Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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XVI.

Am Nachmittage, von einem Geschäftsgange heimkehrend, begegnete Lothar Rotter. Den Filzhut im Nacken, heftig mit seinem demokratischen Knotenstock auf das Pflaster stoßend, ging er stramm die Straße hinab. »Holla – Bruder!« rief er Lothar an. »Wie steht das Geschäft?« Lothar blieb stehen und lächelte nachdenklich, aber Rotter zog ihn mit sich fort. »Komm',« sagte er, »ich begleite Dich. Heute ist ja der große Tag –; heute Abend.«

»Groß?« meinte Lothar. »Das ist Ansichts Sache. Du meinst doch das Examen, welches Lemke mit Klumpf anstellen will?«

»Oder umgekehrt, mein Lieber,« lachte Rotter in heit'rer Schadenfreude. »Laß Herrn Lemke sich doch ausweisen.«

– »Gut! Und wenn die Versammlung, diese drei, vier Arbeiter oder sonstige Leute Lemke's Klumpf recht geben, was dann? – –«

– – »Das wollen wir ja gerade!« rief Rotter und sah mit seinen braunen Augen Lothar lustig an. »Was ist's – Bruder, Du siehst mir heute nicht recht aus; so – bitter.«

Jetzt lachte auch Lothar. »Bitterkeit gehört zu unserem Beruf.«

»Gewiß!« bestätigte Rotter, »aber das ist anders; das ist eine gesunde Bitterkeit, siehst Du; die macht uns munter und frisch; wie Bier – weißt Du.« – –

»Freilich! zuweilen auch betrunken wie Bier,« schaltete Lothar ein.

Rotter gab das zu. »Auch das, Bruder! Wenn Du wüßtest, wie ich mich jeden Tag freue, die Akten bei Seite legen und mich wieder unserer Sache hingeben zu dürfen. Wie ein Fisch fühle ich mich dann, der auf dem Trockenen gelegen hat und nun wieder in's Wasser kommt.«

»Das muß es sein,« bemerkte Lothar sinnend. »Du hast Deine regelrechte Brotarbeit, und ist die gethan, so holst Du die große Sache hervor und sie behält dadurch für Dich ihr Feiertagsansehen.«

– »Ach was! Ich würde diese Brotarbeit bald bei Seite schieben, wenn ich könnte.« –

– »Schön! Aber wenn man nun darauf gestellt ist, für die Zukunft zu arbeiten; die Sache ist sehr groß, nicht immer klar; wir müssen förmlich mit ihr ringen, und da kommen solche Stimmungen und bringen allerhand Zweifel. Ich meine doch, es muß gut sein – neben der Arbeit, die unendlich ist, eine zu haben, die fest beschränkt ist.«

»Grillen!« meinte Rotter und führte einen kräftigen Hieb durch die Luft. »Ich würde Dir wünschen, so einen Tag über den Akten zu hocken. Nein Bruder! da, wo noch Alles zu thun ist, da geht uns das Herz auf! Die Methode, die Erkenntnis, die Praxis – Alles ist hier selbst zu schaffen. Wie Götter – ja lache nicht – gerade so wie Götter stehen wir vor dem Chaos, mit unserer Idee im Kopf zu schaffen – – das ist's!« In seiner Schaffenslust breitete er die Arme aus. »Das ist Arbeit!«

»Ja – Chaos,« wiederholte Lothar halblaut.

– »Wie Du auch heute bist!« rief Rotter. »Du bist krank. – Chaos – natürlich! Die alte Gesellschaft ist das Chaos, aus dem gilt es etwas Rechtes zu schaffen, und es geht famos. Die Zukunft wird ausgerissen – – Die Vereine... Ich verstehe Deine trübe Stimmung nicht.«

Langsam waren sie den Burgring hinabgeschritten; am Eingang der Babenbergerstraße, wo Rotter nach Mariahilf hinaufsteigen wollte, blieben sie stehen. »Komm'! setzen wir uns noch ein wenig,« meinte Lothar. »Du drehst mir eine Cigarrette und sprichts Dich aus. Du hast ja das Herz voll.«

Sie setzten sich auf eine Bank der Allee. Die Straße vor ihnen hatte ein müdes, träges Ansehen im stetigen, in's Röthliche schlagenden Lichte des Nachmittags.

»Aussprechen?« sagte Rotter. »Die Reihe wäre heute an Dir. Das würde Dir gut thun. Klumpf leidet auch an solchen Stimmungen. Ich begreife nicht, warum das nöthig ist? Gut, man bekommt täglich etwas zu sehen und zu hören, das häßlich, traurig – – scheußlich ist; aber warum so etwas weltschmerzlich auffassen? Man fühlt Zorn – der erfrischt, der kräftigt – der ist ein Affect wackerer Art – wie Kant sagt – –«

– »O! auch Kant sagt das?« schaltete Lothar ein.

»Spotte nur – mein lieber!« fuhr Rotter fort. »Wir müssen Alles für uns verwenden – auch Kant.«

»Es ist sehr angenehm,« versetzte Lothar, den Rauch seiner Cigarrette von sich blasend und zu den gelben Wipfeln des Burggartens empor sehend. »Es ist sehr angenehm, Dich so sprechen zu hören. Sprich doch noch.«

»Teufel!« fuhr Rotter auf. »Du machst, als wäre ich ein altes Clavier, das Dich in den Schlaf singen soll!«

»Nein!« wehrte Lothar ab. »Ich meine es ernst. Du hast Recht, und es ist immer angenehm zu hören, daß Jemand Recht hat, wenn einer selbst an den Resten eines alten Adam leidet.«

– »Was ist das, Bruder? Sag'! Sprich Dich aus!«

– »Nun, solch ein Anfall es alten Adam macht sich fühlbar durch gewisse Zweifel.«

– »Das kommt bei Jedem vor,« beruhigte Rotter.

– »Dann durch eine gewisse Abneigung über die Zukunft, über Verstaatlichung der Arbeit und dergleichen noch zu denken.«

– »Das ist schon schlimmer.«

– »Ferner durch eine Art Widerwillen gegen die Unterdrückten und Enterbten.«

»Das ist fatal! Bist Du auch sicher, daß es Widerwillen ist.«

– »Doch etwas dem Aehnliches. Siehst Du den Fechtbruder dort auf der Bank? In gesundem Zustande sehe ich in dem Manne einen Unglücklichen, der hart die Fehler der Gesellschaft zu büßen hat. Nicht – wahr?«

»Gewiß!« bestätigte Rotter eifrig. »Solche Gestalten sind gleichsam die rothe Tinte, mit der die Fehler der Gesellschaft augenfällig unterstrichen werden.«

Ueberrascht schaute Lothar auf. »Hör', das ist neu! Das dürfte sich unser Blatt nicht entgehen lassen. Rothe Tinte – Teufel!«

Rotter lachte vergnügt. »Es ist wirklich nicht schlecht. Aber Dein Zustand?«

»Bei Anfällen des alten Adam,« setzte Lothar seinen Bericht fort, »glaube ich nun zu bemerken, daß jener arme Genosse ziemlich unreinlich ist, daß er im Umgang eine recht gemeine Art hat, mir Geld abzuschwindeln, daß er geneigt ist, seinen Mitbrüdern, um weniger Kreuzer willen, den Hals abzuschneiden und in solchen Augenblicken sind die Eigenschaften geeignet, mir Uebligkeiten zu verursachen.«

– »Das wird ernst!« meinte Rotter.

– »Ich sagte es Dir wohl! Zu den ferneren Symptomen kannst Du noch eine gewisse Sehnsucht nach polirten Thüren rechnen, nach stillen, vornehmen Häusern, in denen es gut riecht und nach Mädchen mit guten Manieren, und den Gedanken, daß es nicht so übel sein mag, ruhig, hochmüthig und bequem zu leben, ohne sich um die Zukunft zu bekümmern.«

»Ai – ai!« jammerte Rotter, »würde ich Dich nicht kennen, Bruder, ich wüßte nicht, was ich von alledem denken soll!«

»Siehst Du's wohl,« sagte Lothar ernst. »Aber beruhige Dich, das geht wieder vorüber. Das ist der alte Adam, der Rest einer müßigen und in falschen Anschauungen verbrachten Jugend. Man zieht nicht einen Adam aus und einen anderen an, ohne dabei ein gutes Stück Leben mit zu verlieren. Das ist's, daran sind wir alle krank – –, Du vielleicht am wenigsten.... Wir haben nicht mehr jene Kraft in uns, die instinktiv, ohne sich viel umzusehen und mit Leidenschaft lebt. Was sich in uns regt, ist eine verdorbene Maschine, die mühsam durch Hin- und Herdenken in Gang gebracht wird... Das was im Volk brennt... es zu all' jenen Ungeheuerlichkeiten treibt, die wir nicht verstehn..., jene Kraft, der zu Liebe sie morden und toben und sich plagen – die ihnen in allen Adern kocht – wir begreifen sie nicht einmal – und doch wollen wir für sie Gesetze finden. Sieh – das giebt mir viel zu denken, – könnte ich nur einmal das Leben so einfach und warm in mir fühlen – – wie – wie – nun – wie die Tini z. B. – – ich würde unsere Aufgabe besser verstehen...«

Rotter dachte kopfschüttelnd nach. »Das verstehe ich nicht, das ist zu hoch... und – vergieb! – und ich glaube auch – es ist Unsinn.« Dann lachte er und schlug Lothar auf das Knie: »Nein, ich weiß, was Dir fehlt! – Ganz recht – wir können nicht immer oben bei den Ideen wohnen – aber dazu sind die Mädl da.«

»Ich hab' ja ein Mädl,« sagte Lothar zerstreut.

– »Ach – wenn Du die Schwarze meinst, die gestern bei Dir am Fenster saß und so ungeschickt Deine Strümpfe ausbesserte, – die ist die Rechte nicht! Wir brauchen etwas Stilles, Sanftes, Blondes. Du kennst die Pepi? Nein – diese Schwarze ist zu wild – zu gewaltsam. Ich weiß nicht, was Du an der findest!«


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