Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

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Sommerwohnungen.

Wie es Vögel im Käficht, Pflanzen im Topfe, Hunde an der Kette giebt, so existirt auch eine Landluft im Topfe und ein Mensch im Käficht, der die Nase ins Freie steckt und mit den Beinen an die Stadt gefesselt ist, der den Tag über an der Kette im städtischen Geschäft liegt und alle Abende losgelassen wird. Dieser Zustand pflegt mit einem Worte »Sommerwohnung« genannt zu werden. Wer ihn einmal genossen hat, der wird sein Lebenlang die Erinnerung daran nicht wieder los.

Am passendsten kann der Zustand der meisten Städter in der Sommerwohnung mit den Lebensgewohnheiten einer Fledermaus verglichen werden. Am Tage im düstern und räucherigen Geschäft hängen, die Augen gegen das Licht verschließen, Abends ausfliegen, sich in der Dämmerung umhertummeln und Morgens wieder in die dunkle Bucht zurückkriechen – das ist ihre Sommerwelt.

Besser befinden sich die Städterinnen. Wenn sie eine Sommerwohnung beziehen, so verpflanzt man sie für die Dauer der besseren Jahreszeit ganz und gar ins Freie und sie flattern nur als Schmetterlinge in die Stadt, um sich in diesem oder jenem Putzgeschäfte niederzulassen.

So genießt das schöne Geschlecht, das sich undankbar gegen sein Geschick meistens über sein Loos zu beklagen pflegt, auch hier den Vorzug vor den Herren der Schöpfung, insofern nämlich Jemand noch Herr 2 in einem Hause ist, dessen ganzer Werth schon in dem Hypothekenbuche der unsichtbaren Welt steht.

Sommerwohnung – o daß doch die lieblichsten Laute, in der Nähe vernommen, sich oft in Disharmonieen, und die schönsten Aussichten, von Nahem betrachtet, sich in traurige Fragmente auflösen! Das ferne Seufzen des Windes ist in der Nähe ein heulender Zahnschmerzenjammer und die schönste Berglandschaft ein Chaos von alten Steinen, welkem Moos und durchnäßten Ueberziehern – Sommerwohnung, du bist wie die Leidenschaften, nur aus einer angemessenen Distanz schön, denn eigentlich bestehst du aus langweiligen Tagen mit feuchten Lederschuhen, klirrenden und bebenden Fenstern mit dem ewigen Wischtuch unter der Nase, beschaulichen Wanzen und Fliegen von beharrlicher Freundschaft, Raupen an Fäden, hinfallenden Kindern und zu Ende gegangenem Kaffee, schlechtem Fleisch und unaufhörlichem Gemüse – Sommerwohnung, du bist nichts anderes, als permanenter Besuch aus der Stadt. Aber wir wollen uns nicht übereilen. Der Sommer ist lang und wir können mit Muße ein Blatt nach dem andern in unserem Bilderbuche umkehren.


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