Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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XX.

Frau Zweigeld schaffte sich in der Nacht, die jenem Gespräche mit ihrem Gatten folgte, in ihrer beherzten und klugen Art volle Klarheit über die Lage. Sie brachte den Doctor zu einem Geständniß und legte sich alles in Gedanken zurecht. Sie waren ruinirt. Ihr Vermögen war aufgebraucht; sie hatten weit über ihre Verhältnisse gelebt. Der Doctor war in Wucherhände gerathen, eine Kasse war angegriffen worden und morgen mußten 8000 Gulden da sein, sollte zu der Armuth nicht auch die Schande kommen. O! sie verhehlte sich nichts. Dieses Geld aber konnte nur Benze in so kurzer Zeit beschaffen; er hatte es, er mußte es hergeben. Dieses war der einzige Ausweg, darum verschwendete Frau Zweigeld auch keinen Gedanken an das Peinliche solcher Eröffnungen und einer solchen Bitte an ihren künftigen Schwiegersohn. Die Ehre ihrer Familie mußte gerettet werden, kein anderer Gedanke beseelte sie.

Sie stand frühmorgens auf, um dieses mühevolle Tagewerk zu beginnen. Sie schien ein wenig müde, wie nach schlafloser Nacht, doch vollkommen ruhig. Wie sonst traf sie sanft und bestimmt ihre häuslichen Anordnungen; dann schickte sie das Dienstmädchen mit einem Brief zum Dr. Benze hinüber und bat ihn, sofort zu ihr zu kommen. Sie wünschte die Angelegenheit zu ordnen, während Gisela noch schlief.

Die alte Marie jedoch weckte Gisela heute früher als sonst. »Kind, Schatzerl! wer wird denn schlafen? der Herr Bräutigam ist schon kommen. Er ist drüben bei der Mama im Speisezimmer; dort reden sie mit einander schon eine halbe Stunde.

»Was mögen sie nur vorhaben?« fragte Gisela und richtete sich auf. »O! sie glauben ohne mich fertig zu werden. Geschwind, Marie, hilf mir. Die werden sich wundern, wenn ich auch mit dabei bin.«

Als Gisela bereit war, trat sie leise auf die Schwelle des Speisezimmers. Wie hübsch es dort war! Draußen tobte ein lautes Oktoberwetter. Heftiger Wind warf einen feinen Regen an die Fensterscheiben. Graues, gedämpftes Licht erfüllte das Zimmer; im Kamin brannte ein Feuer und warf seinen Schein auf den kleinen, weißen Frühstückstisch. Frau Zweigeld saß am Feuer, Gisela den Rücken zuwendend; neben ihr stand Dr. Benze, die Hände auf die Rücklehne eines Stuhles gestützt.

Gisela beschloß leise an ihren Bräutigam heranzuschleichen und ihn von hinten zu umarmen, der sonderbare Stimmton jedoch – mit dem die Mutter zu sprechen begann, bannte sie auf die Stelle, auf der sie stand, fest. Frau Zweigeld bemühte sich offenbar, ruhig zu sprechen, aber ihre Stimme zitterte; es war, als mische sich in die scharf und streng ausgesprochenen Worte ein unterdrücktes Schluchzen.

»Es handelt sich hier nicht darum, zu richten. Du und ich sind dazu nicht berufen. Es handelt sich nur darum, kannst und willst Du helfen?«

Benze wollte etwas Heftiges erwidern, doch versuchte er es niederzukämpfen, strich sich das Haar aus der Stirn, rückte nervös den Stuhl; endlich brach er doch los, leise und schnell. »Ob ich kann und will? Ich muß – ich muß. Wenn es je eine Zwangslage gab, so ist es diese. Mein Name, meine Ehre sind betheiligt. An das Geld denke ich dabei nicht, natürlich. Aber ich schäme mich meiner eigenen Feigheit. Diese That soll verdeckt, das Publikum soll getäuscht werden. Ich weiß, daß ich ein Unrecht begehe gegen Jeden, der künftig dieser Canzelei noch sein Vertrauen schenkt.«

»Wozu das Alles?« unterbrach ihn Frau Zweigeld. »Diesen Erwägungen nachzugehen, ist nicht unseres Amtes.«

»Nicht unseres Amtes?« wiederholte Benze und schüttelte leidenschaftlich die Lehne seines Stuhles. »Ich bin an Gisela gebunden, der Makel, der auf ihren Vater fällt, trifft auch mich, und ich soll hier nicht urtheilen dürfen? Ich bitte, bedenken Sie meine Lage. Das Geld! mein Gott! Das ist nicht der Rede werth. Ich bin jung, ich kann erwerben. Für Gisela opfere ich gern, was ich besitze. Aber ich habe mir hier in Wien eine besondere Stellung geschaffen durch das rücksichtslose Vorgehen gegen alles Unlautere, gegen jede Art der Corruption in unserem Stande. Dieses Vorgehen mußte mir zahlreiche Feinde schaffen. Nur die makellose Reinheit meines Namens und meiner Absichten schützte mich, und nun – nun gehört solch' eine That zu mir, ich bin an sie gebunden, ich bin Spießgeselle.«

»Du würdest besser thun, rücksichtslos Deinen Ueberzeugungen zu folgen, statt mich mit so grausamen Reden zu quälen,« sagte Frau Zweigeld und weinte.

»Wie kann ich das!« rief Benze. »Es thut mir weh, Sie betrüben zu müssen; Sie wissen, wie tief ich Sie verehre. Weinen Sie nicht, das Geld soll in einer Stunde in Ihren Händen sein. Aber ich denke, es ist verzeihlich, wenn ich in einem Augenblicke, in welchem ich gezwungen werde, all' meine Grundsätze zu verleugnen, einige Erregung verrathe. Ich weiß – ich muß so handeln. Mein Gisela gegebenes Wort bindet mich auch an diesen Mann, zwingt mir einen Antheil an seiner That auf, die mich sonst für immer von ihm trennen würde...« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, machte einige Schritte, da erblickte er Gisela, bleich, die Zähne in die Unterlippe grabend, als wollte sie einen Schmerz verbeißen. »Gisela!« rief er, »bist Du lange schon hier?«

»Eine Weile,« erwiderte sie und trat in ihrer wohlerzogenen, geraden Haltung vor, anscheinend ruhig; und sie begann hastig zu sprechen, als habe sie Eile mit dem, was sie zu sagen hatte, fertig zu werden, ehe die Thränen kamen. »Ich weiß nicht, was geschehen ist, – – was es mit dem Vater ist; es ist auch gleichviel, ich bleib' gewiß beim Vater, was auch geschehen ist; ich gehöre zum Vater. Und wenn Du glaubst, Franzl, daß Du an mich gebunden bist, so gebe ich Dir Dein Wort zurück. Ja... nimm es nur;« sie streckte die Hände mit den kindlichrunden Fingern heftig vor, als würfe sie etwas vor ihren Bräutigam hin. »Ja, ich geb' es Dir zurück, Du bist frei. Vom Papa bin ich nicht zu trennen; willst Du zu ihm nicht gehören, so kannst Du zu mir auch nicht gehören. Wir gehören beide vielleicht nicht in Deine Welt. Und so ist's aus.«

»Gisela –« das war das Einzige, was Benze heiser und leise herausbringen konnte, sie aber hörte ihn nicht.

»Nein, Franzl! Da hast Du's zurück, Dein Wort!« rief sie und eilte aus dem Zimmer.

Die alte Marie saß in ihrer kleinen Kammer und strickte. Die Thüre zur Küche stand offen, damit Marie die Arbeit der Küchenmagd, von ihrem Sessel aus, überwachen konnte. Dorthin flüchtete Gisela.

»Marie!« sagte sie leise und athemlos; die Alte schaute über ihre runden Brillengläser ernst in Gisela's erregtes Gesicht. Diese schloß jedoch zuerst die Thüre, dann setzte sie sich neben Marie nieder. Nun hätte sie es sagen können; sie versank jedoch in ein trauriges Sinnen; Thränen flossen über ihre Wangen, bis sie die Hände vor das Gesicht schlug und schluchzte.

Marie legte ihr Strickzeug bei Seite und begann den blonden Kopf des Mädchens zu streicheln. »Es wird schon wieder gut werden, Kind,« meinte sie.

– »Ja, Marie! es ist schon gut. Du weißt, Alles ist aus. Ich bleib' hier bei Euch. Das andere alles ist vorüber; es ist wieder, wie es war; ich und Ihr«... Die Thränen flossen reichlicher.

Marie schüttelte den Kopf. »Was für bunte, unnütze Sachen, aus denen doch nur Herzweh herausschaut, solche Herrschaften machen!« dachte sie. Doch sagte sie, in ihrer beruhigenden, brummigen Weise: »Schon recht! Wir werden uns auch weiter miteinander vertragen.«


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