Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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Alle hörten ihm zu. Die meisten sahen ihn nicht eben freundlich an; nur in den leuchtenden Augen seiner Schwiegermutter las er Zustimmung.

»Mein junger Beamter ist ziemlich in demselben Falle wie der Notar.«

Hierbei zischte der junge Littchen: »Genau in demselben Fall. Er hat sich vergangen, weil der Trieb nach Vergnügungen ihm keine Ruhe ließ. Der Unterschied liegt in seiner Jugend, die den schlechten Einflüssen seiner Umgebung schwerer widersteht, im kargen Maß der ihm beschiedenen Lebensfreuden, endlich in seiner Umgebung – in der Stadt – in der die Jagd nach dem Vergnügen die einzige Loosung ist.«

»Der arme Bub'!« spotte Dr. Zweigeld. »Er will auch ein wenig Champagner – die eine oder andere Trüffel für sich. Und was bleibt in dieser bösen Welt diesem Armen übrig, als...«

»Gut – dann hat der Notar wenigstens...,« wandte Benze ein.

Aber sein Schwiegervater unterbrach ihn. »Geh! was weißt Du davon. Jemand, der einen großen Etat hat, tausende von Geschäften, der kann nicht immer so peinlich Buch führen – da kann leicht etwas passiren.«

»Auch, daß er Geld angreift, welches ihm nicht gehört?«

»Was heißt das? Er nimmt aus dieser Kasse, aus jener Kasse – natürlich in der Absicht – – es nachträglich zu decken....«

»Da liegt aber die Schuld. Er soll fremdes Geld nicht berühren, wenn er ein ehrlicher Kerl ist.«

»Es giebt Geschäftsüsanzen...«

»Die darf es nicht geben. Und weil Männer von der Stellung des Notar Holzer solche Geschäftsgewohnheiten annehmen, weil man in Kreisen, die eine gewisse Autorität haben, von solchen Gewohnheiten, wie von etwas Entschuldbarem spricht, deshalb – sage ich – giebt es für meinen jungen Beamten Milderungsgründe. Er lebt in vergifteter Luft.«

»Behalte doch solche Redensarten für die Geschworenen und verschone uns damit!«

Schwiegervater und Schwiegersohn stritten so heftig und feindlich, daß ein verlegenes Schweigen die Gesellschaft beherrschte.

Frau Zweigeld blickte ihren Gatten erschrocken und erstaunt an.

Als seine Augen den ihren begegneten, erröthete er, lachte befangen und meinte: »Ich vertheidige den armen Holzer, nichts weiter. Nur dürfen die Leute, die in so complicirten, ja – großartigen Verhältnissen leben, nicht nach dem Moralkatechismus, den unsere jungen Leute von der Schule mitbringen, beurtheilt werden. Wenn die jungen Leute sich als Sitten-Areopag constituiren – wer kann da bestehen vor dieser Schulstubenmoral? Uebrigens ist dieses Thema nicht heiter. Lassen wir die todten Notare ruhen. Gehen wir zu einem weniger ledernen Gegenstande über.«

Frau Zweigeld athmete erleichtert auf, obleich das böse spöttische Lächeln, welches sich jetzt auf dem Gesicht ihres Gatten zeigte, ihr auch nicht gefiel.

»Woher stammt wohl der Ausdruck ledern,« begann der Doctor, und alle hofften, daß es nun lustig werden würde. »Herr von Mayer, Sie müßten das wissen.«

»Ich, warum?« fragte der Fabrikant und erhob von seinem Teller ein übergroßes, rothes Gesicht, welches ein silberner Heiligenschein – der über der Stirn anfing und unter dem Kinn endete, umgab. »Ich? warum?«

»Nun, weil Sie doch alles Lederne machen.«

»Aha!«

»Wohl gemerkt –, ich sage nicht, Alles, was Sie machen, ist ledern.«

»Haha!«

»Ja –, woher kommt der Ausdruck?«

»Ich weiß es nicht – lieber Doctor..«

Anfangs lachte man, aber der Doctor verbiß sich so zäh und feindlich in diese Neckerei, daß auch diese ungemüthlich wurde, und Dr. Littchen klingelte zur rechten Zeit an sein Glas, um das Brautpaar, die Eltern des Bräutigams, das ganze gastliche Haus, die Zierde der Wiener Salons, hochleben zu lassen. Dann kam das Dessert und endlich der von der Hausfrau ersehnte Augenblick, die Tafel aufzuheben. –

Frau Zweigeld hatte ursprünglich die Absicht gehabt, ihre Gäste den Abend über bei sich zu behalten, damit die junge Welt ein wenig tanze. Jetzt jedoch erwähnte sie das nicht mehr; und man verabschiedete sich.

Als die Gäste fort waren, ging Dr. Zweigeld in sein Zimmer und schlug die Thüre hinter sich zu. Frau Zweigeld mußte nach den Schani's sehen.

Das Brautpaar saß im Wohnzimmer am geöffneten Fenster und kühlte sich die heißen Wangen.

Plötzlich flog ein Lächeln über Gisela's Gesicht und sie fragte: »Willst Du mich nicht wieder um Vergebung bitten?«

»Um Vergebung? Wofür?« meinte Benze unsicher.

»Wegen Deiner Heftigkeit gegen den Papa.«

Da wurde er wieder steif. »Ich habe nur meine Ueberzeugung ausgesprochen.«

»Warum mußtest Du denn Deine Ueberzeugung aussprechen, Franzl? Und noch dazu eine so harte, unfreundliche Ueberzeugung? Es klang, als wolltest Du den Papa ausmachen; das ärgerte ihn.« Bei diesen Worten nahm sie seine Hand und stützte ihre Wange auf sie.

»Es giebt Dinge, die gesagt werden müssen,« erwiderte er feierlich – »Ansichten, denen entgegen zu treten, Pflicht ist.«

»Was der Papa sagte, war ja nichts Schlechtes, soviel ich davon verstand. Jener arme Mann! Es mag ja garstig gewesen sein, was er gethan hat; aber nun ist er todt. Bitte, wenn Du willst, daß ich mich an Deinen Arm lehne, laß ihn nicht so steif sein. Ich finde es hübsch, daß der Papa nicht mochte, daß man noch so schlecht von ihm spricht. Da er selbst sterben gewollt, muß er doch sehr unglücklich gewesen sein. Wozu ihn noch schelten? Ich verstehe nicht, wozu das gut sein kann, so furchtbar streng zu urtheilen; »Du bist – schlecht –; du bist nichts Gutes; dich muß man einsperren.« Warum? Es geht vielen Menschen schlimm genug; wenn man Jedem, der unglücklich ist, noch nachrufen soll, du bist ein Schelm, dann wird das Leben zu traurig – zu unfreundlich und kalt.«

Wie Gisela diese lange Rede langsam und nachdenklich vor sich hingesprochen, die Blicke auf die mondbeschienene Mutter Gottes unten auf dem Brunnenrohr geheftet.... nahm auch Benze's Gesicht einen weichen und betrübten Ausdruck an. Der Arm, an den Gisela sich lehnte, war nicht mehr steif, aber er zitterte sachte.

Jetzt, da Gisela schwieg, sagte Benze leise: »Gisela – und fürchtest Du Dich – vor diesen – wie sagtest Du doch? vor diesen – kalten und unfreundlichen Ansichten?«

Hastig schaute Gisela zu ihm auf; wieder verklärte ein Lächeln ihr Gesicht; sie faßte nach den Aufschlägen seines Frackes und zog ihn zu sich nieder, sodaß er knieen mußte und ihr Gesicht nah an das seine haltend, sah sie ihm in die Augen: »Das heißt, ob ich mich vor Dir fürchte; vor dem ernsten, steifen, mürrischen Franzl? Nein, vor dem fürchte ich mich nicht. Den hab' ich gerad' ernst und steif gewollt, sodaß Nichts ihm groß genug, rein und fein genug sein kann.« Sie faßte seinen Kopf und küßte ihn auf den Mund, dabei zerzausten ihre Finger sein wohlgescheiteltes Haar. »Nur den Papa darfst Du nicht ärgern, das kann ich nicht hören. Jesus, wie Du jetzt ausschaust; gerade wie Emmy! Und vor diesem Kopf sollte ich mich fürchten?«

Geduldig ließ der Doctor sie gewähren und mit den wild über die Stirn gezogenen Locken nahm sein feierliches Gesicht etwas Knabenhaftes an, das ihm gut ließ.

Eilig ging Frau Zweigeld durch das Gemach. Das Bild des mondbeschienenen Brautpaares hielt sie einen Augenblick auf. Wie hübsch das war! Wenn nur nichts das Glück dieser Kinder störte! Sie wußte es selbst nicht, was sie fürchtete. – Sie begab sich zu ihrem Gatten.

In seinem Zimmer herrschte tiefe Finsterniß. Der Doctor saß still in sich zusammengesunken in seinem Sorgenstuhl.

»Theodor! warum ist es hier so finster?« rief Frau Zweigeld; erhielt jedoch keine Antwort. Da ging sie zu ihm, setzte sich neben ihn, und nahm seine Hand: »Bist Du krank?«

– »Ich? durchaus nicht. Wie kommst Du darauf?«

– »Doch! etwas ist passirt.«

– »Passirt! jeden Tag passirt etwas.«

– »Du warst bei Tisch heute so heftig – so eigen.«

– »Weil ich mich über die unpassenden Moralpredigten des Franz ärgerte.«

– »Seine Ansichten waren jedoch ganz vernünftig und edel.«

– »Ach was! Wer hat ihn zum Tugendrichter bestellt.« –

– »Das ist's auch nicht,« drang Frau Zweigeld weiter in ihn, »Du warst schon vor dem Essen besorgt. Was sind das für unangenehme Geschäfte, die Dich quälen? Sag's mir doch?«

Sie hatte sich bisher nie um die Geschäfte ihres Mannes gekümmert. Heute, da sie ihn so niedergeschlagen sah, machte sie sich Vorwürfe, die Pflichten einer Gattin vernachlässigt zu haben und beschloß, in ihrer tapferen Art, die Sache zu ergründen. An dem rauhen Stimmton, an der Unruhe, mit der er sich im Sessel hin und her warf, merkte sie wohl, daß ihn etwas quälte. Freilich fühlte er sich jetzt äußerst elend. Er hätte weinen, oder Jemanden schlagen können. Die sanfte, besonnene Stimme seiner Frau erschütterte ihn, machte ihn weich und wehmüthig.

»Man darf sich von Geschäftssachen nicht so beeinflussen lassen,« fuhr sie fort, »man besorgt sie so gut man kann und bleibt doch geistig über ihnen erhaben.«

Dieses »erhaben« machte den Doctor rasend. »Erhaben?« wiederholte er heiser und schnell. »Wenn man 9000 Gulden nöthig hat und nicht weiß, wo man sie hernehmen soll, da ist es schwer, – »erhaben« – zu sein.«

– »9000 Gulden? Nein, lassen sich die denn so schwer beschaffen?«

– »O! wenn ich's könnte, hätte ich sie längst beschafft.«

– »Vielleicht geht das nicht so geschwind, Du mußt Dir Zeit lassen.«

– »Aber morgen um 4 Uhr Nachmittags müssen sie da sein.«

– »Warum müssen sie?« fragte Frau Zweigeld langsam; sie besann sich – – das erinnerte sie an etwas – – »um 4 Uhr« – wiederholte sie... denn plötzlich rief sie – als sehe sie etwas Entsetzliches: »Die Abgabe der Waisengelder!« Die Hand ihres Gatten, die sie in der ihren hielt, wurde kalt und sie ließ sie hastig fallen. –

»Ja – das ist's –,« sagte der Doctor leise.

Sie verstand vollkommen das, was sie vor wenig Augenblicken noch für unmöglich gehalten; ja sie wunderte sich jetzt, daß sie das nicht früher schon gemerkt hatte. Sie erhob sich und machte einige Schritte im Dunkeln; ihre Stimme klang metallig und laut, als sie fragte: »Und Du konntest das Geld nicht beschaffen?«

– »Nein –.«

– »Und unser – – mein Geld?«

– »Unser Geld?« klang es tonlos aus dem Sessel zurück.

– »Also – es ist nicht da. Wir sind lange schon ruinirt. Nicht? – Gleichviel – jenes Geld muß geschafft werden; – – ich werde Franz darum angehen.«

»Den!« stöhnte der Doctor.

Seine Gattin aber wies ihn streng zurecht. »Du hast nicht mehr das Recht, in dieser Beziehung wählerisch zu sein. Es gilt – unser Kind und uns vor dem Aeußersten – der Schande – zu retten.« Damit schritt sie zur Thüre. Sie hatte versucht sich zu beherrschen, ruhig zu sein, aber indem sie das Zimmer verließ, stieg die Empörung doch so mächtig in ihr auf: »Du hattest wohl Grund, den Dr. Holzer heute in Schutz zu nehmen.«

Den ganzen Abend aber blieb das Gemach des Dr. Zweigeld finster und der einzige Ton in demselben war das raschelnde Geräusch, mit dem sich die dunkle Masse im Sessel am Fenster hin und her warf.


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