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Warum Maillol Vergils Eklogen illustriert hat

(1928)

Kann ein Bildhauer, – konnte ein französischer Bildhauer um 1900 hoffen, daß seine Figuren, so wie die mittelalterlichen Domheiligen oder wie ein antiker Fries, Teile, Bestandteile – wenn sie gelungen waren, Höhepunkte einer zu ihnen harmonisch sich steigernden Architektur werden würden? Die entmutigende Antwort erteilt ein Blick auf die Plastik und Architektur seit dem Ende des Rokoko oder etwa der Schinkelzeit. Es gibt aus dem 19. Jahrhundert, das mehrere große Bildhauer, Rude, Carpeaux, Rodin, Stevens hervorgebracht hat, kein Beispiel plastischen Schmucks, wo nicht zwischen Figuren und Bau ein Mißklang entstanden ist, oder bestenfalls die gähnende Leere beiderseitiger völliger Verständnislosigkeit. Ja, man kann sagende stärker die Plastik, um so greller der Mißklang, wie der zwischen Rodins ›Penseur‹ und dem Hintergrund, als er vor der Säulenhalle des Panthéon in Paris stand wie ein genialer Nippes vor einem solid bürgerlichen Vertiko, und man versucht war, ihm (mit einer kleinen Korrektur) Mignons Worte in den Mund zu legen:

»Und Marmor säulen steh'n und seh'n mich an:
Was hat man dir du armes Kind getan?«

Rodin hat sich mit dieser Beziehungslosigkeit der Plastik in einer bürgerlichen Welt, wenn auch unter Schmerzen, abgefunden; er zeichnete und beschrieb die »Kathedralen«, das mittelalterliche Gesamtkunstwerk, begeisterte sich als Erster wieder für das Barock, wo zum letztenmal von genialen Baumeistern, Plastikern und Mäzenen eine Harmonie zwischen Lebensformen, Natur, Architektur und großer Kunst geschaffen worden war, zog sich für sein Teil aber auf eine »delectatio morosa«, ein ganz in sich gekehrtes, die Außenwelt ignorierendes, einsames Genießen der Freuden seiner Phantasie und Schaffenskraft zurück. Maillol dagegen hat diesen Verzicht auf die Beziehung seiner Kunst zu ihrer Umgebung nie vollzogen: äußerlich hat er auf seinem kleinen Weingut in den Pyrenäen oder in seinem bescheidenen Atelier bei Paris viel weltferner gelebt als der in den letzten Jahren immer von einem glänzenden Hof von Herzoginnen, berühmten Politikern, Kunstliebhabern, einflußreichen Journalisten umgebene Rodin; aber innerlich, bei seinem Schaffen, bei jeder Masse, Proportion, Linie seiner Figuren hat er bewußt oder halbbewußt immer die Welt, die ideale Umgebung, in die sie hineingestellt werden sollten, mitgesehen. Als er vor zwanzig Jahren die große ›Kauernde‹ für mich in Angriff nahm, nannte er sie gleich ›Statue pour un parc ombrage‹ (›Figur für einen schattigen Park‹); er sah mit den Massen und Linien der Figur, mit ihrem Ausdruck, mit dem Spiel von Licht und Schatten auf ihren Flächen zugleich die alten Bäume, die ihre Freunde und Beschützer werden sollten, ja, mehr noch, ihre Rechtfertigung vor der Welt; denn der Name war keine Stimmungsmache, wie sie mittelmäßige Künstler mißlungenen Werken zur Verdeckung ihrer Fehler auf den Weg geben, sondern entsprang aus der Konzeption selbst der Figur, deren Ruhe er von vornherein im Zusammenhang mit andren, von Licht und Wind bewegten Massen und Linien sah, und die dem Auge ihren vollen Sinn nur in diesem Zusammenhang erschließen konnte. Als Rodin einmal von einem Besuch bei Maillol mit mir zurückfuhr, sagte er im Wagen nach einem langen Schweigen nachdenklich im Rückblick auf das, was er bei Maillol gesehen hatte: » Voilà ce que j'aurais dû faire!« (»Das ist, was ich hätte machen sollen!«) Er meinte damit nicht die rein plastische Qualität der Werke, die an seinen eigenen noch virtuoser war, sondern das, was man oberflächlich ihre »dekorative« Wirkung nennen kann, was aber vielleicht etwas Tieferes ist: ihre Weltverbundenheit, ihr Streben nach Einfügung in eine Umgebung, eine Architektur, eine Landschaft, was das Gegenteil ist der Romantik bürgerlicher Kunst, die sich als Fremdkörper in der Welt großtut oder wenigstens (im Falle Rodin) bescheidet, und so nur zu leicht zu der Häßlichkeit der Welt neue Mißklänge hinzufügt. Wo durch ein Kunstwerk oder etwas, das sich als Kunst gibt, eine Disharmonie entsteht, gibt der Romantiker der Welt Schuld, der Künstler, der Weltverbundenheit sucht, der Gottsucher, der religiöse, der klassische Künstler dagegen seinem Werk, das er dementsprechend umgestaltet oder gestaltet. Maillol benutzt dieses als geläufigen Maßstab. Von einem schlechten Bildhauer sagt er als schlimmstes: » Ses statues font des trous dans les arbres!« (Als Varianten auch: »Ses statues sont des trous dans la nature!« »Ses statues sont des trous dans le ciel!«)

Und dieser Maßstab gilt ihm für die kleinsten wie für die umfangreichsten Werke, für die Buchillustration, die ein Loch in den Satzspiegel, ebenso wie für den Steinkoloß, der ein Loch in den Himmel reißt. Daher fanden sich seine Wünsche mit den meinigen zusammen, als ich ihm meinen Plan mitteilte, eine Presse zu gründen und Bücher zu drucken, in denen streng daraufgehalten würde, daß Illustrationen und Satzspiegel eine Einheit bildeten, statt wie in den meisten modernen Bilderbüchern ohne formalen Zusammenhang nebeneinander herzulaufen. Voraussetzung einer solchen Einheit war die Geburt der Illustration aus den Formen der Schrift; und daher eine monumentale und einfache, nicht bizarre, aber doch formenreiche Schrift, die monumentale, einfache, aber vielgestaltige Illustrationen tragen konnte. Ich meinte Vorbilder einer solchen Schrift in denen der italienischen Buchdrucker des 15. Jahrhunderts zu sehen, die den Quattrocento-Künstlern die Grundlage für eine aus dem Geist der Schrift geborene, mit dem Satzspiegel unzerreißbar verbundene Illustrationstechnik bereits damals geliefert hatte. Wir einigten uns auf die ohne Altertümelei monumentale, von inneren Spannungen beschwingte, eine milde Helligkeit ausstrahlende Schrift des großen venezianischen Druckers Jenson, die ich nachschneiden ließ. Auch verlangte Maillol, um jede Seite sozusagen zu einem Teppich aus kostbarem Material zu machen, ein kostbares Papier. Nachdem zahlreiche Druckproben auf holländischem, deutschem und englischem handgeschöpften Bütten sowie auf China und auf Japan ihn nicht befriedigt hatten, wurde eine eigene kleine Versuchsanstalt und später eine Fabrik in Monval bei Marly gegründet, wo wir unter Mitwirkung von Maillols Neffen Gaspard nach vielerlei Versuchen ein neues, Maillols Ansprüche befriedigendes Papier herstellten: oder richtiger, verschiedene Papiere, von denen das eine, das zum großen Teil aus chinesischer Rohseide bestand, besonders fest und prächtig wirkte, allerdings so teuer wurde, daß es nur in ganz geringen Quantitäten für wenige Luxusexemplare verwendet und nur einmal hergestellt werden konnte, weil später, infolge der chinesischen Wirren, die einzige für die Papierfabrikation verwendbare Seidensorte nicht mehr zu beschaffen war.

Von vornherein waren als erstes Buch die Eklogen von Vergil mit Holzschnitten von Maillol in Aussicht genommen. Maillol, der zwischen Gebirge und See an einer der sanftesten Buchten des Mittelmeeres aufgewachsen war, dessen Kindheit und Jugend sich in einer ganz antiken Landschaft unter Reben und Ölbäumen oder auf der Viehtrift, also zwischen Hirten, Bauern und Fischervolk abgespielt hatte, hatte die Phantasie voll von einer Welt, die von der des Theokrit oder Vergil nur in geringen Äußerlichkeiten abwich; Haltung und Gestalt, Sitten und Gebräuche, Glaube und Aberglaube der Knaben und Mädchen, der Frauen und alten Leute in den Tälern und am Meeresstrand bei Banyuls sind noch immer unter einer dünnen christlichen und modernen Glasur ganz antik. So konnte er zur Illustration antiker Hirtengedichte aus dem Vollen schöpfen. Dazu kam, daß Maillol selbst ein Lyriker ist, einer von den wenigen großen französischen Lyrikern, wenn auch seine Lyrik sich nicht in Worten, sondern in Stein und Ton, in Massen und Linien ausdrückt; ein Erotiker, dessen geformte, gezeichnete, gemeißelte Liebespoesie den Vergleich mit den zartesten und glühendsten Versen von Meleager oder Sappho aushält. So entstand, sobald der Entschluß gefaßt war, Zeichnung nach Zeichnung in seinem Skizzenbuch scheinbar mühelos, auf Spaziergängen nach Feierabend in den Feldern um Banyuls oder an heißen Vormittagen, wenn er an einem Quellrand gelagert im Schatten eines Ölbaumes den Hirtenjungen und ihren Ziegen zusah, oder an Festtagen im Dorf, wenn die Dorfmädchen wie vorzeiten in Griechenland ihren Reigen tanzten. Und doch haben sich alle diese Zeichnungen dann scheinbar ebenso mühelos in den Satzspiegel eingefügt, wie er sie mit dem Satzbild vor Augen in Holz schnitt, weil schon seine Erfindung nie anders als dekorativ, d. h. in Hinblick auf die Verbundenheit des Werkes mit der ihm zugedachten Umgebung, schaffen kann.

Maillol krönt ein ganzes Jahrhundert französischer Kunst, weil er die unerhörte Verfeinerung des Auges und Naturgefühls, die das Werk dieses Jahrhunderts gewesen ist, seiner Gestaltung dienstbar macht, aber hinüberleitet in eine neue Monumentalität, deren Neuheit eine ebensolche Verfeinerung des im nachbarocken Europa verrohten Gefühls für die Beziehungen zwischen Kunstwerk und Welt ist. Das unermüdliche Streben nach einer solchen Monumentalität ist das verbindende Band zwischen allen seinen Arbeiten, mögen sie in Material und Technik noch so verschieden sein, zwischen Ölbildern, Teppichen, Plastiken, Holzschnitten; es erklärt die Langsamkeit seines Schaffens, die geringe Zahl seiner Werke, aber auch das Gefühl, das vor ihnen den Beschauer ergreift, daß hier wieder eine das Weltganze bejahende, ihm seine Unschuld und sein Glück zurückgebende, ihm in Ehrfurcht und Glück ergebene und daher im griechischen Sinne religiöse Kunst entstanden ist.


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