Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Der erste April.

Das erste Einheizen kann auf die letzte Fliege des Sommers keinen erfreulicheren Eindruck machen, als der erste warme Tag des Frühlings auf die letzten hypochondrisch-winterlichen Gedanken des Menschen. Du allmächtige Sonne, großer Ofen des Planetensystems, mit deinen unverwüstlichen Holzvorräthen, belebst die zweibeinige Fliege, die sich auf Alles setzt und mit ihrer Rüsselfeder aus Allem eine Portion Nahrungsstoff saugt, um es auf reinem Papier wieder abzusetzen und mitunter Fliegenpapier zum Confisciren daraus zu machen. Allmächtiger Ofen unserer Strecke Weltall, wenn du die Wolkenklappe aufmachst, öffnen wir dir zu Ehren die Fenster und lassen die kostenfreie kosmische Heizung in unsere Zimmer. Welche Freude, am ersten April aus meinem Fenster sehen zu dürfen, nicht durch gefrorne und bethaute Scheiben, denen erst ein Lappen den Staar stechen mußte, nein, aus offenem sonnenhellem Fenster!

Erster April, einst warst du ein von dem jungen Sterblichen mit Sehnsucht erwarteter Kalendertermin. An diesem Tage wurden längst gesammelte Tabackspapiere mit Unlauterkeiten gefüllt, oben mit ein wenig Taback plattirt, sauber und sorgfältig versiegelt und vor dem Fenster auf der Straße verloren. Geschwister und Spielkameraden von bescheidenen Fähigkeiten und kindlicher Naturwissenschaft wurden in die Apotheke nach Mückenfett 54 entboten. Anonyme scherzhafte Briefe wurden abgesandt und manche spätere Ohrfeige, um der genossenen Freuden willen, nicht geachtet. Das ist vorbei auf immerdar. Mit acht und dreißig Jahren ist der erste April nur noch ein Tag, an dem die Miethe bezahlt und ein neuer Sommerpaletot bestellt wird. Nur wenn der erste April auch ein schöner Tag ist, dann bringt er jene sanften unschuldigen Freuden mit sich, jene kleinen Polizeivergehen, auf die keine Haussuchung folgen kann, als da sind: aus dem Fenster spucken, oder die Anwendung der einzigen Feuergewehre, deren Besitz noch gestattet ist: der Cigarren. Auf diese Art habe ich schon oft meinen ersten April genossen. Das sanfte Frühlingsgefühl bezahlter Miethe wogte in meiner Brust, die braune Bremer Primel, die den ganzen Winter in der Stube unter meiner Nase geblüht hatte, räucherte lustig blau gen Himmel; ich durfte aus unbesteuerten Fenster des kostenfreien Sonnenscheines mich erfreuen und meinen Kaffee dazu trinken. Alles athmete Freude auf der Straße, die Jungen spielten mit Murmeln ihre Partie Straßenbillard, die Hündlein berochen sich zuthulicher, freundlicher wedelte der Constabler mit seinem Säbel hinter der schwarzen Conditorköchin her, selbst der Haken des Knochensammlers tändelte anmuthiger im Rinnstein – ach, mich überkamen doch traurige Gedanken.

Was half es mir, daß ich aus dem Fenster spucken, daß ich meine Cigarrenasche ungestraft hinunter fallen lassen konnte? die reine Freude an diesen Genüssen war doch dahin. Der Himmel war blau, die Sonne schien golden und ihr mächtiger Glanz kam mir wie ein großes Fenster vor, aus dem jener Geist sah, den viele Philosophen vor all den Dingen der Welt, wie den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen wollten. Verwegen wandte ich das Auge empor, um ihn zu erblicken, als mich der feurige Strahl unbarmherzig blendete. Aber ich hatte genug bemerkt, genug für meinen Frieden und das Glück meines Zeitalters. Er lag wirklich in dem Fenster und 55 machte sich ein überirdisches Aprilvergnügen; ich hatte deutlich in seinem erhabenen Gesichte den Zweifel gelesen, der auch mich armen Sterblichen schon gequält hatte: ob auf Deutschland heruntergespuckt werden sollte oder nicht? Wie wenn er es thäte? wenn er ein österreichisch-bayrisches Sodom und Gomorrha? mit seiner Asche ein norddeutsches Herkulanum und Pompeji veranstaltete? Ich schloß das geblendete Auge, der Gedanke war zu furchtbar, auf solche übernatürliche Weise den politischen Verdienst der letzten Jahre einkassiren zu müssen; ich vertiefte mich resignirt in das Studium der irdischen Dinge und in den Lauf der Begebenheiten, den wir auf Bürgersteig und Trottoir wahrnehmen.

Auf Erden war Ziehzeit. Der erste April hatte sie Alle aus verschollenen Hofwohnungen, Kellern, Hinterhäusern und Dachstuben an's Licht gebracht, die Stiefkinder des Schicksals. Vor meinen Augen zog ein großes bewegliches Panorama von Plunderlandschaften vorüber und ich fühlte in mir den »pittore« erwachen, den jeder fühlende Mensch im Busen trägt, wenn er ihn auch nicht immer laut werden läßt. Auch die Musik zu dem Schauspiel fehlte nicht. Bald fiel ein kleiner Stehspiegel von seinem Wagen und klingelte lustig zu den Pirouetten einiger großen kopfwackelnden Gummibäume, bald stürzte eine Gießkanne voll Kinderspielzeug zu Boden und begleitete einige alte Sophas, die sich vor ihrem Ende noch einmal auf den Weg gemacht hatten, bald klapperten mehrere Kessel und Kasserolendilettanten so hart vor der gläsernen Nase eines Mahagoni-Bücherschrankes, daß mir um die bürgerliche Ruhe der darin schlummernden Klassiker bange wurde. Am meisten jammerten mich die Stühle. Wenn auch durch das Schaukelsystem einiger Leichtsinnigen ihre conservative Gesinnung zuweilen wankend gemacht wird, erfreuen sie sich doch im Ganzen einer behaglichen Stabilität. Die Ziehzeiten sind die Revolutionen der Stühle. Verzweiflungsvoll strecken sie dann zu Tausenden alle Viere gen Himmel und zerborstene Rohrsplitter umwehen 56 schauerlich ihre gefurchten, von sitzender Lebensweise zerrütteten Stirnen. Eben so beklagenswerth sind die Spieltische. Wie launische Hunde hinken sie meistens auf drei Beinen einher. Was soll man von den Spiegeln sagen? Nicht immer kann zärtliche Fürsorge ein glattes ungetrübtes Dasein vor den rauhen Püffen des Schicksals beschützen und wo sich vielleicht vor wenigen Stunden noch das Bild eines Narcissus oder einer Hebe spiegelte, gähnt jetzt eine auf die Lehre von den Dreiecken gestützte Lücke. Alte Kommoden halten ihre schäbigen Schiebkästen wie leere Bettlerhände auf; unbezogne Guitarren liegen auf dem Bauche in Causeusen und Plüschsophas, Tabackspfeifen umschlingen zärtlich Offizierdegen und Rapiere, Hyacinthentöpfe gucken aus Puddingformen, Klaviere lehnen sich an Waschfässer, ganze Ladeneinrichtungen taumeln schwerfällig durch die Straßen – aber der Mensch ist der Mittelpunkt der Schöpfung und der Ziehzeit.

Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae.

»Und wenn die ganze Pastete in tausend Granatstücken entzwei geht, Möbelfuhrwerke lassen sich darum keine grauen Haare wachsen!« singt Horaz in einer seiner Oden an Mäcenas, als dieser im Herbst von seiner Villa wieder nach Rom zog und der Dichter die Lampen tragend hinter dem Möbelwagen mitging. Meiner Wohnung gegenüber fand ich die besten Belege zu diesem schönen Citat aus dem Poeten der Primaner. Der Streitwagen der Möbelrevolution fuhr vor. Einige Herren in Jacken, welche früher Röcke gewesen waren und sich aus Lebensüberdruß die Schöße abgeschnitten hatten, sprangen herunter und breiteten einen Haufen Lumpen nebst einigen alten Tuchecken auf dem Trottoir aus. Auf dieses Signal erschien die Familienmutter, das jüngste Kind auf dem Arme, den kleinsten Knaben an der Hand. Sie rettete, um bei dem drohenden Einsturz ihr Theuerstes zu erhalten, zuerst die Kinder. Mit dem Ausdruck des innigsten Dankes gegen die Vorsehung schaute der Vater ihnen aus dem Fenster nach; er hatte beschlossen »auf den Trümmern zu 57 verweilen.« Bald erschienen auch die ersten Anzeichen der Emigration. Zuerst ein Kleiderschrank, dessen Ellbogen hart mit der Flurwand zusammengekommen waren, dann ein Schreibsecretair, dem das oberste kleine Schubfach, wie eine Zunge, lang aus dem Halse hing: um ihn versammelten sich mehrere tödtlich getroffene Stühle, wie die Kinder um ihre Mutter Niobe. Dann kamen sie mit einem sterbenden Schlafsopha heraus; er war gräßlich verstümmelt. An einer Ecke der Treppe war sein Brustbein zerschmettert und man sah die ganze Anatomie von Sprungfedern und Pferdehaar in schrecklicher Naturwahrheit zu Tage liegen. Weniger Umstände wurde mit dem Wasch- und Küchengeschirr gemacht. Einen Kessel setzte man so gründlich auf das Pflaster nieder, daß seine Physiognomie diese Narbe bis an den jüngsten Tag der Waschkessel nicht mehr los werden kann und ein Kübel verlor bei einer ähnlichen Affaire den Boden unter den Füßen, worüber einige Eimer erschrocken aus Rand und Band gingen. Als Alles aufgepackt war, erschien der arme Hausherr. Er war blaß, aber noch ganz; die Seinigen haben wenigstens den Hausvater unzerbrochen wiedererhalten.

Was ist das? Zwei Soldaten, das Seitengewehr an der Hüfte, ziehen ein kleines Wägelchen mit einem Unterofficiersmobiliar, die Unterofficierin geht hinterdrein. So werden aus dem heißen Gefecht hoffnungslose Verwundete in die Ambulance geschleppt, wie dieser Küchenschrank und dieser Großvaterstuhl. Hinterdrein fährt ein Sonnenbruder auf einem Schiebkarren das Ameublement des berliner Studenten, den abgeschabten Lederkoffer, ein rothgebeiztes Stehpult, eine Holzkiste mit Büchern, den Tabackskasten und zwei schartige Säbel nebst Fechthandschuhen. Nach zehn Minuten erscheinen zwei Träger, unter Aufsicht eines Dritten. Sie schleppen langsam auf einer Bahre einen Trimeau, der in seinen grünwollenen Mantel gehüllt, vornehmlich und verächtlich auf seine armen Collegen sieht, die verschämt ihre blanken – Gesichter gegen die Mauer kehren.

58 Unter allen Hausthüren stehen mit abgetakelten Schlafröcken angethan, drohende Tabacksspieße in den Händen, die Wirthe und ermahnen die Möhelfuhrleute – nicht die Möbel, sondern die Wände, in Acht zu nehmen. Mägde mit großen Körben drängen sich an ihnen vorbei und stoßen sie heimtückisch in die Rippen, zur freundlichen Erinnerung an alte Treppenbegießungsconflicte und belauschte Soldatenflurgespräche. Unter freiem Himmel werden die Schlüssel ausgehändigt, von dem Hausschlüssel an bis zu dem unscheinbaren einfachen Instrument, das wie ein Dorfhund stets ein Stück Holz am Halse trägt.

Nun bricht allgemach die Dunkelheit herein, die Straßenjugend benutzt sie, um das Pferd des Möhelwagens am Schwanz zu zerren, es zieht unwillig an, die Geräthschaften stoßen ächzend gegen einander, ein Junge wird erwischt und mit einem großen Kochlöffel verarbeitet – der Himmel bezieht sich wieder, es wird kühl und der erste April nähert sich seinem Ende.

Ich schließe mein Fenster, in stiller Klause brennt freundlich die Lampe, zwar regt sich nicht die Nächstenliebe, aber doch die Eigenliebe. Vom Pulte nehme ich, ein Gegenstück zu Faust – die Bibel? nein, den Miethscontract, und indem ich mein geliebtes Original aus dem Juristischen ins Deutsche übertrage, entdecke ich mit stillem Entzücken, daß mein Contract noch zwei Jahre lang Gültigkeit hat, und daß mir meine häusliche Ruhe durch diese gerichtliche Assekuranz gesichert ist. Kein Schiffskapitain, der in seines Rheders eisernem Geldkasten die schriftlichen Garantieen und Bürgschaften für den Werth des ihm anvertrauten Fahrzeuges wohlverschlossen weiß, zieht sich daher mit größerer philosophischer Ruhe als ich, in seine Cajüte zurück. 59

 


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