Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Elftes Kapitel

Rücksichten des Anstandes und manche andre Umstände machten nun, daß Seelberg nicht nach Wiesbaden zurückkehrte; er brachte vielmehr noch sechs Wochen auf seinem Gute zu, bewarb sich um einen redlichen jungen Mann, dem er die Erziehung seines sechsjährigen Sohns anvertrauen könnte, fand auch einen Solchen und schrieb dann erst an seinen lange ihm aus den Augen gerückten Freund Alwerth: er bedürfe Zerstreuung und wolle auf einige Zeit zu ihm kommen. Dieser, obgleich er in der ganzen Zeit nach unsers Helden Verheirathung mit ihm außer aller Verbindung gewesen war, empfand doch eine herzliche Freude, als Seelberg nun freiwillig wieder zu ihm zurückkehrte und er aus der Schreibart des Briefs erkannte, daß er erwacht war aus seinem Geistesschlafe. Er antwortete ihm desfalls in den verbindlichsten Ausdrücken, er werde ihn mit offnen Armen erwarten.

Die Leser werden es vielleicht sonderbar finden, wenn ich über eine Periode von sieben Jahren in Seelbergs Leben so wenig gesagt habe; allein sie würden gewiß größere Ursache haben, sich über mich zu beklagen, wenn ich über einen Zeitpunkt, der so wenig enthielt, das zu meinem Zwecke dienen könnte, mit großer Weitschweifigkeit hätte reden wollen. Außer den ländlichen und andern ökonomischen Geschäften, außer alchymischen Versuchen und der Lektüre mystischer Bücher, für welche unser Held jedoch von Jahre zu Jahre den Geschmack mehr verlor und darauf anfing, besonders seit der Zeit, da seine Frau ihn so plagte, wahrhaftig philosophische und auch Bücher über andre wissenschaftliche Gegenstände sowie historische Werke zu lesen; außer diesen Verrichtungen, unter denen wirklich die häuslichen viel Zeit wegnahmen, da er manche Dinge dieser Art jetzt, als Vater, in das Klare zu setzen für seine Pflicht hielt, wie er denn auch einige Prozesse führen mußte; außer diesem, sage ich, that er eigentlich – gar nichts, das des Erzählens werth wäre.

Im August reisete Seelberg ab, um Alwerthen in der Reichsstadt *** zu besuchen. Freude glänzte von beiden Seiten auf den Gesichtern dieser alten Bekannten, als sie sich nach einer so langen Trennung wiedersahn. Gegenseitige Mittheilung der indes Jedem einzeln widerfahrenen Begebenheiten, sodann Rückerinnerungen an die gemeinschaftlich erlebten Schicksale, Erklärungen über die Ursachen eines so langen Stillschweigens, Versicherungen, daß dadurch ihre Freundschaft nicht vermindert worden, endlich andre vertrauliche Gespräche mancher Art auf Spaziergängen und wenn sie in der Stadt umherwanderten, das Merkwürdigste darin in Augenschein zu nehmen, dies alles beschäftigte die beiden Freunde in den ersten Tagen von Seelbergs Aufenthalte in ***, und indes beobachtete Alwerth ihn sehr genau, um zu erforschen, ob er in einer solchen Stimmung wäre, daß er ihm einen Plan mittheilen könnte, zu dessen Ausführung er Seiner höchst nothwendig zu bedürfen glaubte. Er fand dann mit Vergnügen: daß in Seelbergen der Geist der Thätigkeit und die Begierde, etwas Ausgezeichnetes zu unternehmen, sich eine neue moralische Existenz zu verschaffen, wieder erwacht, daß sein Hang zu Spekulationen, seine Kopfhängerey, wie Alwerth es nannte, ziemlich vergangen war, daß er wieder Sinn hatte für große, weitaussehende Entwürfe, daß er mit allen menschlichen Einrichtungen unzufrieden war, es anders wünschte, und daß er nicht mehr Lust hatte, ruhig zu harren, zu klagen und sich mißhandeln zu lassen, sondern daß er gern alles umgestürzt hätte. Er wußte ihn dahin zu leiten, daß er diese Empfindungen von freien Stücken äußern mußte, und dann erweckte er, um ihn noch mehr zu entflammen, in ihm das Andenken an die Demüthigungen, die er am königlichen Hofe in *** hatte leiden müssen. Als endlich einstmals Seelberg voll Freude ausrief: »O Alwerth! schaffe mir noch sechs solche Männer, als Du und ich sind, und wir wollen alles umdrehen, wollen den Schurken, die über den kleinen Haufen der Bessern so frech und ungestraft den Meister spielen, das Ruder aus den Händen reißen, wollen ihnen zeigen, was Männer von Kraft und Entschlossenheit vermögen – Ach! es wäre uns gewiß nicht mißlungen in ***, wenn wir Beide nicht einzeln da gestanden wären, wenn wir Hilfe und wenn wir mehr Welterfahrung gehabt hätten. Aber gib mir eine Gelegenheit, das wahrzumachen, wozu ich Muth und Fähigkeit in mir fühle, so sollst Du sehn, ob dies leere Worte sind!« – Als er so deklamierte, ergriff ihn Alwerth bey der Hand, sah ihm steif in die Augen, blickte um sich her, ob auch niemand horchte, und fragte dann in feierlichem Tone: »Und wie, wenn ich Dir die sechs und noch viel mehr und noch bessere Männer schaffte, als die Du suchst? Wenn diese schon in einem unauflöslichen Bündnisse gegen die Bösen stünden? Wenn sie die sichersten Mittel in Händen hätten, ohne Gewalt, ohne Gefahr alles zu dem großen Zwecke zu lenken, Freiheit und Wahrheit wieder auf der Erde herrschen zu machen, dem Laster die Hände zu binden und jedem guten und klugen Manne unfehlbares zeitliches Glück und Seelenruhe zuzusichern? Wie, wenn sie schon seit einer Reihe von Jahren mit dem besten Erfolge gearbeitet und in der Stille sehr viel gethan, Revolutionen bewirkt hätten, die man andern Ursachen zuschrieb? Wie, wenn sie es wären, die die Riesenschritte leiteten, welche seit einiger Zeit die Aufklärung besonders in Deutschland gemacht hat? Wenn sie Dir Aufschlüsse geben könnten, die Du lange vergebens in den geheimnisvollen Büchern gesucht hast?« – »O Alwerth!« fiel ihm hier Seelberg in die Rede. »Wenn Du mir dies alles, ja! wenn Du mir nur die Hälfte davon wahrmachen könntest, so wollte ich Dich lebenslang als meinen größten Wohlthäter betrachten.« Alwerth hatte nun seinen Freund da, wo er ihn haben wollte; jetzt brach er plötzlich ab: »Heute«, sagte er, »kann und darf ich Dir nichts weiter hierüber sagen; aber wir sprechen gelegentlich mehr davon.«

Seelberg sah sich mit Betrübnis auf einen andern Tag vertröstet, und auch diesen Tag war der Doktor grausam genug, unter allerley Vorwande immer weiter zu verschieben, bis er endlich auf dringendes Bitten seines Freundes nach einiger Zeit das Gespräch über jenen Gegenstand wieder also anfing: »Die Gesellschaft, von welcher ich Dir geredet habe, existiert wirklich; Du kannst aber auch begreifen, daß die äußerste Vorsicht bey der Wahl neuer Verbündeter nöthig ist. Männer, die mit so großen Dingen umgehn, als das ist, der Welt eine andre Richtung zu geben, der gefallenen Menschheit wieder aufzuhelfen und Macht und Gewalt zu erlangen über die Bösen, solche Männer müssen nicht nur nach einem Systeme handeln, das keinen von denjenigen Fehlern hat, die in den öffentlichen Anstalten, in der bürgerlichen Gesellschaft und in den Staaten, gegen welche sie eifern, die Menschen unglücklich machen, sondern sie müssen auch sich selbst und ihre Mitverbundenen so genau kennen und prüfen, daß sie gewiß seyn können, sie haben Beruf und Kraft, das große Werk auszuführen, und es werde nicht einst ihre Verbindung auf den nämlichen Mißbrauch der Gewalt hinauslaufen, welcher alle übrigen menschlichen Anstalten bis jetzt entweder korrumpiert oder getrennt hat. Du mußt es mir daher nicht verdenken, wenn ich, bevor ich Dich näher mit der Gesellschaft bekannt mache, erst von Dir erwarte, daß Du mir über manche sehr wichtige Gegenstände theils schriftlich, theils mündlich Deine Meinung eröffnest und mir auf jeden Fall die strengste Verschwiegenheit versprechest.«

Seelberg war zu allem bereit, und nun legte ihm sein Lehrer solche Fragen vor, durch deren Beantwortung er jede Falte seines Herzens, sodann seine bürgerlichen und politischen Verhältnisse, seinen physischen, moralischen und intellektuellen Zustand entwickeln, seine Neigungen, Grundsätze und Wünsche offenbaren und Alwerthen auf diese Art in den Stand setzen mußte, genau zu wissen, inwiefern er auf ihn rechnen und wozu er ihn brauchen könnte. Auch führte ihn Dieser auf Proben von Verschwiegenheit, Vorsichtigkeit, Wachsamkeit, Festigkeit, Beharrlichkeit, Eifer, Unerschrockenheit – und darüber vergingen einige Wochen. Seelberg miethete ein Haus in der Stadt, hatte seine Güter schon vor seiner Abreise verpachtet und ließ nun auch seinen Sohn mit dem Hofmeister zu sich kommen – Er lebte jetzt nur für den großen Plan, zu welchem er bald mitwirken sollte. Indessen mußte er auch schriftlich sich erklären: was er eigentlich sich zum Zwecke einer solchen Verbindung wünschte und welche Mittel er wählen würde, diesen Zweck zu erreichen?

Als nun Alwerth sah, daß ihre beiderseitigen Ideen, Neigungen und Wünsche übereinstimmten, daß freilich von mancher Seite Seelberg noch nicht so fein ausgebildet, so sehr Meister über sich als ein Mann, der in der Schule der Jesuiten abgerichtet ist, daß er von einer andern Seite aber mehr gemacht war, durch glänzende Eigenschaften, durch Talente, durch das Gepräge der vornehmern Erziehung und durch äußere Geschliffenheit sich bey einigen Klassen von Menschen einzuschmeicheln, endlich, daß er eine unermüdete Thätigkeit, einen Fleiß hatte, den nichts abschrecken konnte – da rückte er dann mit der Nachricht hervor: die bewußte Gesellschaft sey zwar wirklich noch nicht vollkommen fest gegründet, doch habe er schon in allen Ecken Deutschlands sichre, zuverlässige, vortreffliche Menschen von gleichen Grundsätzen aufgespürt, sey mit Diesen in weitläufigen Briefwechsel getreten oder habe mündliche Unterhandlungen mit ihnen gepflogen, und nun sey alles vorbereitet und jedermann begierig, das Werk anzufangen; es habe ihnen nur ein Mann wie Seelberg gefehlt, der, bey so viel herrlichen Eigenschaften, zugleich so viel Erfahrung in mystischen Dingen und in der Freimaurerey hätte, welches alles doch auch mit in ihren Plan gehörte.

 

Nun holte Alwerth seine Papiere – Aufsätze, an welchen er Jahre hindurch gearbeitet und darin er alles gesammlet und aufgezeichnet hatte, was nur zu Vervollkommnung des Plans, seiner Meinung nach, dienen konnte. Seelberg las mit Aufmerksamkeit, prüfte, verbesserte, fügte von dem Seinigen hinzu, machte Einwürfe, ließ sich belehren; sodann schickte man das Ganze an die übrigen Mitverschwornen, feilte, schmolz um, und am Ende kam ein System heraus, welches ungefähr auf folgenden Sätzen beruhete:

 

»Was nützt ein bloß spekulatives Leben, ein Hinschielen in eine andre Welt, indes in der gegenwärtigen alles verkehrt hergeht? Hat uns nicht Gott in Diese gesetzt, um hier thätig zu seyn? Und was sollen wir treiben? – Gutes thun, Böses hindern, uns und Andre glücklich machen! – Worin besteht aber das Glück? In Freiheit und Gefühl des Wohlbefindens! Ist aber nicht der größte Theil der Menschen unglücklich an Geist, Seele, Leib und Vermögen, gedrückt, korrumpiert und verfinstert? Haben nicht fast aller Orten die Boshaften und die Dümmsten die Oberhand, auf Unkosten der Weisern und Bessern? Und woher kömmt das? Daher, daß Diese zu unthätig sind, sich alles gefallen lassen, sich nicht die Hände bieten, sich zum Theil nicht kennen. Und doch sind sechs edle Menschen stärker als hundert Schurken. Also lasset uns eine feste Kette schließen gegen Bosheit und Unverstand! Lasset uns das Menschengeschlecht wieder frey und glücklich machen! Wir können es gewiß.

Warum haben von jeher Pfaffen und Fürsten, vorzüglich aber Jesuiten, die Menschen zu Allem bewegen, sie für thörichte und schädliche Dinge, ja! für Aufopferungen aller Art mit heißem Enthusiasmus erfüllen, warum hat man die Menschen dazu bewegen können, daß Ihrer viel tausend Vernünftige und Starke Einem Dummkopfe zu Gebote stehen, auf seinen Wink das Unsinnigste glauben und das Schlimmste, mit ihrem eigenen Interesse Streitende haben unternehmen müssen? Zeigt das nicht offenbar, daß man mit den Menschen machen kann, was man will, wenn man sie nur bey dem rechten Zipfel angreift? Niemand hat aber diese Kunst besser verstanden als die Jesuiten, nur haben sie dieselbe zum Bösen angewendet.«

 

(Alwerth versicherte, daß er von seiner Jesuitenmoral gänzlich zurückgekommen sey und wohl einsehe, welche gefährliche Maschine der Orden für die Menschheit gewesen; doch blickte Loyolas Schüler noch sehr oft aus ihm hervor.)

»Konnten nun jene Pfaffen in dem Menschen Enthusiasmus für Narrheiten und Bosheiten erwecken, so wäre es doch sonderbar, wenn man für Tugend und Wahrheit, für die edelsten Güter, die so glücklich, so ruhig machen, nicht ebenso warme Eiferer sollte gewinnen können! Aber dazu gehörte denn freilich, daß man diesen Töchtern des Himmels ein ebenso reizendes Gewand umzuhängen und das äußere Interesse, gut zu seyn, ebenso groß zu machen verstünde, als jetzt der Vortheil, böse zu seyn, in der Welt ist, und daß man der Tugend und Weisheit auch äußern Glanz und eine sichre Belohnung versprechen könnte.

Um dies alles zu erlangen, muß man sich zu guten Zwecken eben der tiefstudierten, auf die feinste Kenntnis des menschlichen Herzens beruhenden Mittel bedienen, welche die Jesuiten zum Bösen anwendeten; und dann kann der Erfolg nicht fehlen. Und welche sind diese Mittel? Hauptsächlich folgende: Man suche viel gute und geprüfte Menschen in unser Bündnis zu ziehn, besonders solche, die Einfluß auf Erziehung der Jugend haben! Durch dieselben lasse man diesen Sprößlingen nach und nach unsre Grundsätze einflößen, damit die folgende Generation gänzlich in unsern Händen sey, uns ganz angehöre, ganz denke und handle wie wir! Aus Diesen nehmen wir dann unsre Lehrer der Menschheit. Unsre Leute müssen Alle auf Einen Ton gestimmt werden, über jede Sache nur Eine Sprache führen, über alle Vorurtheile hinaus seyn, aller Orten Aufklärung befördern, nur immer das Beste unsrer Gesellschaft, das heißt den Zweck derselben, nämlich das allgemeine Wohl der Welt, vor Augen haben, aber nichts nach Willkür unternehmen, sondern alles nach den von uns erhaltenen Vorschriften, die ihnen nie aus dem Gedächtnisse weichen müssen. Sich nach unsrer Anweisung zu bilden und nach unsern Winken zu handeln, das muß Tag und Nacht ihre Hauptidee seyn, und man muß die Kunst verstehn, ihnen den Unterricht sinnlich, die Anhänglichkeit an uns zum Bedürfnisse und das Wirken zu den Zwecken der Gesellschaft zu eines Jeden Steckenpferde zu machen. Dies Alles erlangen wir, wenn wir zuerst das Beispiel in jeder Art Tugend und Weisheit, Wachsamkeit, Nüchternheit, Uneigennützigkeit, Thätigkeit, Pünktlichkeit und Aufopferung der Privatvortheile gegen das allgemeine Beste geben; sodann, wenn wir vorsichtig in der Wahl der Mitglieder sind, wenn wir diese nur nach und nach an der feinern Ausführung Theil nehmen lassen, sie vorher mit unausgesetzter Aufmerksamkeit kennenzulernen suchen, sie nachher mit unermüdetem Fleiße bilden, sie durch alle nur ersinnliche Mittel an uns zu fesseln und das Interesse der Gesellschaft zu ihrem eigenen zu machen wissen; wenn wir an ihnen Wohlthäter werden, ohne je wieder von ihnen Wohlthaten und Gefälligkeiten anzunehmen; wenn wir einem Jeden geben können, was er wünscht, und endlich, wenn wir uns stark machen, jedes Gute durchzusetzen und unsern Feinden furchtbar zu seyn.

Wir bedürfen zu diesem Plane freilich gleich anfangs, bis unsre Jugend gebildet ist, viel Menschen. Da aber erwachsene Leute schwer zu leiten und umzustimmen und gewöhnlich schon verderbt sind, so muß bey der Auswahl derselben die größte Vorsicht gebraucht werden. Sehr vornehme und sehr reiche Leute taugen selten viel; uns sind Solche nützlicher, die ein wenig im Drucke gelebt haben, über Manches in der Welt klagen und Manches anders wünschen. Finden wir unter Diesen Solche, die für uns taugen, dann gibt es allerley Mittel, dieselben an uns zu ziehn. Jedermann hat Lieblingswünsche; diese muß man zu erfahren suchen und von Weitem ahnen lassen: man könne die Befriedigung derselben bey uns finden – Kurz! Jeder ehrliche Mann muß bey uns zu finden glauben, was er sucht und sonst nirgends findet; auch können wir ihm dies in der Folge sicher versprechen. Man muß zuerst den Mann, den man in unsern Bund ziehn will, sich durch Freundschaftsdienste verbindlich machen. Heut zu Tage sind die Reize der Neugier und die Geheimnissucht große Ressorts in der Welt geworden; auch davon muß man Gebrauch machen. Wir müssen so leben, daß wir in der Stille doch Aufsehn erregen und Ehrerbietung einflößen, daß man auf unsern Umgang begierig, auf unsre Freundschaft stolz sey; man unterscheidet sich gern; und so wird dann jeder bessere Mann es für ein Glück halten, mit uns in nähere Verhältnisse zu kommen.

 

Haben wir nun jemand auf diese Art für uns gewonnen, so kömmt es darauf an, den Mann von Innen und Außen auf das Genaueste kennenzulernen. Da müssen wir ihn also unaufhörlich beobachten, da beobachten, wo er es am wenigsten vermuthen kann, wo er sich in puris naturalibus seinen Neigungen überläßt und von niemand gesehn zu werden glaubt. Die schon Gebildeten müssen sich in diese Arbeit theilen; es muß keine auch noch so unbedeutend scheinende Handlung und Verrichtung im Leben unsrer Zöglinge seyn, bey welcher wir nicht unsre Augen auf dieselben haben; wir müssen wissen, wie unsre Leute beym Wachen, Schlafen, Träumen, Essen, Trinken, Gehen, bey der Arbeit, im Müßiggange, bey ruhiger Stimmung und bey leidenschaftlichen Ausbrüchen sich betragen. Dies alles muß genau aufgeschrieben, mitgetheilt, darüber raisonniert und darnach mit Jedem besonders operiert, Jeder besonders bey der Arbeit angestellt werden, nach seinen Fähigkeiten, und man muß die Kunst studieren, ihn selbst zu überzeugen: er tauge dazu und nicht zu etwas Anderm, sey aber deswegen nicht mehr oder weniger werth als sein Nebenmann, der in einem andern Fache Nutzen zu stiften taugt.

 

Kennen wir nun unsre Mitglieder auf das Genaueste, dann wird die Arbeit mit ihrer Bildung leichter; wir wissen, wo es fehlt, und es kömmt nur darauf an, den rechten Weg einzuschlagen, unser System einem Jeden stückweise in derjenigen Form mitzutheilen, welche ihm die angenehmste ist; er muß desfalls durch Aufgaben, deren Auflösung man von ihm fordert, durch Rath und Zurechtweisung, die man sich über einen Gegenstand von ihm ausbittet, dahin geleitet werden, nach und nach diejenigen Sätze, die wir ihm beibringen wollen, selbst zu erfinden. Man muß langsam weitergehn, damit diese Sätze erst fest bey ihm werden. Allein nicht nur müssen unsre Systeme theoretisch gut gefunden werden, sondern alle unsre Mitglieder müssen auch unaufhörlich, in allen Lagen, bey allen Versuchungen, gleich konsequent darnach handeln, und da ist es nicht genug, daß wir uns darauf verlassen, nichts zu verlangen, als was der Natur und Vernunft angemessen ist; nein! wir müssen auch Mittel haben, unsre Leute gleichsam zu zwingen, gut zu handeln, in ihnen einen unwiderstehlichen Hang, eine Nothwendigkeit zu erregen, ihre Pflichten zu jeder Zeit zu erfüllen. Unter diesen Pflichten sind Mäßigkeit, Mäßigung, Thätigkeit, Wachsamkeit, Verschwiegenheit, Folgsamkeit, Demuth und Festigkeit die vornehmsten. Tugend kann, wie das Laster, Habitüde werden; also sind freilich strenge Aufsicht in der ersten Zeit und sanfte Erinnerung bey dem geringsten Fehltritte, bis diese Gewohnheit erst entstanden ist, höchst nothwendig; allein das ist nicht hinreichend; man muß auch die herrschende Leidenschaft eines Jeden als Vehikulum brauchen, ihm diese Tugend annehmlich, ja! ihn gierig darnach zu machen; bey Ehrgeizigen und Eitlen kömmt man hiermit am weitesten. Sodann muß man Enthusiasmus zu erwecken verstehn; und da sich dieser am sichersten durch Ansteckung fortpflanzt, so muß man selbst nie ohne Wärme und Entzückung oder ohne feierliche Ehrerbietung von unserm großen Plane, von unsrer heiligen Verbindung reden. Endlich ist es aber auch nothwendig, ein äußeres Interesse an die Erfüllung der Pflichten zu knüpfen, und dies geschieht, indem wir Jedem, der folgt, die sichre Belohnung seiner Handlungen, Beförderung im bürgerlichen Leben, Schutz und Hilfe versprechen. Es wird nicht schwer seyn, diese Versprechungen zu halten, wenn wir nach und nach aller Orten durch unsre Leute Einfluß bekommen; wenn wir den genauesten Zusammenhang unter uns erhalten, so daß nicht ein Einziger sey, der nicht zu einer Klasse gehöre, deren Oberaufsehern er zu bestimmten Fristen von sich selbst und von Allem, was uns nützen und schaden kann, Bericht erstatte; wenn Alle für Einen und Einer für Alle stehen, sobald es darauf ankömmt, Einem von den Unsrigen zu helfen.

Solange wir noch nicht mächtig genug sind, solange wir noch nicht an der Spitze von Regierungen und öffentlichen Anstalten Männer aus unsern Mitteln stehn haben, dürfen wir freilich nicht unvorsichtig in Versprechungen seyn, aber doch nie unsre Schwäche verrathen. Auch sind sechs kluge Männer sehr stark, wenn sie thätig seyn, nichts unversucht, sich nie abschrecken lassen und sich aller Orten Briefwechsel und Verbindungen verschaffen wollen – Sie brauchen nicht Fürsten, nicht Minister zu seyn, wenn sie nur schlau, kühn und unermüdet sind – Wie wenig Länder werden auch wirklich von Fürsten und Ministern regiert! – Wozu wir aber auch nichts beitragen können, das müssen unsre Zöglinge doch glauben, geschehe durch uns; unsre Verbindung sey allmächtig und höchst ausgebreitet. Desfalls, und um alle Privatrücksichten aufzuheben (wodurch so vielfältig Menschen getrennt werden, die recht gut unwissend zusammen an dem nämlichen Seile ziehen, aber gleich zurücktreten, sobald sie jemand an ihrer Seite oder über sich sehn würden, gegen den sie ein Vorurtheil haben), müssen die Mitglieder weder uns noch Alle sich untereinander kennen. Dann glauben sie auch immer, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, und thun ihre Pflicht, bis ihnen Pflichtüben zur andern Natur wird. Überhaupt, je unbekannter und stiller wir wirken, um desto sichrer können wir des Erfolgs unsrer Unternehmungen seyn, um desto weniger können uns die Bösen, gegen deren Interesse wir handeln, entgegenarbeiten.

So wie aber Alle zu Unterstützung eines Einzigen bereit seyn müssen, so sollen sie sich auch ebensofest aneinanderschließen gegen Den, der es wagt, Einen von uns oder unsern Bund überhaupt anzutasten. Man erinnere sich nur, wie geschickt die Jesuiten waren, ihre Anhänger durch öffentliche Blätter und Gerüchte ausposaunen zu lassen, ihre Feinde hingegen an den Pranger zu stellen, zu verschreien, zu verfolgen, sie in allgemein bösen Ruf zu bringen, Mißtrauen gegen sie zu erregen, ihre Handlungen und ihre Schriften herabzusetzen, bis sie ihnen das Maul gestopft hattenNämlich, wer sich's wollte stopfen lassen! . Weit entfernt, diese satanischen Operationen (worin gewisse andre Gesellschaften oder wenigstens einzelne Mitglieder dieser Gesellschaften noch heut zu Tage stark sind) vorzunehmen, können wir doch daraus manche Klugheitsregel zum Guten abstrahieren.

Befolgen wir dies alles, wissen wir da, wo es nöthig ist, Pfaffen, Weiber und die gelehrten Schreier, Journalisten und Aufklärungssüchtigen auf unsre Seite zu bringen, dann werden wir bald alles, alles ausrichten können. Aber es ist nöthig zu sagen, was wir denn eigentlich ausrichten und was wir in den verschiedenen Klassen der Verbindung treiben wollen – – Denn jedes unsrer Mitglieder muß thätig seyn zu dem allgemeinen Besten, je nachdem es Lust, Neigung, Geschick hat und durch seine bürgerlichen Verhältnisse dazu in den Stand gesetzt ist, und jede Klasse muß ihre bestimmte, angewiesene Arbeit haben, die eine sich mit scientifischen Dingen, die andre bloß mit Menschenkenntnis, die dritte bloß mit Bildung der Zöglinge, die vierte mit politischen Zwecken u. s. f. beschäftigen. Über jedes dieser Fächer müssen sich die Berichte bey uns konzentrieren und die Mitglieder von hier aus mit den genauesten Instruktionen versehn werden.

Also: Unser letzter Zweck soll der seyn: die Menschen, die mit uns in Bündnis treten, frey und glücklich zu machen und durch sie der ganzen Menschheit wieder aufzuhelfen. Niemand aber ist frey, als wer wenig Bedürfnisse hat; folglich müssen wir zuerst unsre Zöglinge dazu anführen, wenig zu begehren, wachsam auf ihre Leidenschaften, mäßig, genügsam und selbständig zu seyn und dadurch von Menschen, von Schicksalen und von der Meinung des großen Haufens unabhängig zu werden. Glücklich ist niemand, als wer Meister ist über seine Leidenschaften; desfalls muß moralische Vervollkommnung unser zweites Augenmerk seyn. Diese kann nicht Statt finden ohne geläuterte Vernunft; denn Verirrung vom glücklichmachenden Wege der Tugend entsteht nur aus Mangel an Einsicht. Wer aufgeklärt genug ist, seinen wahren Vortheil zu kennen, der wird gewiß immer rechtschaffen, gerecht und weise handeln. Beförderung allgemeiner Aufklärung muß also unser drittes Augenmerk seyn; und weil dieser Aufklärung alle mögliche Arten Vorurtheile im Wege sind, so müssen wir uns die Bekämpfung derselben angelegen seyn lassen. Es steht aber bey aller Aufklärung des Verstandes der moralischen Vervollkommnung dennoch manches andre Hindernis in der wirklichen Welt entgegen, und zwar besonders das Übergewicht, welches bis itzt die Bösen und Dummen über die Guten und Weisen gehabt haben, so daß Tugend bis dahin nur Verleugnung, Aufopferung gewesen und kein zeitliches Glück gewährt, sondern vielmehr nicht selten tödliche Verfolgung nach sich gezogen hat. Um nun der Rechtschaffenheit wieder das Übergewicht zu verschaffen, ihr mehr äußern Reiz zu geben und jedem guten und weisen Manne den Preis seiner Veredlung, zeitliches Glück und Ruhe zusichern zu können, muß unser viertes Augenmerk seyn, uns zu verstärken und Macht über die Bösen zu bekommen. Dies darf nicht durch gewaltsame Mittel geschehen; wir dürfen uns keine Empörungen erlauben, auf keine Art in die Rechte der Staaten greifen, aber wer kann es uns wehren, und ist es nicht vielmehr, wenn wir gute Bürger seyn wollen, unsre Pflicht, vernünftige Grundsätze auszubreiten, das Gute zu befördern, das Böse zu hindern, junge Leute für die bürgerliche Gesellschaft zu bilden, Männer, deren Verdienste wir kennen und erprobt haben, durch unsre Vorsprache an die Spitze der Geschäfte im Staate zu setzen, ihnen Gelegenheit zu geben, Glück zu verbreiten? In diesen großen Plan aber, der die Wohlfahrt unsrer Mitglieder und der ganzen Welt und die Aufklärung zum Gegenstande hat, gehört natürlicher Weise auch die Sorgfalt für die Beförderung und den Flor der Wissenschaften und Künste, und dies muß daher unser fünftes Augenmerk seyn. Wir müssen die geschicktesten Männer aus allen Fächern in unsern Bund zu ziehn suchen, unermüdet durch unsre Leute forschen, grübeln, aufspüren lassen, damit wir in den Besitz der seltensten Kenntnisse aller Art kommen und auch von dieser Seite unser Unterricht Jeden befriedigen möge. Kömmt es aber darauf an, in irgendeinem wissenschaftlichen Fache etwas aufzusuchen, so müssen auch darin, wie in allem Übrigen, alle Mitglieder bereit seyn, für Einen zu sammlen und zu arbeiten, wenn sie auch den Mann nicht kennen, für den sie arbeiten.

Endlich aber ist alles daran gelegen, daß wir selbst uns gegen den Mißbrauch der Gewalt waffnen, welche wir nach und nach bekommen werden, damit unsre versteckten Leidenschaften uns nicht verleiten, ebenso wie die bisherigen Lehrer und Regierer unsre Macht zu Unterjochung und Täuschung Andrer anzuwenden; und da müssen wir dann nicht nur immer an uns selbst arbeiten, prüfen und den esprit public in uns erhalten, sondern auch uns so die Hände binden, daß Keiner ohne den Andern willkürlich Einen Schritt thun könne, sondern daß wir uns stets einander kontrollieren und bewachen.

So wird dann dies große Werk zwar nicht bey unsern Lebzeiten, aber für die folgenden Generationen zu einem unzerstörbaren Gebäude werden. Jedermann wird zum Besten des Ganzen handeln und dasselbe immer vor Augen haben. Aller Privateigennutz wird aufhören. Die durch uns erzogenen Menschen werden wenig begehren und dies Wenige leicht ohne Beleidigung Andrer erhalten können. Despotismus und Betrug werden aufhören, indem die Triebfedern, durch welche diese Ungeheuer bis itzt ihre Gewalt ausgeübt haben, nämlich Luxus, Begierlichkeit, Aberglauben, Verfinsterung und Vorurtheil, von der Erde verschwinden; alle künstlichen Maschinerien werden wegfallen; ohne alle äußere Gewalt werden alle Staatsverfassungen aufhören; die Welt wird deren nicht mehr bedürfen; jeder Erwachsene wird sich selbst, jeder Hausvater sein Haus, Tugend und Weisheit werden sie Alle regieren; die Menschen werden nicht durch kleine bürgerliche und Familienbande voneinander abgesondert werden; sie werden nur Eine glückliche Familie ausmachen; Frieden und Ruhe werden allgemein herrschen, und dann erst wird die christliche Religion, welche alle Menschen lehrt, sich als Brüder zu betrachten, allgemein und recht verstanden seyn und das verheißene goldene Zeitalter, das ewige Reich, über den ganzen Erdboden verbreitet werden.«


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