Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Silhouetten.

Der Bratenbarde.

Nicht ohne tiefen Sinn stellt man den Victualiensänger ersten Ranges unter die Barden, denn wenn diese ihre Uebungen nur im Schatten alter stattlicher Haine, an üppigen Opferaltären anstellten, läßt sich der Bratenbarde auch nur an reichbesetzten Tafeln, im Schatten alter Weinsorten, nieder. Er ist fast immer ein lebenslänglich engagirter Theatersänger und meistens Bassist. In der zarteren Natur der Tenorstimme ist es begründet, daß ein Mensch, dessen hohes B eine längere Reihe von Jahren dauern soll, sich von den Strapazen großer Diners und Soupers möglichst fern halten muß. Die Baßstimme hingegen ist so wenig empfindlich gegen den Einfluß minder unschuldiger Flüssigkeiten als Wasser, daß der große Kritiker und Musiker Matheson sogar ausdrücklich bemerkte: »Gutes Eulenburger Bier bringt den Baßgesang herfür!« Die Mehrzahl komischer Arien und Lieder ist zudem für die Baßstimme geschrieben, so daß jeder talentvolle Besitzer eines tiefen Organes gleichsam eine Menge Entremets und Dessertschüsseln in seinem Brustkasten mitbringt.

Der höhere Bratenbarde giebt sich keinen Täuschungen über seine Lage hin; er weiß, daß er nicht seiner Persönlichkeit wegen zu Gesellschaften gezogen wird. Sie 101 ist das unter den Persönlichkeiten, was die Fußbürste unter angenehmen weichen Zahnbürsten, der Karbatsch unter den Spazierstöcken, das Commisbrod unter den Biscuits vorstellt; sie ist gewissermaßen aus lauter »Persönlichkeiten« zusammengesetzt. Der höhere Bratenbarde weiß, daß man ihn seiner Stimme wegen einladet; seiner Gurgel wegen nimmt er die Einladung an. Er ist weit davon entfernt, daraus ein Geheimniß zu machen. Der Wirth berechnet gewisse schwere Sorten für ihn, wie ein Admiral seine größten Bomben für die Festigkeit mancher Mauern. So wenig als eine Lokomotive, wenn sie nicht gehörig geheizt worden ist, setzt sich das Organ des Bratenbarden in Bewegung. Nüchtern singt er nur die unvermeidlichen Oberpriester und Tyrannen der großen Oper; leere Becher erhebt er nur in Jessonda, Vestalin und Olympia gen Himmel; im bürgerlichen Leben, an den Brettern, die den Mittagstisch bedeuten, fordert er gutes Maaß und bessere Sorten. Er entblödet sich nicht, dem Bedienten einen Wein, der ihm nicht mundet, über die Achsel zurückzureichen und in der Eile seine englische Gabel an den Dräthen der Champagnerflaschen zu zerbrechen. Die Taschen seines morschen Leibrocks sind durch jahrelangen Gebrauch unabsehbar vertieft. Wenn man von ihm auch nicht sagen kann, daß er als ein Kängeruh der Musik seine Jungen darin umherträgt, so schleppt er darin doch alle seinen Händen erreichbaren Victualien für sie nach Hause. Gleich nach dem Fisch leert er den Tafelaufsatz in seiner Nähe und läßt sich in seinem Werke nicht durch die verächtlichen Blicke der Wirthin und das Kichern der Mägdelein beirren. »Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt.« Von beiden Seiten seines Stuhles hängen die Backentaschen seines Fracks in die Tiefe hinab, aber immer noch ist darin Platz für einige Apfelsinen, Wallnüsse und Bonbons; er hat, wie die Natur nach der Meinung der Alten, einen Abscheu vor dem leeren Raume.

In den Zwischenakten des Mahles singt er, ohne 102 Zögern so viel und was man will; der Wirth sagt vorher nur mit freundlichem Kopfnicken: »Unser Krampolini, unser Kohlrabi wird uns etwas singen, meine Damen und Herren!«

Die Stimme klingt natürlich nach einer so starken Belastung der untern Schiffsräume nicht sonderlich; man könnte ihren Ton sogar mit dem einer Tabackspfeife vergleichen, deren Schlauch durch einen Polacken verstopft wird, wenn es überhaupt lebenslänglich engagirte Tabackspfeifen von so großem Kaliber gäbe.

Ist der höhere Bratenbarde mit dem Essen, namentlich aber mit den Weinen unzufrieden gewesen, so vermag ihn keine Macht der Erde wieder an denselben Ort zu bringen. Ueberhaupt singt er nirgends, wo nicht warm gegessen und getrunken wird; Landparthieen mit Naturreizen, kalter Küche und ansäuerlichen Rheinweinen sind für ihn nicht da. Zu bequem und zu stolz für diese kleinen menschlichen Schwachheiten, zieht er es dann vor, auf eigene Rechnung die Kegelbahn des Zirkels der gleichgesinnten Eingeweihten zu besuchen und aus seiner Tasche zu leben. »Mit Kleinigkeiten habe ich mich nie abgegeben«, kann er mit Franz Moor sagen, »ich war nie ein gemeiner Sänger.« Aber wir dürfen nicht verschweigen, daß der höhere Bratenbarde eigentlich doch ein guter Kerl ist und in Wohlthätigkeits-Concerten mitwirkt, wenn in Momenten der Trockenheit seiner Kehle, die Augen ihm naß werden und er seines Häufleins Kinder gedenkt.


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