Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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XV.

Elsa Gerstengresser hatte einen freien Nachmittag und benutzte ihn dazu, am geöffneten Fenster zu sitzen und einen neuen Besatz an ihr bestes Kleid zu nähen. Niemand war zu Hause; das war Elsa eben recht. Nach dem beständigen Lärm des Café konnten die armen Nerven hier in der Stille ausruhen. Sie ließ auch die Arbeit bisweilen in den Schooß sinken und wiegte das Köpfchen mit seiner Wolke von wirrem, hellbraunem Haar schläfrig hin und her. Ein derbgoldener Strahl der Nachmittagssonne fiel schräg in's Fenster und erwärmte das runde, bleiche Gesicht. Sie war todtmüde und doch mochte sie nicht schlafen und das Bewußtsein dieses Ruhens verlieren. »Du brauchst keine Melange, keinen Zucker anzuschreiben; du brauchst nicht über die Witze des Lieutenants zu lachen, noch dem kleinen Doctor auf die Nase zu geben; du brauchst dich mit dem Pepi nicht zu zanken – du brauchst nichts, nichts zu thun, als dazusitzen, reine Luft einzuathmen und dich in der Sonne zu wärmen.« Das war's, was sie immer dachte –, und die Langeweile des sonnigen Hofes unten mit seiner staubigen Gottesmutter, die alltägliche Erscheinung der Hausmeister-Tini, die nachlässig ein Fenster wusch, erschienen der bleichen, kleinen Kassirerin wie der klösterlichste Friede.

Ein Schritt stieg die Stiege hinan, der Elsa aufhorchen ließ. Das konnte nur der Poldl sein. Aber um diese Zeit? Seltsam! Sofort hatte sie das Gefühl, etwas Schlimmes müsse sich ereignet haben; und als Leopold bleich und mißmuthig in das Zimmer trat, rief sie ihm hastig entgegen: »Poldl, was ist geschehen? Warum bist Du denn nicht im Geschäft?«

»Weil ich Kopfweh hab' und mich niederlegen will,« antwortete er verdrießlich und ging in sein Zimmer. Dabei war nun nichts allzu Schlimmes, mußte sich Elsa sagen.

»Jesus! bin ich erschrocken!« murmelte sie und fuhr sich mit den Handflächen über die Schläfe. Mit dem wohligen Ausruhen jedoch war's zu Ende; nun kamen peinliche Gedanken. Drüben im Geschäft war sicherlich nicht Alles in Ordnung; der Poldl war zu verändert.

Elsa bewunderte ihren Bruder, diente und gehorchte ihm schon von der Zeit an, als sie beide, sehr kleine, unreinliche Kinder, mit nackten Füßen im ausgetrockneten Bette des Wien-Flusses auf Entdeckungen ausgingen. Schon damals kannte Elsa nichts Unangenehmeres, als wenn Poldl übler Laune war, sich ärgerte oder gar litt. Diese Sorge und dieses Mitgefühl waren mit ihr erwachsen.

Wie Elsa es erwartet hatte, begann Leopold um 7 Uhr sich in einem Zimmer zu regen. Er stand auf und kleidete sich an.

»Er will in's Theater,« sagte sich Elsa und schlich an seine Thüre. Seltsam, daß plötzlich etwas zwischen ihr und ihrem Bruder stand, das sie befangen, fast ängstlich machte. Zögernd öffnete sie die Thüre. Leopold stand vor dem Spiegel und drehte die Spitzen seines Schnurrbärtchens.

»Poldl, stehst Du schon auf?«

»Wie Du siehst.« –

»Wie ist Dir?« –

»Besser.« –

»Du gehst in das Theater?« –

»Vielleicht.« –

»Wenn Du Geld brauchst – Poldl – ein bissel kann ich Dir geben.« –

»Nein, behalt's nur; ich – ich habe selbst welches.« –

»Wie?« – Elsa trat näher, sie glaubte sich verhört zu haben, denn daß er ihr Geld ausschlug, war noch nie vorgekommen.

»Nun ja,« sagte er ungeduldig und wandte sich ab. »Ich hab'... ich brauche keines.«

– »Wo hast Du's denn her? Heute ist ja nicht der Erste, – und jeden Abend in's Theater und...«

Leopold erröthete. »Ich möchte wissen, was Dich das angeht?« schrie er.

Elsa's Kniee wankten, sie mußte sich setzen. Nicht Leopold's Heftigkeit erschreckte sie, sondern der eigen befangene, erregte Ausdruck seines Gesichtes. Sie schwieg eine Weile.

Leopold band sich sorgfältig die Halsbinde um, bürstete seinen Hut, befeuchtete sich die Hände mit Kölnischem Wasser – nun war er fertig. Er blieb jedoch noch, von seiner Schwester abgewandt, am Fenster stehen, als wartete er auf etwas.

»Poldl!« erklang Elsa's Stimme heiser und kläglich. »Du könntest mir's wohl sagen.« –

»Ja, was denn?« murmelte Leopold.

»Ich weiß nicht, was,« fuhr Elsa fort. »Ich will's ja eben wissen. Warum bist Du in der letzten Zeit so närrisch? Jetzt ärgert es Dich, wenn ich nur ein Wort red'. Und die Mietzi ist so hochnäsig. Und wo kommt das Geld her? Warum willst Du's mir denn nicht sagen? Ich kann Dir ja nichts thun. Wissen will ich's nur. Was liegt Dir denn daran, ob ich's weiß.« –

»Was denn?« wiederholte Leopold halsstarrig, aber dieses Mal unsicher und sein Gesicht verzog sich weinerlich. Die Worte der Schwester stimmten ihn so weich, daß er am liebsten ihr Alles gesagt hätte.

»Nur diese Mietzi trägt die ganze Schuld,« fuhr Elsa fort. »Die macht sich nichts aus Dir – aus Keinem macht sie sich etwas. Die will nur Strümpfe und Hüte. Die hat kein Herz. Nur wenn sie einen recht sekiren kann, dann ist das schlechte Madl zufrieden.«

»So? das weißt Du?« fuhr Leopold fort. »Und wenn ich Dir sag', daß die Mietzi keine ruhige Stunde zu Hause hat, daß die Mutter sie schlägt und die Schwestern sie schimpfen! Für wen trägt sie das? Und sie könnt's es besser haben. Aber sie hat mich gern. Wenn ihr anderen Madel nur so wäret! Aber weil die ein sauberes Gesicht hat, fallt ihr alle über sie her. Denk' Du an Deine Zahlmarqueurs und gieb mir Ruh'.« Damit setzte er seinen Hut auf und verließ stolz und stark mit den Absätzen auftretend, das Zimmer. Die arme Elsa aber blieb sehr unglücklich zurück, stützte den Kopf auf den Bettrand, vor dem sie saß und weinte.

Leopold's Angelegenheiten standen schlimm. Seit Mietzi ganz sein war, durch ihn litt und mit ihm sterben wollte, hatte er nur Gedanken für seine Leidenschaft. Um dem lieben Mädchen jeden Wunsch zu erfüllen, hatte er in der letzten Zeit immer häufiger Anleihen beim Geschäft gemacht. Da Mietzi und er sterben wollten, war's ja gleich. Im Geschäft jedoch schien man etwas zu ahnen, denn der Principal hatte seinen Commis verkündet, daß – wenn bei der bevorstehenden Inventur eine Unordnung – ein Abgang entdeckt würde, ohne daß der Schuldige nachgewiesen werden könnte, sämmtliche Commis entlassen werden würden. Dadurch begann nun ein Jeder die Anderen zu überwachen. Leopold fühlte es, daß er im Verdacht stand und die Katastrophe nah' war. Dennoch fuhr er fort zu stehlen, denn um Nichts in der Welt konnte er es mehr missen, unten im Theater zu sitzen, um die Mietzi anzusehen und später im Hôtel so traulich beieinander zu sein und sich aneinander zu berauschen.

Jedes Mal nahmen sie sich vor, nun ein Ende zu machen; denn auch Mietzi schien den Sterbeplan ernst zu nehmen. Sie war in der wunderlichen Laune der Mädchen, die ihren ersten Geliebten haben. Sie liebte Leopold und kam sich selber schlecht vor. Das Leben wurde drohend und kummervoll; besser war's zu sterben, sowie die vornehmen Leute, wenn sie sich lieb haben. Jedes Mal aber, wenn sie ihre Mahlzeit einnahmen, den süßen Wein tranken und sich endlich noch eine warme Mehlspeise geben ließen, dann wurden sie lustig. Es war so hübsch zu leben und sich zu lieben! Meist hatte Leopold auch das Fläschchen vergessen, und die Ausführung des düsteren Planes mußte auf das nächste Mal verschoben werden; dann aber bestimmt.

Das Theater war noch fast leer, als Leopold seinen Eckplatz im Parquet einnahm. Nur auf der vierten Gallerie und im Stehparterre drängte sich schon das Publikum. Im Orchester wurden die Instrumente gestimmt. Der Theaterdiener brachte Leopold einen Theaterzettel und verbeugte sich; er kannte ihn schon. Jetzt wurde das Niederklappen der Stühle immer häufiger vernehmbar. Auch in den Logen regte es sich. Damen schälten sich aus ihren Umwürfen und erschienen im rothen Sammetrahmen der Loge. Gott! wie all' das dem armen Jungen wohlthat, der den ganzen Tag über von den entsetzlichen Visionen gehetzt wurde! Schon der Theaterduft, ein Gemisch von Moschus, Gas und dem Pappgeruch der Decorationen, stieg ihm zu Kopf. War es doch der Duft, den Mietzi in ihren Haaren und ihren Kleidern vom Theater mit heimzubringen pflegte. –

Die Musik begann, der Vorhang ging in die Höhe. Da war auch Mietzi, strahlend schön in ihrer Theaterpracht und sie schielte zu ihm hinüber und lächelte kaum merklich. Wie weit waren die peinlichen Bilder nun. Leopold dachte gewiß nicht mehr an Herrn Punzendorf, an die Polizei und die zwei Shawls, die zu Hause in seinem Kasten lagen. – Der geschmückte Saal, das lärmende Tamtam der Operette, der rothe Sammet, auf dem er saß, das schöne Mädchen auf der Bühne, das ihn anlächelte – mehr brauchte er nicht, um glücklich zu sein.

Wie gewöhnlich erwartete Leopold seine Geliebte an der Dreihufeisen-Gasse und führte sie in das Hôtel zur »blauen Krone«. Während des Gehens fragte Mietzi: »Hast Du das Fläscherl wieder vergessen?« –

Nein, Leopold hatte es nicht vergessen.

Im Hôtel warf sich Mietzi sofort in eine Sophaecke, ließ Hände und Füße hängen, starrte in's Licht und machte ein böses, ernstes Gesicht.

Leopold kannte das; sie war anfangs gewöhnlich verstimmt, eigensinnig und zierte sich; heute aber ärgerte ihn das doch –, er hatte sich zu sehr auf diesen Abend gefreut. »Geh', Mietzi,« sagte er sanft, »leg' den Mantel ab, gleich kommt das Essen.« –

»Ich mag nicht essen,« erwiderte Mietzi.

Leopold wandte sich ab; er war heute so reizbar, daß er die Hände ballte und Thränen ihm in die Augen traten. Schweigend wurde das Essen aufgetragen. Seufzend setzte sich Leopold an den Tisch und legte ein Stück Lendenbraten auf seinen Teller. Dann sagte er mit gepreßter Stimme, denn die Erregung schnürte ihm die Kehle zu: »Mietzi, Du willst wirklich nicht essen?« –

»Essen werd' ich schon,« meinte Mietzi, als habe sie nie etwas Anderes behauptet und langte zu.

Leopold wurde das Herz wieder leichter. Nach einer Weile wagte er wieder eine Frage. »Sag', hat's was Neues gegeben... dort?«

Mietzi zuckte mit den Achseln. »Ach die! was kann die mir thun? Sie glaubt, sie kann Alles! Ihre Stimme, Jesus! so singt unser Hahn zu Hause auch. Aber sie ist – Sängerin – und ich...« Eine mächtige Erregung stieg in ihr auf. Sie warf Messer und Gabel fort, lehnte sich zurück, das Gesicht über und über rosig, mit zuckenden Wimpern, die Augen strahlend wie Kerzen; und sie sprach schnell und geläufig; die hochdeutsche Redeweise, welche sie sonst liebte, vergessend, sprudelte sie ihre Vorstadtsprache hervor, mit weiten Handbewegungen, die sie der großen Sängerin abgelernt hatte. Ja, sie war schwer gekränkt worden. Nun war's aus. Ein Lieutenant, der zuweilen hinter die Coulissen kam, hatte sich ausnahmsweise eingehend mit Mietzi unterhalten. Was konnte sie dafür? Konnte sie den Leuten das Sprechen verbieten? Durfte der Lieutenant nur mit der Alten sprechen? Man hatte ein wenig gelacht – nichts weiter, da hatte die Sängerin im Vorübergehen geäußert: »Seien Sie hier nicht so laut, Fräulein.« Die dumme Gans! Was hatte sie zu befehlen? Das schlimme Ende jedoch war gewesen, daß Mietzi einen Verweis und zwar vor all den Anderen vom Regisseur erhalten hatte. »Wenn Sie sich nicht anständig zu betragen verstehen, liebes Kind, so können wir Sie hier nicht brauchen.« Arme Mietzi! Sie weinte jetzt noch vor Scham und biß sich mit ihren spitzen Zähnen in die eigne Hand, aus lauter Wuth. – Und dann noch die Mutter! Sie hatte gedroht – wenn Mietzi noch ferner in's Theater ging oder sich mit Poldl herumtrieb, sie ganz einfach aus dem Hause zu jagen. Und nun war sie doch wieder hier.

»Laß nur!« meinte Leopold heiter und zärtlich. »Jetzt ist ja Alles eins. Was können sie uns thun?«


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