Leopold Kompert
Am Pflug
Leopold Kompert

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19. Stimmen im Dorf und außer dem Dorf.

Der einzige indessen, von dem ein wirksamer Gegendruck gegen das neue Verhalten Nachimes erwartet werden konnte, schien es ganz aufgegeben zu haben, die Entscheidung eines kräftigen Wortes in die Wagschale zu werfen.

Rebb Schlome sah mit einer Art von Erstaunen dem täglich mehr sich entfaltenden Wesen Nachimes zu, keine heftigere Bewegung verriet, was er darüber denke; er schien abwerten zu wollen, was alles zum Vorschein kommen würde. Aber es war nicht dies allein; mehrfache Anzeichen offenbarten dies. Vielmehr deutete alles auf ein Gebrochensein jenes Trotzes hin, der es bis dahin verschmäht hatte, ein vermeintliches Unrecht selbst durch eine erheuchelte mildere Miene wieder gutzumachen. Ein Gefühl dumpfer Betäubung hatte den starken Mann ergriffen, von der er sich seit dem ersten Feldgange seiner Frau nicht erholt hatte. Kränkte ihn das Weggehen Nachimes so, die kein Wort des Abschieds an ihn gerichtet? Sah er ein, daß ihm in diesem Augenblicke eine Kraft gegenübergestanden, die sich ihrer Machtvollkommenheit bewußt war? Oder nagten Kräfte an dieser stämmigen Gestalt, die sich bis dahin nicht an sie gewagt?

So hatte er Nachime, als sie an jenem Sabbat vom Felde heimgekehrt war, nicht gefragt, was sie daselbst gesehen und wie sie es gefunden, und auch Nachime tat so, als wäre sie von dem gleichgültigsten Gange heimgekommen. Wahr ist es übrigens, daß sie gerne hätte sprechen wollen, wenn sie nur eine fragende Bewegung, ein leises Hinhorchen ihres Mannes bemerkt hätte. Nachime hatte indessen vergessen, daß sie denjenigen, dessen »Brot« wenige Augenblicke zuvor in ihren Händen geruht, bitter beleidigt hatte. In ihrem Herzen sprach nur der eine Gedanke: »Warum fragt er dich nicht, wie dir das Feld gefallen hat? Liegt ihm so wenig dran, daß er's weiß?« Aber sie erriet nicht, daß in einem nachbarlichen Gemüte diese Fragen ganz anders lauteten. »Warum erzählt sie nicht, was sie auf dem Felde gesehen hat? Möcht' mein bitterster Feind, wenn ich ihm sag': Geh hin und sieh dir mein Feld an, mir nicht wenigstens sagen: Ich hab's verflucht, was brauchst du so ein gesegnet Stück Feld zu haben? Aber gar nichts zu reden, nichts Gutes und nicht Schlechtes über ihr eigen Hab und Gut – das hab' ich doch, lebendiger Gott! nicht verdient.«

So mißverstanden sich diese zwei Herzen, und der Riß, der durch die Ähren des Feldes ausgefüllt werden konnte, erweiterte sich immer mehr, denn diese Herzen gingen gesonderte Wege. Traf es sich doch zuweilen, daß sie in irgend einem Punkte zusammentrafen, so sorgten tückische Mächte schon dafür, daß irgendein schlecht bedachtes Wort sie wieder weit auseinander trieb und sie sich nicht finden konnten.

Merkwürdig war es, daß Nachime seit jenem ersten Feldgange sich um den »Bocher« fast gar nicht kümmerte. Es schien ihr genug, daß Elieh dem sichern Tode entrissen worden, daher war auch vom Fortgehen aus dem Hause nicht mehr die Rede. Wie hätte man auch den schwächlichen Jüngling fremder Sorge und Obhut anvertrauen können, jetzt besonders, wo es galt, ihn zu stärken und zu kräftigen? Auf diese Weise trat die scheue Persönlichkeit des Bochers wieder in ihre frühere Bedeutungslosigkeit zurück. Elieh war wieder, was er von jeher im Hause gewesen war, das unbeachtete, geduldete Individuum, das außerhalb der bewegenden und bewegten Kräfte der Familie stand.

Nur Anschel konnte es dem Bocher nicht vergessen, daß er es gewesen, der die Mutter an jenem Sabbat vom Feldgange hatte abhalten wollen. Anschel war es sich bewußt, daß Eliehs Absicht dabei unmöglich die Heilighaltung des Sabbat sein konnte. »Warum hat er nichts gesagt,« grollte es in ihm, »wenn ich, oder der Vater, oder Tille am Schabbes aufs Feld hinausgegangen sind? Das kommt daher, daß er sich vor uns fürchtet, vor der Mutter aber nicht; er möcht' sie gegen uns gern aufbringen, damit sie ihm folgt. Denn er weiß, daß sie auf dem Dorf nicht bleiben will, und er möcht' auch lieber zu seinen ›Rebbes‹ zurück. Was liegt ihm am Dorf? Ein Blatt Talmud ist dem lieber als das schönste Feld!«

Aber der Groll gegen den Bruder saß tiefer, als Anschel selbst es ahnte; er suchte nach Gründen, aber die Ahnung ist für arglose Gemüter nicht weniger ein Grund. Anschel allein fühlte die Gegenwart des Bochers, und während sie für die andern nicht bestand, drückte sie ihn, und er vermied ihren Anblick, wenn er konnte.

Nicht einmal davon, daß Elieh mit Tille »lernen« solle, war mehr die Rede. Nachime hatte sich wieder mit einer Heftigkeit, die ihr sonst nicht eigen war, dem Kinde angeschlossen und umfing es mit einer Zärtlichkeit, die deutlich bewies, was sie in ihm suchte und fand.

»Du bist ja doch ein Bauernkind,« sagte sie einmal halb ärgerlich, halb lächelnd, »was brauchst du da viel zu lernen? Für die Bauern weißt du schon genug, und mehr zu wissen könnt' dir schaden. Bleib also so, wie du bist. Elieh will so nicht mit dir lernen.«

Dies war jedoch nur ein Entschuldigungsgrund in ihren Augen und hing genau mit der neuen Wandlung zusammen. Als sie vereinsamt im Hause sich gefühlt hatte, zog es sie mächtig zu dem scheuen Elieh. Tille sollte gleichsam das Mittelglied zwischen ihr und ihm werden; Eliehs Unterricht ein Widerspruch gegen die Gewalten des Dorfes sein. Jetzt, wo sie selbst nicht mehr widersprach, wenigstens nicht mehr in der alten Weise, war auch ihr Elieh bedeutungslos geworden. Sie brauchte ihn nicht mehr.

Unter solchen Umständen war es natürlich, daß der Bocher wieder jener Flamme verfiel, die ihren grauenhaften Schein in der Nacht ihres Einzuges in seine Seele geworfen hatte. Die Krankheit hatte sie in die fernsten Tiefen verdrängt; aber mit dem ersten Zucken der Genesung brach sie wieder hervor und ergriff, was ihr zunächst lag.

Während Nachime und alle anderen glaubten, Elieh liege wieder über dem Talmud, lag ein ganz anderes Buch in seinen Händen. Elieh wußte Wojtechs Gebetbuch fast schon auswendig, er hatte riesige Fortschritte in der Sprache des Landes gemacht . . .

In einer Nacht wachte Nachime plötzlich aus dem Schlafe auf, sie glaubte ein mörderisch Geschrei draußen vor den Fenstern zu vernehmen . . . Noch ehe Rebb Schlome munter geworden, war Nachime schon zum Bette heraus und hatte ein Licht angezündet, um nachzusehen, was es für ein Unglück gegeben. Ihr war, als hätte sie Eliehs Stimme gehört, und wieder, als ob es Wojtechs, des Knechtes, Geschrei gewesen. Mit dem Lichte in der Hand ging sie in den Vorhof hinaus . . ., aber jetzt war alles still geworden. Kein Lufthauch bewegte sich. Hatte sie geträumt? Sie war doch fest überzeugt, das Geschrei deutlich vernommen zu haben. Sie horchte in die stille Nacht hinaus, aber sie hörte weder Fußtritte eines Fliehenden, noch das Seufzen oder Röcheln eines Verwundeten. Daß es ein Dieb gewesen sein müsse, vielleicht der Liebste jenes Mädchens, das fortgegangen war, fiel ihr zuerst ein. Aber warum hätte er geschrien? Und wenn er ertappt wurde, wo war der Verfolger? Nachime gehörte nicht zu den mutigen Frauen, aber weil sie an den Dieb dachte, bestand sie den Augenblick, ohne an Gefahr zu denken. Sie horchte noch einmal in die Nacht hinaus, endlich leuchtete sie zum Hoftor hin; da sah sie zu ihrem Entsetzen eine dunkle Masse, einem Menschen ähnlich, hart an das Tor gedrückt.

»Wer ist das?« hatte sie den Mut zu fragen.

»Ich bin's, Frau,« antwortete eine bekannte Stimme.

»Du, Wojtech?« sagte Nachime mehr erstaunt als erschrocken. »Hast du so geschrien?«

»Ich war's, Frau,«rief der Knecht und kam langsam auf Nachime zu.

Als sie Wojtech jetzt beim Scheine des Lichtes sah, fiel ihr sogleich sein verstörter Ausdruck auf; der Knecht zitterte am ganzen Leibe.

»Wojtech, hast du ihn gesehen?« fragte Nachime, die das Aussehen des Knechts dem Kampfe mit dem Diebe zuschrieb.

»Ich hab' keinen Menschen gesehen, Frau,« entgegnete der Knecht mit gesenkten Augen, indem er die Worte nur stockend ausstieß.

»Wojtech,« sagte Nachime, »du willst mich nur nicht erschrecken. Aber ich seh' dir's an. Nicht wahr, er ist dagewesen?«

»Wer?« fragte Wojtech, indem er ängstlich die Blicke zu Nachime aufschlug. Nachime konnte dabei auch bemerken, wie ein Seitenblick des Knechtes über den Hof fiel. Das bestärkte sie noch mehr in ihrem Verdachte.

»Ist er vielleicht noch da?« rief sie und ergriff in ihrem Schrecken die Hand des Knechtes.

Wojtech legte seine freigelassene Hand auf den Arm Nachimes und hielt ihn krampfhaft fest,. als wollte er verhindern, daß sie sich umwende.

»Es war keiner da, Frau,« flüsterte er mehr als er sprach.

»Wer hat also geschrien?« fragte Nachime, »und wie kommst du daher in der Nacht? Denn ich bin ja nicht verrückt; ich habe ja einen schreien gehört, daß es mir durch die Seele gegangen ist.«

»Das werd' ich selbst gewesen sein, Frau!« meinte der Knecht tonlos und ließ die Hand los, mit der er Nachimes Arm geholten hatte.

»Du, Wojtech?« fragte Nachime und sah dem Knechte forschend ins Gesicht.

»Ja, Frau, jetzt erinnere ich mich,« meinte Wojtech, mühselig Atem schöpfend, »ich muß das selbst gewesen sein, der so geschrien hat. Du weißt, wenn man die Hand auf dem Herzen hat, so steigt das Blut zu Kopf, und man hat schreckliche Träume. Ich hab' auch so einen Traum gehabt.«

»Und da hast du geschrien?« rief Nachime. »Aber wie kommst du da zum Tor?«

Auf diese Frage nahm das Gesicht des Knechtes wieder den verstörten Ausdruck an, in dem ihn Nachime getroffen. Er blickte eine Weile starr vor sich hin; dann sagte er rasch:

»Ich hab' geträumt, wie ein hochwürdiger, geistlicher Herr an einem Fluß steht. Mit einem Male sehe ich, wie das Wasser immer höher steigt, immer höher, bis es endlich am Halse des hochwürdigen, geistlichen Herrn ist. Ich will mich hineinwerfen, will ihn herausziehen . . . Da geht er vor meinen Augen unter. Darum hab' ich geschrien, Frau, und wie ich aufwache . . . bin ich da am Tor gestanden.«

Wojtech atmete hoch auf, nachdem er diesen Bericht abgestattet; aber der scharfblickenden Nachime war die Verwirrung nicht entgangen, mit der Wojtech seinen angeblichen Traum erzählte.

»Mußt du mich vielleicht betrügen, Wojtech?« fragte sie, indem sie ihn aufs neue scharf ansah, und dabei das Licht so nahe als möglich an sein Gesicht brachte. »Weißt du vielleicht davon und willst nur nichts reden, Wojtech! Es geht ums Gut deiner Herrenleut', und du willst nichts sagen?«

»Der Schrei ist von mir gekommen, Frau!« brachte der Knecht mit Anstrengung hervor.

»So schick' ich morgen zum Richter,« sagte Nachime trocken und wandte sich zum Abgehen. »Der Richter muß wissen, daß man in unserm Dorf nicht sicher ist vor Dieben.«

»Zum Richter willst du schicken!« rief Wojtech erschrocken.

»Vor dem wirst du doch sagen,« meinte Nachime mit Nachdruck, »wen du gesehen hast.«

»Ich hab' keinen gesehen, Frau!« wiederholte der Knecht tonlos.

»Wirst du das auch dem Richter sagen?« fragte Nachime noch einmal.

»Frau!« rief nun der Knecht beinahe schreiend, »schick nicht zum Richter, schick deinetwegen nicht zum Richter. Er wird dir nicht helfen können.«

»Meinetwegen nicht?« wiederholte Nachime mit Schrecken. »Ich werd' mich doch meiner Sache annehmen dürfen?«

»Frau, schick nicht,« meinte Wojtech in abmahnendem Ton, »es könnt' dich gereuen, Frau.«

In Nachime stand der Gedanke fest, daß Wojtech etwas wußte, nur wollte er vielleicht aus Rücksicht für die entlassene Magd nichts verraten.

»Der Knecht,« grollte es in ihr, »scheint's gut mit uns zu meinen, er ist treu und arbeitet Tag und Nacht . . . und doch bringt er's nicht übers Herz, etwas einzugestehen, was uns vielleicht Schaden bringt? Sie halten unter sich zusammen, und da soll der Jud' Felder kaufen und soll Bauer sein.«

»Reden wir heut' nicht mehr davon,« sagte sie nach einer Weile, »vielleicht besinnst du dich über Nacht.«

Damit ging sie ins Haus hinein. Wojtech aber horchte noch eine Zeitlang in die Nacht hinaus, dann ging auch er; er suchte aber seine Lagerstätte nicht auf. Mit leisen Schritten schritt er im Hof auf und ab, stand still bei dem leisesten Geräusch und lauschte angstvoll, bis es vorüber.

Erst als beim Morgengrauen der erste Hahnenruf ertönte, verließ Wojtech die nächtliche Wanderstätte. Er ging zum Brunnen und wusch sich. Dann, als hätte er die Begegnisse der Nacht mit der kühlen Flut von sich abgewaschen, blickte er frei auf. Sein Auge fiel gerade auf die Fenster der Kammer hin, wo Elieh seine Wohnung hatte. Das Antlitz des Knechtes zeigte einen merkwürdigen Ausdruck von Kraft und Entschlossenheit . . .

Am selben Tage erinnerte sich Nachime plötzlich, daß man ja dem Brandeiser Doktor noch gar nicht das »Geld« für Eliehs Behandlung geschickt habe. Im Laufe der letzten Tage, im Drange der Begebenheiten, die wir erzählt haben, war diese Pflicht der Rücksicht vergessen worden. Daß sie ihr jetzt mit einem Male in den Sinn kam, stand in engster Verbindung mit Wojtechs Begegnung in der Nacht. In Nachime hatte sich das Urteil über die eigentümliche Erscheinung des Knechtes nicht festsetzen können; es wogte halb Verdacht, halb unerschütterter Glaube an seine Treue in ihrer Seele. Sie rief sich alles zurück, was den rätselhaften Charakter des Knechtes beleuchten konnte. Ihr war er stets anhänglich und dienstbar vorgekommen, namentlich fiel ihr die Hilfe ein, die er Elieh in seiner Krankheit geleistet.

»Ist er nicht wie ein Bruder um ihn gewesen?« meinte sie mitten in ihrem Sinnen und Dichten, »hätt' ich selbst mich seiner besser annehmen können? Und doch, er gehört ja doch nicht zu uns. Soll er uns treuer sein als wie seinen eigenen Leuten? Ist einem die Hand nicht näher als der Fuß? Er wird gut wissen, wer heut' in der Nacht einbrechen gewollt. Aber soll er's sagen? einen angeben, weil es unsern Schaden, den Schaden von Juden betrifft? Wie kann ich das von ihm verlangen!«

Gegen dieses Lossprechen Wojtechs von der Schuld regte sich jedoch die Stimme des Gewissens in der feinfühlenden Nachime. Derselbe Wojtech, der ihr Kind vom sicheren Tode gerettet, dem allein es zu danken war, daß die Hilfe so schleunig herbeilangte, derselbe Wojtech sollte auf den Schaden des Hauses ausgehen? Konnte einem Menschen an einem gestohlenen Ding mehr liegen, als an dem Leben eines andern Menschen? Vielleicht hatte Wojtech doch recht! Konnte ihm nicht wirklich ein böser Traum jenen Schrei entlockt, ihn aus dem Bette ans Hoftor geführt haben? Hatte man nicht Beispiele genug?

Innerlich tat sich Nachime Gewalt an; aber sie berief doch gleich am frühen Morgen den Knecht, um ihm gleichsam ihre Versöhnung mit ihm anzukündigen. Sie war zu dem Entschlusse gekommen, den Retter ihres Kindes mit keinem Verdacht zu kränken, in sich aber die Erinnerung dieser Nacht zu bewahren.

Als Wojtech vor ihr erschien, konnte er ein leises Zittern ihren Augen nicht verbergen. Nachime blickte ihn scharf an, dann sagte sie:

»Wojtech, fürcht' dich nicht, ich schick' ja doch nicht zum Richter.«

»Da hast du recht, Frau,« rief der Knecht mit fast freudigem Tone, »was braucht der Richter das zu wissen!«

»Daß einer da war in der Nacht?« fragte Nachime forschend, indem sie hoffte, Wojtech würde sich durch diese plötzliche Frage dennoch überraschen lassen.

»Nein, Frau,« meinte der Knecht mit gesenkten Augen, »daß ich in der Nacht einen solchen Schrei hab' ausgestoßen!«

Nachime sah ein, es ließ sich aus dem Knechte nichts herausbringen, darum brach sie, eingedenk ihres Entschlusses, schnell ab, gab ihm das Geld für den Doktor und befahl ihm, sich auf den Weg zu machen.

Wojtech sah die Banknoten aufmerksam an, zählte eine nach der andere ab und meinte dann, indem er sie rasch in die Brusttasche steckte:

»Zwanzig sind's, Frau; du gibst dem Doktor zu viel.«

»Ist er nicht der Doktor?« sagte Nachime erstaunt, »verdient er's nicht?«

Wojtech schwieg eine Weile.

»Meinst du denn, Frau,« rief er hierauf und sah dabei Nachime mit bewältigend scharfem Auge an, »meinst du, Frau, der Doktor aus Brandeis hat dem hochwürdigen Herrn geholfen?«

»Vor allem Gott, das weiß ich!« sagte Nachime.

Wojtech sah seine Dienstfrau einigermaßen befremdet an. Nachimes Antwort schien nicht nach seinem Sinn.

»Gott muß bei allem sein,« sagte er langsam, »das ist wahr! Aber für den hochwürdigen Herrn ist ein Wunder geschehen; das ist noch etwas mehr. Und dann ist das Wunder auch für mich geschehen.«

Nachime verstand offenbar den Knecht nicht; sie sagte nur:

»Bei dem allem muß man doch den Brandeiser Doktor bezahlen, und wenn tausendmal ein Wunder geschehen wäre!«

Nachimes Herzen war nach dieser Unterredung die im Grunde am meisten beklagenswerte Lage Eliehs wieder näher gerückt. Sein blasses, abgezehrtes Gesicht mahnte sie vorwurfsvoll, daß etwas für ihn geschehen müsse. Genesen war er wohl, aber wenn sie ihn genauer betrachtete, kam es ihr doch vor, als stände er geradezu am Vorabend einer neuen, noch schwereren Krankheit. Daß Elieh seit seiner Genesung das »Lernen« vernachlässigte, erschien ihr als das bedeutendste Anzeichen. Wie konnte man das verabsäumen, was nach ihrer Ansicht sein Leben, ja mehr als das, seine Seele war. Auch daß Elieh ganz gegen seine frühere Gewohnheit jetzt häufiger zum Hause hinausging, nicht auf wenige Stunden, sondern oft halbe Tage, erschien ihr so unnatürlich, daß es sie fast wie Todesahnung überkam, die ihren Sohn drängte, noch einmal mit vollen Zügen aus dem Bache der freien Natur zu trinken, die er doch eigentlich nie genossen. Eliehs hilfloser Zustand seit den ersten Tagen der Kindheit hatte sie an den Gedanken, daß sie ihn unvermutet frühe verlieren würden, bereits so gewöhnt, daß sie ihn denken konnte, ohne zu erschrecken!

»Elieh, mein Kind,« rief sie, als der Bocher mit scheuem Blick an ihr vorüber wollte, »wohin gehst du denn?«

»Auch aufs Feld, Mutter,« gab er zur Antwort,

»Erquick dich nur recht,« rief sie ihm aus der Fülle ihres Herzens nach, »denn draußen ist's doch besser als in der Stub'! Und mach, daß du wieder ein ganz gesunder Mensch wirst. Hörst du, Elieh?«

»Bald, bald, Mutter,« sagte Elieh, wie es schien gedankenlos, und ging.

Bald, bald! Das Wort fuhr eisigkalt durch Nachimes Seele. Sie sah dem Sohne nach, bis er ihren Blicken entschwunden war.

Der Bocher aber schlug nicht den Weg nach den Feldern ein; er ging auf die Straße hinaus, die nach Brandeis führte. Als das Dorf hinter ihm lag, sah er sich erst vorsichtig um; dann zog er aus der Tasche das uns bereits bekannte Gebetbuch Wojtechs hervor, und während er so dahinwanderte, las er darin. Nach einer Stunde Gehens war er müde geworden; er warf sich ins hohe Gras neben der Straße nieder und las weiter. Aber so oft das Rollen eines Wagens aus der Ferne zu ihm scholl, horchte er angstvoll auf. So verging Stunde auf Stunde; die Dämmerung war eingetreten, und Elieh wartete noch immer auf den heimkehrenden Knecht.

In später Abendstunde kam endlich ein einsamer Fußgänger die Straße daher. Elieh war der Meinung, daß der Knecht den Wagen mitgenommen hatte; aber Wojtech hatte es vorgezogen, den fast zwei Meilen langen Weg nach Brandeis zu Fuß zurückzulegen.

Es war Wojtech!

Elieh erhob sich aus seiner Lage und rief den vorübergehenden Knecht mit schwacher Stimme an. Wojtech drehte sich betroffen um; er erkannte nicht sogleich den Sohn des Hauses. Da rief Elieh etwas lauter seinen Namen, aber auch diesmal mußte der Knecht, weil die Stimme des Bochers mit der seines Bruders Ähnlichkeit hatte, im Wahne sein, Anschel stünde vor ihm.

»Ist hier das Feld,« rief er, in einem Tone des Vorwurfs, »daß das junge Herrchen eine Stunde weit vom Haus an der Straße liegt? Und was wird die Mutter sagen, wenn ich dich so nach Hause bringe?«

»Ich bin's ja, Wojtech,« sagte der Bocher und trat zu dem Knechte.

»Hochwürdiger Herr!« rief dieser wahrhaft erschrocken und zog die Mütze vom Haupt.

»Hochwürdiger Herr!« lachte Elieh, »so nennst du mich, und gerade jetzt hast du gemeint, ich komm' vielleicht aus einem Wirtshaus!«

»Jesus Maria!« schrie der Knecht, »die Zunge soll in zehntausend Stücken zur Hölle fahren, die so etwas reden könnte.«

Der Bocher ging eine Weile neben dem Knechte her und schwieg. In ehrfurchtsvoller Entfernung hielt sich Wojtech von ihm, so daß die beiden fast die Breite der Straße einnahmen. Plötzlich schritt Elieh auf den Knecht zu; Wojtech blieb stehen.

»Sag mir, Wojtech,« sagte der Bocher mit schwankender Stimme, »bist du verwundert, mich hier zu treffen in so später Stunde? Sag's nur frei heraus.«

Der Knecht zauderte einen Augenblick, dann sagte er demütig:

»Wie darf ich mich wundern, hochwürdiger Herr, über das, was Sie machen?«

»Du gibst mir keine gehörige Antwort, Wojtech,« sagte Elieh.

»Ich weiß, warum Sie da sind, hochwürdiger Herr, und darum wundere ich mich nicht,« entgegnete fast unhörbar der Knecht.

»Du weißt, warum ich da bin?« rief Elieh mit Heftigkeit.

»Ja,« sagte Wojtech, »Sie haben auf mich gewartet, hochwürdiger Herr!«

»Wojtech, Wojtech!« rief der Bocher und wandte sich ab, als ob er sich vor dem Knechte schäme.

»Fragen Sie mich nur, hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht und hielt beide Hände, wie zum Gebet gefaltet, vor sich.

Da wandte sich Elieh wieder um; sein Gesicht erschien in der Abenddämmerung noch abgezehrter und bleicher als je; es leuchtete fast in dieser Blässe.

»So frag' ich dich, Wojtech,« rief der Bocher beinahe schreiend, »warum hast du der Mutter nicht die Wahrheit sagen wollen, wie sie dich fragte, wer in der Nacht geschrien? Und warum hast du den Schrei auf dich genommen?«

»Hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht nach einer langen Pause leisen und ehrerbietigen Tones, »und wenn alle Kaiser und Könige von der Welt zusammen gekommen wären und hätten mich zwingen wollen, es wär' kein Wort aus mir herauszubringen gewesen. Lieber hätt' ich die Zunge mir abgebissen und ausgespien.«

»Und warum, Wojtech?« fragte Elieh unhörbar.

Der Knecht erhob seine Stimme.

»Hätt' ich ihr sagen sollen, hochwürdiger Herr,« sagte er, »daß, als Sie über das Tor geklettert sind, Sie geschrien haben . . .«

»Und warum hast du es ihr nicht sagen wollen, daß ich es war?« meinte Elieh, indem er durch die Dämmerung hin angstvoll nach dem Gesichte des Knechtes blickte.

Wojtech schüttelte bedächtig den Kopf.

»Ich darf das Ihrer Mutter nicht sagen, hochwürdiger Herr,« sagte er bestimmt, »sie könnte den Tod davon haben.«

Der Knecht sah nicht, wie sich Eliehs Brust nach diesen Worten auf und nieder hob; er hörte den Blutstrom nicht, der seine Bande zu sprengen drohte. Endlich brachte er Laute hervor, die wirr durcheinander schrien. Wojtech verstand sie nicht.

»Sehen Sie, hochwürdiger Herr,« sagte er mitleidigen Tones, »daß ich's Ihrer Mutter nicht habe verraten dürfen?«

Elieh hatte sich wieder gefaßt. Mit tonloser Trockenheit begann er nach einer Weile:

»Du weißt also, Wojtech, wo ich gewesen bin?«

»Ja, hochwürdiger Herr,« antwortete der Knecht.

»Und willst mich nicht verraten, Wojtech?« fragte Elieh rasch.

»Hochwürdiger Herr!« meinte der Knecht im Tone des Vorwurfs.

»Ich versteh' aber nicht, Wojtech, warum du mich nicht verraten willst,« meinte Elieh. »Die Mutter und der Vater möchten sich bei dir schön bedanken, und du möchtest es bei ihnen noch besser haben, als du es schon hast. Warum verrätst du mich nicht? Wer bin ich denn, daß du mich so gern hast? Was hab' ich dir denn Gutes getan in meinem ganzen Leben?«

»Sie sind ein hochwürdiger Herr,« sagte Wojtech ehrfurchtsvoll. »Darf ich da fragen: Ist's recht, was er tut, ist's unrecht?«

Elieh horchte hoch auf; diese Äußerung Wojtechs machte ihn tief betroffen.

»Sag, Wojtech,« rief er, »möchtest du meinen Bruder verraten, wenn du von ihm wüßtest, was du von mir weißt?«

»Ja, hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht mit schrecklicher Entschiedenheit, »da möcht' ich mich keinen Augenblick besinnen.«

»Hat er dir was zuleide getan?« fragte der Bocher.

»Nichts, hochwürdiger Herr,« meinte der Knecht düster.

»Und doch, Wojtech!«

»Das ist ja mein Unglück, hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht, und Elieh hörte es dieser Stimme an, wie sie vor innerer Bewegung bebte und wie von unterdrücktem Schluchzen erstickt klang.

»Ich versteh' dich nicht, Wojtech,« meinte der Bocher.

»Die Hölle mag nicht ärger brennen, als mir das in meinen Eingeweiden brennt,« rief der Knecht verzweifelt, »und kein Kraut ist dafür gewachsen, und keine Beichte kann mich davon erlösen. In der einen Stund' weiß ich nicht, ob ich nicht alle Juden mit einem Schlag niederschmettern möcht', daß nicht ein Knochen von ihnen übrig bleibt; in der andern will ich jeden in meine Arme heben, wie ein kleines Kind, das man zu sich aufhebt und küßt. Ich weiß nicht, woran ich bin. Sind die Juden ein gottverflucht' Volk, und verzeiht einem der Herr Gott im Himmel jeden Schlag, den man ihnen gibt, oder ist es besser, man bückt sich vor ihnen und sagt zu jedem: ›Herr, was willst du?‹ Ist das aber ein Leben, hochwürdiger Herr, nicht einmal das zu wissen? Manchmal bin ich ein wildes Tier, möchte die Juden zerreißen, und manchmal bin ich wieder wie ein Lamm! Ist das nicht schrecklich, wenn ein Mensch so geplagt wird? Soll man da nicht an die Elbe gehen, da, wo sie am tiefsten ist, und sich einen Stein an den Hals binden, nur damit man nicht wieder hinausgetrieben wird?«

In steigender Verwunderung, ja mit Entsetzen, je mehr er vernahm, hatte Elieh diese leidenschaftlichen Offenbarungen des Knechtes gehört. Eine Seele warf hier ihre Hülle vor ihm ab und zeigte ihm Wunden, deren Natur er nicht kannte . . . Wenn Wojtech von den Juden so dachte, was hatte er von ihm zu erwarten?

Und einen solchen Knecht hatten die Eltern über ihr Haus gesetzt? Was sollte das sein? Es war ein Augenblick, in welchem ein jähes Licht vor den Augen des Bochers vorüberfuhr, aber es erlosch ebenso schnell. Wojtech fragte nach einer Pause im Tone der tiefsten Demut, die Hände bittend gefaltet:

»Hochwürdiger Herr, glauben Sie nun, daß mir zu helfen ist?«

Verwirrt meinte Elieh, indem er unbewußt dem Knecht um einige Schritte vorauseilte, als fürchte er seine unmittelbare Nähe:

»Ich weiß nicht einmal, Wojtech, wie du zu dieser Krankheit gekommen bist.«

»Ja, hochwürdiger Herr,« rief der Knecht hinter ihm, »was mir inwendig alles auffrißt . . . Jetzt weiß ich, es ist eine Krankheit.«

»Wie bist du aber dazu gekommen, Wojtech?« sagte der Bocher, »hören muß ich doch, was dir die Juden getan haben, daß du auf sie einen so großen Haß hast?«

»Ja, wenn ich sie nur hassen könnt', immer hassen, wie ich will,« sagte der Knecht mit Ingrimm; »aber den Gefallen will mir ja unser Herr Gott im Himmel nicht erweisen. Aber ich bin ja auch gezwungen und muß sie lieben.«

»Bist du in deiner Kindheit auch so gewesen?« fragte Elieh.

Wojtech schüttelte traurig den Kopf.

»Ach, hochwürdiger Herr,« sagte er, »an was erinnern Sie mich? Wie ich ein Kind war, da hab' ich nur aus dem Evangelium gewußt, daß die Juden unsern Heiland ans Kreuz geschlagen haben. Gesehen hatt' ich keinen, und wie einer aussieht, hab' ich nicht gewußt. Das ist erst in meinem siebzehnten Jahre vorgefallen . . . da hab' ich sie gesehen.«

»Wen?« fragte der Bocher, und sein eigenes Wesen erzitterte unter dieser Frage; es war ihm, als wäre sie in diesem Augenblicke an seine eigene Seele gerichtet worden.

Wojtech atmete mehrmals auf wie einer, der eine schwere Last abzuwerfen im Begriffe steht.

»Hochwürdiger Herr,« sagte er, »bei uns Katholiken soll jeder beichten, es mag ihm etwas auf dem Herzen sitzen oder nicht. Unsere Geistlichen wollen es; aber niemals ist mir so gewesen wie jetzt, und Sie sind doch keiner von unseren Geistlichen . . . Deswegen sind Sie aber doch ein hochwürdiger Herr!«

Der Bocher schwieg; ihn bewegte der Gedanke, wie es komme, daß sein und des Knechtes Weg so nahe aneinander vorüberführten. Dieser katholische Knecht und er, der Jünger des Talmuds, wie hatten sie sich nur gefunden? Was hieß beide sich suchen?

»Wie ich noch jung war, hochwürdiger Herr,« begann der Knecht, »war ich lustig wie ein Vogel, und auf dem Pfarrhof, wo ich Knecht war, da haben sie mich den lustigen Wojtech geheißen. Was aber Lustigkeit und Vogelsingen! Das alles haben mir die Juden genommen! Die sind die Diebe, die der Teufel geschickt hat, um mich zu betrügen und zu belügen um meine Ruhe.«

»Wieso, Wojtech?« unterbrach Elieh diesen düstern Beginn, aber die Frage glitt fast unhörbar über seine Lippen.

»Hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht mit Ingrimm, »fluchen muß der Mensch, wenn ihm nichts mehr übrig geblieben ist, worüber er sich freuen kann. Ich komme schon wieder dazu, wenn ich nicht fluchen soll! Wie ich also Knecht auf dem Pfarrhof war, er liegt über zehn Meilen von hier, und ist niemals einer von Ihren Leuten hingekommen, und siebzehn Jahre alt geworden war, habe ich nicht gewußt: wie sieht der aus, der an unserem Herrn und Heiland zum Verräter geworden ist. War mir übrigens nicht viel daran gelegen! Meinetwegen hätten die Juden gar nicht zu leben gebraucht. Aber an einem Wintertag, jetzt sind's gerade zweiundzwanzig Jahre, da hat sich das alles geändert . . . Ich steh' gerade vor dem Pfarrhof draußen und kehre den Schnee weg, damit der Herr Dechant trockenen Fußes zur Kirche gehen kann, da kommt ein Wagen an und hält gerade vor der Pfarre. Ich meine, es ist der Pfarrer aus der Stadt, der manchmal den hochwürdigen Dechant besucht, aber wie sich der Wagen auftut, seh' ich einen ganz fremden Mann vor mir und höre, wie ein Mädchen weint, bitterlich weint, daß es mir gleich aufs Herz gefallen ist. Mit einem Male springt der Mann aus dem Wagen heraus . . . aber zwei Arme halten ihn zurück . . . das Mädchen, das so bitterlich weint, will nicht, daß der Mann fort soll von ihm. Ich hab's nicht verstanden, was sie geredet hat in lauter Weinen und Schluchzen, denn es war nicht böhmisch; aber mir selbst ist etwas in die Augen gekommen, daß ich fast nichts sehen konnte. Von da, hochwürdiger Herr, ist mein Unglück gekommen.«

Hier seufzte der Knecht tief auf, schwieg eine geraume Zeit, dann fuhr er fort:

»Mich fragt der Mann, ob der Herr Dechant zu Haus wär'. Da sag' ich: ja; aber wie ich das Wort gesagt habe, habe ich es gleich gespürt, ich hätte es nicht sagen sollen, aber es war zu spät. Als der Mann hört, daß der Pfarrer zu Hause ist, reißt er sich los und geht in die Pfarre hinein; das Mädchen läßt er aber im Wagen zurück, und ich bleib' bei ihm allein.«

»Wie alt war denn das Mädchen, Wojtech?« fragte der Bocher.

»An sechzehn Jahre, hochwürdiger Herr,« sagte der Knecht, »aber schön, schön . . .! sie hat wie eine Heilige in der Kirche ausgesehen. Ich geh' zum Wagen und frag' sie: ›Warum weinst du so, Mädchen, und jammerst so? Der Mann ist ja nur zum Herrn Pfarrer gegangen, und der ist ein guter Herr und wird ihm nichts zuleide tun.‹ Da hört sie mit einem Male zu weinen auf, sieht mich an mit großen Augen, daß mir ganz warm davon geworden ist. ›Er wird ihm nichts tun, sagst du, dein Pfarrer? und er wird den Vater doch zu einem Christen machen!‹ redet das fremde Mädchen zu mir. Da ist mir erst ein Licht aufgegangen. ›Ist dein Vater ein Jude?‹ frag' ich. ›Ja,‹ antwortet sie darauf, ›und er ist zum Pfarrer gegangen, damit der ihn zu einem Christen macht.‹ ›Und du willst nicht?‹ frag' ich wieder. Da fängt sie wieder zu weinen und zu jammern an und ringt die Hände, die waren so fein und weiß wie von einer Mutter Gottes. ›Um Gottes willen,‹ schluchzt sie, ›ich soll also nichts sagen, wenn mein Vater in die Kirche gehen wird?‹ Hochwürdiger Herr! da ist über mich ein höllischer Zorn gekommen, meine Hand hat sich geballt . . . Ich hab' dem Manne nacheilen wollen und ihn aus dem Hause reißen . . , um des Mädchens wegen, damit sie zu weinen aufhöre. Was muß der ein Christ werden? hat es in mir geschrien. Ich hab' alle Besinnung verloren. Aber ich bin doch nicht gegangen, hochwürdiger Herr . . . ich weiß nicht mehr, was mich zurückgehalten hat. Die Hölle muß es gewesen sein; denn von da an hat mein Unglück angefangen.«

Wojtech wischte sich den Schweiß von der Stirne, seine Stimme klang erschöpft, nach einer Weile fuhr er fort:

»Ich bin also bei dem Mädchen geblieben, aber gesprochen hab' ich nichts mehr mit ihr, und sie hat fortgeweint. Das hat so eine Stunde gedauert; endlich kommt der Pfarrer heraus und mit ihm der Mann; der Herr Dechant hat die Priesterkleidung angehabt. ›Wojtech,‹ sagt der Pfarrer zu mir, ›willst du der Gevatter von diesem Manne sein?‹ Ich sehe den Mann an, aber inzwischen hör' ich auch das Weinen des Mädchens. Da sag' ich schnell, wie wenn's einer mit einer Hacke aus mir herausgeschlagen hätte: ›Nein, hochwürdiger Herr, ich will's nicht sein!‹ Der Dechant wird aber böse und meint, ›ob ich nicht wisse, daß das gegen die Gebote der heiligen Kirche gehandelt sei‹; ich aber sag' immer: ›Nein, nein, Herr Dechant,‹ und lasse mich nicht zwingen, wie auch der Pfarrer rot wird vor Zorn im ganzen Gesicht. Darauf sagt er: ›Wenn du nicht willst, wird sich ein anderer finden, der Gevatter sein wird,‹ und geht in seiner Priesterkleidung fort ins Dorf. Da springt das Mädchen heraus aus dem Wagen, wirft sich vor dem Vater auf die Knie hin, mitten in den kalten Schnee, und jammert und redet mit ihm. Ich hab's nicht verstanden; aber in mir war der höllische Zorn so mächtig, weil der Mann nur immer den Kopf schüttelt. Endlich kommt der Pfarrer mit einem aus dem Dorf zurück; sie gehen in die Kirche hinein; ich und das Mädchen sind draußen geblieben.«

»Hochwürdiger Herr,« fuhr der Knecht nach einer kleinen Unterbrechung fort, »wie ich so draußen vor der Kirche gestanden bin, ist mir's gewesen, als sollte ich niemals mehr hineingehen! Wie wenn einer gesagt hätte: Wojtech, du bist gar nicht getauft worden und hast das heilige Sakrament nicht erhalten! Einstweilen will ich das Mädchen trösten und sag' zu ihr: ›Mit dem Weinen halt jetzt ein. Wenn dein Vater aus der Kirche zurückkommt, ist er ja doch dein Vater.‹ Da sieht sie mich an mit ihren schwarzen Augen und sagt: ›Meinst du? und wenn er's tausendmal sein will, so geht's nicht mehr!‹ ›Wer kann das verbieten, Mädchen?‹ sag' ich. ›Das verbietet unser Gott,‹ meint sie. Ich weiß nicht, wie mir geschieht, aber ich muß zum Himmel hinaufsehen, als ob ich den Herrgott mit meinen leibhaftigen Augen erblicken könnt', und müßt' ihn fragen, ob das wahr ist? ›Es wird vielleicht nicht wahr sein,‹ sag' ich. Sie aber sagt weinend: ›Möchten's unsere Rabbiner und Geistliche verbieten, wenn's Gott nicht verboten hätte?‹ Mein Kopf, hochwürdiger Herr, ist von dieser Rede ganz verwirrt worden, ich hab' dazu geschwiegen. ›Und du,‹ fällt es mir auf einmal ein, ›du möchtest nicht tun, was dein Vater jetzt tut?‹ Da schreit sie auf, als hätt' ich ihr einen Schlag gerade ins Aug' hinein gegeben, und sagt: ›Unsere Rabbiner und Geistliche verbieten es doch.‹

Bald darauf kommt der Pfarrer mit dem Mann heraus. Sie wird kreideblaß, und ich mein', sie kriegt den Tod davon. Der Mann steigt wieder in den Wagen, und weil sie zittert, daß sie sich kaum halten kann, heb' ich sie auf und trag' sie in den Wagen. Sie sieht noch auf mich, ich hab' das niemals vergessen. Sie fahren fort. Kaum sind sie fort, läßt mich der Herr Dechant rufen und sagt zu mir im Zorn: ›Du kannst dich jetzt zur Hölle packen, du schlechter Knecht, ich brauch' dich nicht, du hast nicht einmal Gevatter bei einer so heiligen Taufe sein wollen.‹ Ich hab' mein Bündel geschnürt und bin gegangen. Wohin, hochwürdiger Herr, werden Sie leicht erraten. Ich hab' das Mädchen aufsuchen müssen . . . ich hab' wissen wollen, ob sie schon zu weinen aufgehört hat. Und wenn der Dechant zuckersüße Reden mit mir geführt hätte, ich wäre doch nicht geblieben. Mir ist das Mädchen nicht aus dem Kopfe gegangen.

Ich hab' nicht lange zu suchen gehabt: vier Meilen von meinem Pfarrdorf. Es ist mir das bald zu Ohren gekommen, da es jeder Vogel auf den Dächern gewußt hat. Der Mann war noch nicht lang' dort, und weil sie ihm nicht erlaubt haben, ein paar Strich Feld zu kaufen und ein Haus dazu, da hat er geschworen und gesagt, wenn er wollte, könnt' er sich mitten ins Dorf hineinsetzen und könnt' ihn keiner wegtreiben, und er wollt' ihnen zeigen, wer zuletzt der Meister bleiben wird. Sie haben ihn ausgelacht, die vom Gericht, und der Amtmann hat ihm sogar gedroht, er wollt' ihn einsperren lassen, weil er die Herren vom Gericht verspottet, und es sei gegen das Gesetz, daß die Juden sich Äcker kaufen und daneben Häuser. Drauf hat der Mann noch einmal geschworen, sie sollten schon den größeren Herrn kennen . . . und ist zum Pfarrer gefahren. Wie er aus der Kirche zurückgekommen ist, geht er sogleich zu den Herren vom Gericht und sagt ihnen: ›Nun, ihr Herren, da ist der Meister, vor dem ihr doch Respekt haben werdet,‹ und wirft ihnen seinen Taufschein auf den Tisch. Mitten im Dorf hat er sich ein Haus gekauft und die schönsten Felder dazu, und hat ihm keiner etwas dagegen sagen dürfen.

Zu dem Manne bin ich gegangen; es war aber nicht seinetwegen, wie Sie sich das leicht denken können, hochwürdiger Herr! Ich hab' zu ihm gesagt: ›Herr! kannst du mich brauchen? Ich will dein Knecht sein und will dir treu und anhänglich dienen. Du bist kein Bauer, aber ich bin einer.‹ Der Mann sagt nicht ja und nicht nein, und sagt: ich soll am andern Morgen kommen. Hochwürdiger Herr! wenn der Mann am andern Tag ›nein‹ zu mir gesagt hätte, ich weiß nicht, ob ich den Feuerschwamm bloß für meine Pfeife angezündet hätte! So aber sagte er: Wojtech, ich nehm' dich! Sie muß mit ihm gesprochen haben, und ich bin geblieben.

Ehe ich mich recht umgesehen habe, hochwürdiger Herr, waren vier Jahre vergangen. Ich habe gearbeitet bei dem Manne wie ein Gaul, der einen Berg hinauf muß mit einer großen Last, und hab' ihn doch nicht leiden können. Ich hab' auf seine Sache geschaut, als wär's meine eigene, und hätt' ihm doch gern an die Seele gewollt! Das ist daher gekommen, hochwürdiger Herr: ich hab' ihn für nichts Rechtes gehalten, und wenn er auch an jedem Sonntag und Feiertag in die Kirche gegangen ist und das Kreuz über sich geschlagen hat. Jesus, Maria, Joseph! wenn ich das gesehen habe, ist mir's splitterscharf durchs Gehirn gegangen, und ich hab' mich wegwenden müssen, um nicht auszuspeien. Das ist mir auch geblieben von damals, und daran ist der Mann schuld; denn seitdem ist's mir immer, als ob die jetzigen Juden heimlich das Kreuz über sich schlagen, alle miteinander, und ich müßt' dabei stehen und müßt' mich . . . wegwenden.

Mit der Tochter, hochwürdiger Herr, ist es etwas anderes gewesen. Die hat mich eingesponnen gehabt; zwanzig Gäule wären nicht imstande gewesen, den Strick zu zerreißen. Was ist da viel zu sagen? Ich habe nicht fort können aus dem Hause, ich hab' an nichts anderes gedacht als an sie. In die Kirche bin ich die ganze Zeit hindurch nicht gegangen; ich hätt' meinen Herrn dort sehen müssen, und dem hab' ich ausweichen wollen. Besonders aber wegen des Mädchens, hochwürdiger Herr; ich habe geglaubt, ich tu' ihr einen Gefallen, wenn ich nicht in die Kirche gehe. Gesprochen hab' ich mit ihr niemals darüber, es wär' mir zu schwer vom Herzen gegangen. Aber das hab' ich gefühlt: wenn die mich angesehen hat, war das etwas ganz anderes, als wenn mich die schönsten Weibsbilder sonst angesehen haben. Einmal treff' ich sie, wie sie aus ihrem Gebetbuch betet, der Vater war gerade in die Kirche gegangen. Da sag' ich, wie mir das sonderbar vorkömmt, daß sie aus dem Buch da betet und ihr Vater aus einem andern. Vater und Tochter gehörten zusammen, und was der eine tut, sollte die andere auch tun. Da sagt sie: ›Wojtech, das kann nicht dein Ernst sein, weißt du denn nicht mehr, wie du mich vor der Kirche getröstet hast?‹ Es ist mir eigentlich etwas anderes auf der Zunge gelegen, was ich hätte sagen sollen; aber gerade das habe ich nicht herausgebracht. Drauf sag' ich zu ihr: ›ob sie denn keiner zwingen könnte und ob sie nicht einen Vater hätt'?‹ ›Zwingen könnt' sie kein Mensch,‹ meint sie, ›am wenigsten der Vater; wenn nicht geradezu Gott vom Himmel herunter käm', sie glaubt ein Rabbiner oder Geistlicher, dann dürft' sie es nicht tun.‹ Wie ich das höre, ruft es in mir: ›Sie hat recht! es darf sie kein Mensch zwingen;‹ aber der Teufel hat mir's gut eingebrockt gehabt. Ein andermal sag' ich zu ihr: ›Terezka, wenn dein Vater einmal kein Christ sein will, wie fängt er's da an?‹ Da lacht sie und meint: ›das geht nicht, was einer einmal ist, das muß er bleiben.‹ ›Wer zwingt denn ihn?‹ frag' ich. ›Eure Geistlichen,‹ sagt sie, ›die lassen es nicht zu.‹ ›Und wenn er's doch will, und immer will?‹ frag' ich ganz erbost, denn mir ist die Galle in den Kopf gestiegen vor lauter Zorn. ›Dann muß er in ein weites, weites Land gehen, aber das tut er nicht. ‹ ›Warum nicht?‹ frag' ich. ›Dann müßt' er ja seine Felder und sein Haus verkaufen,‹ meint' sie. ›Terezka,‹ sag' ich, ich hab' es nicht länger in mir halten können, ›bered ihn doch.‹ ›Wozu? wozu soll ich ihn bereden?‹ fragt sie ganz erstaunt. ›Nun, daß er in das weite, weite Land zieht,‹ mein' ich. ›Er tut's nicht, sag' ich dir,‹ ruft sie, ›denn es hat ihm genug gekostet, daß er hier sein kann.‹ ›So komm du wenigstens, Terezka,‹ sag' ich. ›Warum?‹ fragt sie, und ich sehe, wie sie am ganzen Leib zittert und ihre Augen niederschlägt. ›Wie soll ich dich denn sonst bekommen, Terezka?‹ ruf' ich, und pack' sie mit meinen Armen und drück' sie an mich. Da, hochwürdiger Herr . . . ich kann nicht viel erzählen von dieser Geschichte – da hat sie mir eingestanden, daß sie mich im Herzen behalten seit dem Augenblicke, wo sie vor der Kirche gewartet hat. Jetzt war keine Rede mehr davon, daß wir in das weite, weite Land fortziehen wollen. Denn wenn zwei so weit gekommen sind, wie ich und Terezka, da wollen sie nicht weit gehen und möchten am liebsten an einem Ort bleiben, und zwei Augen sind schon zu viel, die da zusehen.

Seit ich aber gewußt habe, hochwürdiger Herr, daß mein Dienstherr nicht fort will, habe ich einen noch größeren Haß auf ihn geworfen. Es ist mir vorgekommen, er tut's nicht, weil er nicht will, daß die Tochter mein Weib wird. Etwas anderes ist mir gar nicht eingefallen. Nur manchmal, wenn ich mit meiner Terezka eine längere Zeit beieinander gewesen bin, hat's mich gemahnt, ich sollt' doch nicht länger warten und sollt' sie fragen, wann sie in das weite Land wollt' ziehen? Einmal bin ich im Garten und hab' eine Hacke in der Hand, damit wollte ich einen faulen Baum umhauen. Da kommt Terezka und fragt mich, warum ich den Baum nicht stehen lassen will. ›Er trägt nichts ab,‹ sag' ich, ›und um die paar grünen Blätter, die er im Frühling treibt, ist's nicht der Mühe wert.‹ ›Da müßt' man mich auch umhauen,‹ sagt sie, ›und dich auch dazu, Wojtech.‹ ›Warum?‹ frag' ich und mach' große Augen. ›Wir sind ja einander doch auch zu nichts nütze,‹ sagte sie. ›Wieso?‹ frag' ich. ›Was hast du davon, Wojtech,‹ sagt sie drauf, ›daß du schweigst und immer schweigst? Und was hab' ich davon? Das kann ja nicht in alle Ewigkeit so fortdauern.‹ ›Und warum machst du kein Ende, Terezka?‹ sag' ich, und ich glaub', das Blut will mir heraus aus der Seele, so erschrocken war ich vor lauter Freude. ›Ich denk' ja auch daran,‹ sagt sie und sieht mich an. ›Willst du also mit mir in das weite, weite Land ziehen?‹ Da sagt sie: ›An das hab' ich nicht gedacht.‹ ›Nicht an das?‹ ruf' ich, ›was willst du also denn anfangen?‹ Drauf lacht sie, hochwürdiger Herr, nichts anders, als wenn ihr etwas außerordentlich Lustiges eingefallen wäre, und sagt: ›Wojtech, willst du mit mir nicht zum Pfarrer gehen? Ich bin ja damit ganz zufrieden.‹ Als sie das sagt, ist's mir, wie wenn ein Donner neben mir in die Erde eingeschlagen hätt'; aber gleich darauf kommt mir wieder der höllische Zorn aus dem Herzen heraus, steigt mir in den Kopf und macht, daß ich fast gar nichts sehe. ›Schelmin,‹ schrie ich, ›spitzbübische Schelmin, das verbieten dir also deine Rabbiner und Geistlichen nicht? Als dein Vater zum Pfarrer gegangen ist, da hast du weinen und jammern können, und jetzt willst du selbst zu ihm gehen?‹ Ich hab' die Hacke in der Hand gehabt, die heb' ich auf und hätte sie niedergeschmettert, wenn sie mir nicht in den Arm gefallen wäre. ›Wojtech, Wojtech,‹ schreit sie weinend, ›was gehen uns unsere Rabbiner und Geistlichen an? . . . Ich schwör' dir darauf . . .‹ ›Schwören auch noch?‹ sag' ich in meinem höllischen Grimm, ›da sieht man, wie du eine Lügnerin bist. Deine Geistlichen können dir das gar nicht erlauben.‹ Sie aber, hochwürdiger Herr, hört nicht auf zu schreien und zu jammern, meint in einem fort: ›Mir werden sie es erlauben, verlaß dich drauf.‹ Mir steigt das alles in den Kopf, ich rufe immerfort: ›Nein, nein, du und deine Geistlichen wären dann Lügner,‹ und reiße mich los von ihr und gehe in das Haus hinein. Dort packe ich meine Sachen zusammen und bin davon, wie wenn mich die Hölle an einem Strick gehabt hätt', und ich hätte mich losgerissen. Ein Mal übers andre Mal bin ich stehen geblieben und habe mich umgesehen. Auf was hab' ich gewartet? Daß sie mir vielleicht nachkommt und doch mit mir in das weite, weite Land zieht? Das weiß ich nicht; aber wie ich in den Wald vor dem Dorfe komme, da sehe ich etwas wie ein braunrotes Kleid zwischen den Bäumen. Das war sie, die auf einem kürzeren Wege vorausgelaufen war. Wie sie mich sieht, schreit sie: ›Wojtech, lieber Wojtech, das kann dir Gott im Himmel nicht verzeihen, daß du so fortgehen kannst von mir.‹ ›Willst du mit mir in das Land gehen?‹ frag' ich noch einmal, denn sie hat mich erbarmt. Da sagt sie, sie wolle ja gerne mit mir gehen, wohin ich gehe, aber sie müsse mit mir in einer Kirche beten können. ›Werden das deine Rabbiner zugeben?‹ sag' ich wieder. ›Frag sie nur drum, Wojtech,‹ ruft sie, ›sie werden es zugeben.‹ ›Ich soll sie fragen? Schelmin,‹ sag' ich voll Zorn, ›geh in die Hölle!‹

Hochwürdiger Herr,« fuhr der Knecht nach einer geraumen Zeit, währenddem er Mühe hatte, die stark hervorquellenden Tränen zurückzudrängen, fort, »seit damals hab' ich meine Terezka nicht gesehen. Ich bin in diese Gegend gewandert, und als Knecht war ich bei einem Bauer, bis Ihre Eltern eingezogen sind. Erst ein paar Jahre darauf, da hat mir einer erzählt, der's von dem Vater gehört hat: die Terezka hat's nicht lange mehr auf der Erde ausgehalten, sie ist bald darauf gestorben. Aber wie sie schon im Sterben liegt, da hat sie den Vater gebeten, er soll ihr den Pfarrer holen, und hat sich die heilige Taufe geben lassen. Darüber bin ich mehr erschrocken als sonst über etwas. Wenn die auf dem Totenbette sich's nicht anders überlegt hatte, hochwürdiger Herr, so muß sie ja recht haben! . . . Herr Gott! Herr Gott! wenn sie recht gehabt hat! Das geht mir seitdem nicht aus dem Kopfe und drückt mir die Seele ab. Wenn sie recht gehabt hat!

Durfte meine Terezka ihren alten Gott verlassen, und mir zuliebe? Sie darf ihm ja gar nicht untreu werden, wie sollte sie mir die Treue dann bewahren?

Hochwürdiger Herr!« rief der Knecht plötzlich mit durchdringender Stimme, und warf sich vor Elieh in den Staub. »Sie sind wie ein Heiliger Gottes gekommen und sind geistlich. Sagen Sie, hochwürdiger Herr, ob ich recht gehabt habe oder sie?«

Der Bocher wußte sich vor Schreck nicht zu fassen, er verlor alle Besinnung.

»Steh auf, steh auf, Wojtech!« stammelte er und suchte den Knienden aufzurichten.

»Ich steh' nicht auf, hochwürdiger Herr!« rief der Knecht, »bis Sie gesagt haben, ob ich recht habe oder nicht.«

»Wie kann ich dir das sagen?« meinte der Bocher bebend. »Laß mich doch wenigstens überlegen.«

»Hochwürdiger Herr,« rief Wojtech mit einem fast an Bitterkeit klingenden Tone, »unsere geistlichen Herren, die haben gleich gewußt, was sie sagen sollen, und haben mir das Vaterunser und den englischen Gruß als Buße auferlegt. Und Sie wissen es nicht?«

Elieh mochte fühlen, daß er dem Knechte Rede stehen müsse. Mit zitternder Hand fuhr er auf den Kopf des vor ihm Liegenden nieder und berührte ihn; mit leiser Stimme sprach er:

»Wojtech, du hast recht gehabt!«

Welch ein wilder, namenlos scharfer Schrei durchzitterte die Abendlüfte! In demselben Augenblicke fühlte der Bocher seine Füße von den Armen des Knechtes umkrallt. Eine geraume Zeit blieb Wojtech in dieser Lage. Dann stand er rasch auf.

»Jetzt bin ich ein neuer Mensch,« rief er. »Hochwürdiger Herr, Sie haben mich erlöst!«

Als die beiden spät am Abende ins Haus zurückkamen, hatte man die Abwesenheit des Bochers gar nicht bemerkt. Nachime hatte vergessen, daß ihr Sohn sich entfernt hatte.


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