Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Der Plundermatz.

Mancherlei Merkmale hat der kommende Frühling; ein Jeder erkennt ihn an Zeichen, die seinem Gedankenkreise nahe liegen. Der Offizier erkennt ihn an den weißen neu angelegten Beinkleidern seiner Untergebenen, die schöne Donna an den auftauchenden Nebelflecken der Sommersprossen, Meyer an den Sommerpaletots, welche seine siebenhundert und einunddreißig Namensvettern in der Spandauerstraße anziehen, der Dichter an der aufwirbelnden Lerche und den Veilchensträußchen, der Gourmand am Ausbleiben der Austern, der Hämorrhoidarius an seiner Frühlingsprimel, der Schirmfabrikant an neuen Bestellungen auf Sonnenschirme, der Studiosus am Aufhören des Wintersemesters und Beginn des Bockbiermonats, der nächtliche Gelehrte am Gesang des Katers, der »ein frommer Vogel«, wie der Hahn in der Wachtscene des Hamlet, in dieser heiligen Osterzeit die ganze Nacht singt, der Reiselustige an den Extrafahrten der Eisenbahn, der arme Gefangene an dem ersten goldenen 65 Sonnenstrahl, der durch das Gitter hinabklettert und an der ersten Wanze; es sind der Frühlingsboten gar viele, schöne und häßliche.

Der Lenz öffnet das Thor der Freude für Reich und Arm, er reinigt das Handwerkszeug, legt die Leiter an die Gerüste, er trocknet den freudigen Thau von den Gräsern und den schmerzlichen von den Wangen der Menschen, er ruft die Todtkranken in sein stilles Bett und bedeckt es mit einem grünen Teppich; aber vor Allen erfreut er die kleinen Kinder, denn er bringt ihnen den Plundermatz.

Wer ist der Plundermatz? ist er ein Zugvogel, der den Winter über fern war und für den Sommer zu uns kommt, Halme und Läppchen sammelt, ein Nest zu bauen seine Jungen zu erziehen und dann wieder zu fliehen? Ja, der Plundermatz ist eine Art Zugvogel, er kommt mit dem Frühling, er sammelt Läppchen und Lumpen, aber er baut kein Nest, denn er hat seine Jungen immer um sich, und ist stets ein freudiger Ankömmling, ein Zauberer für die Kindheit.

Der Plundermatz ist ein kleines Männchen mit schneeweißem Haupthaar und einem Bärtchen, denn wie alle Zwerge und Zauberer verwendet er eine höchst kokette Sorgfalt auf ein absonderliches Aeußere; er trägt einen alten Leinwandrock, der mit großen weißen Quadraten geflickt ist, denn er hält Leinwand für das Köstlichste, was der Mensch haben kann. Kommt ja doch der Mensch sein Leben lang nicht aus der Leinewand, und der Elendeste ist, – der kein ganzes Hemd auf dem Leibe hat.

66 Sein Haupt ist mit einem schäbigen Tuchmützchen bedeckt; es ist gesenkt, doch freundlich. Vor sich her schiebt er einen Karren, darauf steht ein alter grauer Sack und dahinter ein dunkles abgegriffenes Kästchen; so trollt er langsam durch die Straßen. Jetzt zieht er ein Pfeifchen aus der Tasche und pfeift. Ihr merkt es gleich, daß der Mann mit höheren friedlicheren Mächten vertraut ist, die Sperlinge, die zum Frühstück an ihren goldenen Aepfeln picken, welche ihnen allmorgentlich das edle Roß streut, lassen sich nicht stören, die Hundesklaven vor dem Milchkarren schnappen nicht nach ihm, sondern wedeln achtungsvoll, die große Katze im Kellerloch käme gern näher und machte ihren besten Buckel als Reverenz, wenn sie ihre blaffenden Gegner nicht fürchtete, selbst der Constabler scheint ihn ganz zu übersehen, oder ist unser Plundermatz wirklich nur für die unschuldigen Kinder und Thiere sichtbar?

Er pfeift noch einmal, jetzt öffnen sich die Hausthüren hie und da und es kommen in großer Eile kleine Kinder heraus. Der Plundermatz scheint dem Rattenfänger von Hameln zu gleichen; seine Pfeife zwingt die Kinder ihm zu folgen. Nein, er ist nicht so schlimmer Natur. Die Kinder bringen ihm Stückchen Zeug, Leinwand, alte Puppenkleider und legen sie ehrfurchtsvoll in seine Hände. Das kleine blonde Mädchen mit dem spiegelblanken Scheitel, dem die Mutter aus dem Fenster nachsieht, stellt sich zuerst an den Karren, und sie hält ihr buntes Päckchen fest in der Hand, neben ihr steht der kleine Junge, dessen Höschen das leichtfertig hervorhängende Hemde nicht 67 verhüllen. Er focht gestern mit, als sein Bruder aus Sexta den viel größeren Jungen aus Quinta durchprügelte und ihm ein Stück aus der Weste riß. Bedächtig hob er die Trophäe auf, weil armer Leute Kinder Alles sammeln, von dem sie schon frühe vermuthen, daß es noch zu etwas gut ist; heute erscheint er damit im Geschäft. An seiner Seite steht etwas sehr Kleines, das um zu stehen, sich an dem kleinen Bruder festhalten muß, es hat in den Händchen ein Bonbonpapier und begreift selbst diesen kleinen Handel noch nicht, aber es blickt mit großem Menschenvertrauen auf Plundermatz. Das wird eine ernste und bittere Täuschung werden. Die größeren Kinder gruppiren sich dahinter; bringen sie auch nichts, so freut sie doch der Kleinhandel des Frühjahrs; Allen ist Plundermatz ein höheres Wesen mit geheimen Kräften. Zwar nennen die Eltern ihn nur den Lumpenmann, sie aber wissen es besser und denken: er ist doch ein König, der so lange er verzaubert ist, so armselig umher gehen muß. Die Kinder müssen ja erst größer werden, um einzusehen, wie oft das umgekehrt ist im wirklichen Leben.

Mit einem Ruck kann einmal das Mützchen davonfliegen und einer goldenen Krone Platz machen, der Leinenrock verwandelt sich in einen Purpurmantel, die Flicken darauf in Hermelinbesatz, der Karren wird ein Triumphwagen, der Sack öffnet sich, die Lumpen fliegen als weiße Tauben auf und führen den Zauberkönig in sein zerfetztes Reich, das schöne Lumpacien, wo ihn die Königin mit dem tausendfarbigen Spenzer, die wunderschöne Plunderlise empfängt. Alle 68 Vögel sind ihm dienstbar, denn er schenkt ihnen Läppchen zu ihren Nestern und überall hat er seine mächtigen Freunde unter den höchsten Leuten, denn die Kinder haben oft gehört, wenn sie im November und December still am Ofen saßen und der Vater las die Zeitungen, wie er »Lump! Lump!« in den Bart brummte, und sie horchten auf, denn sie gedachten etwas neues aus dem Feenreich zu hören.

Jetzt thut Plundermatz den Kasten auf, nimmt bedächtig ein Tüchlein ab, wirft die Fetzen, die ihm die Kinder geben, in den Sack und vertheilt nun seine wunderschönen Gaben; Ringe von herrlichem Blei mit dem Rubin des Königs Vitreus drin, der die Fenster beherrscht und die Glaser, oder von rothem silberplattirtem Kupfer, wie es dem runden Götzen Moneta gehört, den die Silbergroschen und Viergroschenstücke anbeten, wenn ihnen die rothe Schwindsucht und Schwindelsucht von den Backen blitzt.

Diese Ringe vertheilt Plundermatz. Aber er spendet auch Bilder, sehr grell gemalte Bilder, worauf seine Vettern die Erdenfürsten gemalt sind, wie sie gegen furchtbar knallende Batterien sprengen, ihren reisigen Völkern weit voraus, oder wie sie an gefallenen Feinden großmüthige Verzeihung üben, oder Almosen an Arme vertheilen, und Kranke heilen, und dabei immer glänzende rothe Backen haben, und braune galoppirende Pferde reiten, weshalb das kleine Mädchen mit dem Bonbonpapier, das nur aus Gnade ein Bildchen erhält, jeden eiligen Reiter durch die Gasse, einen »König« nennt.

69 Jetzt haben sie alle ihren Tauschhandel gemacht, mit Ringen geziert, mit bunten Blättchen in den Händen, wackelt und hüpft die Gesellschaft auseinander, der Plundermatz packt den Sack zu, verschließt den Kasten und fährt langsam die Straße hinauf, der edle Sonnenschein vergoldet sein ehrwürdiges Haupt und das kleine sinnige Mädchen möchte ihm gern nachgehen, um zu sehen ob er nicht hart an der nächsten Ecke gen Himmel in das Frühblau fliegt.

Ihr lieben Kinder wißt nicht, daß der Plundermatz ein armer Schelm ist, der für die Papiermühle sammelt, damit Zeitungen vollgeschrieben und gedruckt werden können und eure Väter etwas zu lesen haben. Kommt der Frühling, so eilt hinaus und holt euch Ringe und Bilder, dann kommt der Lumpenmann für euch; im Winter aber kommt er für die Großen und dann sitzen sie am Ofen und – brummen in den Bart: Lump! 70

 


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