Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Kehren wir nun zu unserm Helden zurück! In verschlossen stiller, bitter trauriger Gemüthsstimmung kam er auf seinem Gut an. Er sagte niemand kein böses Wort, aber er floh allen Umgang, fluchte innerlich auf Ehrgeiz, Ruhm, Pracht, Fürsten, Reichthum, Höfe, Liebe, Freundschaft, Ruf und auf alles, was nur ein Erdensohn wünschen und begehren mag. Der Anblick eines weiblichen Geschöpfs machte ihn zittern; Musik konnte er nicht hören, ohne heftig erschüttert zu werden; wenn er ein Kind sah, so wendete er seinen Blick voll herben Mitleids weg, indem die Vorstellung in ihm erwachte, was dies unglückliche Wesen noch in dieser bösen Welt zu leiden und zu bekämpfen haben würde. Zuweilen, wenn seine Laune am feindseligsten gestimmt und ihm seine eigene Existenz zur Last war, wünschte er sich den Tod, und da kam es auch wohl, daß er, um sich den Gram zu vertreiben, ein Glas Wein mehr trank, als er hätte thun sollen. Zwar kam er bald von dieser bösen Gewohnheit wieder zurück; hätte indessen sein jetziger Zustand lange gedauert, so würde er vielleicht ein Trunkenbold geworden seyn. Er war sorglos gegen seine Gesundheit, im höchsten Grade mißtrauisch gegen Personen und Schicksal, geizig aus Furcht, einst durch neue Unglücksfälle in Mangel gestürzt zu werden und dann von Andern abhängen zu müssen. Doch that er viel Gutes den Nothleidenden und Armen, freilich voll Gift gegen das Menschengeschlecht, doch aber in der Rücksicht: die Summe des unendlich mannigfaltigen Elendes, so die Kreaturen sich untereinander zufügten, zu vermindern. Daher entsproß in ihm ein falscher Heroismus. Alle seine guten Handlungen schienen ihm Aufopferungen. Er sah sich als ein Wesen höherer Art an, verfolgt von dem großen Haufen der Alltagsmenschen, aber bestimmt, ihr Wohlthäter und ihr Märtyrer zu seyn. Er floh jede neue Bekanntschaft, jedes ihm fremde Gesicht. So gesprächig, zuvorkommend höflich er vormals gewesen, so rauh, so unbiegsam, so ungeschmeidig war er jetzt, wenn er von ungefähr mit einem andern Menschen zusammenkam. Konnte man ihm ehemals den Vorwurf machen, er sey zu offenherzig, zuweilen zu plauderhaft; so machte er itzt aus der geringsten Sache ein Geheimnis. Zwar glaubte er, es gäbe noch einige wenige Menschen seiner Art, die auch sich losgerissen hätten von allem irdischen Tand; allein sie lebeten zerstreuet, getrennt, sich einander unbekannt und gedrückt, gleich wie Er. War es Wunder, wenn er bey dieser Gemüthsverfassung sich nach dem Umgange mit höheren Wesen sehnte? Auch war sein Dichten und Trachten nur auf Vereinigung mit Gott und der Geisterwelt gerichtet, und manche Stunde des Tages lag er auf den Knien und betete mit einer Wärme, mit einer Anspannung, wovon ein kalter Vernunftmann gar nicht im Stande ist, sich einen Begriff zu machen. In seiner Nachbarschaft war ein Dominikanerkloster; dahin ging er nun oft, besonders in den trüben Herbstabenden, wenn zu der Komplette geläutet wurde. Das feierliche Helldunkel in dem altgothischen Gebäude, das Hervortreten und Niederfallen der Mönche, der langsame, hohlklingende Choral, unterbrochen von den kühnen Fugenpassagen, die der Organist statt der Versikeln dazwischen spielte, das alles wirkte unbeschreiblich wohlthätig auf seine hochgespannten Sinne. Ich glaube, er wäre dazumal gern ein Mönch geworden, wann er selbst hätte ein Kloster nach seinem Ideale stiften können; aber er hielt sich schon ohnehin für einen berufenen Priester Gottes, weit erhaben über die gemeinen Priester der herrschenden Kirchen, von welchen er glaubte, daß sie die Religion gänzlich verfälscht lehrten. Er war fest überzeugt, daß er durch eifriges Gebet, Sehnen und Emporschwingen wieder die Gabe, Wunder zu thun, erlangen könnte. Seine Lectüre bestand in theosophischen und andern mystischen Büchern, und Studium der Natur war die einzige Wissenschaft, welcher er sich widmete; aber was für ein Studium der Natur? Nicht jenes, welches auf Vorkenntnisse, auf nüchterne und genaue Beobachtungen beruht und auf gesunde, gründliche Anwendung derselben zu Erklärung unbekannter Phänomene, sondern eine mystische Art, alles noch so Gemeine durch das Blendglas des Wunderbaren anzusehn und alle Erscheinungen und Wirkungen aus Ursachen zu erklären, die auf willkürlich angenommenen fantastischen Sätzen beruheten.

Lächle nicht, Du kleines Kraftgeniechen! Verspotter aller Schwärmerey! Beförderer der Aufklärung, mit oder ohne Bart! Lächle nicht, wenn Du dies liesest, über die Verirrungen meines Helden! Du weißt noch nicht, Männchen! welch eine ansteckende Krankheit der Seele religiöse und mystische Schwärmerey ist, welche angenehme, wohlthätige Paroxysmen diese Krankheit mit sich führt, wie wenig auch der, welcher sich am mehrsten auf seine helle Vernunft zugute thut, sicher ist, nicht durch körperliche Disposition oder durch sonderbare Wendungen des Schicksals dahin zu kommen, wo wir itzt Seelbergen sehen, dem wir übrigens nicht das Wort reden wollen. Sähest Du, wie sanft auf dem Polster der Mystik mancher im Getümmel der Welt grausam Gemißhandelte liegt, wie er da alle seine Leiden vergißt und friedenvoll und ruhig um sich her über alles hinwegblickt, wovor Du Kraftmann zitterst oder schäumst, o mein Jüngelchen! dann würdest Du vielleicht wo nicht das Los des Schwärmers beneiden, doch wenigstens wünschen, daß Deine so gewaltig erleuchtete Vernunft Dir ebensoviel immer gleiche Ruhe gewähren möchte.

 

Alwerth hatte indes von seines alten Freundes Zustande und auch von dessen Art zu leben und zu spekulieren Nachricht bekommen; er schrieb desfalls an ihn und suchte ihn zu bewegen, wieder in die Welt zurückzukehren und, wie er sich ausdrückte, seinen Grillen zu entsagen; allein Seelberg antwortete ihm in einem Tone, der bewies, wie wenig jetzt daran zu denken war, ihn von seiner Schwärmerey zurückzuführen. Folgendes stand unter anderm in seinem Briefe:

»Wenn auch nicht mein widriges Schicksal und die vielfältigen Erfahrungen, die ich von der Falschheit und Untreue der Menschen und von der Nichtigkeit aller irdischen Glückseligkeit gemacht habe, mich abzögen von allen diesen kleinen Weltverbindungen, die wahrlich nicht werth sind, daß man ihnen Einen Wunsch oder Einen Seufzer widmet, wenn sie nicht meine Blicke aufwärts gelenkt hätten, in eine bessere Welt hinein, so würde ich vermuthlich dennoch durch meinen unsichtbaren Führer bald seyn auf diesen Weg der reinen Wahrheit geleitet worden. Längst erkannte meine Vernunft ihre Ohnmacht, und mein Wille fühlte seine Schwäche, wenn ihm der höhere Beistand mangelte. Sprich nur: was haben wir denn noch ergründet? wir, die wir seit unsern Universitätsjahren gegrübelt, geforscht und das, was wir Vorurtheile nannten, weggeräumt haben? Welche neue, beruhigende Wahrheiten haben wir gefunden, die beruhigender wären als jene einfachen, welche uns die Offenbarung lehrt und die so lange der Gegenstand unsers kindischen Spottes gewesen sind? Welches System haben wir dann ersonnen, das uns besser und zuverlässiger unterrichtete über die Entstehung der Welt oder den Ursprung aller Dinge, über das Wesen Gottes und unsrer Seele, über die verborgenen unsichtbaren Kräfte, über die Geisterwelt, über den Zustand nach dem Tode? Ich habe auf dem Wege der kühnen eigenen Nachforschung meiner schwachen Vernunft so unendlich viel Schwierigkeiten und Widersprüche angetroffen, bin so wenig im Stande gewesen, die Zweifel, die Gott uns aufzulösen nicht gut gefunden hat, aus eigenen Kräften zu heben, daß ich nun demüthig zurückgekehrt bin zu dem höhern Lehrer, den ich undankbar verlassen hatte. Jetzt forsche ich mit gutem Willen und treuem Herzen in der heiligen Schrift und finde mehr, als ich je erwartete. Ich werfe ahnungsvolle Blicke in eine Region – Doch davon kann man wohl mit Dir nicht reden – Aber das weiß ich und weiß es zuverlässig, daß auch Du einst dahin kommen wirst; und dann wirst Du Deine Verblendung bedauern. Kannst Du auftreten und sagen: Du seyest als Freigeist ein beßrer Mensch geworden? besser als Die, welche Glauben haben? Bist Du freier von Leidenschaften und Begierden, ruhiger im Herzen als ein Christ? Pochest Du auf Deine hellere Vernunft? Sprich doch: Hat sie Dich schon weit geführt? Hast Du vergessen, daß ein Lumpenkerl, den wir nicht werth hielten, unsre Schuhriemen aufzulösen, uns schlaue Weltregierer um bürgerliche Ehre gebracht, alle unsre Pläne vereitelt hat, weil Gott nicht mit uns war? Denke einmal dem Gange Deines Lebens nach! denke nach, wie oft, so ganz unvorhergesehn, Dein Schicksal eine Wendung nahm, die Du nie hättest erwarten können, wie oft späte, nie vermuthete Folgen lange vorher durch eine Kettenreihe von kleinen Begebenheiten vorbereitet wurden, auf die planmäßigste, unverkennbar planmäßigste Weise, so daß es zu Deinem Besten gereichen mußte, indes jeder andre Weg Dich in das Verderben gestürzt haben würde! Denke nach, wie da, wo du es für unmöglich hieltest, Dich aus einer verworrenen Lage herauszureißen, die Entwicklung so nahe lag und so zur rechten Zeit erfolgte! – Überdenke dies! Überdenke die systematische Ordnung, nach welcher das ganze Weltgebäude errichtet, nach welcher Dein eigener Körper gebauet ist; ob dies alles von ungefähr so schön, so harmonisch zusammengesetzt seyn könne oder ob nicht eine höhere Hand im Spiele seyn und das Ganze lenken müsse! Und wenn wir von dieser höhern Hand durch unsre eigene Vernunft wenig oder gar nichts wissen, das Buch aber, welches wir die Bibel nennen, uns hierüber die herrlichsten Aufschlüsse gibt und noch nebenher so vortreffliche, neue und beruhigende Dinge für unser Herz enthält, sollen wir dann nicht mit Freuden diesem Buche Glauben beimessen, es für Offenbarung Gottes halten? Und thun wir das, steht es dann bey uns, aus diesem Buche nur auszuheben, nur das zu glauben, was uns gefällt, und das Übrige zu verwerfen? Ich aber habe ja keinen thörichten Glauben; ich nehme nur das an, was in der Bibel steht, weil noch niemand mir etwas Besseres gegeben hat.

Du spottest meines Strebens nach dem Umgange mit höhern Wesen. Ach! Du weißt nicht, wie oft schon ich von Menschen bin getäuscht worden; wie oft ich mich von meiner ersten Jugend an gesehnt habe nach einer verschwisterten, guten Seele, die ähnliche Gefühle, Fähigkeiten und Gesinnungen mit mir hätte und die mit ganzer Kraft und Liebe an mir hinge! Allein ich habe sie nicht gefunden. Das Menschengeschlecht ist gar zu tief herabgesunken, ist gar zu unähnlich geworden dem göttlichen Ebenbilde. Wenn ich so um mich herschaue auf das Gewühl – o! wie oft wünsche ich dann, auf immer die Augen zu schließen, bald befreiet zu werden aus diesem Kerker! Doch ist es Pflicht der bessern Berufenen, solange sie hier ihr Märtyrerleben führen müssen, daß sie, wenn sie ihre höhere Bestimmung fühlen, sich durch Gebet und Emporschwingung mit reinen Wesen zu verbinden suchen, damit sie durch deren Hilfe gestärkt werden mögen, dem Reiche Gottes wieder aufzuhelfen, auf daß nicht alles zu Grunde gehe – Aber Du glaubst freilich auch an keine Geister und Engel – Ich möchte indessen doch wissen, wie Du manche Erscheinungen in der Natur und manche wunderbare Wirkungen, die gewiß nicht aus Ammenmäulern herkommen, ohne den Einfluß unsichtbarer Mächte erklären wolltest.«

In diesem Tone war der ganze Brief geschrieben, und dennoch muß ich es zu Alwerths Ruhme sagen, daß er bey Lesung desselben nicht, wie unsre unbärtigen Philosophen pflegen, laut auflachte über seines Freundes Narrheit, sondern daß er zugleich Achtung, Mitleiden und Schonung für diese Gemüthsstimmung hatte; aber er war auch ein zu feiner Menschenkenner, als daß er es hätte versuchen sollen, unsern Enthusiasten durch Gründe und Raisonnement zu widerlegen. Er that also, was gewiß in solchen Fällen das Vernünftigste ist; er nahm den bescheidensten, lehrbegierigsten Ton an, suchte dadurch Seelbergs Zutrauen zu gewinnen und hoffte dann, schon einmal Gelegenheit zu finden, ihn durch Erfahrung auf andre Wege zu führen. Er schrieb ihm ungefähr also:

»Dein Brief, mein Bester! zeigt mir das Bild eines Gemüthszustandes, für welchen ich gewiß alle Ehrerbietung habe. Ich gestehe Dir, daß man Dich mir ganz anders geschildert hatte. Ich glaubte, Du seyest in die gemeine Thorheit solcher Menschen verfallen, die, wann in dieser Welt ihnen eine Reihe von Widerwärtigkeiten begegnet, die oft sehr natürlich in der Kette der Begebenheiten, oft auch in ihrer eigenen unklugen Aufführung ihren Grund haben, auf einmal muthlos und kleinmüthig werden, die Hände sinken lassen, wenn die ganze Schöpfung sich nicht um den Mittelpunkt ihrer eingebildeten Glückseligkeit umdrehen will und dann voll Gifts dem Menschengeschlechte den Rücken wenden, sich in ihr Kämmerlein einschließen und sich da die Gesellschaft Gottes ausbitten, gleich als wenn das höchste Wesen, der Inbegriff aller Liebe, mit einer Kreatur in nähere Gemeinschaft treten würde, deren Herz leer von Bruderliebe, Geduld, Sanftmuth und Duldung ist! Solche Leute verfallen denn auch auf Albernheiten, wie Du Dir gar keinen Begriff davon machen kannst. Aus Stolz und Herrschsucht suchen sie den Stein der Weisen und die allgemeine Arzeney; aber wehe uns Menschen, wenn sie dies finden würden! Doch davor sind wir sehr sicher; denn gewöhnlich suchen diese Herrn solche Schätze auf einem Wege, auf welchem man schwerlich irgend etwas anders findet als die Gelegenheit, Geld und Zeit zu verschwenden, und ihre alchymischen und pharmazeutischen Prozesse sind gewöhnlich so rasend dumm ausgedacht, daß jeder Neuling in der Scheidekunst, ja! jeder Apothekerbube ihnen sagen könnte, daß da nichts herauszubringen steht als zuweilen Gestank und Dampf. Daneben ist dann ihr Bibelforschen von der Art, daß sie, wenn sie einmal auf der Jagd nach mystischen Dingen sind, aus diesem göttlichen Buche Wahrheiten herauslesen und Sätze darin finden, von denen ein jeder andrer unbefangener Mann nicht eine einzige Spur antrifft. Du aber, mein Bester! gehörst, wie ich sehe, nicht zu diesen Afterphilosophen, sondern Dein System schließt gewiß den Gebrauch der gesunden Vernunft nicht aus, die uns doch Gott wohl aus keiner andern Ursache gegeben hat, als damit sie unsere Leiterin sey in diesem Leben.

Was meine freien Religionsmeinungen betrifft, so bekenne ich Dir, daß ich gänzlich davon zurückgekommen bin. Ich fühle täglich mehr Schwäche unsrer eigenen Kräfte sowie die Unzulänglichkeit aller unsrer wissenschaftlichen Kenntnisse. Ich finde, daß wir keine bessere Aufschlüsse verlangen können als die, welche uns die Bibel gibt; auch lese ich dieselbe fleißig und nehme mit Dankbarkeit und Freude wahr, daß die Offenbarung, wenn man dies Buch ohne Vorurtheil liest, nie unsrer Vernunft widerspricht, sondern nur der Schwachheit derselben aufhilft. Nicht so glücklich bin ich bey Lesung solcher Bücher, die uns mit den höhern Wissenschaften bekannt machen und die dunkeln vielbedeutenden Stellen in der heiligen Schrift erklären wollen. Diese Werke finde ich zehnmal verworrener als die Gegenstände, auf welche Licht zu werfen sie geschrieben sind. Ja! es kömmt mir zuweilen vor, als wenn ich handgreifliche Widersprüche, Platitüden und Verstoß gegen die gemeinsten, bekanntesten Wahrheiten und gegen die Elemente der wissenschaftlichen Kenntnisse darin anträfe; aber freilich kann das an meiner Art zu lesen und zu beurtheilen liegen. Doch, denke ich, es ist Pflicht, dies offenherzig zu gestehn, da hingegen falsche Scham, die uns verleitet, alles, was nur erhaben klingt, wenn wir auch keinen Sinn damit verbinden, für hohe Weisheit zu erklären, zuletzt dahin führt, daß der schiefeste Kopf ebensoviel Einsicht als das philosophische Genie zu haben glaubt, daß alle unsre Begriffe verwirrt werden und daß jeder Betrüger mit seinem frechen Jargon den feinsten Forscher zum Schweigen bringen kann, wenn er nur den mystischen Pöbel auf seiner Seite hat. Hier wünschte ich nun, liebster Freund! Dich zum Lehrer zu haben. Ich möchte die Bücher der Weisen-Meister an Deiner Seite und mit Dir lesen und bin überzeugt, Du würdest mir die dunkeln Stellen erläutern können. Zwar weiß ich wohl, daß zu Fassung mancher Wahrheiten ein ganz eigener, gereinigter Sinn gehört; allein von diesen rede ich auch nicht, sondern nur von Hebung der anscheinenden Ungereimtheiten und Widersprüche, wovon ich vorhin sagte. Wenn ich wüßte, daß ich Dir bey Deinem einsamen Leben nicht zur Last wäre (ich wollte Dich gewiß nicht in Deiner philosophischen Ruhe stören), so bäte ich Dich um die Erlaubnis, Dich zu besuchen« –

Kurz! Alwerth, dem Seelberg noch von allen Menschen in der Welt am mehrsten zugethan war, ersuchte ihn um die Erlaubnis, auf einige Zeit zu ihm auf sein Gut kommen zu dürfen. Alwerth hatte seine medizinische Praxis, da er ohnehin reich war, seit seiner Entfernung vom Hofe nicht sehr eifrig in der Vaterstadt getrieben. Er war daher Meister über seine Zeit; Seelberg hoffte aus seinem Freunde einen Proselyten zur mystischen Philosophie zu machen, und so nahm dann Dieser den Besuch von Jenem mit Vergnügen an.

Der schlaue Doktor wußte sich bald bey unserm Helden einzuschmeicheln, schien nach und nach überzeugt zu werden von der Echtheit seiner Kenntnisse, widersprach ihm nie, und wie denn dergleichen Leute, wenn sie glauben, sicher vor Spott und Widerspruch sich herauslassen zu dürfen, unendlich redselig sind, so entfaltete dann auch Seelberg bald sein ganzes System, und Alwerth erfuhr dadurch, wie er den Patienten anzugreifen hatte. Das Erste, was er nach einem kurzen Aufenthalte bey ihm that, war, den Wunsch oft unmerklich in ihm anzuregen, die verborgenen, im Stillen lebenden, wahren hermetischen Weisen oder, in der Sprache der mystischen Freimaurerey, die unbekannten hohen Obern kennenzulernen und von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Dies gab ihm Gelegenheit, eine philosophische Reise in Vorschlag zu bringen, um allerley Wundermänner, von denen man Nachricht hatte, daß sie in einigen Städten Deutschlandes ihr Wesen trieben, aufzusuchen.

Die Leser werden leicht begreifen, daß bey diesem Vorschlage des Doktors Absicht hauptsächlich die war, seinen Freund aus seiner einsiedlerischen Einsamkeit herauszuziehn und wieder in die Welt zu führen, indem er nicht zweifelte, daß bey Seelbergs lebhaftem Temperamente alsdann sein Geschmack am spekulativen, abgezogenen Leben bald andern Neigungen Platz machen würde.

Seelberg nahm indessen diesen Vorschlag an, und unsre beiden hermetischen Weltweisen begannen ihre mystische Wanderschaft.


 << zurück weiter >>