Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Sechstes Kapitel

Es ist nun Zeit, daß ich den Lesern davon Rechenschaft gebe, was denn aus dem gefühlvollen Herzchen unsers jungen Menschen in dem Umgange mit so viel artigen Frauenzimmern, welche er in Leipzig täglich besuchte, endlich wurde, ob er nicht bey einem derselben seine Freiheit einbüßte und ob diese erste Liebe für ihn die wohlthätigen Folgen hatte, welche der gute Rektor davon erwartete. Er sah in den ersten zwey bis drey Monaten jedes hübsche junge Mädchen mit Interesse an, ohne sich für eines von ihnen besonders zu entscheiden, machte wöchentlich neue Bekanntschaften, welche ihm die Wahl erschwerten, ging mit ihnen Allen auf einem leichten und nach und nach vertraulichen Fuße um; aber wenn er des Abends zu Hause kam, war sein Herz so wenig von einem einzigen Gegenstande ganz erfüllt, daß seine Fantasie alle mögliche Zeit hatte, in andern Gebieten umherzuschwärmen. Allein, da zwischen dem siebenzehnten und achtzehnten Jahre unsers Lebens etwas in uns rege zu werden pflegt, das uns ermuntert, zu wünschen, es möchte irgendein Mädchen uns mehr seyn als bloß angenehme Gesellschafterin und Freundin (ein Zustand, den die artigen, niedlichen französischen Dichter so oft sehr viel natürlicher geschildert haben, als meine nur zu steifer Prosa geschnittene Feder vermögen würde und als ich zu meinem Vorhaben nöthig finde), und da nun Ludwig nicht nur in diesen Jahren, sondern auch mehr als andre Jünglinge zu Weiberliebe gestimmt war, so entstand auch in dem zweiten Quartale seines Aufenthalts in Leipzig oft in ihm das geheime Sehnen nach einer solchen Herzensdame. Er fing dann an, Eine oder die Andre mit mehr Theilnahme zu beschauen, bezeugte derselben ein paar Tage lang vorzügliche Aufmerksamkeit, gerieth auch wohl in einen kurzen verliebten Zwist mit ihr über irgendeine versäumte Kleinigkeit und dachte dann abends beim Schlafengehn an diese Donna; allein er schlief darauf nichtsdestoweniger ganz ruhig, genoß sein Frühstück, ehe ihm der Gedanke an dies Mädchen wieder einfiel, war vor wie nach nebenher mit andern Schwärmereien beschäftigt, hatte gute und böse Launen, die auch aus andern Quellen herkamen, und wenn er das Fräulein oder die Demoiselle grade einige Tage hindurch nicht sah oder, seiner Meinung nach, von ihr kaltsinnig behandelt, ihm ein begünstigter Liebhaber vorgezogen wurde, so nahm eine Andre ebensobald ihren Platz in seinem Herzen ein, die Erste war vergessen, und der kurze, unbedeutende Roman fing wieder von vorn her an.

Herr Krohnenberger dagegen war jetzt in seine Schöne vernarrt bis über die Ohren und füllte ganze Bücher Papier mit zärtlichen Versen auf diesen Engel an. In diesem Gemüthszustande wurde ihm der Rath des guten Rektors, den jungen Seelberg gleichfalls verliebt werden zu lassen, um seine Fantasie zu fixieren, immer wichtiger. Wirklich war dies der einzige von allen den nützlichen Winken, welche ihm der redliche Mann gegeben, den er seiner Aufmerksamkeit würdigte, denn im Übrigen bekümmerte er sich so wenig um die geistige und sittliche Bildung seines Zöglings, als wenn er keinen andern Beruf bey ihm gehabt hätte, als mit ihm herumzuschlendern und das Geld verzehren zu helfen. Jenes aber lag ihm sehr am Herzen. Er zog Ludwig oft des Abends, wenn sie aus einer Gesellschaft nach Hause kamen, damit auf, daß er irgendeinem von den schönen Frauenzimmern besonders viel Aufmerksamkeit bewiesen hätte; allein dies waren verlorne Worte, bis die Herbstmesse, von der ich vorhin geredet habe und in welcher sie Beide Freimaurer wurden, herankam. Da geschah es nun, daß unter der Menge von Fremden, welche theils ein Geschäft, theils Vorwitz zur Zeit der Messe nach Leipzig zu locken pflegt, damals ein kursächsischer Obrist aus der Nachbarschaft nebst seiner einzigen Tochter in die Stadt kam und gewisser Verrichtungen wegen acht Wochen dort blieb. Sie traten in einem Hause ab, in welchem Seelberg mit seinem Hofmeister Umgang hatte. Julie (so hieß das Fräulein) war noch nicht siebenzehn Jahre alt, vortrefflich gewachsen und von äußerst reizender Gesichtsbildung, obgleich man sie nicht eigentlich schön nennen konnte. Ihre seelenvollen großen Augen, die einen ganz besonders feinen, Freundlichkeit und Verstand bezeichnenden Schnitt hatten; ihr allerliebstes braunes Haar, das sie mit so seltenem Geschmacke ordnete; ihre schneeweiße Haut; ihre immer rothen, frischen Lippen; ihr unnachahmlich ungezwungener, sanfter, edler Anstand; der harmonische, milde Klang ihrer Stimme; ihre ganz außerordentlich bezaubernde, hinreißende Lebhaftigkeit; ihr feiner Witz; ihr einnehmendes Wesen; ihr Talent, mit ausgesuchter Zierlichkeit und Anmuth und doch auf die einfachste Art, mit geringen Kosten, immer geputzt, immer nach der Mode und doch so natürlich gekleidet zu erscheinen; ihre Geschicklichkeit in aller weiblichen Arbeit; die feinere, dem Frauenzimmer so erlaubte, so nöthige Koketterie besserer Art, wozu die Weiber die ersten Elemente fast mit auf die Welt bringen, diese große, auf intuitive Menschenkenntnis gegründete Kunst, welche wir Männer schwerlich je weder ganz lernen noch ganz verstehen und die Julie lediglich sich selbst zu danken und dennoch in so hohem Grade in ihrer Gewalt hatte, daß sie es darin Weibern zuvorthat, die lange in der großen Welt gelebt, die besten Meisterinnen und Vorgängerinnen gehabt und alle Romane und Erziehungsbücher unsrer galanten Nachbarn gelesen hatten; ihre Gabe, jedermann zu gewinnen, jedermann am rechten Ende anzugreifen, unter zehn Anbetern nicht Einen zu beleidigen, nicht Einen zu begünstigen, nicht Einen zurückzuweisen; die Gabe, den Ton jeder Gesellschaft anzunehmen oder unmerklich umzustimmen, diese Gabe, welche sie ganz aus der Natur geschöpft hatte – denn sie war auf dem Lande erzogen, hatte sehr wenig Menschen gesehn, sehr wenig Bücher gelesen, aber was sie einmal sah und hörte, das ergründete, behielt sie, und wenig Menschen können in einem so hohen Grade das Talent besitzen nachzuahmen, sich in jede Lage zu schicken und sich das Geborgte so eigen zu machen, daß es originell wird – das alles machte sie zu einem Gegenstande allgemeiner Bewunderung aller Orten, wohin sie nur ihre Schritte wendete, und wenn sie eine halbe Stunde in einer Gesellschaft zugebracht hatte, so war das ganze Heer junger Männer um sie her versammelt, indes die andern eiteln, ihretwegen verlassenen Mädchen vor Zorn knirschten und Julien doch heimlich ihre neidische Bewunderung nicht versagen konnten.

Ein solches Mädchen nun schien ganz geschaffen zu seyn für Seelberg, der in der That in manchem Betracht eine auffallende Ähnlichkeit mit Julien hatte; auch fühlten sie von beiden Seiten schon nach wenig Stunden Umgang und die folgenden Tage immer stärker sich so von Sympathie nahegebracht, hingezogen, daß sie Augen und Worte nur für einander hatten. Sonderbar war es wirklich, daß sie in dem Gange ihrer Ideen, in Anwendung ihrer Naturgaben, in ihrem Geschmacke, auch in den geringsten Kleinigkeiten, in ihren unbedeutendsten, unstudierten Gewohnheiten, in ihren Launen, in der Stimmung ihres Witzes, in der unbeschreiblichen Lebhaftigkeit des Temperaments – kurz! in ihrem ganzen Wesen sich so sehr glichen, daß, wenn es wahr wäre, daß solche gleiche Stimmungen glückliche Ehen machten, Julie die beste Frau für Ludwig gewesen seyn müßte. Ludwig glaubte dabey nach und nach in Julien das Bild seiner theuren verstorbenen Mutter zu sehn; denn Diese war immer sein höchstes Ideal weiblicher Vollkommenheit. In seiner zartesten Kindheit hatte sein ganzes Herz an ihr gehangen, und wenn er nachher bey reiferer Überlegung sich die Tugenden dieser würdigen Frau dachte, so suchte er immer vergebens ein Weib auf, das ihr gliche. Jetzt sagte ihm sein zum erstenmal von Liebe irregeführtes Herz, Julie sey dieses weibliche Geschöpf; wir aber, die wir ohne die Brille der Liebe mit klaren Augen sehen, wir bekennen, daß dem jungen Mädchen noch sehr viel fehlte, um jener Vollkommenheit nahezukommen, wie denn die Leser dies auch, bey Gegeneinanderhaltung der Gemälde, welche wir von Beiden entworfen haben, leicht fühlen werden; denn bey allen glänzenden Eigenschaften, wodurch die Tochter des Obristen von Grätz (so hieß ihr Vater) so viel Aufsehn erregte, fehlte doch Dieser die natürliche Einfalt, Planlosigkeit und Reinigkeit des Charakters, das herzliche, unschuldige Wohlwollen, die Festigkeit, Würde und Zweckmäßigkeit in ihrem Betragen und die angeborne überschwengliche Tugendliebe, wodurch Jene Allen, die sie gekannt hatten, unvergeßlich blieb. Aber Ludwig sah das nicht, und seine Seele hing ganz an Julien. War er bis jetzt äußerst munter, aufgeweckt in seinem Umgange mit jungen Frauenzimmern gewesen und leicht auf unschuldige Art vertraulich mit ihnen geworden, so zeigte er hier grade das Gegentheil. Er wurde feuerroth im Gesichte, wenn er Juliens Hand von ungefähr berührte oder wenn jemand ihn überraschte, indem er seinen Blick auf sie geheftet hatte, und doch verwendete er kein Auge von ihr. Statt daß er sonst so gern von jungen Mädchen redete, die ihn interessierten, und nicht böse darüber wurde, wenn man ihn damit aufzog, so vermied er jetzt alle Gelegenheit, Juliens Namen zu nennen, lauerte aber ungeduldig darauf, daß Andre von ihr reden sollten, affektierte dann Gleichgültigkeit und wurde wohl gar aufgebracht, wenn sein Hofmeister, der den Handel, als ein Praktikus in der Liebe, bald merkte, ihn darüber neckte; denn Julie war ihm zu heilig, als daß man mit ihrem Namen hätte Scherz treiben dürfen, und es konnte nicht fehlen, daß andre Leute in solchen Gesprächen Ausdrücke von ihr brauchten, die zu materiell, nicht erhaben, nicht ehrerbietig genug waren. Auf jedes Papierblättchen, das vor ihm lag, in jedes Buch, das er las, schrieb er die Buchstaben J. v. G.; er ruhete nicht, bis er Ort, Jahr, Tag und Stunde ihrer Geburt wußte, und zeichnete dann in seinem Kalender ein Herz bey diesem Tage; er suchte ein paar Haare aus einer ihrer Locken zu erwischen, bemühete sich, ihren Schattenriß zu bekommen, und als er beides hatte, trug er es tags und nachts bey sich. Seine Laune hing nur von ihren Blicken ab. War er ohne sie oder gar ohne die Hoffnung, sie an dem Tage zu sehn, oder hatte sie ihn seiner Meinung nach weniger ausgezeichnet freundlich gegrüßt, so war er zerstreuet, mürrisch, zu keiner Art von Arbeit noch Unterhaltung aufgelegt; hatte er aber einen halben Tag an ihrer Seite hingebracht oder Hoffnung dazu auf morgen; hatte sie ihn bey ihrem Eintritte in das Schauspielhaus oder in einen andern Saal unter der Menge Herzudrängender zuerst mit den Augen aufgesucht, bey Gesprächen, wo man über einen Gegenstand nicht einig war, sich auf sein Zeugnis, auf seinen Geschmack, auf sein ähnliches Gefühl berufen und etwa gesagt: »ich wette, daß der Herr von Seelberg darin mit mir einerley Meinung seyn wird; o! fragen Sie ihn nur nicht! Er kann das gar nicht anders denken« oder dergleichen – ja! dann kannte er sich nicht vor Wonne; er kam des Abends nach Hause, umarmte seinen Freund Krohnenberger, ergriff seinen Bedienten bey der Hand: »Friedrich! Er geht ja gar nicht aus! Bleibe Er doch nicht immer zu Hause! Mache Er Sich doch auch ein Vergnügen! – Friedrich! das sind häßliche Strümpfe, die Er da trägt. Hier ist Geld! kaufe Er Sich doch andre« – kurz! dann hing der Himmel voll Geigen – Doch, ich höre auf, die Semiotik der Krankheit eines verliebten Herzens zu entwickeln; wer je geliebt hat, der wird den Rest in Gedanken hinzufügen können.

Mit Julien war es nicht völlig also beschaffen. Sie zog Seelberg allen übrigen Jünglingen vor (das konnte dem aufmerksamen Beobachter nicht entwischen); sie fühlte auch für ihn, was sie noch nie, für keinen Andern empfunden hatte; aber die feinern Weiber haben sich im äußern Betragen mehr in ihrer Gewalt als wir Männer; man merkt ihnen ihre Herzensschwachheiten nicht so leicht ab; sie können sich besser verstellen, verderben es, aus Liebe zu einem Einzelnen, nicht gern mit einem ganzen Männerpubliko, und um recht hinter ihre Geheimnisse zu kommen, muß man entweder ihr Kammermädchen, ihr Spiegel, ihr Kopfkissen oder ihr Beichtvater seyn, und auch Dieser erfährt wohl nicht viel mehr, als sie nöthig finden, ihn wissen zu lassen. Es gibt Lästerer des weiblichen Geschlechts, die demselben überhaupt alle Empfänglichkeit für echte, treue, wahre Liebe absprechen und behaupten wollen, alle edleren Empfindungen seyen bey den Weibern der Eitelkeit, den körperlichen Bedürfnissen und dem unbezwinglichen Hange nach abwechselndem Vergnügen untergeordnet, und nur Der, welcher die Kunst verstehe, diese drey Triebfedern immer zu seinem Vortheile spielen zu lassen, könne auf die Anhänglichkeit eines Weibes rechnen, aber auch so fest rechnen, daß nichts in der Welt der gänzlichen Hingebung einer Frau zu vergleichen sey, die in ihrem Geliebten Befriedigung für diese drey Bedürfnisse fände. Ich bin indessen weit entfernt, diesen Verleumdern beizustimmen, und was ich gewiß weiß, ist, daß unser siebenzehnjähriges Julchen den jungen Seelberg damals so herzlich liebte – als nur ein Mädchen lieben kann.


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