Ernst Kossak
Historietten
Ernst Kossak

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Alte Knaben.

1. Er steht früh auf.

Vor drei Jahren bewohnte ich, größerer Bequemlichkeit in Redaktionssachen halber den Hinterflügel einer Druckerei. Der Sommer war verflossen, der Oktober kam, die alten Blätter der freien Natur fielen ab und die Literatur setzte neue Blätter an, Tag und Nacht ächzten und klappten die Schnellpressen, täglich entließ der Druckereibesitzer die alten Laufburschen und nahm neue an, täglich entleerte der Möbelwagen das Vorderhaus und füllte es von Neuem; die untrüglichen Zeichen des Herbstes waren da. Es war in den ersten Tagen des Oktober, als ich lange vor Tagesanbruch durch ein seltsames Geräusch geweckt wurde, das nichts mit dem Lärm einer Druckerei, bei welchem ich, wie der Müller in seiner Mühle, ruhig weiter zu schlafen pflegte, gemein hatte. Das Geräusch schien von der gegenüberliegenden Seite des Hofes herzuschallen. Es kam mir vor, als ob ein großer Schwimmvogel heftig in ein Bassin untertauchte, das Wasser von den Flügeln schüttelte und an's Ufer sprang. Dieses Manöver wiederholte sich mehrmals rasch hintereinander. Zugleich ließ sich ein furchtbares Prusten und Schnaufen vernehmen. Da ich genau wußte, daß kein Menageriebesitzer seine Bude im Hofe aufgeschlagen hatte, also kein Pelikan oder Eisbär die gebräuchlichen Abwaschungen vornehmen konnte, sprang ich 156 auf, kleidete mich rasch an, schlug die Vorhänge zurück und bemerkte, daß die Fenster eines großen, meiner Wohnung gegenüberliegenden Zimmers, in dem Niemand im Laufe des Sommers gewohnt hatte, offen standen. Eine große Astrallampe erhellte das Gemach und in der Mitte desselben stand eine riesige runde Wasserkufe. Anfangs bemerkte ich keine Bewohner, aber plötzlich sprang von der rechten Seite her ein langer alter Mensch von unglaublicher Magerkeit mit wahrer Wuth in die Kufe, aus dem Dunkel der linken Seite stürzte sich ein Soldat im alten Militairmantel mit aufgeftreiften Aermeln über ihn her und bearbeitete den Langen in dem Wasser, als ob er ihn ersäufen wollte. Dann sprang der Alte prustend heraus und das Experiment begann von Neuem. Zuletzt ergriff der Soldat eine Bürste von der Größe der gewöhnlichen Treppenreinigungsinstrumente, und bearbeitete den Alten, daß er ihm das Fleisch von den Knochen gebürstet hätte, wenn solches vorhanden gewesen wäre. Der Soldat entfernte sich und mir fiel ein, daß ich durch meine Neugier indiskreter Zuschauer einer häuslichen Scene geworden war. Vollständig ermuntert, kleide ich mich an und zünde Licht an. Von der andern Seite erschallt jetzt das mächtige Räuspern einer Stimme. Ich glaubte anfangs, mein Nachbar rücke einen Kleiderschrank zurecht. »Guten Morgen – guten Morgen!« höre ich von einem heiseren, aber kräftigen Basse herüberrufen. Auch ich öffne das Fenster und rufe »Guten Morgen.« Jetzt steht mein Nachbar auf einem Stuhle am Mittelpfeiler und schwenkt abwechselnd seine Beine in der Luft umher, als wollte er sie aus den Gelenken schleudern.

»Schöner frischer Morgen!« schreit er, »ich mache mir jetzt etwas Bewegung.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er mit allem Kraftaufwand seiner Lungen das bekannte Lied: »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?« intonirte. Der Mann machte sich also auch mit der Lunge eine heilsame Bewegung. Mitten in dem patriotischen Gesange wird aber das Fenster einer 157 benachbarten Dachstube aufgerissen, ein Kopf mit zerzausten Haaren, halb von einem zerfetzten baumwollenen Taschentuche bedeckt, guckt heraus, sieht und hört einige Sekunden zu und schreit dann auf Sächsisch: »Sie da, Sie, Dreubund, schreien Sie nicht zu nachtschlafender Zeit – Sie da – still – ruhig Dreubund!« Damals blühte gerade dieser Bund und Rellstab hatte seinen berühmten Artikel: »Heil dem Treubunde!« geschrieben, in Folge dessen sämmtliche Papiere zehn Procente stiegen. Der Mann der baumelnden Beine unterbrach That und Sang, lauschte, sah zum Fenster hinaus, entdeckte den Baumwollegekrönten und rief mit hoher Gelassenheit: »ruhig im Gliede!« – »Wenn Sie nicht ruhig saind, muß die Bollizei morgen broklamird werten, singen Sie bei Dage, Dreubund!« »Still Sachsen – ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?« Das Dachfenster Sachsens wird mit dem Refrain: Bollizei, zugeschlagen und die Bewegung der Beine und Lungen nähert sich ihrem Ende. Die Uhr des nahen Krankenhauses schlägt vier. »Wollen Sie mit mir Kaffee trinken?« ruft jetzt der Preuße, »schönen, heißen Roggenkaffee, Commisbrod und gute Faßbutter, Nachbar? Kommen Sie herüber, Nachbar, Sie scheinen auch gern früh aufzustehen?«

Ich weigre mich, weil ich, einmal ermuntert, nun auch meine Zeit zweckmäßig benutzen will. »Dann lassen Sie es bleiben,« ruft der Preuße. Kaum sitze ich am Schreibtische, so höre ich wieder seine Stimme: »Warum baden Sie nicht kalt, Nachbar, soll ich hinüber kommen und Sie begießen?« Ich danke ihm verbindlichst und er ruft wieder, aber jetzt schon etwas kleinlauter über die abschlägige Antwort: »Dann lassen Sie es bleiben!« Mein Kaffee kocht und ich zünde die Cigarre an. Der Frühaufsteher hat seinen Roggenextract genossen, er bemüht sich demnächst, die Morgenstunde unter angenehmen Zerstreuungen zuzubringen. Ich höre, wie er mehrere Nägel in die Wand schlägt und wie deshalb ein über ihm wohnender Hausvater mit dem Stiefelknecht auf den Fußhoden pocht. 158 Der Preuße läßt nun aus Rache das Commisbrod zu Boden fallen, besinnt sich aber eines Besseren und zimmert an einem alten Koffer – Alles bei offenem Fenster und rauher Oktoberluft. Es wird stiller; leises Geräusch – was macht er jetzt? Er putzt ein Paar Sporen und nagelt sie an seine Stiefel. – »Nachbar, Nachbar!«

»Was wollen Sie denn?«

»Haben Sie nicht etwas zu lesen? Mir wird schauerlich die Zeit lang.«

»Was soll es denn sein?«

»Was Patriotisches oder einen alten Kalender?«

»Ich muß bedauern, ich kann Ihnen nur den neuen Kalender geben.«

»Wollen die Herren sich nicht leiser unterhalten? Hier oben liegt eine Kranke,« ruft plötzlich noch artig genug der Hausvater von oben.

»Eine Kranke?« sagte der Preuße, »was fehlt ihr denn? ist Ihre Frau krank? begießen Sie sie mit kaltem Wasser – soll ich Ihnen beim Abreiben helfen?«

Der Hausvater schließt sein Fenster und ist vernünftig genug, dem Heilkünstler gar nicht zu antworten. Ich arbeite weiter. Von einem klirrenden Geräusch fahre ich empor; mein Nachbar schreit eben: verdammte Katzen! er hat mit einem leeren Blumentopf nach einer unter meinen Fenstern promenirenden Mies geworfen. Er sieht, daß ich eine Bewegung der Ungeduld mache und versucht mich zu besänftigen. »Lassen Sie sich nicht stören, Nachbar, ich kann die Katzen nicht leiden – Sie halten doch keine?« – »Nein.« – »Ich prügle sie durch, wenn ich sie sehe; schon mit mehr als zwanzig Hauswirthen habe ich mich der Katzen wegen erzürnt.« –»Nun, und wer soll denn die Mäuse fangen?« –»Ich mause selber, wollen Sie einmal meine Fallen sehen, ich habe zwei Arten, eine zum Lebendigfangen und eine, worin gleich kalte Küche aus ihnen gemacht wird, ich will gleich den Drath frisch zuspitzen, sie pfeifen ganz verdammt, wenn er ihnen durch den Leib fährt; es giebt nichts Weichlicheres 159 als solche Mäuse. – Husch, Katz' – da ist sie schon wieder.«

Der Preuße holt ein großes Bierglas, füllt es mit Wasser und begießt die Katze mit großer Gewandtheit über den ganzen Hof weg. Die Sonne geht auf, ein katzenjämmerlicher Strahl bricht aus trübem Gewölk und erhellt die Gestalt meines liebenswürdigen Nachbars. Ein verrunzeltes Gesicht mit einem Paar treuherziger aber dummer Augen, verschönert durch einen abgetragenen Schnurrbart blickt gutmüthig zu meiner Wohnung herüber und salutirt militairisch mit einer langen Pfeife, die gegen eine alte Soldatenmütze erhoben wird.

»Noch eine Stunde, ehe das verdammte Weib mit der Zeitung kommt. So wie sie da ist, werde ich sie Ihnen vorlesen.«

»Um Gotteswillen,« schreie ich aus Leibeskräften über den Hof, »lassen Sie mich arbeiten, sehen Sie denn nicht, daß ich vor Ihren ewigen Redensarten zu nichts komme.«

»Nun, nun, Nachbar,« sagte der alte Preuße, »Nachbarschaft muß doch sein, und Sie stehen ja auch gerne früh auf.«

»Nur, weil Sie mich geweckt haben – erbarmen Sie sich wenigstens und lassen Sie mich meine Zeit anwenden.«

Er nickt beifällig mit dem Kopfe und raucht weiter; ich schlage das Fenster wieder zu. Ein Mädchen tritt aus dem Hause, reibt sich die Augen und geht an den Brunnen. »Wie heißen Sie, liebes Kind?« Das Mädchen schweigt mürrisch. »Sie heißen gewiß Jettchen, sagen Sie einmal, Jettchen, Ihre Herrschaft ist krank, hat mir Ihr Herr erzählt; sagen Sie Ihrer Madam', sie möchte sich kalt begießen lassen; wie viel Kinder hat Ihre Herrschaft? Sie haben gewiß auch schon einen Liebsten, Jettchen.« Dabei lachte der alte Preuße kolossal und noch mehr, als ihm das Mädchen die Zunge ausstreckt. »Ganz gesund, Jettchen, ganz roth, wie eine frische Kalbszunge; grüßen Sie Ihren Herrn, Jettchen; wollen Sie nicht einen Brief auf 160 die Stadtpost mitnehmen, wenn Sie nach Milchbrod gehen, Sie bekommen auch einen Kuß.« Das Mädchen brummt etwas vor sich hin und geht, dagegen kommt die Frau mit der Zeitung. »Sie kriegen nichts zu Neujahr!« schreit der Preuße herunter; noch ehe die Frau ihren Korb geöffnet hat, »Sie kommen alle Tage später – Nachbar, die Zeitung ist da, die Zeitung!«

Wuthentbrannt antworte ich ihm nicht mehr, aber ich gehe um zehn Uhr zum Wirthe, wo ich schon Sachsen und den Hausvater finde, mit denen ich eine Tripelallianz gegen das alte Preußen schließe. »Ich gebe ihm noch drei Tage Frist,« sprach der Wirth nach Schillers Bürgschaft. Am vierten Tage mußte er laut Contract die Wohnung räumen. – Der Unglückliche war ein unverbesserlicher Frühaufsteher gewesen.


 << zurück weiter >>