Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Fünfzehntes Kapitel

Seelbergs Geschäfte mit seinem Vormunde waren bald abgethan. Der rechtschaffene Mann hatte besser gewirthschaftet, als nur einmal der Mündel hätte erwarten können. Seine Güter, freilich nur zur Hälfte so beträchtlich als ehemals, waren doch schuldenfrey, und, was noch mehr ist, die Verwandten, welche durch den gewonnenen Prozeß in den Besitz der andern Hälfte gekommen waren, hatten eine beträchtliche Summe Geldes herausbezahlen müssen, welchen Umstand der kluge Vormund dem jungen Herrn verschwiegen und das Geld als einen Nothpfenning sorgfältig zurückgelegt hatte. Dieser Nothpfenning kam itzt grade zu gelegener Zeit; er reichte hin zu Bezahlung der akademischen Schulden, zu neuer Equipierung und die zu der anderthalbjährigen Reise bestimmten Kosten zu bestreiten. Auch wurde sogleich Anstalt zu Antretung dieser Reise gemacht; Seelberg ging deswegen zuerst nach Leipzig zurück, und sein angelegentlichstes Geschäft bey seiner Ankunft in dieser Stadt war, den Juden aufzusuchen und denselben zu befriedigen. Es versteht sich, daß er kaum eine Stunde im Gasthofe zubringen konnte, ohne daß unser Herr von Leuchtenburg von seiner Anwesenheit unterrichtet gewesen wäre; und da Dieser noch immer nicht wußte, wie die Sache mit Seelbergs und Luisens Bekanntschaft zusammenhing, und er doch einmal alles wissen mußte, so suchte er die persönliche Bekanntschaft unsers Helden zu machen. Dies erlangte er leicht an der Wirthstafel, und da fragte er dann so lange und drehete und wendete das Ding herum, bis er erfuhr, was er erfahren wollte, welches ihm um so weniger schwer wurde, da Seelberg dies für eine sehr gleichgültige Sache hielt und überhaupt von Natur nicht sehr zurückhaltend war. Auch entdeckte er dem Frager ohne Bedenken die jetzige Lage seiner Umstände und seinen Vorsatz, fremde Gegenden zu sehn, indem er hinzufügte: er wünschte, zu Verringerung der Unkosten, einen Gesellschafter zu finden, der mit ihm die Reise machte und einen Theil des Aufwandes bestritte. Leuchtenburg hatte wirklich die Absicht, in kurzer Zeit den nämlichen Plan auszuführen. Er war sein eigener Herr, nicht sehr reich, doch ziemlich vermögend und ein überaus guter Wirth. Diese Gelegenheit schien ihm zu vortheilhaft, als daß er sich nicht gleich hätte anbieten sollen, der Reisegefährte zu werden, und da er, wie alle Leute seiner Art, ein geschmeidiges Mundwerk führte und die Gabe hatte, auf kurze Zeit einzunehmen, Ludwig auch im Grunde keinen Freund, sondern nur einen Gesellschafter und einen Menschen suchte, der mitbezahlen konnte, so wurden sie bald ihres Handels einig. Ein paar Erkundigungen in der Stadt nach Leuchtenburgs Umständen waren hinlänglich (indes auch Dieser den Juden über den Punkt der empfangenen Bezahlung und den Wirth in Ansehung der Schwere der von Seelberg mitgebrachten Chatulle ad articulos vernommen hatte), die Sache richtig zu machen. Um noch völlig das Zutrauen seines Reisegefährten zu gewinnen, konnte sich endlich der Herr von Leuchtenburg nicht enthalten, Seelbergen, doch auf seine eigene Manier, im engsten Vertrauen die Geschichte von des Grafen Storrmann Durchreise durch Leipzig und wie derselbe bey dem Juden für ihn gutgesagt hätte, zu erzählen – Auf seine eigene Manier, denn nicht nur gedachte er mit keinem Worte Luisens und des zärtlichen Antheils, den Diese an der Begebenheit genommen, sondern er drehete auch die Sache auf eine Art (die solchen Personen sehr gewöhnlich ist, denn sie wollen alles gethan haben), daß die ganze Ehre der Handlung auf ihn selbst fiel: »Ich erfuhr«, sagte er, »von Ungefähr, daß Sie in Verlegenheit wären. Ich war grade nicht bey Gelde, und doch konnte ich es unmöglich zugeben, daß ein Mann von Ihrem Stande, Charakter und Vermögen einer solchen Kleinigkeit wegen unruhige Stunden haben sollte. Ich wendete mich also an meinen Vetter, den Grafen Storrmann, der grade hier durchreisete, und bat ihn, mich zu meinem Vorhaben durch seine Bürgschaft zu unterstützen. Ich wurde angenehm überrascht, als ich erfuhr, daß Sie alte Bekannte zusammen wären. Indessen wollten wir Beide nicht gern, daß Sie für einen so geringen Dienst uns danken sollten; daher wurde dem Juden befohlen, unsre Namen zu verschweigen. Zudem konnte sich der Graf nicht hier aufhalten – Sagen Sie nichts, mein Lieber! von Verbindlichkeit! Das kleine Häuflein der bessern, festen Männer muß sich einander beistehn – Und was ist denn das elende Geld in der Welt? Sie würden gewiß nicht weniger für einen andern Biedermann gethan haben.« Ludwig dankte, wie sich's versteht, seinem neuen Freunde für diese scheinbare Großmuth und war um so geneigter, ihm das ganze Verdienst davon zuzuschreiben, da er sehr kalt und mißtrauisch gegen Storrmann geworden war, theils durch die vor Zeiten von den beiden Livländern gegen denselben empfangenen widrigen Eindrücke, theils dadurch, daß Dieser gänzlich den Briefwechsel mit ihm abgebrochen hatte und nun sogar in der nämlichen Stadt zugleich mit ihm gewesen war, ohne ihn aufzusuchen, obgleich er die Ursachen von diesem Allen leicht in seiner eigenen Aufführung hätte finden können, wenn solche Menschen gerecht genug wären, dergleichen Betrachtungen anzustellen.

Es kam nun noch darauf an, festzusetzen, was für Städte und Länder unsre beiden Reisenden besuchen und welchen Weg sie nehmen wollten. Unter Leuten, die einen bestimmten Gegenstand zum Zweck ihrer Reise machen – und das sollte doch billig bey Jedem, der seine Heimath verläßt, um in fremden Gegenden umherzufahren, der Fall seyn – ist es freilich eine große Frage bey der Wahl eines Reisegesellschafters, ob den Gefährten grade die nämliche Absicht wie uns zum Auswandern bewegt und ob er diese seine Absicht auf unserm Wege gleichfalls erreichen kann. Allein bey jenen Beiden fiel diese Bedenklichkeit weg. Ludwig reisete mit der sehr gewöhnlichen, aber höchst unbestimmten Idee aus: Menschen zu sehn – gleich als wenn es nicht dabey wieder sehr verschiedene Arten, Zwecke, Gegenstände und Gesichtspunkte gäbe, zum Beispiel: den intellektuellen, den moralischen, den physischen, den in bürgerlichen Verbindungen lebenden, den korrumpierten, den religiösen, den ländlichen, den industriösen, den Handel treibenden, den gelehrten, den thörichten Menschen und unzählige andre Rücksichten, worauf der Beobachter sein Augenmerk heften kann – Leuchtenburg aber zog eigentlich nur auf das Anekdotensammlen aus, welches ein ebenso schmutziges und nicht so nützliches Geschäft als das Lumpensammlen und eine in unsern tadelsüchtigen Tagen nicht weniger übliche Art zu reisen ist, die aber wahrlich unserm Zeitalter nicht viel Ehre macht, wenngleich sie uns Reisebeschreibungen in dicken Bänden liefert. Man hat, glaube ich, kein Beispiel in alten Zeiten, daß ein einziger Mann, nachdem er in einigen Monaten einige fremde Länder durchrennt wäre, es gewagt hätte, nachher entscheidend zugleich von dem Zustande der Literatur, der Regierung, der Religion, der Künste, der Industrie, kurz! von Allem Nachricht zu geben – Das war unsern erleuchteten Zeiten vorbehalten. Freilich ist dies der sicherste Weg, wenn man seine herumschweifende Aufmerksamkeit auf so vielerley Arten von Dingen ausdehnt, in allen Örtern der Welt Stoff zu finden, ein leeres Gehirn und eine leere Schreibtafel zu beklecksen; allein das Herz wird durch solches Reisen nicht gebessert, der Kopf hingegen mit einem Chaos verwirrter Bilder angefüllt, und da bey der Menge der verschiedenen Gegenstände unmöglich alles genau geprüft werden kann, so wird Manches schief gesehn, grundfalsch oder wenigstens unbestimmt aufgeschnappt und der Welt wiedererzählt, wozu noch kömmt, daß ein solcher fahrender wilder Anekdotenjäger gewöhnlich ein Augenglas mit auf den Weg nimmt, welches aus einer geschmolzenen Komposition seiner Lieblingsideen geschliffen ist und durch welches er den Himmel und die Erde in allen Zonen beschauet, da dann dieser würdige, allsehende Polyhistor in allen Ecken sieht, was er darin sehn will, indem sein Glas die Gegenstände, von denen er nichts versteht, in solche Formen prismatisch umschafft, daß sie zu den Kindern seiner Fantasie passen. So findet der Mann, der von Regentenkritik angesteckt ist und aus Journalen erfahren hat, daß in einem gewissen Lande die Regierung sorglos und inkonsequent sey, wenn er in dies Land kömmt, tausend Dinge zu tadeln, die in seinem Vaterlande grade eben also sind, nur daß er dort nie achtsam darauf gewesen, weil Staatskunst nicht sein Fach war. Ich könnte ein paar sehr treffende Beispiele von der Art aus ganz neueren Zeiten anführen, wenn ich Lust hätte, mich ein wenig mit ungeschliffenen Halbgelehrten herumzuschimpfen, und wenn ich nicht in meiner Erzählung weitereilte – Also kurz! Beiden, Seelbergen und Leuchtenburgen war es ziemlich gleichgültig, welchen Weg sie nehmen möchten, daher beschlossen sie, durch Sachsen und Böhmen nach Österreich, von da durch Bayern, Schwaben, Franken und die Rheingegenden nach Frankreich, zuletzt aber nach Italien zu gehn. Seelberg bezahlte erst in Göttingen seine Schulden, wurde dort von seinem Gesellschafter aufgesucht und fuhr mit demselben und einem Jäger Namens Triller ab.

 
Ende des ersten Theils.


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