Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Was sich die Flöte vorbläst.

Es war vor acht Jahren, als eine Gesellschaft lustiger Berliner mit einem Extrazuge in Leipzig anlangte. Die unvergeßliche Henriette Sontag sang im Schauspielhause die Rosine im »Barbier«, und die Leipziger Theater-Direction hatte mit der Anhaltischen Eisenbahn-Verwaltung ein Bündniß geschlossen, den Berlinern den seltenen Genuß möglich zu machen, die in der norddeutschen Residenz offiziös nicht zulässige Sängerin in Klein-Paris zu hören.

Die Vorstellung war vorüber. Ich hatte mit meinem Reisegefährten, einem mittelalterlichen reichen Kaufmann, im Speisezimmer des Hotel de Pologne noch zu Nacht gegessen und stieg nach einem mühevollen Tage gelassen in das dritte Stockwerk empor, um den Artikel zu schreiben, der für das nächste Abendblatt einer großen Berliner Zeitung bestimmt war, und vor mir selber mit dem vor Tagesanbruch abgehenden Zuge nach Hause befördert werden sollte. Nachdem ich die beiden Bougies, welche für gewöhnlich kaum in Anspruch genommen werden, in der mörderischen Absicht, sie herunterzubrennen, angezündet, mich vor die Klappe des Schreibtisches gesetzt und die Arbeit begonnen hatte, kam mein Reisegefährte gleichfalls nach oben und legte sich zu Bette. Der gute mittelalterliche Jüngling, wie er so in den aufgethürmten Federn lag und mit seinem Trüffelbeschwerten Magen auf mich emsig Schreibenden blickte, schien von innigem Mitleiden 209 durchdrungen zu sein gegen einen Menschen, der nach fast dreißig Stunden Eisenbahnfahren, einem stattlichen Diner und einer aufregenden Theatervorstellung noch einen langen Artikel schreiben sollte, der möglicherweise seinen literarischen Ruf auf's Spiel setzte. Endlich schlief er ein, und auch in den übrigen Stockwerken des Hotels trat jene nächtliche Stille ein, welche geistigen Arbeiten so förderlich zu sein pflegt. Nur draußen tobte ein grimmiger Wind und sang um die alten Schornsteine und Dächer der in Schlaf versunkenen Stadt eine ungeheuerliche Serenade. Während ich auf dem Papier über die Nachtigallen-Stimme der Sontag auf das Zierlichste phantasirte, ließ die ungebändigte Natur den wildesten Kriegsruf erschallen. So hatte ich etwa zwei Stunden emsig fortgeschrieben, als mir vorkam, als ob in einiger Entfernung in einer Dachstube eine Flöte geblasen würde. Da ich die Flöte unter allen Umständen, wie kleine Ferkel, junge Hunde und Katzen, für einen unwiderstehlichen Gegenstand der Komik halte, erheiterte mich, den nur mit äußerster Willenskraft dem Schlaf Widerstehenden, dieser Umstand ungemein. Ich legte die Feder nieder und lauschte mit Inbrunst den schwindsüchtigen Tönen, welche um ein Uhr Nachts sich bemühten, den reizenden Wendungen der Arie »Una voce poco fa« gerecht zu werden. Meine Bewegungen hatten den Schläfer geweckt, er richtete sich auf, rieb seufzend seinen schweren Leib, und fragte, als ob ihm ein Gespenst erschiene: »Sagen Sie, lieber Freund, wird da nicht eine Flöte geblasen?« Ich bejahte durch Nicken und wir horchten Beide auf die spukhaften Anstrengungen des nächtlichen Virtuosen. Der Ton seiner Flöte trieb auf dem Frühjahrssturme wie ein Wrack auf empörtem Ocean, zuweilen schwankte der Ton hoch über unsern Köpfen und schien durch das Fenster herabdringen zu wollen. Dann aber packte ihn plötzlich die Windsbraut und schleuderte ihn zwischen die Schornsteine, daß auch nicht ein Atom übrig blieb. Bald darauf schwebte der Flötensang wieder ruhig in der Luft und schien sich seines naiven Daseins 210 zu erfreuen, dann aber wurde er von dem schadenfrohen Luftstrome dem Bläser so erbarmungslos fortgerissen und radikal vertilgt, als ob dies die letzte Nacht des dilettantischen Flötenspiels sein sollte. Nie ist eine Flöte, dieser schäbige Troubadour unter den Instrumenten, ärger mißhandelt worden. Hatte der Bläser eine Vorstellung von seinem Mißgeschick oder kündigte die ermüdete Natur ihm endlich den Dienst auf, genug er schwieg und ward nicht mehr gehört. Die rauhen Stimmen der Natur behielten die Oberhand. Nach diesem Intermezzo schrieb ich etwa noch anderthalb Stunden, überlas meinen Artikel, löschte die Lichter aus und warf mich mit erhitzten Augen und pulsirenden Nerven auf das Bett, um noch eine Stunde zu schlafen.

Aber vergebens; der schwer gekränkte Organismus verweigerte jetzt die edlen Geschenke der Ruhe und des Friedens. Ich verfiel in einen wild träumerischen Zustand, in dem mir aber merkwürdiger Weise nicht die heiter anregenden Momente des verflossenen Tages, nicht die unvergängliche Kunstleistung der berühmten Sängerin, ja nicht einmal der glänzende Jubel des mit Freunden genossenen Diners vorschwebte, sondern nur die Fortsetzung der eben erlebten Flötenepisode. Wie dem erhitzten Auge Macbeths in der Hexenhöhle die gekrönten Geister des Geschlechts Banquo, so gingen an mir alle möglichen Flötengespenster vorüber. Ich träumte gleichsam die ganze sociale Geschichte dieses unglücklichen Instrumentes. Zuerst erschien ein hoher schwarz gekleideter Herr vor mir, der von äußerster Magerkeit unten und über die rechte Schulter hin in eine Art ledernen Regenrock gehüllt schien und seltsam schwankende Verbeugungen mit seinem weißen Haupte machte, wobei auf der linken Brust etwas wie ein silberner Stern blitzte. Als ich den alten Herrn näher in's Auge faßte, entdeckte ich, daß er nichts sei, als eine aristokratische Flöte aus Ebenholz mit silbernen Klappen, welche sich die Freiheit nehmen wollte, mir ihre Verwandtschaft vorzustellen. Ich erinnere mich noch heute lebhaft, daß ich die äußersten 211 Anstrengungen machte, um diese unzeitige Ehre abzulehnen; allein es war zu spät. Das Zimmer füllte sich mehr und mehr mit hohen schlanken Gestalten, die mir sämmtlich die artigsten Verbeugungen machten und sich um mein ferneres Wohlwollen zu bewerben schienen. Da war das Instrument des Tamino aus der »Zauberflöte« und das Friedrichs des Großen aus dem »Feldlager in Schlesien«, welche sich herandrängten und um den Vorrang stritten; dann folgten antike Hirtenflöten und freche Piccoloflöten aus dem Militairorchester, anstandsvolle Dilettantenflöten reicher alter Kaufleute mit unbändigem Ueberwind, und kleine Flöten aus abgeschälten Weidenzweigen, wie sie die Schulkinder im Frühling zu schnitzen pflegen, Buchsbaumflöten mit einer Klappe für romantische Schneidergesellen, und Stockflöten, die zugleich Tabackspfeifen und Prügel waren, Papagenoflöten und antike klassische Flöten, deren zweiter Lauf mit dem Athem der Nase geblasen wurde; aber es hatte nicht sein Bewenden bei dieser höflichen Vorstellung. Die complimentirenden musikalischen Ungethüme beeiferten sich alsobald, eminente Proben ihrer Kunstfertigkeit abzulegen. Sie begannen eines der gräßlichsten Concerte, das ich je gehört habe; noch heute durchzuckt mein Gehirn in einsamen Stunden der Dämmerung der Gedanke an diese anscheinend ein Jahrhundert lange Nachtunterhaltung. Jede Flöte fiel über ein Musikstück her, das nach gewohnter Weise ihrem Charakter und Wesen vollständig widersprach. Eine blies das Finale des zweiten Aktes aus »Lucia«, eine andere das Chorrecitativ der empörten Krieger aus »Fernand Cortez«; eine trug die Partitur des Fidelio, eine andere die der neunten Sinfonie vor; eine schlichte Handwerksflöte studirte deutlich hinter dem Ofen die letzten Quartette Beethovens ein, und eine Piccoloflöte versuchte sich an den ungarischen Rhapsodien von Liszt – es war ein Concert des berühmten krankhaften Ehrgeizes der Flöte, jener wilden Ruhmsucht, die kein anderes irdisches Instrument kennt, ein Concert, wie es nur ein ganzes Narrenhaus voll 212 tollgewordener Flöten zu geben vermag. Dem Wahnsinn nahe, kämpfte ich mit diesem ungeschlachten Chaos von albernen Tönen, als der Capellmeister plötzlich mehrmals aufpochte. Sogleich verstummte die Musik, die Flöten verschwanden in der Dunkelheit der Nacht, und durch die geöffnete Thür drang freundlicher Lichterschein und ein höchst angenehmer Geruch von heißem Kaffee. Ein Kellner, beauftragt, mich recht zeitig zu wecken, brachte das Frühstück, bat sich die Stiefeln aus und zeigte mir an, daß die Equipage des Hotels angespannt werde, um mich nach dem Bahnhofe zu fahren. Ich verzehrte mein Frühstück, kleidete mich an und trug meinem inzwischen erwachten Reisegefährten auf, da er noch einen Tag in Leipzig verweilte, meinen Antheil an der Rechnung auszulegen. So warf ich mich vor vier Uhr Morgens in den Wagen und fuhr aus dem Dunkel der Straßen, noch immer angegrinzt von Flötenköpfen, nach der Eisenbahn. Der Sturm tobte weiter, Ballen von Wolken verhüllten dicht den Horizont und nur der feurige Qualm der geheizten Lokomotive wälzte sich über die schwarze vielgeräderte Schlange von Wagen, welche am Perron auf uns wartete und uns wieder nach Berlin zurückschaffen sollte. Geführt von einem Conducteur tappte ich in ein Coupé, verschloß das Fenster und drückte mich in meinen Mantel gehüllt in eine Ecke. Bald darauf ertönte der Abschiedspfiff, der Zug setzte sich in Bewegung, die zerrissenen Rauchstreifen der Maschine suchten unsere wilde Jagd auf den Flügeln des Sturmwindes zu überbieten. Jetzt entdeckte ich auch, daß ein Packet, das ich bis dahin für einen Ballen auf eigene Rechnung reisender Mäntel gehalten hatte, in einem Menschen bestand, und sich zwei Stunden nach unserer Abreise mit einiger Verwunderung das besah, was eben am Himmel als eine wohlfeile Ausgabe von Tagesanbruch erschien. Das Individuum war ein kleiner Mann von etwa sechzig Jahren. Eine Tabacksnase, ein kleiner Schnurrbart und ein Ordensläppchen verriethen den pensionirten Militair, als sich das Ganze aus seiner Kleiderbehausung 213 hervorwickelte. In stille Seligkeit versunken, sah das Männchen vor sich hin, nahm dann und wann ein Prieschen, und schielte mich freundlich von der Seite an. Endlich gewann er sich ein Herz und sagte höflich zu mir: »Sind wohl auch aus Berlin? Haben wohl auch die Sontag gestern gehört? Sind wohl auch entzückt?«

Als ich ihm diese drei unschuldigen Fragen sehr artig bejaht hatte, nickte er mehrmals zustimmend mit dem kleinen Kopfe, als freue es ihn, einen Gleichgesinnten getroffen zu haben, und begann in seinen Taschen zu suchen. Nach einigen Augenblicken zog er ein kleines ledernes Futteral hervor, das ich für eine große Cigarrentasche hielt, und öffnete es. Wer beschreibt aber meinen Schreck, als ich entdeckte, daß es eine Flöte enthielt. »Sie erlauben wohl?« fragte der Kleine mit sehnsüchtig schmachtendem Blicke, machte den Bindfaden an den Satzstücken mit der Zunge naß und drehte seine Bestie zusammen. Ich hatte noch nicht Zeit gehabt, weder bejahend noch verneinend zu antworten, als der sonderbare Schwärmer zu blasen anhub und natürlich nichts Anderes vortrug, als die auf den Dächern von Leipzig gehörte Arie: »Una voce poco fa!«

Jetzt war die Reihe zu fragen an mir. »Wohnten wohl auch nahe beim Hotel de Pologne? Haben wohl auch in der Nacht diese Arie geblasen? Schwärmen wohl auch für die Sontag?« Der Kleine antwortete nur mit einem seligen Zudrücken beider Augen und blies seinen Stiefel kläglich und beweglich weiter, ohne daß ihm dieses Mal der Sturm Hindernisse in den Weg legte. Wir fuhren über die Elbe; wir hielten in Röderau an. Die Conducteure öffneten die Thüren und fragten, wer nach Dresden wolle.

»Können Sie mir kein anderes Coupé anweisen?« fragte ich den Beamten.

»Wünschen Sie eines für Nichtraucher?«

»Nein,« antwortete ich, »nur ein Coupé für Nichtflötisten, denn wenn es so weiter geht, wie seit 214 Mitternacht, fürchte ich das Opfer dieses dämonischen Instrumentes zu werden.«

Der freundliche Mann brachte mich in ein abgelegenes Coupé gleich hinter der Lokomotive, und bei ihrem Eisendonner dachte ich in ruhigerer Stimmung darüber nach: was sich eine Flöte vorblasen kann.

 


 


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