Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Der Student in Berlin.

Um den Studenten in Berlin zu beschreiben, muß man ihn erst suchen und finden. Der Student in Berlin liegt nicht so oben auf, wie der Schinken auf einem Butterbrode; es ist ein glücklicher Zufall, wenn man ihn, wie die Bohne in einen Dreikönigstagsfestkuchen, findet. Am besten ist es, wenn man selber Student in Berlin gewesen ist und die Sitten und Gebräuche, die Lebensweise und Nahrungsmittel, die Beschäftigung und den Müßiggang des Studenten mit durchgelebt hat. Nur wer die Leiden und Freuden des Studenten zu Lande und zu Bier getheilt hat, kann Beiträge zu seiner Berliner Existenz liefern. In der Universität findet man den beschäftigten Studenten, aber dieser sieht sich in allen Universitätsstädten so ähnlich, daß er dem Geschichtsschreiber nur geringe Anhaltepunkte für ein Charakterbild liefert. Ueberwiegend Tintenstecher und Schreibemappe, mit welchen Werkzeugen er die gelispelte, gehauchte oder geächzte, aber nur in den seltensten Fällen männlich deutlich vorgetragene Weisheit 71 der Ordentlichen und Außerordentlichen, auch derer Privatdocenten einzusaugen und festzuhalten trachtet, sieht man im Hörsaale den Studenten nur vom Rücken aus, wie viele Schneider, Schuster, Gastwirthe und Vermiether, die seine Bekanntschaft mit diesem Postspectus zu schließen pflegen. Neben der Universität, wenn man um eine sonnige Mittagsstunde dem Strom der Wachtparade an der Königswache entgegensteuert, bemerkt man den Studenten en face. Nähert man sich dem großen Gitter vor dem prächtigen Universitätspalast und trägt man, wie es sich geziemt, keinen eleganten Pelz mit Nerz oder Zobel besetzt, sondern den Inkognito-Paletot Diogenischer Spaziergänger, so entdeckt man einige Leute, welche sich beeifern, durch Bemühungen in der Fingersprache jüngere vorübergehende Männer zu fesseln. Diese Fingersprache steht mit der Qualität oder auf Deutsch »Abgetragenheit« der Röcke in Verbindung und wurzelt in semitischen Sprachstämmen. Die Fingerredner sind die Repräsentanten des Handels und zwar des alten Handels, eigentlich des Handels mit alten Kleidern; sie bilden eine vierte Klasse von Docenten, die unordentlichen Professoren für unordentliche Studenten, und sind am stärksten in Disputatorien über getragene Röcke, in sofern diese keine Fracks sind, eine Bekleidungsform, die sowohl ihrem Schönheitssinne als auch dem ferneren vortheilhaften Absatz in Polen zuwiderläuft. Der geringste Makel an der Bekleidung eines jüngeren Vorübergehenden, etwa ein schäbiger Kragen, ein älterer Schnitt oder eine unmoderne Farbe bildet eine schwache Stelle in 72 der bürgerlichen Position desselben und zieht eine spekulativ angreifende Frage nach sich. Hier ist die akademische Kleiderbörse und hier werden die Geschäfte angeknüpft, welche später in den Wohnungen abgeschlossen oder durch Treppenhinabwerfen abgebrochen werden. Unter diesen hebräischen Börsenlenkern ist auch ein fertiger Lateiner, der in correctem Ciceronianisch feilscht und Uhren über Gold- und Silberwerth annimmt. An der Ecke der Universität steht im Sommer und Winter unter freiem Himmel ein Tisch mit alten Büchern; hier kauft und verkauft der Student in Momenten rascher Entscheidung Schätze der Gelehrsamkeit. Noch 30 Schritte weiter ist die Wachtparade, und hier hört der Student mit Vergnügen der Musik der Garderegimenter zu, wenn sie von Bellini und Donizetti oder auch von Flotow und Gung'l spielen, und besieht sich mit noch mehr Vergnügen die wilden Gräfinnen, welche hier der akademischen Jugend um die Promenadenstunde entgegenkommen. Wer jetzt den Studenten studiren will, hat Zeit und Raum genug; nur muß er sich vorsehen, daß ihm, dem in sein Objekt Versunkenen, nicht von den zahlreichen Taschendieben das Schnupftuch oder die Uhr gestohlen werde.

Voran geht der reiche Student, Arm in Arm mit zwei oder drei gleich begüterten Standesgenossen. Er sieht meistens wie ein Graf aus und pflegt auch im gewöhnlichen Laufe der Dinge ein solcher oder ein Rentierssohn aus der Provinz zu sein. Sein Rock ist von Jourez, sein Hut von Gibus aus Paris, seine Stiefeln hat Manaigo 73 gemacht, der Stock ward bei Hoffmann erstanden und die Weste direct aus Paris bezogen; von einer Mappe ist an ihm auch nicht die leiseste Spur zu entdecken. Ein solcher Student hört im Collegium zu, während er an seinem elfenbeinernen Stockknopf kaut und seine goldene Dose über zwei Bänke weg dem »Bruder Graf« präsentirt; das Nachschreiben der Hefte besorgt sein Hintersasse, ein Musterbild von einem armen Studenten. Diese Mühe wird ihm anständig bezahlt und der arme Student lebt von dem Ertrage solcher Doppelarbeit, stirbt auch wohl daran, wenn er seine spärliche Lunge am Schreibtisch zu sehr angreift. Der reiche Student hat seinen natürlichen Gegensatz an dem armen Studenten, den auch der blödeste Blick nicht verkennen kann, obwohl er tausendfältige Verschiedenheiten darbietet. Es geht ja im Menschenleben wie in den Organismen der Thierwelt: erst im Staube beginnt die unermeßliche Mannigfaltigkeit; der Reichthum sieht sich überall ähnlich, aber in der Armuth treten die phantastischen Gebilde, die krausen Arabesken auf.

Dem armen Studenten ist der Stempel der Entbehrung und Dürftigkeit auf das Gesicht geschrieben. Sein Kopf ist nicht von einem Hute bedeckt, wie ihn jeder, der nicht für einen Handwerksburschen gehalten werden will, in der Residenz tragen muß, sondern er hat noch seine alte Mütze vom Gymnasium mitgebracht, oder trägt eine Kappe mit den verschossenen Farben einer Verbindung, noch von der Universität her, auf der er seine ersten Semester zugebracht. Ein alter 74 schlichter Paletot verdeckt wie ein großes Leichentuch die sterblichen Ueberreste seiner Garderobe und zugleich das sorgenvolle junge Herz, das dem Frühjahr und der warmen Aprilsonne mit bangem Pochen entgegensieht – der arme Student hat keinen Sommerrock. Selbst Palästina am großen Gitterthor beachtet ihn nicht einmal mehr, da seine fadenscheinige Garderobe keines Geschäftes und keiner Fingerphrasen mehr werth ist. Das Einzige, was an ihm zierlich und nett erscheint, ist sein Haar und Schnurrbart, sein Stolz und seine Freude. Auch seine Schreibmappe ist gut im Stande und reichlich mit den Erzeugnissen seiner Feder gefüllt. Wenn nicht an allen diesen Außendingen, erkennt man den armen Studenten doch sogleich am Gange. Er ist kein Flaneur, wie der reiche Student, seine Zeit ist gemessen, wie sein Mittagsessen, seine paar Groschen, und nicht wie sein Abendbrod, denn er kann noch, Gott sei Dank! so viel trockenes Brod bezahlen, als er essen will. Mit eiligen Schritten rennt er an der Königswache und dem Zeughause vorbei und verschwindet in einer der kleinen Nebenstraßen, die zu geringeren Restaurationen im Mittelpunkte der Stadt führen.

Zwischen diesen Extremen, die sich nur flüchtig andeuten lassen, bewegt sich eine große behäbige Mittelsorte, wohlhabender Leute Kinder, blonde Muttersöhnchen, pedantische Jungen von Geheimen und Consistorialräthen, Studenten in Uniform, weil sie gerade ihr Militairjahr abdienen, Eleven von der medicinischen Militairakademie, 75 krumme Famuli von Decanen mit großen Büchern oder »Schwarten« unter dem Arme, Mediciner, die nach dem Thürmchen (der Anatomie) riechen und sich durch ihre Fachgespräche verrathen. Aber da kommt ja mit dem Mienenspiel des Rhadamanthos der schwarze Oberpedell und es schlägt auf dem Dome ein Uhr. Wer den Studenten bei Tisch beobachten will, darf sich keine Secunde an der Universität aufhalten.

Gar verschiedene Methoden und Orte giebt es, an denen der Studirende seinen Magen zurichten kann. Der arme Student, und er pflegt auch der fleißige zu sein, denn langweilige Armuth treibt auch den Trägen zur Thätigkeit, sucht seine Nahrungsmittel am liebsten in der Nähe der Universität. Schon seit vielen Jahren hat sich demnach Speculation auf den riesigen Hunger und das spärliche Beutelchen nahe bei der Universität festgesetzt. Der Bursch nennt eine dieser Kneipen den »Hahn« und fügt ein Epitheton ornans hinzu, das man in Schlesien allerdings oft genug als Provinzialismus für »beschmutzt« hört, das aber ohne diese lokale Entschuldigung nie das Bürgerrecht in Conversation und Presse erwerben wird. Die Hallen des Hahnes mögen uns den Typus für alle ähnlichen Erfrischungsorte der bescheidenen Ansprüche liefern. Man speist billig, sehr billig im Hahn, denn das Abonnement beträgt monatlich für den Mittagstisch nur drei und einen halben Thaler, aber es wird sich Niemand unterstehen, zu behaupten, man speise für diesen Preis auch gut. In zwei 76 Zimmern im Erdgeschoß eines kleinen zweistöckigen Hauses sind zwei Tafeln gedeckt. Ein grobes Tischtuch ist nur am Sonntagmittag weiß, von diesem Termin an durchläuft es bis zum Sonnabendabend alle die Farbenerscheinungen, von welchen die Optik bis jetzt noch keine Ahnung hat. Allerdings könnte man behaupten, daß der Grundton mit dem Colorit des groben Senfes eine unverkennbare Aehnlichkeit hat, wenn nicht ein sehr entschiedenes Spinatgrün an großen Stellen vorherrschte und vergossenes Weißbier zwischen beiden reizende unbestimmte Nuancen hervorbrächte, von denen nur Flecken von Bratensauce, wie Inseln und Sandbänke pittoresk abstechen, und endlich hat der gänzliche Mangel an Messerbänken gewisse regelmäßige Streifen hervorgezaubert, welche dem Forscher die Möglichkeit verschaffen, aus ihnen den Speisezettel der ganzen Vergangenheit wissenschaftlich festzustellen. An diesen beiden verführerischen Tafeln speist der arme Student. Er erhält zuerst eine grüne Suppe, deren Farbe nicht von Vegetabilien, sondern von der Beschaffenheit ihrer animalischen Bestandtheile herrührt und im Sommer namentlich die Nase früher als den Gaumen in Anspruch nimmt. In dieser Jahreszeit wechselt diese Suppe auch mit einer Bierkalteschaale, welche der Wirth aus Bierneigen in Gläsern, umgeschlagenem Braunbiere und ähnlichen essigartigen Flüssigkeiten erzielt. Alsdann erscheint das Gemüse und ein Teller Braten oder jenes Gericht, das unter dem Namen »Bouletten« einen ähnlichen großen Ruf in Berlin besitzt, als vormals die schwarze Suppe zu Lacedämon und 77 der Lotos im Homer. Sein Brod erhält der Student abgeschnitten und auf die Gabel gespießt. Ueble Erfahrungen mit ganz armen Jungen, die sich nur eine Suppe geben ließen und den Hunger mit Brode stillten, haben den Wirth zu dieser Vorsichtsmaßregel veranlaßt. Obwohl der Hunger der beste Koch ist, vergnügen sich doch die jungen Schwelger nur möglichst kurze Zeit an den Erzeugnissen der diabolischen Küche des Hahnes; die Tische werden in unglaublich kurzer Frist leer und von frischen Ankömmlingen gefüllt. Der Luxus der Serviette ist hier vollkommen unbekannt und Messer und Gabel sind von unverhältnißmäßiger Dicke und Schwere, weil sie oft geputzt werden und doch möglichst lange vorhalten müssen. Auf der andern Seite des kleinen Hausflures ist in einem größeren Zimmer ein Billard aufgestellt. Es wird fast den ganzen Tag über nicht leer, aber in den Mittagsstunden von Studenten benutzt; die übrige Zeit belustigen sich herrschaftliche Bediente, Unteroffiziere aus den nahen Kasernen und junge Leute »ohne Stand« darauf. Von Tischgesprächen ist kein Laut zu hören, stumm wird die armselige Mahlzeit verschlungen und die Heiterkeit kehrt erst unter den schattigen Bäumen des Kastanienwäldchens wieder, wo sich einige Commilitonen zu wissenschaftlichen Gesprächen zu vereinigen pflegen.

Der wohlhabendere Student hat es besser, der Preis seines Mittagstisches beträgt meistens das Doppelte und zahlreiche Restaurationen sorgen reichlich und gut für seine Beköstigung, seit die Concurrenz der Gastwirthe stärker geworden ist. 78 Früher theilten sich nur einige Restaurants in die Beute; es gab kaum sechs bis acht Lokale, wo Studenten verkehrten, und sie sahen sich der Diskretion der Eßkünstler überlassen, wie Schiffspassagiere dem Wohlwollen des Kapitäns. Allmälig etablirten sich mehrere Wirthe, gaben anfangs vortreffliches Essen und verschlechterten es, sobald sie eine starke Kundschaft erworben hatten. Die Studenten durchschauten diesen Schwindel auf der Stelle. Tauchte ein neuer Wirth auf, so ging alle Welt zu ihm und »aß sein Debüt ab!« So wie aber der Wirth knauserte und drückte, verschwand der Haufe und sammelte sich wieder an einer andern Stelle, wo inzwischen ein verlassener Wirth Verbesserungsversuche angestellt hatte. Durch diese großartigen Fluctuationen ist endlich ein erträglicher Mittelzustand der Dinge hergestellt worden. Kein Wirth darf ein sicheres Geschäft von anderen Umständen als eigener Solidität hoffen und der Student, sein Gast, befindet sich ganz wohl dabei. In diesen Lokalen wird stark Billard, Domino und Schach gespielt; Karten spielt der Student an öffentlichen Orten fast nie. Man muß sich wohl hüten, bei der Anwesenheit aller akademischen Abzeichen, junge kartenspielende Leute mitten unter Studenten für etwas Anderes zu halten, als gaunerische Lockvögel, welche den zuschauenden Neuling aus der Provinz in ihrem Garne fangen wollen. Auch Zeitungen und Journale werden stark gelesen und die Wirthe sind genöthigt, die beliebtesten Blätter, zum Theil sogar doppelt, zu halten. Um drei Uhr Nachmittags sind die Lokale, wo zwischen eins und 79 halb drei kein Apfel zur Erde fallen konnte, öde und ausgestorben.

Mit dem reichen Studenten hat es keine Noth; er setzt sich erst um drei Uhr zu Tische. Bis dahin ist er unter den Linden auf der Sonnenseite, im Sommer im Thiergarten spazieren gegangen oder geritten; er nähert sich jetzt langsam den Hotels unter den Linden. Seines Gleichen sind natürlich zu zählen, aber sie sind doch in Berlin unverhältnißmäßig stark vertreten. Der reiche Student ist Stammgast an der Table d'hote eines der ersten Hôtels und der Wirth läßt ihm an dem Zwanzigsilbergroschencouvert eine Preisermäßigung von fünf Silbergroschen zukommen. Wenn ihr mit einem Freunde dort eßt, der plötzlich in der Hauptstadt angelangt ist, während die Hausfrau die Wäsche hat, und ihr seht zur Linken einen jungen feinen Mann, der mit spöttischem Lächeln den gegenübersitzenden Reisenden für ein großes Seidengeschäft betrachtet, weil dieser eben die blendend weiße Serviette durch die Zacken der schweren silbernen Gabel zieht, als ob er eine kleinstädtische eiserne Zinke vor sich hätte, so könnt ihr mit Sicherheit schließen, den reichen Studenten vor euch zu haben. Mit Feinheit müßt ihr ihn ins Gespräch ziehen, denn er ist ein eleganter und delicater Bursche, aber dann läßt er auch beiläufig fallen, daß er in Bonn studirt habe und mit dem Sohne des Prinzen von Preußen, dem künftigen Thronerben, gut Freund sei. Gewinnt ihr ihn zur Theilnahme an Champagner, so erschließt er euch bei aufmerksamem Zuhören 80 sein Herz und erzählt aus Bonn, bis der Kellner den Tisch abdeckt.

In einem neuen und vielleicht wichtigsten Verhältnisse steht der Student zu seiner Wohnung, und in diese müssen wir ihn begleiten, wenn wir seine Stellung zur Gesellschaft in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit begreifen wollen. Im Allgemeinen ist der Student in Berlin vogelfrei; kein Mensch bekümmert sich um ihn und studirte er zwanzig Jahre lang. Nur muß er seine Bedürfnisse baar bezahlen. Ein Student, ein stiller Mensch, schwindsüchtig und von Leuten und Umgang abgewandt, hat eine Nacht und den darauf folgenden Tag todt in seinem Bette gelegen, ehe es den Miethsleuten einfiel, seine Thür zu öffnen. Wer seine Kleider und Stiefel als armer Schelm allein reinigen muß, ist der Paria; man läßt ihn am Wege sterben. Jemehr der Student in seiner Wohnung verzehrt und draufgehen läßt, desto beliebter ist er im Hause, oder was dasselbe ist desto ärger wird er betrogen. Der Student ist im Ganzen ein zuträgliches und beliebtes Nahrungsmittel des berliner Zimmervermiethers. Er unterstützt alte Pensionärinnen, Wittwen und sparsame Familien durch seine Existenz, aber auch gräuliche Schmarotzer, Müßiggänger, Schwindler und Kuppler. Ein vollkommen ausgebildetes Parasitensystem hat sich auf dem Studententhum eingenistet, und es bedarf für den jungen Ankömmling erst längerer Erfahrungen, oder einer harten Schule, wenn ihn nicht seltenes Glück zu ordentlichen Leuten führt, ehe er sich mit dem 81 Demantpanzer gewappnet hat, ohne den er und seine Börse in Berlin sofort durchlöchert werden.

Die größere oder geringere Vornehmheit der Gegenden Berlins entscheidet auch über die Wohnung des Studenten. In der Behrenstraße und unter den Linden, wo man den monatlichen Miethzins in Golde fordert und entrichtet, haust nur der Aristokrat des Studententhums. Hier giebt es einige wenige Hôtel garni's, in denen fast ausschließlich begüterte Studirende des Auslandes wohnen. Solche Häuser haben ihren mehrerer Sprache fähigen Portier, einen dem Wirthe gehörigen Stiefelputzer und allerlei solide und »zierliche« Verbindungen. In einem dieser Häuser wohnte zu meiner Zeit ein Student vom Kap der guten Hoffnung, ein talentvoller junger Mann mit einem starken Beigeschmack von Hottentottenthum in seiner Visage. Alljährlich erhielt dieser Studio, dessen gelehrte Errungenschaften seinem buschmännischen Vaterlande wahrscheinlich keinen zu hohen Begriff von der Lehrfähigkeit der berliner Universität beigebracht haben werden, ein Faß Kapwein aus seiner Heimath. Dieser Wein wurde unter der Assistenz mehrerer Freunde im Keller abgezogen und fesselte uns magisch an den Hottentotten, so lange er noch einen Tropfen im Keller hatte. Später verließen wir Afrika als eine unwirthliche, dem europäischen Sinne nicht zusagende Provinz – ein kleiner Charakterzug des Studenten aus Afrika und Europa. In der Nähe dieser Hôtels sind mit Leichtigkeit Stallungen zu finden, in denen der reiche Student sein eigenes Pferd so lange unterbringen kann, bis er es mit Schaden verkauft. Ganz in der Nähe der 82 Linden, in der Mittelstraße und Dorotheenstraße, beide Parallelen der großen Hauptstraße, wohnt das eigentliche Studententhum beisammen. Man kann diese Gegend das quartier latin von Berlin nennen. Einst blühte dort der berliner Saal, bis der akademische Senat bei Strafe der Relegation den Besuch desselben verbot, aber noch heute blüht eine Pfandleihe im eigentlichen Mittelpunkte der Mittelstraße. Wohnen in der Dorotheenstraße meistens noch eine Menge anderer Leute, so hat der Student aus der Mittelstraße so ziemlich Alles vertrieben, was nicht unmittelbar zu den Musen gehört. Aeltliche schmutzige Häuser mit ausgetretenen Treppen und alterthümlichen Mansardendächern aus der Bauperiode Friedrichs des Großen geben der Straße eine unordentliche Physiognomie; allerlei nicht zu reinliche Gewerbe haben sich in den Höfen und Kellern eingenistet und verderben die Atmosphäre. In der Mittelstraße allein hängt noch der Student, bekleidet mit einem zerrissenen Schlafrock und buntem Käppchen, die lange Pfeife zum Fenster hinaus; ist der Wächter in den Stunden nach Mitternacht nicht sicher von bösartigem Wurfgeschütz getroffen zu werden; geht der Wandrer des Nachts nie an den Häuserseiten, sondern mitten auf der Straße!

Nur ungern sehen es die Zimmervermiether, wenn der Student sich Morgens auf einer Blechmaschine den Kaffee selber kocht, oder Victualien durch seinen Stiefelputzer besorgen läßt. Alle Lebensmittel, Getränke und Feuerungsbedürfnisse sollen durch die Hände der Vermiether gehen. 83 Das Pfund Kaffee und Zucker hat hier wie in der Apotheke nur 24 Loth, das Quart Oel und Spiritus geht in eine Dreiviertelflasche, das Zweigroschenbrod kostet 3 Silbergroschen und von den Brennholzscheiten wird soviel abgespalten als möglich, damit Holzsplitter nicht die Eleganz der Wohnung entstellen. Diese Eleganz besteht in einem Sopha, dessen Fußende durch die Ablagerung von vielen akademischen Stiefeln ein gräuliches Colorit angenommen hat, einem Schreibsekretair mit wackliger Klappe und ausgedrehtem Schloß, einem Kleiderspinde und großem mit Wachstuch überzogenem Tische vor dem Sopha. Letzterer Tisch trägt mehrere versengte Stellen von übergegossenem Brennspiritus, heißem Sigellack und brennend weggeworfenen Schwefelhölzern. Außer den Stühlen und einem etwas trüben Spiegel findet man noch die Büsten Göthe's und Schiller's in schlechten Gypsabgüssen à sieben und einen halben Silbergroschen. Das gedankenvolle Ansehen dieser schönen Dichterköpfe haben die Bewohner einigermaßen durch Schnurrbärte von Tintengrund gestört oder auch durch aufgestülpte alte Hüte und Mützen erhöht. Ohne Schiller und Göthe keine ächte Studentenstube für fünf Thaler den Monat. Hat der Student kein eigenes Bett, so zahlt er monatlich einen Thaler mehr; hat er ein eigenes Bett, so stiehlt man ihm im ersten Vierteljahre die Hälfte seiner Federn heraus. Alle Vermiether von Studentenstuben schlafen auf merkwürdig reichlich gestopften Federbetten.

Zu der Eigenthümlichkeit solcher Stuben, namentlich wenn ein Wirth ihrer mehrere 84 vermiethet, gehört »einer Wirthin Töchterlein.« Besagtes und betagtes Mägdlein correspondirt mit einem auswärtigen Bräutigam und ist mit einem anwesenden Einwohner verlobt. Wie die Vestalinnen ihr Dasein der hehren Göttin, hat sie ihr jungfräuliches Leben der erhabenen Burschenschaft geweiht, wie die Vestalinnen heirathet sie erst im späteren Lebensalter und dann keinen Studenten, sondern einen jungen Schuster oder Schneider, der sich etabliren will und Geld braucht. Noch gehört recht eigentlich zur Studentenkneipe ein Thier, dem man in Aegypten, wo jeder Ort seine heilige Bestie hatte, wahrscheinlich in etwa vorhandenen Studentenstädten einen Tempel erbaut hätte. Dieses Thier ist die Wanze und dem Studenten bis in den Tod ergeben. Es schläft in seinem Bett, es wohnt in seinen Büchern, bewacht seine Kleider und begleitet ihn zuweilen selbst, gleich dem treuen Hunde, auf seinen Spaziergängen. Im Sommer wetteifert mit der Wanze die Fliege, eine flüchtige Pilgerin aus den Läden der vielen Schlächter und Pferdeställen. Die Jagd auf diese Fliegen gewährt dem Studenten nach Tisch eine angenehme Bewegung; der Deckel seiner ausgedienten Zumptschen Grammatik, an ein Rohrstöckchen befestigt, ist sein Jagdgeräth und zahllose Flecken an den Wänden bezeugen den unermüdlichen Eifer des jungen Waidmannes.

Alle Wohnungen des Studenten werden auf einen Monat mit vierzehntägiger Kündigung gemiethet, in einigen Fällen auch wohl ohne Miethszahlung verlassen. Seit der Verbesserung der Polizei in der Stadt sind diese Fälle jedoch sehr 85 selten geworden, da nichts leichter ist, als einen Ausreißer auszufinden und vor Gericht zu stellen.

Jeder Student hat seinen eigenen Hausschlüssel, den ein ordentlicher junger Mann schon um 8 Uhr morgens einsteckt, wenn er nach der Universität geht. Die Combinationen der Wirklichkeit lassen sich nie vorher berechnen und es können Fälle vorkommen, wo ein Mensch, der planlos am Morgen ausging, Nachts um zwei Uhr besinnungslos die Treppe hinaufgetragen wurde.

Mit seinem Wirthe steht der Student meistentheils nicht gut. Dieser Uebelstand liegt weniger am Studenten als am Wirthe, der ein Ideal von dem »vollkommenen Studenten« im Busen trägt, das in der unvollkommenen Welt nie vorhanden ist. Der vollkommene Student ist eine Art Marsyas, der zu jeder Schinderei geduldig stille hält, ein Trappist, der den ganzen Tag über kein Wort spricht, ein Krösus, der mit Geld um sich wirft, ein Diogenes an Mäßigkeit, ein Waschbär an Reinlichkeit, ein Esel an Geduld, ein Schaaf an Nachgiebigkeit, ein Heirathscandidat für seine Tochter und ein Abnehmer seines Brennholzes. Da sich nun alle diese Eigenschaften nie in einer Person vereinigt finden, ist auch der Punkt der Einigung zwischen Wirth und Student bis jetzt eine offene Frage. 86

 


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