Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Zehntes Kapitel

Einförmiger und unthätiger kann nichts erdacht werden, als nun das Leben war, welches Seelberg mit seiner Frau und seinem Schwiegervater führte – Doch möchte es immerhin thatenleer und ohne Abwechselung gewesen seyn, wenn es nur übrigens ein glückliches Leben gewesen wäre! Aber, leider! war es das gar nicht, und schon vor Ablauf des ersten Jahrs dieser Ehe, binnen welcher Zeit Ernestine ihrem Mann einen jungen Sohn gebar, zogen sich neue Kummerwolken über Seelbergs Haupt zusammen.

Das fromme Weibchen, das als Mädchen so sanftmüthig und geduldig schien wie ein Lamm, auch wirklich bey jedermann, der es nicht täglich fortgesetzt sah, dafür galt, einen milden Charakter zu haben, hatte darum nicht weniger ihr Köpfchen und schlimme Launen in Augenblicken, wo vielleicht der böse Feind auf Versuchung der Heiligen ausging. Da sie selbst sehr reine Sitten hatte, so war sie auch äußerst strenge und unduldsam gegen fremde Fehler, lästerte nicht eigentlich, sah es aber gern, wenn Andre lästerten, nahm dann menschenfreundlich die Parthey des Gelästerten, wußte indessen doch der Unterredung eine solche Wendung zu geben, daß immer mehr üble Seiten desselben aufgedeckt, doch auch gleich wieder zugedeckt wurden, nachdem man einen halben Blick darauf geworfen hatte. Gegen ihr Gesinde wurde sie von Tage zu Tage unfreundlicher, und da sie auf einmal aus einer Kaufmannstochter eine vornehme Dame geworden war, so schwellte das ihr frommes Herz dermaßen auf, daß sie sich als ein Wesen höherer Art und die Domestiken als niedrige Kreaturen ansah, bestimmt, in Abhängigkeit, Unterwürfigkeit und Druck zu leben, wobey dieselben noch dazu kärglich bezahlt und schlecht in Speise, Trank und in Allem gehalten wurden. Sie ließ sich vom Morgen bis zu dem Abend aufwarten, that auch nicht das kleinste Geschäft selbst, saß, als wenn sie an allen Gliedern lahm gewesen wäre, auf ihrem Sopha, ließ sich Schuhe und Strümpfe anziehen, und wenn ihr Mann ihr desfalls Vorstellung that, so antwortete sie: »Wozu hat man denn die Leute, wenn ich mich selbst bedienen soll?« Überhaupt schien es, als glaubte sie, sie dürfe nur sich selbst leben, und andre Menschen seyen ihretwegen auf der Welt, denn nie kam ihr der Gedanke ein, ihrem Gatten dadurch eine frohe Existenz zu verschaffen, daß sie sich nach seinen Neigungen richtete, insofern diese nicht mit den ihrigen übereinstimmten, daß sie sich nach seinem Geschmacke gebildet, ihn aufzuheitern, zu unterhalten, zu interessieren gesucht hätte, seinen Wünschen zuvorgekommen wäre, nein! sie erwartete das Alles von ihm, saß da in phlegmatischer Ruhe und genoß, ohne mitzutheilen. War Seelberg durch Kränklichkeit oder kleine verdrießliche Vorfälle, denen auch der Einsame nicht gänzlich ausweicht, verstimmt; wandelten ihn in manchen Augenblicken Mißmuth und Unzufriedenheit mit der Welt an, so ließ sie ihn laufen und machte ihm noch wohl Vorwürfe obendrein. Freuete er sich und wünschte, sie möchte Theil nehmen an seiner Zufriedenheit, so blieb sie kalt oder ließ gar ein Wörtchen fallen, das auf einmal einen dunkeln Schatten auf das schönste Gemälde der Fantasie warf. Klagte er ihr sein Leiden, so half sie nicht tragen, sondern erschwerte seinen Kummer durch reiche Darstellung aller ersinnlichen, mit diesem Vorfalle verbundenen, nahe und entfernt, wahrscheinlich und unwahrscheinlich, möglich und unmöglich zu erwartenden Folgen. Zu Allem wählte sie daher den unbequemsten Zeitpunkt. Wenn Ludwig Aufmunterung bedurfte, so war sie stumm, machte ihm Langeweile und beklagte sich, daß er sie nicht unterhielte, und war er fröhlich, so stellte sie ihm irgendein unangenehmes Bild vor die Augen. Kleinigkeiten, die er gern so und nicht anders in seinem Hause eingerichtet wissen wollte, Speisen, die er lieber so als auf andre Art zubereitet aß, wurden auf alle mögliche, nur zum Unglücke nicht auf die Weise, wie er sie gern sah, besorgt. Und dies alles that sie nicht aus Bosheit; aber ihr melancholisch-phlegmatisches Temperament, eine gewisse Schlaffigkeit, Stumpfheit des Geistes, Talentlosigkeit und Mangel an feinem Gefühle und an Erziehung brachten das so mit sich, daß sie unthätig war, wo sie hätte handeln, sorglos, wo sie hätte aufmerksam, ängstlich, wo sie hätte ruhig seyn sollen, daß sie alles schief anfing und durchaus immer an dem Gegentheile von demjenigen Geschmack fand, was ihrem Gatten Vergnügen machte, im Grunde auch ihrem Manne wenig wahre Zärtlichkeit bezeugte.

 

Übrigens muß ich dem alten Odenfeld die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er seine Tochter in diesen Anlagen, Seelbergen das Leben sauer zu machen, nicht nur gar nicht bestärkte, sondern im Gegentheil, wenn er dergleichen gewahr wurde, ihr ernstlich zuredete. Allein der gute Mann wurde nicht viel gewahr in der Welt, war sehr schwach an Verstande, folglich eben kein feiner Beobachter, und kaum hatte er auch anderthalb Jahre hindurch bey seinen Kindern gelebt, als er sich hinlegte und sanft entschlief. Dieser Todesfall machte Ernestinen noch doppelt unleidlich; Seelberg mochte ihr auch noch so liebreich begegnen, so meinte sie immer, er bezeuge ihr nicht mehr so viel Aufmerksamkeit seit der Zeit, da ihr Vater nicht mehr lebte. Sie fing an karg zu werden, und obgleich ihr Mann ein guter Wirth war und nichts unnütz ausgab, so hatte sie doch immer den Argwohn, er verschwende heimlich Geld. Bey aller Gottesfurcht und theoretischen Demuth war sie unerhört ehrgeizig und eitel. Wo es darauf ankam, diese beiden Leidenschaften zu kitzeln, da sparte sie keinen Aufwand; aber sie wurde auch ebensooft von dieser Seite gekränkt, denn wenn irgendein Nachbar ihr einen Bückling zu wenig gemacht oder die Gräfin Storrmann in einem Briefe an Seelberg vergessen hatte, ein Kompliment an sie zu bestellen, dann war Feuer im Dache, und der arme Mann mußte dafür büßen. Übrigens bekümmerte sie sich um das Hauswesen und um ihren Sohn, so wie derselbe heranwuchs, gar nicht, erfüllte also eigentlich keine einzige hausfrauliche Pflicht als die, für die Familie zu beten.

Seelberg war, wie wir wissen, von feuriger Gemüthsart; als er daher die Glückseligkeit nicht fand, die er gesucht hatte, wurde er im zweiten Jahre ein wenig mißmuthig und niedergeschlagen. Dann fing er nach und nach an, bey einzelnen Vorfällen seiner Frau Vorstellungen zu machen, bat, flehete, kam auch wohl in Zorn; allein was gewann er dadurch? Heftig antwortete sie ihm selten, aber sie fing dermaßen an zu heulen, zu winseln, ihm vorzuwerfen, wie haushälterisch, wie sparsam, wie tugendhaft sie sey, wie unbillig er aber mit ihr umgehe, wie so erpicht auf Kleinigkeiten er wäre, wie er alles so genau nähme – Kurz! es waren alle Vorstellungen vergebens; auch wenn sie heilig versprach, sich anders zu betragen, so hatte sie doch das Ding eine Stunde nachher schon wieder vergessen – Er behielt die Freiheit zu toben und zu lärmen, und sie, zu thun, was ihr beliebte, wodurch dann zuletzt, nach drey bis vier Jahren, jeder Schatten guter Laune von ihm wich. Aus Verzweiflung fing er nun an, mehr als jemals die Goldmacherey zu treiben, und da kann ich es nun nicht verhehlen, daß er ohne Ernestinens Wissen (die übrigens aus Geldgier ganz gern sah, wenn ihr Mann vor dem Schmelzofen saß) manche kleine Summe zum Schornstein hinausjagte. Um aber sein Unglück vollkommen zu machen, fuhr nach sechsjähriger Ehe noch der Eifersuchtsteufel in die Frau von Seelberg. Ungeachtet Ludwig ein Mann war, von dem auch nicht ein einziger Mensch sagen konnte, er gäbe durch seine Aufführung Gelegenheit zu solchem Argwohn, ungeachtet er schon zwischen dreißig und vierzig Jahren alt, folglich über die Periode, wo die Begierden am heftigsten toben, hinaus war, ungeachtet sie beinahe mit niemand umgingen und Seelberg von seiner ersten Jugend an gewöhnt gewesen war, ohne Gefahr mit viel liebenswürdigern Frauenzimmern umzugehn, als auf zehn Meilen Weges im Umkreise seinem Gute nahe wohnten, so hinderte doch das alles nicht, daß seine Frau ihn fähig hielt, jeder Dienstmagd oder jedes andern Frauenzimmers wegen, das er etwa einmal mit absichtloser Aufmerksamkeit angesehn oder mit welchem er einmal freundlich geredet, ihr untreu zu werden.

Es gibt eine Art von Eifersucht unter Geliebten und Freunden, die von der wohlthätigsten, sanftesten Natur ist. Wenn man so mit ganzem Herzen an jemand hängt und keine größere Glückseligkeit kennt als die, eben so warm, eben mit so gänzlicher Hingebung wiedergeliebt zu werden, o! dann beunruhigt uns zwar so leicht ein Schatten von Argwohn, man könne etwas versehn haben, das uns in des theuren Gegenstandes Augen herabsetzte unter andre Menschen; dann zittern wir bey dem Gedanken, es könne unter so viel liebenswürdigem Leuten, als wir sind, Einer stärkern Eindruck auf ihn machen als wir. Der Gedanke, alsdann ein so unschätzbares Gut zu verlieren, als die ausschließliche Zärtlichkeit einer Person war, ohne deren Besitz wir kaum glauben athmen zu können, nagt an uns. Aber man bietet dann auch alle Kräfte auf, wacht über sich, sucht jeden äußern und innern Fehler an sich zu verbessern, um zu wetteifern auch mit den Besten unter denen, die dem Freunde zu gefallen trachten und die oft nur erborgte Reize und verstellte Tugenden aufbieten. Man ist dann ganz Aufmerksamkeit, Gefälligkeit, lebt nur für ihn, damit sein Herz ihm sage: »Wenn auch Andre schöner, muntrer, angenehmer scheinen als Er, als Sie, so liebt mich doch Keiner so wie Er, so wie Sie« – Und welche Wonne, wenn eine dankbare Zähre im Auge des Geliebten, eine zärtliche Umarmung uns jeden Zweifel, jedes Mißverständnis hebt, jede Furcht und Besorgnis verscheucht! Auch kann eine solche Eifersucht nicht mehr Statt finden unter Personen von Grundsätzen, die viel Jahre hindurch miteinander einträchtig und gründlich gelebt, sich kennengelernt, als treue Gefährten manche Wonne und Plage des Lebens gemeinschaftlich getragen haben und deren Umgang, deren Freundschaft Bedürfnis für Beide geworden ist. Die Ruhe des Einen macht das Glück des Andern aus, und welcher Fremde könnte ihnen ersetzen, was sie sich schuldig geworden sind?

Wenn aber ein Drache von Weibe, der sich etwas darauf zugut thut, durch priesterliche Einsegnung ein ausschließliches Recht erlangt zu haben, einen ehrlichen Mann als sein Eigenthum anzusehn und ihn nach Gefallen zu peinigen, zu martern, wenig darum bekümmert, ob sie ihm länger als in den ersten Wochen wollüstiger Berauschung gefallen könne, wenig darum bekümmert, seine dauerhafte Hochachtung zu verdienen, nur mit dem Gedanken erfüllt: »Der Kerl ist mein, und wenn er mir ein anders Mensch anblickt, so soll es ihm übel bekommen!« Wenn dann ein solches Weib, in Jahren, wo weder ihr eigenes Temperament noch Gelegenheit, noch fremde Ansprüche auf ihre verjährte Tugend losstürmen, sich etwas auf diese strenge, nie in Versuchung geführte gute Aufführung einbildet und verlangt, ihr Mann solle für kein anders lebendiges Geschöpf auf der Welt Achtsamkeit und Wohlwollen empfinden als für sie; wenn er es dann nicht mehr wagen darf, seine Augen aufzuschlagen oder mit Theilnehmung auf einen andern Gegenstand zu heften, ohne Gefahr zu laufen, von ihren ausspähenden Furienblicken versteinert zu werden; wenn strenger, exemplarischer, untadelhafter Lebenswandel, allgemeine Achtung der Bessern, zehnjährige Treue, Sorgfalt und Aufopferung den redlichen Mann nicht dafür sichern können, von seiner theuren Hälfte um eines freundlichen Worts Willen, das er einem andern Frauenzimmer sagt, für einen Ehebrecher gehalten zu werden – Dann schwinden Gemüthsruhe, Freundlichkeit und froher Sinn, und es gehört wahrlich viel Kaltblütigkeit oder viel Verleugnung und Philosophie dazu, nicht Widerwillen und Ekel gegen ein so undankbares, niedriges Geschöpf zu empfinden, endlich aus Verzweiflung, da doch nun einmal sein Werth nicht erkannt, seine Treue in Zweifel gezogen wird, zu Ausschweifungen verleitet zu werden, an welche man sonst nie gedacht hätte, und in den Armen einer Buhlerin oder bey vollen Bechern sein Ungemach und seine Höllenplagen zu vergessen.

In diese Lage war Ernestine bemühet, ihren Gatten zu setzen, und hätte er die schöne Alchymie nicht getrieben und bey seinen Tiegeln die Grillen nicht vergessen, so glaube ich, ich würde schlimme Dinge von ihm zu erzählen haben. Die Andächtige legte nun auch alle Sanftmuth ab, tobte und lärmte im Hause wie ein Türke, jagte alle Mägde aus dem Dienste, die nicht häßlich wie die Erbsünde waren, und fand doch nie Eine, die abscheulich genug ausgesehn hätte, sie von dieser Seite gänzlich zu beruhigen.

War Seelberg hierdurch in einen bedauernswürdigen Zustand versetzt, floh jede Freude, jeder Genuß des Lebens von ihm, sunk seine Gesundheit und wurde wandelbar und hinfällig durch immer fortdauernden, nagenden Kummer, so hatte doch dies Übel wie jedes andre in der Welt wiederum seine sehr nützliche, wohlthätige Seite. Nicht nur machte es ihn mitleidiger, theilnehmender bey dem häuslichen Unglücke Andrer und gewöhnte ihn an Geduld in unvermeidlichen Leiden, sondern es heilte ihn auch nach und nach von seiner Pietisterey, indem er an dem Beispiele seiner eigenen Frau sah, was er in so viel andern Fällen nicht hatte wahrnehmen wollen, nämlich, daß äußere Andacht und innere Herzensgüte oft nicht vereinigt sind und daß das mechanische Beten und Frömmeln nicht immer die Menschen besser und stärker macht, ihre heiligen Pflichten zu erfüllen. Endlich auch wirkte dieser Kummer so sonderbar auf seine Stimmung, daß er aus der Geistesschlafsucht, in welche er versunken gewesen, aufgeschreckt wurde, denn so wie Leiden, welches wir in der Welt erleben, uns mehrentheils in die Einsamkeit treibt und uns fester an unsern Familienzirkel knüpft, so jagt häuslicher Kummer hinaus in die Welt, Freude auswärts zu suchen, die wir daheim nicht finden. Als er daher sah, daß alle Schonung und alle Vorstellungen bey Ernestinen fruchtlos waren, beschloß er, ihrem Anblicke auf einige Zeit sich zu entziehn und, zugleich zu Herstellung seiner Gesundheit, eine kleine Reise in ein Bad vorzunehmen. Er fuhr im Junius nach Wiesbaden; allein kaum hatte er acht Tage dort zugebracht, als ein Eilbote von Hause ihm die Nachricht brachte, seine Frau sey gefährlich krank. Er versäumte nun keinen Augenblick, zu ihr zurückzukehren; aber sie war schon gestorben, als er ankam; eine heftige Kolik, die von einer Unverdaulichkeit herrührte, hatte ihrem Leben auf eine so schnelle als schmerzhafte Art ein Ende gemacht.

Ich will nichts von den Empfindungen sagen, die Seelberg bey dem Tode seiner Gattin fühlte. Gleichgültig war ihm der Verlust nicht; zwar hatte sie ihn nicht glücklich gemacht, aber sie war doch sieben Jahre hindurch die Gefährtin seines Lebens gewesen, und bey gutgearteten Gemüthern löschen Entfernung und Tod leicht die nachtheiligen Erinnerungen aus und erheben manches verkannte Gute.


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