Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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»Wir sind zufällig zu einander gekommen,« sagte Lothar sinnend, »und es ist wunderlich, ihr scheint es wohl zu thun, bei mir zu sein; es ist zuweilen, als klammere sie sich ängstlich an mich. – Dabei liegt in ihr eine wilde Kraft, die sie gewaltsam herunter zu drücken sucht; es blitzt zuweilen in ihren Augen – – und dann wieder ist sie gleich darauf das schläfrige, ruhige Wesen, das bei mir sein will, sich zäh an mich hält... Und siehst Du – das ärgert m, denn ich will das Wilde in ihr besitzen – jene andere unbändige Tini, die sie vor mir niederkämpft.... Das hängt eben mit dem zusammen, was ich vorher sagte, jener Kraft zu leben, die wir verloren haben.... Aber Du sagst, das sei Unsinn.«

»Das ist's auch, Bruder,« rief Rotter, und sprang auf. »Schick sie fort – die Schwarze.«

»Auch daran hab' ich gedacht,« erwiderte Lothar.

»Gewiß! Servus! Ich geh' jetzt. Auf heute Abend also.« Damit trennten sie sich.

Lothar ging heim, streckte sich auf sein Sopha aus und schloß die Augen. Die Gedanken schwirrten ihm heute wirr und beunruhigend durch den Kopf. Es raschelte im Zimmer. Er öffnete nicht einmal die Augen, er wußte, es war Tini.

So kam sie oft zu ihm; zuweilen, um stundenlang am Fenster zu sitzen, ohne ein Wort zu sprechen. Es kamen jedoch auch Zeiten, in denen sie ganz fortblieb und Lothar mit scheuen Blicken auswich, wenn er ihr begegnete. Auch jetzt war sie für mehrere Tage verschwunden gewesen.

Als Lothar nun die Augen öffnete, sah er das Mädchen neben sich auf dem Fußboden kauern – im blauen Kleide, die schwarze Flechte zwischen den Fingern drehen – in den Augen ein unruhiges Glitzern. »Ich wußte wohl, daß Du nicht schläfst,« sagte es und lächelte.

»Wo warst Du denn so lange?« fragte Lothar.

Das Lächeln verschwand sofort. Ein warmes Roth überflog Tini's Gesicht. »Ist der Chawar wieder bei Dir gewesen?« fuhr Lothar ruhig und wie gleichgültig fort. »Das solltest Du nicht thun. Dieser Mensch hat uns belogen. Er ist mehrere Mal abgestraft worden und, wie ich fürchte, ein sehr schlimmer Mensch.«

Tini blickte auf – blinzelte mit den Wimpern und holte tief Athem.

Auch Lothar richtete sich auf. »Wie es in ihr kocht,« dachte er, »jetzt kommt die wahre Tini heraus!« –

Doch nein! sie schwieg, indem sie ihre Flechte auf den Mund drückte und ihre Augen wurden feucht.

»Hab' ich Dich gekränkt?« fragte Lothar sanft. Sie that ihm leid, und als sie sich an ihn heran drängte und ihr heißes Gesicht auf seine Hand legte, strich er ihr sanft mit der anderen über das Haar. »Laß's gut sein. Wir wollen uns schon von ihm losmachen. Nicht wahr? Wenn Du so ganz zu mir gehören wolltest, so sollte dieser Mensch uns schon nichts anhaben können.«

Ein tiefer Seufzer hob die Brust des Mädchens und Lothar's Hand wurde von Thränen naß.

»Weine nicht, Tinerl,« tröstete er sie. »Denken wir an andere Dinge. Komm! richt' Dich auf.«

Sie schüttelte den Kopf, sie wollte nicht.

»Gut! bleib so – wenn Du willst.« Lothar sprach zu ihr, wie zu einem Kinde. »Wenn Du nicht am Fenster sitzest und an meinen Strümpfen besserst, so fehlst Du mir. Ich kann ruhiger arbeiten, wenn ich Deinen schwarzen Kopf dort sehe. Gewiß!... Ich sollte aus diesem Hause fort und Du solltest mitkommen. Deine Mutter mag Dich ja ohnehin nicht.... und ich habe Dich nöthig. Du könntest mich kroatisch lehren, so wie Du mit dem Vater sprichst – und ich... ich könnte Dich vielleicht auch manches lehren... Wir könnten uns aneinander erholen, ein Jeder von seiner Qual.«

Tini antwortete nicht, nicht als Lothar schwieg, sagte sie leise: »Was weiter?«

Und er mußte weiter sprechen – von dem »Wie es dann sein würde.«

Da ward an Lothar's Thüre geschellt.

»Wer ist's wieder,« rief Tini sehr zornig.

»Herren, die mich abholen wollen,« erwiderte Lothar und ging hinaus, das Mädchen im hinteren Zimmer zurücklassend. –

Oberwimmer war es mit Tost, von dem er in letzter Zeit unzertrennlich war.

»Wir kommen Dich abzuholen, obwohl es noch ein wenig zeitig ist,« rief Oberwimmer.

Lothar hieß sie eintreten. Er war nicht erfreut über diesen Besuch, denn Tost war ihm zuwider.

Tost merkte nichts davon, er war selbst zu verlegen. Auf Lothar's hingeworfene Bemerkung: »Es steht uns heute ein interessanter Abend bevor,« machte Tost ein hochmüthiges Gesicht und meinte: »Wir veranstalten in jedem Monat solche Abende. Es freut mich, daß Dr. Klumpf sich entschlossen hat zu sprechen; da wird es sich ja zeigen.«

»Was wird sich zeigen?« fragte Lothar gereizt.

»Wir sind nämlich der Ansicht,« begann Tost in lehrhaftem Ton: »daß wir in unserem engeren Freundeskreis – die Gelegenheit geben müssen, die Ansichten des neuen Klubs, der nun, – ob mit Recht oder nicht – lasse ich unerörtert – so viel Aufsehen macht, von der günstigsten Seite – möchte ich sagen – kennen zu lernen; damit es nicht heißt, wir entstellten die fremden Ansichten....«

»Höre, Brückmann!« unterbrach ihn Oberwimmer, der fürchtete, daß Lothar sich über Tost ärgere. »Wir kommen Dir nicht gelegen? Ich sah vorhin hinter der Thür so etwas wie einen blauen Weiberrock.«

Tost brach darüber in so krampfhaftes Lachen aus, daß es ihm die Luft verschlug und ihn sehr entstellte.

»Es ist das Mädchen, welches mich bedient,« meinte Lothar, aber Tost's Lachen hörte nicht auf.

»Ja, so ist der Tost,« versetzte Oberwimmer, »wenn von einem Mädchen nur die Rede ist, so beginnt er zu lachen. Beruhige Dich doch, mein Alter. Was Teufel! ein Mädl ist ja nichts Lächerliches. Oder hast Du solch' lächerliche Erfahrungen in dieser Beziehung gemacht? Erzähl' uns doch auch etwas davon.«

Tost erröthete und wurde plötzlich ernst. Oberwimmer ließ ihn jedoch nicht mehr los. »Erzähl' doch! Sollte man es diesen Blutmenschen ansehen? Sieht der nach Liebeserfahrungen und noch dazu so lustigen aus? Ja, ja – auch Marrat hatte seine Marquise.«

Tost kaute an seinem Barte und ärgerte sich über diese Neckerein, bis Oberwimmer ihn vertraulich auf das Knie schlug und sagte: »Geh'! Du ärgerst Dich doch nicht?«

Da lachte er wieder sein ungelenkes Lachen und schaute Oberwimmer bewundernd und dankbar an, wie nur ein so verkümmertes, gelbes Wesen – ein so rosiges und munteres, wie Oberwimmer es war, ansehen kann.

Es war Zeit zum Aufbruch. Lothar bat die Herren ein wenig zu warten und ging in das Nebenzimmer.

Tini kauerte noch auf dem Teppich. »Du gehst fort?« rief sie ihm entgegen. »Bleibst Du lange?« –

»Ja – ich bleibe lange, bis in die Nacht hinein,« antwortete Lothar freundlich und machte sich daran, die Hände zu waschen.

»Bis zur Nacht!« wiederholte Tini, »und Du kannst nicht bleiben?«

– »Nein, das geht heute nicht.« – Als Lothar sich umwandte, sah er, wie Tini sich auf ihren Knieen aufgerichtet hatte; sie war sehr bleich und ein Ausdruck von Angst und Zorn lag auf ihren Zügen. Leise und rauh sagte sie: »Aber, wenn – ich Dir sage – Du mußt heute bei mir bleiben.«

– »Das würde nicht viel helfen,« erwiderte Lothar lachend, »ein ander Mal.«

– »Ein ander Mal! – Da hilft's nichts. – Nein, heute.«

– »Es geht nicht. Was hast Du denn?«

– »Wozu hilft denn das Alles, was Du vorhin sagtest?«

Es lag wie Hohn in diesen Worten, dennoch quollen Thränen aus ihren Augen, verklärten diese Augen mit ihrem feuchten Glanz und rannen langsam über das regungslose Gesicht. »Dann hilft Alles nichts!« wiederholte sie. »Nein – nein! Jesus Maria! was thu ich? Und ich hab' geglaubt, bei Dir wär's sicher!«

Lothar wurde ungeduldig. Er begriff nicht, was das Mädchen so erregte.

Oberwimmer rief nach ihm.

»Tinerl, sei vernünftig. Morgen sprechen wir uns in Ruhe aus.« Flüchtig strich er mit der Hand über Tini's Kopf und wollte fort, sie jedoch hielt seine Hand fest, so eisern fest, daß es ihn schmerzte.

»Bleib!« flüsterte sie – – – »denn morgen – mein Gott!...«

Oberwimmer rief wieder.

Lothar machte sich von Tini los. »Du hörst sie rufen. – Was sprichst Du? Sei kein Kind. Gerade heute geht es nicht....« Als er das Zimmer verließ, sah er, wie das Mädchen mit leidenschaftlich verzweifelter Gebärde die Arme ausbreitete, sich über das Sopha warf und ihr Gesicht in den Polstern verbarg.

Die Herren waren schon ungeduldig, es war Zeit zu gehen. Unten am Thor stand ein kleiner blonder Mann und schien sie zu erwarten.

Lothar erkannte den Herrn, der vor einigen Tagen Oberwimmer in der Redaktion eine Nachricht von seiner Frau gebracht hatte.

Oberwimmer schien diese Begegnung zu verstimmen, er zog die Stirn kraus und trat hastig auf den Mann zu. »Was giebt's wieder? Suchen Sie mich?« Dann sprachen sie leise und lebhaft mit einander. Als Oberwimmer sich wieder seinen Genossen zuwandte – war er bleich und ein grämlicher, gedrückter Ausdruck entstellte seine Züge.

»Ich werde Euch bitten, voraus zu gehen,« sagte er hastig. »- Eine Nachricht von meiner Frau... ich muß....,« damit enteilte er.


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