühl geschmeichelt und erhoben fühlen, wenn ihre Einheit dadurch hergestellt wird, daß alle Stämme den einheimischen Stänkertaback rauchen müssen? O mein Tabackshändler, wie wenig kennst du den kosmopolitischen Deutschen!

Kleine Austern aus England, Schinken ans Bayonne, Caviar aus Astrachan, Braune Mouton aus Bordeaux, eine Cigarre aus der Havannah – wann der Deutsche sich daran erfreut hat, dann sprecht ihm gemüthlich bei einer Tasse Mokka aus Java von seinem Vaterlande – stopft ihm aber die Pfeife mit Vierradener und er wird euch wie Hiob ins Gesicht segnen.

O ihr wißt nicht, was ihr thut, ihr Männer 110 der Tabacksreaction; ihr werdet den Deutschen in Verzweiflung bringen. Ja, es giebt Revolutionaire in Schlafrock und Pantoffeln; glaubt mir jedoch, sie sind nicht gefährlich, so lange ihr ihnen die Pfeife und den guten Taback laßt; einmal dieses Palladiums beraubt, wird jeder Schlafrock zum Harnisch, jeder Pantoffel zum Spornstiefel, jede Pfeife zu einer Zündnadelflinte. Rührt den Taback nicht an, wenn euch die monarchischen Empfindungen Deutschlands lieb sind. Hätte Shakespeare den Taback gekannt, ich bin überzeugt, er würde den Cäsar bei seiner Beschreibung des gefährlichen hageren Cassius haben hinzusetzen lassen: »Cassius raucht nichtBrutus, laßt Männer um mich sein mit langen Pfeifen, dieser Cassius flieht den Taback – Brutus, schafft Männer mit gestickten Tabacksbeuteln, die nicht Böses sinnen!«

Warum blüht die Despotie im Orient? weil die Menschheit aus langen Wasserpfeifen mit dicken Bernsteinspitzen Taback raucht, weil der Mensch mit solch einer Pfeife ruhig sitzen bleiben und Regierung und Schicksal still über sich ergehen lassen muß.

Warum hat man in China kein Parlament und keine freie Presse? weil der Chinese eifriger Opiumraucher ist und das Aroma des Mohnsaftes sein Hirn umnebelt.

Berührt also nicht die Heiligkeit eurer mächtigsten conservativen Verbündeten in Deutschland. Nicht jener große Czar am scythischen Gestade der Newa schützt euch so mächtig, als der blaue Dampf, der an jedem Morgen aus Millionen 111 Pfeifen und Cigarren von Deutschland gen Himmel aufsteigt, ein frommes Brandopfer deutscher Philosophie und Geduld.

O glaubt es, erhabene Gebieter der Völker, mit der Pfeife im Munde erträgt der Mensch die schrecklichsten Qualen. Raucht nicht der indianische Häuptling, wenn er an den Marterpfahl gebunden ist und man ihm lebendig die Haut abzieht? rauche ich nicht, wenn mich junge Dichter besuchen und mir stückweise ihre Gedichte vorlesen?

Ohne Pfeife nur Tod und Blutvergießen! General Seidlitz rauchte bis mitten in das Treffen hinein; wenn es aber zur Attaque ging, schleuderte er die Pfeife weg, zog den Säbel, und wehe seinen Feinden!

Und nun, ihr Unterdrücker des Tabacks, denkt eure Pläne ausgeführt, folgt mir am Arm der Phantasie in die Zukunft! ich will mir zur Abwechselung eine La Fama vom guten Gerold anzünden und euch Deutschland ausmalen, wie es unter einer Tabacksmonopolizei aussehen wird.

Eilt in eurer Phantasie fünf Jahre weiter und denkt euch alle Cigarrenläden in Berlin geschlossen. Die Stadt wird hierdurch ein so düsteres Aussehen bekommen, als ob man die Leichenfeier des größten Helden Deutschlands beginge. Eine ungeheure Menge von Männern und Knaben zieht stumm (unter den Linden) zum Brandenburger Thor hinaus. In dem glänzend wiederhergestellten Kroll'schen Lokal ist eine großartige Ausstellung veranstaltet worden. Hier sieht 112 man mit polizeilicher Bewilligung Alles, was auf den Taback der Vorzeit von 1851 Bezug hat.

In einem Käfig links erblickt man einen alten Importeur. Hart daneben steht ausgestopft der letzte Horndrechsler und Pfeifenfabrikant. Unter Glas sieht man einige halbe und ganze Dutzend ächter Cigarren. Ein Viertelhundert Regalia wird gegen ein besonderes Entree in einem getrennten Zimmer hinter einem Gitter und Eisenstäben gezeigt. Allgemeine Aufmerksamkeit erregen die Holzpflöcke aus einer Rolle Varinas. Draußen auf dem Exerzirplatz sind zwei Bataillone Tabacksschnüffler, welche aus brodlosen ehemaligen Tabackshändlern gebildet sind, mit militairischen Evolutionen beschäftigt.

Das Aussehen der Stadt hat sich sonst noch wesentlich verändert. Eine Menge Wirthshäuser ist eingegangen, weil in ihnen heimlich ächter Taback geraucht worden ist und ihnen die Concession entzogen werden mußte.

An ihre Stelle sind einige prächtige Gebäude getreten, in denen der Regietaback verkauft wird. Scheu weicht das Volk diesen Bauwerken aus.

Die Moral hat bereits gelitten. Frauen, die Jahre lang stillschweigend das Rauchen ihrer Männer duldeten, haben sich von ihnen getrennt, seit sie Regietaback zu rauchen angefangen. Brautpaare, die seit vielen Jahren verlobt, nur einer Anstellung entgegensahen, veruneinigen sich auf einer schwärmerischen Mondscheinpromenade. »Was rauchst du für eine scheußliche Cigarre, mein Orestes?»fragt sie. – »Es ist die Neustados Eberswaldia yellow, das Mille 50 Thlr., meine 113 Tisiphone!« antwortet er – worauf sich Beide stumm trennen. Sie sehen sich nicht wieder.

In den philosophischen Schriften der Gelehrten vermißt man den norddeutschen Tiefsinn, die Logik darin wird schlotterig; man fängt an, diese Werke für oberflächlich zu halten. In der Lyrik macht sich wieder Lebensüberdruß und Europamüdigkeit geltend. Von Düsseldorf geht in der Malerei eine neue Richtung, die der trauernden Tabacksraucher, aus. Auf der Kunstausstellung von 1856 werden sich 799 Gemälde befinden, auf welchen Pilger, Ritter und Engel dargestellt sind, welche wegen Verschlechterung des Tabacks in traurige Betrachtungen verloren, theils ferne Berge, theils nahe Pfeifen anstarren. Unter den Skulpturen befindet sich ein Basrelief von Rauch, darstellend die Apotheose von Prätorius und Brunzlow, bestimmt für das Familienbegräbniß dieser sich zu Tode getrauert habenden Fabrikanten.

Auf die Preise der Lebensmittel ist das Monopol nicht ohne Einfluß geblieben. Wirsigkohl, Grünkohl und Spinat sind nur noch von Reichen zu bezahlen, da diese ehemaligen Gemüse zur Anfertigung der besseren Tabackssorten gebraucht werden. Dafür ist die Einfuhr des Seegrases um das Hundertfache gestiegen, und weil der Preis des Lebens gesunken ist, raucht man nur noch aus vergänglichen Thonpfeifen. Man denkt hierin ganz muhamedanisch: daß der Mensch keine Geräthe haben müsse, die länger dauern, als er selber.

Doch warum noch fernere traurige Blicke in 114 die Zukunft? Pindar hat gut reden, wenn er das Dasein des Menschen »den Schatten eines Rauches« nannte; der Preuße der Zukunft wird sich bedanken, der Schatten solch' eines Rauches zu sein, und nur der Selbstmörder wird nicht mehr zu Strick und Pistole greifen, sondern im Lokalbericht wird man in dem bekannten klassischen Constabler-Deutsch lesen:

»Gestern tödtete sich ein alter Mann aus Lebensüberdrüssigkeit mit seiner Tabackspfeife, indem er das Oleum daraus verschluckte, woso weiß man nicht. Berlin, den 4. Februar 1855.«

 


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