Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Kapitel

Wir haben im vorigen Kapitel gehört, daß Alwerth sich ganz zu einem Jesuiten gebildet hatte, haben gehört, daß bey ihm natürliche Anlage, Temperament, erste Erziehung und äußere Verhältnisse, kurz! alles sich vereinigte, seinen Charakter nach dem Ideale zu bilden, das er sich zur Nachahmung vorgestellt hatte. Mit Seelberg war es nicht ganz so beschaffen. Das Äußere davon nahm er zwar an wie jede andre Form, zu welcher er sich modeln wollte; allein die Eindrücke, die er in der frühen Jugend bekommen hatte, sein zu sanguinisches Temperament und ein gewisses moralisches Gefühl, das gegen manche harte Weltbeherrscherssätze sich empörte und ihn oft unwillkürlich auf einen bessern Weg hinzog, als der war, den ihm der immer kalkulierende, vorauslauschende Geist des Jesuitismus vorschrieb, durchkreuzten manche von Alwerth so listig ausgesonnene Pläne. Es fehlte ihm auf keine Art an der Gabe, die Menschen zu gewinnen; er war ein hinreißend angenehmer Gesellschafter, wo er es nöthig fand Schmeichler, Stutzer, Beförderer der schönen Künste; aber eben diese hübschen Talente und Liebhabereien führten ihn auch oft weiter, als sie sollten, und statt daß Alwerth zu allen Zeiten aus sich zu machen wußte, was er jedesmal nach den Umständen nöthig fand, so war Jener mehrentheils tout de bon, was er war, ließ sich hinreißen durch Geselligkeit, Tanz, Musik, und dann öffnete sich sein Herz, dann verließ ihn die so nöthige Achtsamkeit, Verschlossenheit und Wachsamkeit. Alwerth war mehr Meister über sich, ertrug alle Arten von Menschen, und dies nicht eine kurze Zeit und wenn er grade bey Laune war, sondern immer, hatte für jedermann zu allen Zeiten das nämliche sanfte, menschenfreundliche Gesicht bereit; Seelberg ermüdete leicht über solche Hingebungen, fühlte zuweilen einen nicht zu verbergenden Ekel gegen mittelmäßige, langweilige Leute und beleidigte dadurch Manche, deren er mehr hätte schonen sollen. Alwerth behielt immer den Anstrich von Simplizität und Bonhommie; Seelberg nahm äußerlich alle Sitten des Hofmanns an, versprach Jedem, der bat, auch da, wo er voraus wußte, daß er nicht würde Wort halten können, interessierte sich im Grunde des Herzens wohl für niemand als sein eigenes Ich, war äußerst frivol und also ein sehr unsichrer Freund, hatte aber doch Augenblicke, in denen er sich Freunde wünschte und sich entrüstete, wenn er die Erfahrung machte, daß vielleicht nicht Einer von den unzähligen Menschen, die sich unter ihm schmiegten, aus wahrhaftem Herzenshange ihm zugethan war, sondern daß sie nur entweder seinen Schutz erbetteln oder durch seinen Umgang sich geehrt wissen wollten. Aller Sinn für Einfalt und Natur schien in ihm erstorben zu seyn, und doch riß ihn unwillkürlich seine sanftere Gemüthsneigung, sein besserer Instinkt hin zu edlern Gefühlen. Er konnte stundenlang sich an den unschuldigen Spielen der Kinder ergötzen, ja! an ihrem Umgange Vergnügen finden. Sein ganzes Bestreben und seine Aufmerksamkeit schienen nur gerichtet auf Studium der Menschen, und doch irrte er sich jeden Augenblick in Beurtheilung der Charaktere. Alwerth war Meister über jeden Ausbruch seiner Leidenschaften, kam nie aus dem Gleichgewichte seines Gemüths; Seelberg hingegen war sehr wankelmüthig und nicht fähig, die Hauptrevolutionen, die in ihm vorgingen, zu verbergen. Sein Ehrgeiz blickte mitten aus der angenommenen Demuth und Bescheidenheit hervor. Man sah, daß er aller Orten der Erste oder der Letzte seyn wollte, und wenn er sich stellte, als verachtete er das Urtheil des großen Haufens, so las man doch auf seinem Gesichte, welchen Eindruck die gute oder schlimme Meinung Andrer auf ihn machte. Oft überraschte ihn in muntrer Gesellschaft eine Anwandlung von jener natürlichen, ungezwungenen Fröhlichkeit, die seine Mutter ihm aufgeerbt hatte und die mit dem studierten Charakter eines feinen Hofmanns sonderbar genug kontrastierte, und ebensooft entwischten ihm ebenso unschicklich kleine Satyren und Spötteleien, woran er, wie wir wissen, schon in seines Vaters Umgange den Geschmack gewann. Er verbarg es nicht, wie frey er über positive Religion dachte, statt daß Alwerth, obgleich er im Herzen nicht weniger Freigeist war, auch über diesen Punkt seiner Zunge den Zaum anlegte. Er lebte nicht so mäßig im Essen und Trinken, als ein Mann thun soll, dessen Kopf immer gleich heiter, dessen Laune immer die nämliche seyn muß. Wenn ihn jemand gekränkt oder beleidigt hatte, so konnte er sich nicht erwehren, ihn ein wenig seine Rachsucht fühlen zu lassen. Endlich sprach er auch zuviel und enthüllte dadurch wo nicht seine Pläne, doch seine Grundsätze, und machte, daß die Leute ihn zu genau kennenlernten. – Mit Einem Worte! Alwerth war schlimmer, als er schien, und Seelberg wollte schlimmer scheinen, als er war. Nun versäumte zwar Alwerth keine Gelegenheit, unsern Helden in seinem Systeme zu bestärken und auf Festigkeit bey ihm zu dringen; allein er fand täglich mehrmals Ursache, unzufrieden mit seinem Schüler zu seyn.

Indessen fingen sie ihre Operationen an. Um den Monarchen von allen Regierungsgeschäften zu entfernen, in welchen die altern Herrn vom Ministerio durch Rathgeben viel Einfluß hatten, überzeugte unser Leibarzt ihn, er müsse seiner Gesundheit wegen, die man Mittel fand, für schwach auszugeben, eine Zeitlang auf dem Lande, entfernt von aller Anstrengung des Geistes, zubringen. Dort sorgte Seelberg dafür, daß Zerstreuungen und Lustbarkeiten aller Art ihm Hang zu einem müßigen, wollüstigen Leben voll Abwechselung einflößten, welches bey Fürsten nicht schwer zu halten pflegt. Indes hatte sich der Günstling das besondre Geschäft auftragen lassen, aus solchen Dingen, die das Ministerium nicht für sich abthun konnte, dem Könige zu referieren, dagegen jedem Andern untersagt wurde, sich in ernsthaften Angelegenheiten an den Monarchen zu wenden. Hierdurch erlangte Ludwig, daß statt Eines Departements, in welchem er bis itzt gearbeitet hatte, er nun von Allem Wissenschaft bekam, daß alles durch seine Hände ging, daß er von diesen Dingen seinem Herrn grade so viel vortrug, als er nöthig fand, und daß es von ihm abhing, wann, wo und wie er dieselben vortragen wollte, folglich auch, was darauf beschlossen werden sollte.

Nachdem nun der König die angenehmsten Monate also auf dem Lande verschwelgt und gesehn hatte, daß dennoch die Staatsgeschäfte – Dank sey es der Sorgfalt des immer thätigen und geschickten Seelbergs! – ihren Gang fortgingen, so war er um so leichter zu stimmen, eine längst vorgehabte Reise durch den schönsten Theil von Europa zu unternehmen. Es versteht sich, daß die Personen, welche das Reisegefolge ausmachten, vorsichtig gewählt wurden, daß der Leibarzt unter Diesen war, daß derselbe den Monarchen nicht aus den Augen lassen und den genauesten Briefwechsel mit Seelbergen unterhalten mußte, welcher indes, mit einer ziemlich unumschränkten Vollmacht versehn, in der Residenz blieb.

Jetzt war er freilich Herr und Meister, aber jetzt, da er, sich selbst überlassen, aus seines Hofmeisters Augen war, beging er auch die großen Fehler, die ihm hernach so viel Verdruß zuzogen.

Höhere Kraftgenies pflegen nicht viel Ehrerbietung gegen alte, ehrwürdige Sitten und Gebräuche, Gerechtsame und Gesetze zu hegen, ungeachtet diesen gewöhnlich sehr weise, vielleicht nicht bey jedem ersten Anblicke merkbare, ganz von dem Volksgeist beseelte, in die Grundfeste des Reichs verwebte Ursachen die Entstehung gegeben haben. Sie stürzen gar zu gern kleiner Gebrechen wegen eine ganze Verfassung über den Haufen, ehe sie wissen, ob sie eine bessere, auf Lokalumstände und Zeitalter passende an deren Stelle errichten können, ohne zu bedenken, daß ein fehlerhaftes System, nach welchem man aus Gewohnheit und Anhänglichkeit konsequent und unveränderlich handelt, oft viel mehr werth ist als ein neues, an welchem man, wenn es nicht recht paßt, immer ausflicken muß, wäre dieses auch im Ganzen besser als das vorige. So ging es denn auch unserm Herrn von Seelberg. Er drehete um, verbesserte, verwarf und fand dann hintennach nicht nur unendliche, unübersteigliche Schwierigkeiten in der Ausführung des Neuern, sondern brachte auch den Kern der Nation, deren Verfassung er in seinem Weltregiererstiegel umschmolz, heimlich gegen sich auf. Die mehrsten alten Diener, welche Gegenvorstellungen wagten oder auch nur mit ihren lange gebrauchten alten Knochen und ein wenig phlegmatischen Temperamenten weniger schnell bey Durchsetzung der neuen Reformen waren, wurden verabschiedet, in Pension gesetzt oder zogen sich freiwillig mit Seufzen zurück. Es entstand ein allgemeines Mißtrauen, wie es in Ländern, wo Jesuitismus oder überhaupt eine gewisse unreine Politik, ein System herrscht, dessen Grundsätze nicht jedem der Geringsten vom Volke entwickelt werden können, nicht zu vermeiden ist. Auch das Beste geschah mit einem Anstriche von Mysteriosität, wie wenn nur Werke der Finsternis getrieben würden, und es schien, man mache sich ein Verdienst daraus, immer zu scheinen, als gehe man schiefe Wege – Ein vermaladeieter Ton, der an so manchen Höfen herrscht, wo man aus Allem Geheimnis macht und jedem Wirken und Handeln, – ja! wenn es noch Unthaten wären! – aber jedem muthwilligen Knabenspielwerke den Stempel der Politik aufdrückt!

Wo Zutrauen und Offenherzigkeit fehlen und Gradheit im Denken und Handeln kein Verdienst gibt, da wird jeder Antrieb zu edeln, großen Handlungen unterdrückt, jeder gute Keim erstickt, und wo in einem Staate von oben herab Verachtung dessen, was allein im Leben und Sterben Ruhe und sichern Trost geben kann, bis zu dem Volke hinunter allgemein um sich greift, wo echte Gottesverehrung nicht dem Throne zur Seite steht, nicht über den Monarchen wacht, seine Hand leitet, seinen Befehlen die höhere Sanktion gibt, nicht die Gemüther stimmt, dem segnenden Wohlthäter mit Freuden zu gehorchen, auch im Stillen, wo niemand als der höchste Richter es sieht, mit ihm zu gleichen, höhern Zwecken ihre Pflichten zu erfüllen, da verschwindet auch jedes sittliche Gefühl, Moralität sinkt, und Jeder thut für sich im Verborgenen, was er glaubt, ohne öffentliche Ahndung thun zu können – Das war denn hier der Fall! Übrigens läßt sich nicht leugnen, daß Seelberg auch mancher einzelnen guten Einrichtung die Entstehung gab, daß er auf Recht und Gerechtigkeit (nach dem gemeinen, weitern Sinne dieser Worte) hielt und daß er so wenig darauf bedacht war, sich zu bereichern, daß er vielmehr in manchen Gelegenheiten eine Uneigennützigkeit zeigte, die bey ihm, der jetzt kein Verschwender war, sondern, ungeachtet alles Aufwandes, den er machte und auch machen konnte, den Werth des Geldes recht gut kannte, in der That wohl Lob verdiente. Überhaupt kam sein ganzes Treiben und Wirken aus übelgeordnetem Thätigkeitstriebe her, aus unechtem Ehrgeize, aus dem Drange, eine Rolle zu spielen, aus falscher Ruhmgierde, aus Mangel an Sinn für wahre Größe und aus unrichtigen Begriffen von Staatskunst.

Doch es ist Zeit, daß ich auch ein paar Worte über Luisens Betragen bey diesen Schritten ihres Gatten sage. Ich habe im vorigen Kapitel erwähnt, daß ihre äußere Verhältnisse sie von beiden Theilen abhielten, in ihren Umgang denjenigen Grad von freundschaftlicher Vertraulichkeit zu mischen, der unter Eheleuten von minder vornehmer Lebensart ein Band mehr zu wahrer häuslicher Glückseligkeit ist, wo alle Zurückhaltung wegfällt, kein Geheimnis Statt hat, wo man alles gemeinschaftlich trägt und tragen hilft, sich gemeinschaftlich freuet, sich gemeinschaftlich tröstet – Ein solches Verhältnis herrschte nicht unter Seelbergen und seiner Frau. Dazu kam, daß sie ihm keine Kinder gebar, folglich auch dieser Gegenstand fehlte, der den Zirkel häuslicher Glückseligkeit enger zusammenzieht und Hausväter und Hausmütter im Mittelstande mit sanften Fesseln an ihren Familienherd festbindet. Jeder von ihnen ging also seinen eigenen Weg; die gnädige Frau brachte ihre Tage in ihrem Appartement oder auswärts in glänzenden Gesellschaften zu, der Herr Staatsminister aber tummelte sich auf seinem politischen Steckenpferde vor den Augen der ganzen Nation herum. Doch wünsche ich, man möge das nicht so verstehn, als habe eine gewisse Kälte und Gleichgültigkeit unter ihnen geherrscht; nein! in den wenigen Stunden, in denen sie sich sahen, begegneten sie sich gewiß mit aller ersinnlichen Liebe und Aufmerksamkeit. Für Luisens Herz wäre wohl eine bürgerliche Lebensart mehr gemacht gewesen; allein man gewöhnt sich an alles, und Weiber gewöhnen sich am leichtesten an das, was die Eitelkeit schmeichelt. Übrigens sprach Seelberg mit seiner Frau nie von seinen Geschäften; sie bekümmerte sich nicht darum; andre Leute wagten es nicht, sie davon zu unterhalten, der Hausfreund Leuchtenburg wollte es aus guten Gründen nicht, und so blieb es dann dem guten Weibe verborgen, in welcher gefährlichen Lage Seelberg sich befand. Auch würde es die Frage gewesen seyn, ob er den sanften Vorstellungen seiner Frau Gehör gegeben hätte, ob seine Liebe zu Luisen mächtiger gewesen seyn würde als sein falscher Ehrgeiz. Die Briefe an den Grafen Storrmann enthielten nur allgemeine Nachrichten von Wohlbefinden und Zufriedenheit, die Dieser in ebenso allgemeinen Ausdrücken beantwortete; und so ging denn unser Minister seinen Gang fort, von keinem Freunde gewarnet noch zurechtgewiesen.

Unser Herr von Leuchtenburg ließ indes nicht ab, den Hausfreund zu machen, suchte auf alle Art Seelbergs Zutrauen zu gewinnen, und da Dieser nicht so verschlossen war, als er hätte seyn sollen, und er in Alwerths Abwesenheit nicht Einen Vertraueten in *** hatte, so ließ er zuweilen im Drange von Mittheilung, wenn gigantische Entwürfe in ihm kochten, ein Wörtchen in Gegenwart dieses Ausspähers fliegen, das nicht unaufgefangen blieb – Der Leibarzt, der viel feinere Blicke in die Menschenseelen that, hatte seinen Freund oft hiervor gewarnet.

Unterdessen kam der König von seiner Reise zurück, und unser Held blieb am Ruder der Geschäfte. Alwerth hatte die feinern Triebfedern an den fremden Höfen, die er nun zum Theil mit eigenen Augen gesehen hatte, genau erforscht und Leute zu gewinnen gesucht, mit welchen man dann einen geheimen Briefwechsel anfing. Nicht zufrieden, im Königreiche alles umgekehrt, durcheinandergeworfen und seiner Willkür unterthan gemacht zu haben, verstieg sich nun auch der beiden Staatsmänner hoher Genius so weit, daß er in auswärtigen Kabinetten regieren und nach dem schönen jesuitischen Grundsatze: divide & impera! Uneinigkeit unter den Höfen und Mächten stiften wollte. Es wurden desfalls zu Gesandten und Residenten lauter Kreaturen und solche Menschen gewählt, die sich zum Spionieren und Ränkeschmieden brauchen ließen, oder, wo das nicht anging, da unterhielt man neben dem öffentlichen Gesandten noch einen geheimen, der mit besondern Instruktionen versehen war, welche mehrentheils das Gegentheil von dem enthielten, was Jenem war aufgetragen worden.

Mit dieser Art zu handeln erlangte Seelberg an einem paar Höfen, an welchen Inkonsequenz, Spaltung und schlechte Staatskunst herrschten, vollkommen den Zweck, alles nach seiner Willkür zu stimmen und zu ordnen; andre hingegen, deren Ministerium von größern Männern regiert wurde, fingen an aufmerksam zu werden und ihren Gesandten am *** Hofe Winke zu geben, damit sie auf den Herrn Minister von Seelberg achtsam seyn möchten. Unter diesen Gesandten nun waren zwey äußerst schlaue, erfahrne Staatsmänner, die bald den sichersten Weg ausfindig machten, hinter alle diese Geheimnisse zu kommen. Sie steckten sich nämlich hinter den saubern Herrn von Leuchtenburg, den ihre feine Menschenkunde ohne große Mühe für einen Schurken erkannte. Wir wissen (oder haben es wenigstens leicht vermuthen können), daß dieser Bube einen heimlichen Groll gegen Seelberg hegte, der ihm das Fräulein von Wallenholz vor dem Munde weggeschnappt hatte. Wirklich lag dieser Groll unaufhörlich im Hinterhalte und lauerte hämisch auf die Gelegenheit. Es gibt solche Menschen, die nicht im Stoß der Leidenschaft, von Zorn und Rachgier entflammt, das Böse thun, sondern die kaltes Blut genug haben, sich Zeit zu nehmen, den bequemsten Augenblick bey guter Muße zu erwarten und dann mit aller Vorsicht und Überlegung, also um so sichrer den Herzensstoß zu wagen. Einer von diesen Teufeln war Leuchtenburg – Übrigens, wie wir auch wissen, ein Mann ohne Vorurtheile, der gern alles aufklärte, entlarvte, an den Pranger stellte und daher, wie gewöhnlich die Menschen dieser Art, nicht übermäßig ekel in der Wahl der Mittel, die er anwendete, um die Dinge aufzuklären und die Personen zu entlarven. Seinem Wohlthäter und Freunde Papiere zu stehlen, zum Beispiel, um davon Gebrauch gegen denselben zu machen, das war eine kleine unschuldige List, ja! ein Aktus der Gerechtigkeit, denn alle Privatrücksichten müssen dem allgemeinen Besten weichen, und wenn diese Papiere nichts Unerlaubtes enthielten, so durfte sie ja jedermann sehn, mußte sie jedermann sehn können (wie denn wirklich die Publizität schon unendlich viel Gutes gestiftet hat). Waren aber Geheimnisse von irgendeiner Art darin enthalten, warum verwahrte der Mensch seine Papiere nicht besser?

Es würde den größten Theil meiner Leser ermüden, wenn ich Sie mit einer weitläufigen Erzählung der Hofränke unterhalten wollte, durch welche Seelberg gestürzt wurde – Nur soviel davon! Leuchtenburg entwendete seinem Beschützer Briefschaften, die derselbe aus edler Zuversicht zu seines Hausfreundes Redlichkeit vor demselben nicht immer verschlossen hatte. Diese Schriften enthielten Dokumente über alle die schiefen Wege, deren man sich bedient hatte, um an den fremden Höfen den Meister zu spielen. Kaum besaßen die beiden Gesandten den Schatz, so machten sie davon Gebrauch gegen Seelberg, der freilich Staatsminister und Günstling war, aber eben im Ministerio eine mächtige Parthey gegen sich hatte, die nur auf Gelegenheit wartete, ihn zu stürzen. Diese Gelegenheit war itzt da; es vereinigte sich eine große Ligue gegen ihn. Man legte dem Monarchen die Papiere vor, begleitet von Erläuterungen und dringenden Bitten, die Neid, Bosheit und Rachsucht eingaben – Fürsten kostet es selten viel, dem Staatsinteresse einen Diener aufzuopfern, und hätte auch dieser Diener Ursache gehabt, sich für den Liebling, für den unentbehrlichsten Freund seines Herrn zu halten – Mit Einem Worte! man brachte ohne große Mühe den König gegen unsern Helden auf, und ehe noch Seelberg etwas von der Verschwörung und dem Verluste seiner Papiere merkte, war er schon in Verhaft genommen, wurde darauf in der Nacht fortgeführt, auf unbestimmte Zeit in einer entlegenen Festung gefangengesetzt, und nach acht Tagen nannte niemand mehr seinen Namen, weder laut noch heimlich in den Vorzimmern.

Alwerth wartete nicht so lange, bis auch an ihn die Reihe kommen möchte, mit in das Schicksal seines Beschützers eingeflochten zu werden, sondern bat um seinen Abschied, und da er in der Stille operiert hatte, folglich beweisbar nichts auf ihn zu bringen war, er auch im Staate keine so hervorstechende öffentliche Rolle spielte, so ließ man ihn ruhig reisen. Er ging in seine Vaterstadt zurück, und wir werden künftig mehr von ihm hören.

Kaum aber war in Luisens Ohr die Nachricht von ihres Gatten Unglück wie ein Donnerschlag gedrungen (Man erlaubte ihr nicht einmal, Abschied von ihm zu nehmen), als ihre ganze innige Zärtlichkeit zu ihm mit voller Lebhaftigkeit erwachte. Sie war bey der schrecklichen Nachricht von Seelbergs Gefangennehmung (welche sie in dem Hause einer Freundin bekam) in Ohnmacht gefallen. Nachdem sie wieder zu sich selbst kam und nun nach Hause gebracht wurde, wollte sie in ihres Gemahls Zimmer stürzen, doch die Wache versagte ihr den Eingang. Voll Verzweiflung entschloß sie sich, an den Hof zu eilen, sich dem Monarchen zu Füßen zu werfen und wenigstens von ihm zu erflehen, daß er sie nicht von ihrem Manne trennen möchte; allein Leuchtenburg, der heuchlerisch die Rolle eines theilnehmenden, fast in Thränen schwimmenden Freundes spielte und auf das erste Gerücht von dem Unfalle seines Wohlthäters herbeigeeilt war, hielt sie zurück, indem er ihr vorstellte: jetzt, in dem ersten Augenblicke, da der König aufgebracht sey, dürfe man keine Milderung der Strafe noch sonst eine Gnade hoffen, nach einiger Zeit hingegen werde vielleicht eher etwas auszurichten seyn. So mußte sich denn das gute Weib beruhigen. Sie verschloß sich in ihre Zimmer, vertrauerte ihre Tage, schaffte den größten Theil ihrer Domestiken ab und sah keinen Menschen (auch drängten sich die Hofleute eben nicht herzu, sie zu besuchen) außer Leuchtenburgen, der ihr in ihrem Unglücke treulich beizustehn und einen günstigen Zeitpunkt zu erlauern versprach, wenn etwas zu Änderung ihres Schicksals zu thun seyn würde.

Während nun die Sachen also standen, erhielt sie eine Nachricht, die nicht wenig dazu beitrug, ihren Zustand noch schrecklicher zu machen. Ihr Schwager, der Graf Storrmann, nämlich war plötzlich gestorben und hatte seine Gemahlin mit vier noch unerzogenen Kindern zurückgelassen, so daß auch Marie nicht im Stande war, zu ihrer Schwester zu reisen und ihr beizustehn. Leuchtenburg schien desfalls die einzige Stütze, der einzige Freund zu seyn, der Luisen in diesem fremden Reiche übrigblieb, und wir werden in der Folge hören, welcher Hilfe sie sich von ihm zu erfreuen hatte.


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