Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Siebentes Kapitel

Es ist eine gar sonderbare Sache um die ersten Liebeserklärungen. Wer mit seinem Herzen schon oft Spielwerk getrieben und seine zärtlichen Seufzer vor mancher Schönen ausgeblasen hat, dem wird es eben nicht schwer, wenn er einmal wieder sich Lust macht, verliebt zu werden, seine Empfindungen bey einer schicklichen Gelegenheit an den Tag zu bringen; auch weiß dann die Kokette schon, was sie bey solchen Vorfällen zu antworten hat. Sie glaubt das Ding nicht sogleich, meint, der Herr wolle sie zum Besten haben, er spiele den Romanhelden oder, wenn er dringend wird und sie glaubt, nach und nach überzeugt und erweicht werden zu müssen, so kömmt zuerst eine Bitte, ihrer Schwachheit zu schonen, ihr nicht ein Geständnis abzunöthigen, wobey sie erröthen müßte; und dann will der entzückte Liebhaber dem holden Engel um den Hals fallen und in Wonne dahinschmelzen; aber die Schöne protestiert feierlich gegen alle solche Freiheiten, verläßt sich überhaupt auf seine Ehre und Rechtschaffenheit, reicht ihm höchstens die Backe dar, theilt ihre Gunstverwilligungen in unendlich kleine Parzellen, um täglich nur um ein Haar breit dem Ziele näherrücken zu dürfen, damit der schöne Roman desto länger dauern möge, und wenn auf andre Art keine Zeit mehr zu gewinnen ist, muß ein kleiner Zwist dazwischenkommen, die völlige Entwicklung aufhalten und die Uhr für die Schäferstunde zurückstellen. Bey allen diesen konventionellen Gaukeleien aber empfinden dergleichen Leute gar nichts, lachen, wenn sie allein sind, des Possenspiels, so sie miteinander treiben, können vorauskalkulieren, wie weit sie morgen und übermorgen mit ihrem Geschäfte kommen müssen, und werden dick und fett bey ihrer Liebespein.

Ganz anders aber ist es mit einem Paar unschuldiger junger Herzen, die, zum erstenmal vom wohlthätigen Feuer der Liebe erwärmt, so gern ihren süßen, schuldlosen Gefühlen Luft machen möchten und immer nicht Muth fassen können, mit Worten zu sagen, was Augen und Gebärden oft schon so deutlich gesagt und beantwortet haben. Der Jüngling sieht die Geliebte zärtlich an, sie erröthet; ihr Blick wird unruhig, unstet, wenn er mit einem andern Mädchen zu viel und zu freundlich redet; sein Auge möchte zürnen, er möchte gleichgültig vor ihr vorbeiblicken, wenn sie einem Andern vertraulich etwas in das Ohr gesagt hat; man fühlt den Vorwurf, gibt augenblickliche Genugthuung, bricht plötzlich und fast unhöflich ein Gespräch ab, welches den Argwohn erweckt hat; der Versöhnte dankt durch das zärtlichste Lächeln und durch die fröhlichste, plötzlich aufwachende Laune. Man nimmt mit den Augen Verabredungen auf morgen, entschuldigt sich, warnet vor Beobachtern, erkennt sich gegenseitige Rechte aufeinander an – und hat sich doch noch mit keinem Wörtchen gesagt, was man für einander fühlt. Allein man sucht von beiden Seiten ernstlich die Gelegenheit dazu; sie kömmt, kömmt oft, und man läßt sie ungenützt vorbeistreichen, drückt sich höchstens einmal leise die Hand, und doch auch das nie ohne irgendeinen schicklichen Vorwand, sagt sich aber kein Wort, ist mißmuthig, zweifelt an Gegenliebe und hat sich oft noch nicht gegeneinander erklärt, wenn man schon die Fabel der ganzen Stadt und der Gegenstand der schändlichsten Verleumdung ist. Ist endlich das längst im Busen pochende Bekenntnis den furchtsamen Lippen stotternd entflohn und mit gebrochenen, erstickten Worten, von einem bis in das Innerste dringenden Händedrucke begleitet, beantwortet worden, dann lebt man vollends erst ganz füreinander, ist so wenig um die übrige Welt bekümmert, sieht und hört nichts um sich her, ist in keiner Gesellschaft verlegen mit seiner Person, wenn nur der theure Gegenstand uns freundlich anlächelt, findet alles Ungemach des Lebens leicht zu ertragen an der Seite der Geliebten, glaubt nicht, daß es Krankheit, Armuth, Druck und Noth in der schönen Welt geben könne, lebt mit aller Kreatur in Frieden, verachtet Gemächlichkeit, köstliche Speise, Schlaf – O Ihr! wenn Ihr je so wonnevolle Zeiten verlebt habt, sprechet! ist auch ein süßerer Traum zu träumen möglich? Ist unter allen fantastischen Freuden des Lebens Eine, die so unschuldig, so natürlich, so unschädlich wäre? Eine, die so überschwenglich glücklich, fröhlich, so friedenvoll machte? – Ach! daß dieser selige Zustand der Bezauberung nicht ewig dauern kann, daß man oft nur gar zu unsanft aufgeschreckt wird aus diesem elysischen Schlummer!

Seelberg war nun in dem Zustande, welchen wir eben beschrieben haben. Noch hatte er es nicht gewagt, sich zu erklären, als sein ihn immer beobachtender Freund Krohnenberger ihn auf einmal, durch eine Art von Indiskretion, aus dieser Verlegenheit riß. Sie saßen nämlich einst in einem kleinen Zirkel beisammen (den alten Obristen von Grätz sah man selten; der ging seinen Geschäften nach und rauchte des Abends mit einem paar andern Biedermännern sein Pfeifchen Knaster): Ludwig und sein Führer, sodann Julie, ferner Katharine (die Tochter aus dem Hause, in welchem das Fräulein mit ihrem Vater wohnte), ein junges Mädchen, das ihre beste Freundin war, und endlich noch ein Vetter, der dies Frauenzimmer liebte und es einst zu heirathen hoffte, wenn er eine Bedienung und die Einwilligung der Eltern erlangt haben würde, diese Fünfe saßen vertraulich beyeinander (Katharinens Mutter war unpäßlich). Es war in der Abenddämmerung eines nicht rauhen Tages im Weinmonate. Man redete so von diesem und jenem, und Ludwig und Julie sahen sich oft mit verstohlen zärtlichen Blicken an. Der schlaue Hofmeister leitete das Gespräch auf Rousseaus neue Heloise, welche Seelberg jetzt zum zweitenmal, aber, wie man denken kann, mit andern Empfindungen las als vor einigen Monaten. Natürlicher Weise gab dies Gelegenheit, über das Glück der Liebe sehr empfindsame Dinge zu sagen. Katharine und ihr Bräutigam standen auf, faßten sich unter die Arme, gingen dem Fenster zu, in welches der liebe Mond, der ewige, stumme Vertrauete aller Verliebten, herein blickte, und schwuren sich, was sie sich so oft schon geschworen hatten. Krohnenberger saß nun mit den andern beiden jungen Leuten allein und fuhr fort, mit Wärme von dem Glücke der Liebe zu reden, indes Ludwig seine Augen zärtlich bittend und gerührt auf Julien heftete, die nur mit Mühe ihre hervorquellenden Thränen zurückhielt – Jetzt war der Augenblick da, den Krohnenberger hatte herbeiführen wollen; er sprang von seinem Stuhl auf, ergriff ein bißchen ungestüm seines Freundes Hand und zugleich Juliens schönes Pfötchen, legte beide ineinander und sprach mit sanfterem Tone: »Ich muß wohl die Bahn brechen. Was soll die Zurückhaltung unter so schönen Seelen? Haben Eure Augen nicht längst deutlich genug geredet? – Ich verlasse Euch. Was Ihr Euch zu sagen habt, dabey bedürft Ihr keines Zeugen! Seyd glücklich, und danket Eurem treuen Freunde diese kleine unbescheidene Überraschung!« – Und darauf hüpfte er fort, zum Hause hinaus, voll Freude über das vollbrachte große Werk, hüpfte zu seiner Schönen und las vermuthlich auch dort ein Kollegium über das Glück der Liebe.

Daß Ludwig nun nicht mehr stumm war; daß Julie nicht die Spröde machte; was sie sich einander sagten; daß ein keuscher Kuß das Versprechen ewiger Treue versiegelte; daß das andre Pärchen zum Vertraueten gemacht wurde und daß Seelberg bis in den dritten Himmel entzückt nach Hause kam, seinen Hofmeister dann beinahe mit Umarmungen erstickte, seinem Bedienten einen fast noch ganz neuen Überrock schenkte, die halbe Nacht durch kein Auge schloß und doch des folgenden Morgens so munter war, als hätte er zwölf Stunden im süßesten Schlafe gelegen – das alles kann man, wenn ich es auch nicht erzähle, ungefähr ex analogia schließen und hinzufügen.

Ehe ich aber dies für manchen ernsthaften, über dergleichen verliebte Thorheiten weit erhabenen Leser äußerst langweilige Kapitel schließe, muß ich doch noch sagen, welchen Einfluß diese erste Liebe auf die Sinnesart und auf den Geschmack unsers jungen Menschen hatte. Des redlichen Werkmanns Wunsch war nun erfüllt, Ludwigs Fantasie hatte eine feste Richtung bekommen; alles, sein Thun und Lassen, hatte Bezug auf den Gegenstand seiner Liebe. Sein Ehrgeiz schlief. Er träumte nicht mehr, wie er es anfangen wollte, sich hinaufzuschwingen, eine große Rolle zu spielen, der Welt eine andre Richtung zu geben; sondern häusliche Glückseligkeit, eheliches Band, das Bild eines patriarchalischen Lebens stand im Hintergrunde aller theatralischen Vorstellungen, welche seine Einbildungskraft in seinem Gehirn anordnete. Seine ganze Eitelkeit konzentrierte sich auf den einzigen Punkt: Julien so ganz zu gefallen, ihr so allein alles zu seyn und sie so ganz an sich zu fesseln, daß sie ohne ihn keine Existenz haben möchte, und er glaubte, jedermann müsse ihn lieben und bewundern, wenn ein so vortreffliches Mädchen ihn allen Andern vorzöge. Er grübelte nicht ferner nach über Religionswahrheiten und philosophische Gegenstände; einst ein braver Hausvater zu werden, das war sein herrschender Gedanke, und indem er schon Pläne entwarf, was für herrliche Einrichtungen er an Juliens Seite auf seinen Gütern machen wollte, fing er an, Bücher über die Landwirthschaft zu lesen, ja! besuchte sogar ökonomische Kollegia. Seine Laune hing ganz von Juliens Blicken ab; aber es war nicht möglich, hinreißend angenehmer, unterhaltender und witziger in Gesellschaften zu seyn als er, wenn er an der Seite seiner Geliebten gut gestimmt und in einem Zirkel von Menschen saß, denen er wohlwollte. Übrigens war er ein zärtlicher Tyrann in der Liebe, forderte unendlich viel Rücksichten von Julien, aber er forderte nicht mehr, als er selbst gab. Er versäumte gewiß nicht eine einzige kleine Minute des Tages, wo er sie sprechen konnte, und wenn es physisch möglich war, sie anzuschauen, so wandte er gewiß seine Augen sonst nirgends hin. Da kein Mensch, selbst die äußerst fein organisierte Julie nicht, im Stande war, es ihm in Aufmerksamkeiten dieser Art, in ängstlich sorgsamer Schonung der Delikatesse und in unausgesetzter Achtsamkeit gleichzuthun, so fehlte auch seine Geliebte gegen ihn zuweilen in einem dieser Punkte, und jedes andre Mädchen von weniger zarter Komposition würde zehnmal öfterer darin gefehlt haben; es entstand dann ein kleiner Zwist; aber immer mußte Sie den ersten Schritt zur Versöhnung thun, und seine Herrschsucht wich den Weiberkünsten in diesem Fache nicht. In solchen Augenblicken von verstimmtem Humor nun war freilich nicht gut mit ihm umzugehn, im Übrigen aber hatte die Liebe alle Bitterkeit in seinem Herzen gedämpft. Man hörte keinen Spott, keine Satyre mehr aus seinem Munde. Er hatte Frieden mit der ganzen Welt, konnte nicht leiden, daß jemand gelästert, gedrückt, verfolgt wurde; alle Leute sollten froh und glücklich seyn wie Er. Unter zwey streitenden Partheien schlug er sich immer auf die Seite des Schwächern; er tötete kein Thier; er konnte stundenlang mit kleinen Kindern spielen; er lernte allerley weibliche Arbeiten, wie er denn überhaupt auch zu mechanischen Dingen Geschick hatte; er trieb die italienische Sprache, das Idiom der Liebe; er komponierte kleine süße Lieder, die Beifall fanden, statt daß er sonst große rauschende Sinfonien zusammengeschrieben hatte, die niemand hören mochte – und wann er einen Tag recht unschuldig glücklich an Juliens Seite hingebracht hatte, dann erwachte auch wohl in seinem Herzen ein Schatten jenes warmen Gefühls für Gottesverehrung, und er dankte, ehe er die Augen schloß, mit einem paar kunstlosen, freudigen Worten seinem lieben Vater im Himmel für die Wonne, die er ihn schmecken ließ.

So war Ludwig von Seelberg gestimmt bey seiner ersten Liebe. Lasset uns nun zu der Erzählung seiner Begebenheiten zurückkehren!


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