Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Wettrennen.

Die beiden Wappenthiere der noblen Passionen: Hund und Pferd zeigen die merkwürdige Eigenschaft, daß um den Zeitpunkt, in welchem das eine Geschlecht in vollkommener Ebenbürtigkeit mit dem Menschen seine schönsten Triumphe feiert, das andere in tiefster Erniedrigung selbst bis zu den gemeinsten Contumazvorsichten herabsteigen muß. Zur Zeit der längsten Tage nämlich, wo viele Hunde in unerklärlicher Niedergeschlagenheit, von dunklem Spleen befangen, die Zier des Schwanzes und das denkende Haupt nebst Zunge zu Boden hängen lassen, wo ein öffentlicher Beamter und seine Subalternen mit eifrigster Controle nach ihren Frankaturmarken suchen und Concessionsentziehungen des Lebens an der Tagesordnung sind, kurz vorher ehe der Sirius culminirt, ist die Flitterzeit im Leben der Rennpferde. Jedes Roß von einiger Distinction erscheint alsdann auf der großen Fläche hinter Tempelhof mit geflochtenen Mähnen und 104 wohlausgekämmtem Schweif, bedient von mehrerem Stallgeknechte, und sieht mit Verachtung herab auf die Rapp-, Fuchs- und Schimmel-Proletarier, die, vor Droschken und Thorwagen gespannt, aus der Stadt mühselig herankeuchen. In der breiten Steppe zwischen Rixdorf und Berlin ist dann über Nacht, wie durch einen Zauberschlag, ein Wunderbau von einem Glaspavillon und zwei Tribünen aus der Erde gewachsen und die behelmten Häupter der Stadt bewachen zu Fuß und Roß die mährchenhaften Gebilde der Wüste.

Dicken Herren macht es um diese sonst naturgemäß so heiße Zeit kein Vergnügen »vollblütig« zu sein; für magere Pferde ist es ein Glück. Die vierbeinige Aristokratie beutet alsdann die Vorzüge ihrer Geburt und Lebensstellung aus; bürgerliche Pferde bleiben hinter der Front und werden nur von Stallknechten geritten. Auf diesem Platze hat man die zeitgemäße Bedeutung eines schnellen Rosses in ihrer ganzen Tiefe erkannt, und mancher verhungerte Pegasus würde sich, könnte er diese wohlverpflegten Collegen erblicken, die müden feuchten Augen wehmüthig mit seinem eigenen Schweife trocknen. Es ist keinesweges eine Hyperbel, wenn der Laie der Hippologie und Kenner der Anthropologie behauptet, daß elf Zwölftheile der Menschheit es bei weitem schlechter haben, als diese Heroen der Striegel und Kartätsche, und der Menschenfreund lebt Angesichts der Wettrennen in der freudigen Einsicht auf, daß wenigstens ein Theil armer Zweifüßler in der Bedienung der Herren Vierfüßler ein erträgliches Brod findet.

105 Einst waren die Wettrennen ein Volksfest der Stadt; jetzt tragen sie nur noch den Hautgout einer aristokratischen Belustigung. Volksfest ist jetzt – um die Wette nach Amerika zu rennen.

Das Schauspiel selbst ist ein belebtes und erhebendes. Von den Tribünen aus übersieht man den wichtigen Tummelplatz der Actionaire und Pferdebesitzer. Hier blühen üppig der Garde-Cavallerie-Officier, der junge Rittergutsbesitzer und der englische Jockey; hart daneben wachsen ringsumher wild verwegene Ellenreiter mit weißen Thalerbillets am Hut auf kauderwälschen Miethskleppern. Verwundert sehen diese dem waghalsigen Rennen nach; es tröstet sie über ihre Lage die vollkommene Unabhängigkeit ihres Willens von dem ihrer Reiter; sie haben nur im Stall zu gehorchen; einmal vermiethet sind sie frei wie das Roß der Prairien.

Jetzt giebt eine Glocke das feierliche Zeichen nun Wiegen der Reiter, Sättel und Aufzäumungen. Mit höchster Gewissenhaftigkeit wird nach dem Programm des jedesmaligen Rennens den Rossen ihre Bürde zugemessen. Mancher überladene Büreaubeamte muß mit Neid dabeistehen, wenn er sieht, wie bedacht man ist, die Kräfte der Pferde nicht ungebührlich in Anspruch zu nehmen. Ein zweites Zeichen ruft die Jokeys zu ihren Pferden, sie sitzen auf und reiten an den Tribünen vorbei, um sich und ihre Pferde zu präsentiren. Zugleich wird eine Tafel aufgehißt mit den Nummern der concurrirenden Pferde. Viele waren »gezeichnet« 106 aber nur Wenige sind auserwählt; das Hauptvergnügen der Rennfreunde scheint zu sein: Reugeld zu zahlen.

Die designirten Wettrenner reiten unter allgemeiner Aufmerksamkeit der Zuschauer, die an den Costümen der Jokeys ihre Herrn zu erkennen suchen und in dem Verzeichniß notiren, die Bahn hinauf und die Spannung steigt mit jedem Augenblicke höher. »Was dieser Dessen für viele Pferde hat; er muß ein sehr reicher Mann sein!« bemerkt nachdenklich aber laut ein alter Philister zur Gattin, und unter dem Gelächter der ganzen Bank belehrt ihn ein junger Nachbar, daß »Dessen« kein Pferdebesitzer, sondern nur ein gewisser Genitivus sei, der sich auf den vorgenannten Herrn beziehe. Jetzt wird der Alte ernsthaft böse. »Genitivus! – ein Vocatius sind Sie – hier steht es auf dem Zettel, den ich für einen ganzen Silbergroschen gekauft habe: Amtsraths Heller's br. St. – Dessen br. H. – wenn Sie lesen können, werden Sie auch sehen, daß es groß geschrieben steht und ein Genitiv und groß geschrieben! – Wenn Sie Dessen nicht kennen, kann ich ihn doch kennen; Dessen ist ein vorurtheilsfreier Herr, der sich aus den Titulaturen nichts macht, darum steht nicht Herr dabei. »Da es abermals klingelt, wird der Alte nicht weiter beachtet, aber entrüstet spricht er noch längere Zeit in sein buntgewürfeltes Halstuch hinein und beschließt gleich nach dem Rennen Herrn »Dessen« aufzusuchen und ihm sein Compliment zu machen.

Die Renner gehen vom Ablaufspfahle ab, sie schießen wie gefiederte Pfeile die Bahn entlang, 107 jetzt biegen sie um die letzte Ecke, in die eigentlich entscheidende Strecke des Wettlaufs, die Reiter arbeiten mit beiden Armen, die Pferde mit allen Vieren, jetzt – jetzt – um eine Nasenlänge – und der Sieg ist entschieden. Der Sieger reitet langsam und stolz zum Waageplatz; die Besiegten verschwinden im freien Felde, als ob der Erdboden sie verschluckt hat. Nun folgt wieder eine halbstündige Pause für die halbe Minute des Schauspiels, und endlich erbarmt sich der mitleidige Himmel und kühlt durch ein tüchtiges Regenbad mit Sturm die Begeisterung der Reiter, Rosse und Zuschauer ab. Die Wagenburg wird erstürmt, die Verkäuferinnen von Knoblauchswürsten und Branntwein halten nicht Stand, wie einst die Frauen der alten Deutschen, die Fuhrleute steigern trotz Taxe und Polizei die Preise um das Doppelte, verirrte Affenpinscher suchen wie wahnsinnig ihre Herren, Regenschirme werden vom Winde umgekehrt und über Feld getrieben, ja ein schwarzer und ein weißer Hut beginnen ein Steeple Chase, indem die Besitzer als Preisrichter verzweifelt nachrennen. So wird Alles zu einem Wettrennen, selbst die Rückfahrt nach der Stadt, und es fehlt endlich nicht an solchen, die keinen andern Preis gewonnen haben, als einen tüchtigen Rheumatismus oder ein verfrühtes Zipperlein. 108

 


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