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Wiedergutmachung und Arbeiterschaft

(1921)

Meine Damen und Herren!

An die Spitze jeder Erörterung der Londoner Beschlüsse müssen wir als Deutsche die Erkenntnis stellen, daß an der Wiedergutmachung und insbesondere am Wiederaufbau der zerstörten Gebiete Nordfrankreichs auch Deutschland, nicht bloß Frankreich, ein Interesse hat. Ja, der Wiederaufbau Nordfrankreichs ist für uns eine wirtschaftliche und psychologische Notwendigkeit! Eine wirtschaftliche, weil die deutsche Wirtschaft schweren Schaden leidet, wenn ein früher reiches und produktives Wirtschaftsgebiet in der Nähe der deutschen Grenzen wüst und brach liegen bleibt; eine psychologische, weil Deutschland und Frankreich sich aussöhnen müssen, und dieses nie geschehen wird, solange die durch den Krieg geschlagene Wunde am Leibe Frankreichs offen bleibt. Es ist ja natürlich und menschlich, wenn das Unbehagen, das diese Wunde dauernd verursacht, eine tiefe Mißstimmung gegen Deutschland in Frankreich wach hält! Aber dazu kommt, daß diese verwüsteten Gebiete jeder chauvinistischen Strömung in Frankreich Propagandamaterial bieten, um künstlich die Volksleidenschaften gegen Deutschland aufzupeitschen. Wir lesen, wie Tag für Tag Tausende von Schulkindern in Wagen, in Autos, in Ferienzügen aus allen Teilen Frankreichs in dieses Gelände geschafft werden, damit schon die Kindesseele durch den Anblick der Verwüstungen den Haß gegen Deutschland einsauge. (Pfui-Rufe!) Und ebenso wird aus der ganzen Welt, aus Amerika, aus Ostasien, aus Australien der Touristenstrom bewußt mit politischer Absicht dorthin gelenkt, um überall den Eindruck zu verbreiten und zu verewigen, daß die Deutschen Barbaren seien, tolle Hunde, für die keine Fessel zu fest oder zu hart sei. Dieses Propagandamaterial muß denen genommen werden, die fortwährend darauf bedacht sind, Haß und Mißtrauen zu säen als Vorbereitung für militärische Abenteuer. Deshalb ist es nicht bloß ein französisches, es ist ein deutsches, ein Menschheitsinteresse, daß der Wiederaufbau Nordfrankreichs so schnell wie möglich, so gründlich wie möglich vollführt werde; und deshalb muß das deutsche Volk bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und sogar unter schweren Opfern dazu beitragen.

Aber, meine Damen und Herren, wenn ich sage, wir müssen innerhalb gerechter Grenzen unsere ganze Kraft einsetzen zum Wiederaufbau Nordfrankreichs und zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden, so sage ich mit demselben Nachdruck, daß der Weg, den man in Paris und London zu diesen Zielen gewählt hat, nicht gangbar ist, und daß wir ihn deshalb geschlossen abzulehnen haben. Ich sage das, gerade weil ich die Wiedergutmachung wirklich will. Denn die Forderungen, die jetzt an uns gestellt werden, wären beim gegenwärtigen Stande der deutschen Volkswirtschaft auf die Dauer unerfüllbar und würden deshalb, wenn sie etwa mit Gewalt durchgedrückt würden, zu einem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft und danach des ganzen Wiederaufbaus führen.

Ich will Ihnen zum Beweise nur wenige Zahlen nennen. Das deutsche Durchschnittseinkommen pro Kopf der Bevölkerung beträgt heute 2350,– Papiermark jährlich, die Steuerlast, ebenfalls pro Kopf der Bevölkerung, einschließlich Reichs-, Staats- und Gemeindesteuern (direkter und indirekter) 753,– Mark pro Kopf der Bevölkerung; also muß jeder Deutsche bereits von seinem heutigen Durchschnittseinkommen ein Drittel abgeben. Trotzdem kommen wir mit diesen Steuern nicht aus; wir drucken fortgesetzt Papier und machen fortgesetzt Anleihen. Schon wenn wir von den Wiedergutmachungspflichten absehen, steht der Bankrott bevor, wenn wir unsere Steuerlast nicht noch wesentlich erhöhen; wenn wir nicht statt der drei Milliarden Goldmark, die wir heute aufbringen, mindestens viereinhalb Milliarden aus dem deutschen Volke herausziehen; also 50 % mehr als heute. Das bedeutet, daß dann jedem Deutschen sein Einkommen, so lange dieses nicht wesentlich höher ist als heute, weggesteuert werden wird im Durchschnitt bis zur Hälfte. Demgegenüber zahlt der Engländer von 112 ½ Pfund Durchschnittseinkommen pro Kopf der Bevölkerung 22 Pfund Steuern, also nur etwa ein Fünftel seines Einkommens, der Franzose von 2300 Papierfranken nur rund 427 Franken an Steuern, also nur etwa ein Achtel bis ein Siebentel. Sie sehen, meine Damen und Herren, daß aus dem heutigen deutschen Volkseinkommen weitere erhebliche Summen für die Wiedergutmachung auf die Dauer nicht herauszuziehen sind. Erst bei einem ganz anderen Stande der deutschen Volkswirtschaft, bei einer wesentlich erhöhten Produktivität und Kaufkraft Deutschlands würden die nötigen gewaltigen Summen verfügbar werden.

Was folgt? Doch offenbar, daß diese Frage der Wiedergutmachung eine wirtschaftliche Frage ist, deren Lösung abhängt vom Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft. Wir selbst müssen in allererster Linie planmäßig diesen Wiederaufbau unserer Wirtschaft in die Hand nehmen; das können unsere Gläubiger von uns verlangen! Doch gerade deshalb müssen wir von ihnen fordern, daß sie den Grundsatz anerkennen, daß auch sie die Frage der Wiedergutmachung und die der Wiederherstellung der deutschen Volkswirtschaft im Zusammenhange miteinander und als wirtschaftliche Fragen behandeln.

Sind nun unsere Gegner so an diese Fragen in Paris und London herangetreten? Haben sie sie im Zusammenhange miteinander behandelt und wirtschaftlichen Erwägungen bei den dort gefaßten Beschlüssen den Vortritt gegeben? Sie wissen alle, meine Damen und Herren, daß die Antwort auf diese Frage »Nein« lautet. Nicht wirtschaftliche, sondern politische Erwägungen waren entscheidend. Beherrscht wurde die Diskussion sowohl in Paris wie auch später in London durch eine politische und persönliche Frage: nämlich die, welche Behandlung der Wiedergutmachung, welche Beschlüsse der hohen Konferenzteilnehmer den von seinen parlamentarischen Widersachern bedrängten französischen Ministerpräsidenten, Herrn Briand, stützen könnten?

Hiergegen, gegen diese Art, eine weltbewegende wirtschaftliche Frage zu entscheiden, gegen solche Entscheidungsgründe für eine so schwerwiegende Antwort erheben wir prinzipiellen Widerspruch. Wir feilschen nicht, wir wollen nicht ein paar Milliarden abhandeln; wir verlangen eine andere Methode!.

Eine wirtschaftliche Frage von diesem Ausmaße muß nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden werden. Man darf sie nicht herausreißen wegen politischer Bestrebungen aus den wirtschaftlichen Zusammenhängen, in die sie hineingehört. Im Gegenteil: die Frage der Wiedergutmachung und des Wiederaufbaus von Nordfrankreich muß hineingestellt werden in den Zusammenhang, in dem allein sie wirklich lösbar ist; sie muß behandelt werden als ein Teil der Frage des wirtschaftlichen Wiederaufbaues Europas, Deutschlands und der Welt. Ich sagte Ihnen, meine Damen und Herren, und habe das mit Zahlen belegt, daß die Frage, ob und was wir leisten können, untrennbar ist von der Frage, in welchem Maße und in welchem Tempo die deutsche Volkswirtschaft wieder aufblüht. Der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft wiederum ist untrennbar von dem der europäischen, ja der internationalen Wirtschaft. Deshalb verlangen wir, daß alle diese Fragen zusammenhängend von wirtschaftlichen Sachverständigen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, nicht von Politikern und politischen Gesichtspunkten, behandelt werden, daß also die Wirtschaftler nicht wie bisher bloß befragt werden; um nachher, wenn die Verhandlungen ernst werden, beiseite geschoben und mißachtet zu werden; sondern daß man ihnen folgt und ihre Pläne, soweit sie wirtschaftlich und sozial gesund sind, ausführt.

Wir erheben diese Forderung um so nachdrücklicher, als die Methode von London und Paris zur Folge hat, daß die Interessen weniger Politiker und weniger durch ihre Macht ausgezeichneter Staaten bei einer die ganze Welt berührenden Frage, wie die der Wiedergutmachung, den Ausschlag geben; daß dagegen die Interessen ungezählter Millionen, von denen die Laufbahn dieser Politiker und der Profit der mit ihnen verbündeten Unternehmer zufällig nicht abhängt, die Interessen der durch ihre Beschlüsse auf das tiefste beeinflußten anderen Völker, die Interessen der überwiegenden Mehrzahl der schöpferischen und arbeitenden Menschen unberücksichtigt bleiben. Das ist bei Entscheidungen von dieser Tragweite unannehmbar!

Denn, meine Damen und Herren, ich bitte Sie das zu beachten: diese »Wiedergutmachung« ist der ungeheuerste einheitliche wirtschaftliche Vorgang aller Zeiten; ein Vorgang von solchen Ausmaßen, daß um ihn alle anderen wirtschaftlichen Vorgänge überall kreisen werden wie Planeten um eine Sonne. Sie wissen, wie gewaltig die französische Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Goldfranken an Deutschland im Jahre 1871 auf die Wirtschaft der ganzen Welt gewirkt hat. Aber das waren bloß und nur einmal fünf Milliarden; und nun sollen jährlich während dreißig, während vierzig Jahren fünf, ja sechs, vielleicht sogar acht Goldmilliarden aus der deutschen Volkswirtschaft künstlich herausgezogen und anderen Ländern zugeführt werden. Überall müssen sich um dieses unerhörte wirtschaftliche und finanzielle Geschehen die Produktion, die Valuta, die Löhne, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, Aufstieg und Abstieg der Arbeiterklasse während dieser ganzen Zeit drehen. Und doch soll diese Umgestaltung der ganzen Weltwirtschaft ohne Befragung der großen Mehrzahl der Völker, ohne Befragung der durch sie aufs Empfindlichste in ihren Interessen berührten Werktätigen der ganzen Welt durchgeführt werden! Das darf nicht sein! Das darf heute nicht mehr sein! Wir leben nicht mehr in der Zeit, wo Menschen wie Vieh verschachert wurden. Wir haben die demokratischen Proklamationen und Versprechungen der Alliierten, die sie im Kriege machten, die schönen und humanen Worte, die die Bundesakte des Völkerbundes einleiten, die Grundsätze des internationalen Arbeitsrechts, die im Versailler Vertrag verbrieft stehen, nicht vergessen! Wir verlangen, daß auch die anderen Völker, daß die Massen der Werktätigen, die sich für ihre besonderen Interessen völkerrechtlich (durch Artikel 389,3 des Versailler Vertrages) anerkannte Vertretungen in ihren Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften geschaffen haben, durch diese herangezogen und zur Mitentscheidung der großen Fragen, die ihre Existenz berühren, zugelassen werden.

Und schließlich: weil wir die wirkliche Wiedergutmachung wollen und weil wir sie als eine wirtschaftliche Frage erkannt haben, die nur durch wirtschaftliche Mittel gelöst werden kann, deshalb verwerfen wir auch jede Lösung durch Gewalt und fordern Verständigung.

Ich wiederhole die fünf Punkte unserer Methode, die wir der Pariser und Londoner Methode, der politischen Methode, entgegensetzen. Wir verlangen:

1. daß die Lösung der Wiedergutmachungsfrage nach allgemeinen wirtschaftlichen, nicht nach politischen Gesichtspunkten durchgeführt, und daher Wirtschaftlern, nicht Politikern anvertraut werde;

2. daß die Wiedergutmachung an Frankreich und die Alliierten als untrennbar vom Wiederaufbau der gesamten europäischen und insbesondere auch der deutschen Wirtschaft anerkannt und nur in diesem Zusammenhang behandelt werde;

3. daß nicht bloß einige wenige, sondern alle an der Wiedergutmachung und an diesem Wiederaufbau Europas interessierten Völker zur Beratung herangezogen werden;

4. daß dabei die Werktätigen gemäß ihren besonderen Interessen durch ihre Organisationen als Produzenten und Konsumenten gehört werden;

5. daß diese Fragen nicht gelöst werden durch Gewalt, sondern durch Verständigung.

Das sind, wie gesagt, unsere Forderungen; und diese stellen wir prinzipiell. Ich lege sie Ihnen nachher in einer Resolution vor. Wir stellen sie prinzipiell, weil nur diese Methode eine befriedigende und endgültige Wiedergutmachung gewährleistet. Deshalb legen wir auch weniger Gewicht auf die berühmte Gesamtsumme von 226 Milliarden, die Herr Briand als blendende Propagandafahne gehißt hat, als auf die Einleitung dieser neuen Methode. Wir könnten sogar vielleicht diese Propagandasumme unter Vorbehalt annehmen, wenn Herr Briand uns das märchenhafte Nationalvermögen, das zu ihrer Begleichung nötig wäre, in die Tasche spielte. Jedenfalls ist der von uns vorgeschlagene Weg der einzige, der zu diesem oder irgendeinem ähnlichen Resultate führen kann. Auf ihm müßten wir daher mit der äußersten Entschlossenheit bestehen. Wir müßten das um so mehr, als unsere Methode allein auch die Weltkrisis beendigen kann, von der die jetzigen Schwierigkeiten nur ein Teil sind. Sie werden das ohne weiteres erkennen, wenn Sie einen Augenblick mit mir verweilen wollen bei der Betrachtung des allgemeinen Elends und seiner Ursachen, der Verkettung von Leiden und Umwälzungen, der Tragödie ohnegleichen in der Menschheitsgeschichte, in der wir heute stehen.

Die Anfänge und Ursachen dieser großen Erschütterung reichen selbstverständlich weit zurück in die Zeit vor dem Kriege. Es waren die Zerrungen und Spannungen, die sich aus dem immer spitzer werdenden Gegensatz zwischen wirtschaftlicher und politischer Weltgestaltung ergaben. Die früher getrennten und mehr oder weniger auf sich selbst gestellten Volkswirtschaften geraten in der modernen Zeit immer mehr in Abhängigkeit voneinander. Jedes Stückchen Glück und Wohlstand auf der Erde braucht zu seinem Fortbestehen immer notwendiger den Zusammenhang mit allem anderen Wohlstand. Immer zahlreicher spinnen sich die Fäden wirtschaftlicher Abhängigkeiten hin und her von Land zu Land. Sie werden schon im XIX. Jahrhundert zu einem dichten, den Erdball umspannenden einzigen Netz. Aber unter diesem Netz bleiben auf der Erdoberfläche die politischen Grenzen bestehen. Denken Sie sich, meine Damen und Herren, eine Erdkugel, auf der die verschiedenen Staaten aufgemalt in bunten Farben durch das einfarbige Netz der Weltwirtschaft hindurchleuchten; auf der diese Farbenunterschiede sogar stärker werden: früher glichen sie den abgetönten Farben eines schönen Gartens, eines Blumenbeetes, eines feinen, alten Teppichs; aber angefacht durch den künstlichen Nationalismus werden sie jetzt wie Anilinfarben immer giftiger, leuchten in einem immer unnatürlicheren Glanze! Und weil jedes Volk, jeder Staat für sein Leben immer mehr das ganze erdumspannende Wirtschaftsnetz braucht, immer weniger riskieren kann, von irgendeinem Teile abgeschnitten zu werden, so recken sich aus allen diesen bunten Einzäunungen auf der Erde Hände empor, um je nach ihrer Kraft ein möglichst großes Stück Weltwirtschaft an sich zu reißen. So sieht, sagen wir vom Mars, der Erdball des XIX. und XX.Jahrhunderts aus. Es ist, was ich Ihnen nicht zu sagen brauche, das Weltbild des Imperialismus!

Der Weltkrieg trieb diese Gegensätze, diese Spannungen bis zum äußersten. Er wurde gleich im Anfang zum Versuch, sie mit Gewalt zu beenden, und zwar dadurch, daß einer von den Hauptkonkurrenten, Deutschland oder England, vernichtet oder wenigstens unterworfen werde. Er wurde zur großen Orgie des Imperialismus, zum Karneval der Bestrebungen, Wirtschaftsfragen politisch und gewaltsam zu lösen. Nun, meine Damen und Herren, Sie wissen, daß dieser Versuch gescheitert ist! Schon im Laufe des Krieges zeigte sich die Ohnmacht militärischer Mittel gegen wirtschaftliche Tatsachen. Deshalb wurde der Krieg schon seit Anfang 1917, seit dem Ausbruch der russischen Revolution, seit dem unbeschränkten U-Bootkrieg und der verschärften Blockade immer mehr zu einem wirtschaftlichen Ringen; und heute stehen wir in der größten wirtschaftlichen und sozialen Krisis der Weltgeschichte.

Sie wissen, wie die Welt heute aussieht! Was sehen Sie in Deutschland? In fremden Zeitungen, ja in offiziellen ausländischen Berichten lesen wir, es gehe dem deutschen Volke wieder ganz gut; sogar besser als den Siegervölkern. Ich entsinne mich eines Berichtes der Entente, in dem gesagt war, das deutsche Volk habe sich am schnellsten unter allen Völkern von den Folgen des Krieges erholt. Man führt die großen Dividenden deutscher Unternehmungen, die Umsätze auf den Rennbahnen, die Sektgelage in Berlin an. Aber ich frage Sie: sind dieses Erscheinungen der Gesundung? Fließen die hohen Dividenden aus den übervollen Taschen der deutschen Käufer, oder verdanken sie ihre Empfänger nicht vielmehr den Hungerlöhnen, die die Entwertung des deutsches Geldes, der deutschen Arbeit auf dem Weltmarkt, dem deutschen Arbeiter auferlegt? Der Verschleuderung billiger Waren, die billig sind, die auf dem Weltmarkte Absatz finden, weil in ihnen statt reellen Arbeitslohnes bloß Papier steckt! Einzelnen Unternehmerkreisen und einzelnen Schichten unverheirateter Arbeiter geht es gut; aber die große Masse des deutschen werktätigen Volkes, vor allen Dingen die große Masse derjenigen, die unsere Zukunft sind, der verheirateten Familienväter und Mütter, die große Masse der Kinder, wenigstens in den Städten (und Sie wissen, daß über die Hälfte des deutschen Volkes in den Städten wohnt) sind im Elend. Ich will Ihnen auch hier nur einige Zahlen nennen. Der Allgemeine Gewerkschaftsbund hat vor kurzem das Ergebnis einer Untersuchung veröffentlicht, die er bei zwei Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen durchgeführt hat, um das Verhältnis zwischen Löhnen und Preisen festzustellen. Nach dieser Untersuchung waren im Dezember 1920 die Löhne seit Kriegsanfang um das Achtfache, die Preise um das Fünfzehnfache gestiegen. Das genügt, um die Fabel von der komfortablen Lebenshaltung des deutschen Arbeiters zu widerlegen, um seinen Abstieg zu messen. Aber noch eine weitere Zahl: Doktor Kuczynski, der Leiter des Statistischen Amts von Berlin-Schöneberg, ein allgemein als zuverlässig anerkannter Fachmann, hat berechnet, daß von den Großberliner Familien mit zwei oder mehr Kindern 90 % das Existenzminimum nicht erreichen! Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor, was das an Entbehrungen, an fehlender Nahrung, Kleidung, Wäsche, an Krankheit und Elend bei hunderttausenden von nützlichen Menschen, bei hunderttausenden von kleinen Kindern in Berlin bedeutet! (Große Bewegung). Ich sehe aus Ihrer Bewegung, daß Sie alle in Ihrer Umgebung die erschütternden Bilder zu diesen Zahlen vor Augen haben. Ich kann für meine Person nur sagen, daß, was ich in Berlin in allen Schichten der arbeitenden Bevölkerung gesehen habe – die Bilder der Kälte und des Hungers, des körperlichen und geistigen Verfalls – selbst noch das Grauen der Schlachtfelder übertroffen hat. Das ist das wahre Gesicht Deutschlands. Das ist das Bild, das uns noch fürchterlicher aus Österreich, Polen, Rußland entgegenstarrt! So sieht die eine Hälfte der Welt aus: verkommend, weil sie nicht mehr kaufen kann, weil ihre Kaufkraft nicht ausreicht für die unentbehrlichsten Bedürfnisse!

Und was erblicken wir auf der anderen Weltseite? Wir sollten meinen: unbegrenzten Reichtum, üppige Früchte eines beispiellosen Sieges, brechende Tafeln, an denen ganze Völker sich satt essen! Hat nicht Lloyd George gerade das in seinen glänzenden, berühmten Wahlreden gleich nach dem Waffenstillstand seinem Volke versprochen? Wollte er nicht dafür sorgen, daß die heimkehrenden Sieger in England ein Land fänden, » das würdig wäre, eine Heimstätte für Helden zu sein?« Aber wo steht der englische Held heute? Mit hunderttausenden seiner Brüder auf der Straße! Am 1. Januar gab es in England eine Million Arbeitslose. Im Januar ist diese Zahl, wenn ich nicht irre, um 197000 gestiegen. Und seitdem steigt sie immer noch! Und Amerika! Was sehen wir bei diesem reichsten aller Sieger? Arbeitslose drei Millionen! Und in den neutralen Staaten, die während des Krieges Reichtümer nach Herzenslust sammeln durften, in der Schweiz, in Holland, in Skandinavien? Überall wachsende Arbeitslosigkeit, weil der Markt für ihre Waren immer mehr verfällt, weil Deutschland und Osteuropa immer weniger kaufen können. Der Export Englands nach Deutschland ist nach einer von der ›Times‹ vor kurzem veröffentlichten Statistik von 1913 bis 1920 von 8952000 Tonnen auf 13000 Tonnen zurückgegangen; und die Gesamtausfuhr von England in derselben Zeit von 73400118 Tonnen auf 24931853 Tonnen. Also deshalb herrscht Arbeitslosigkeit in England, weil Deutschland und Osteuropa nicht kaufen können. Die Entente und die neutrale Welt sind wie ein ungeheures Warenhaus, in dessen Schaufenstern alle Reichtümer der Welt aufgestapelt liegen: alles, was der Mensch nur begehren und brauchen kann, in Hülle und Fülle; und vor den Spiegelscheiben steht der arme deutsche Michel im Straßenschmutz und dreht die Hände in den leeren Hosentaschen und muß verhungern im Angesicht dieses Reichtums. Aber hinter den gehäuften Schätzen sitzt der Warenhausbesitzer und sieht mit Sorge in seine Bücher und entläßt einen Angestellten nach dem anderen; und vor ihm steigt inmitten seines Überflusses das Gespenst des Bankrottes auf!

So sieht die Welt heute aus: getrennt durch diese große, kalte Spiegelscheibe die armen Völker und die sogenannten reichen Völker. Beide elend oder dem Elend entgegengehend, weil die notwendige Verbindung zwischen ihnen fehlt. Das Netz der Weltwirtschaft, von dessen Einheit das Gedeihen aller Völker abhing, ist zerrissen. Es ist, als ob ein Komet den Erdball getroffen hätte; ein großer Spalt ist entstanden; diesseits Hungernde, jenseits Arbeitslose; und jene hungern und diese haben keine Arbeit, weil keiner über den Spalt hinweg kann. Doch am Rande stellen die Politiker ihre grünen Tische auf und wollen nach Art der Medizinmänner die Menge mit ihren Zauberkünsten wieder belustigen.

Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen heute nicht Politiker. Wir brauchen einen gewaltigen Wirtschaftsingenieur, einen mächtigen Brückenbauer! Und nicht nur einen, sondern tausende, und nicht bloß tausende: sondern wir brauchen die Massen selbst hüben und drüben: ja Sie, meine Damen und Herren, Sie und die Millionen von Werktätigen überall, Sie müssen Hand anlegen, Sie müssen die unzähligen Brücken bauen, die nötig sind, Sie mit Ihren fleißigen Händen und brüderlichen Herzen, nicht Politiker und Diplomaten mit knöchernen Fingern und eingetrockneten Gehirnen! (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)

 

Aber, meine Damen und Herren, damit Ihre Hände ineinandergreifen, damit Sie wirklich die Einheit der Welt wiederherstellen, werden Sie eine Leitung, einen Plan nötig haben: sozusagen einen Grundriß des neuen Weltgebäudes, das Sie errichten müssen zur Beherbergung einer neuen, einer neu geeinten Menschheit. Denn um es gleich zu sagen, die »freie Konkurrenz« kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Wenn überhaupt, würde diese nur über ungeheure Katastrophen in einer vorläufig nicht absehbaren Zeit zu etwas dem früheren Weltzustande Ähnlichen zurückführen. Selbst wenn man diese Rückkehr wollte, könnte man die Opfer, die dieser Weg kosten würde, der Menschheit nicht zumuten. Wie die Karawanenwege durch die Wüste würden ihn ungezählte Leichen säumen; und das Ziel wäre unsicher und sein Wert fragwürdig. Aber abgesehen hiervon sind auch aus einem anderen Grunde planmäßige Abmachungen notwendig geworden. Entgegen der früheren Verteilung der Rohstoffgebiete, der Transportmittel, des Kredits hat sich durch den Krieg und seine Folgen eine gewaltige Konzentration vollzogen; einige wenige Völker und Staatsgebilde verfügen über fast den ganzen Vorrat aller dieser für die Wirtschaft unentbehrlichen Dinge. Alle anderen Völker leben vor diesen Imperien wie die Bettler, sozusagen nur noch aus der Hand in den Mund, solange nicht verläßliche Abmachungen ihren Bedarf sicherstellen. Dieser Zustand kann sich durch die freie Konkurrenz von selbst niemals ändern, im Gegenteil immer nur verschärfen. Er ist aber für diese abhängigen Völker, zu denen einige der produktivsten und kultiviertesten der Erde gehören, wie die Mehrzahl der Völker Europas, völlig unerträglich. Schon aus diesem Grunde sind daher Abmachungen, eine Regelung der Verteilung aller dieser Dinge, ein Plan, nach dem die künftige Weltwirtschaft in ihren großen allgemeinen Linien gestaltet werden soll, unbedingt erforderlich.

 

Das zugegeben, können Sie allerdings mit Recht an mich die Frage richten, wer den großen Wirtschaftsingenieur berufen, wer den Plan aufstellen soll? Eigentlich müßte die Antwort auf diese Frage sich von selbst verstehen; sie sollte selbstverständlich und eindeutig lauten: der Völkerbund!

In der Tat hat der Völkerbund zweifellos das Recht, die Frage in die Hand zu nehmen, sobald irgend eines seiner Mitglieder es beantragt. Denn welche Frage könnte mehr » den Weltfrieden berühren« (Art. III der Bundesakte), mehr » von Einfluß auf die internationalen Beziehungen sein und daher den Frieden und das gute Einvernehmen zwischen den Nationen bedrohen« (Art. XI, 2 der Bundesakte) als diese ungeheuerste Wirtschaftsfrage aller Zeiten? Auch besitzt der Völkerbund die nötigen Organe oder wenigstens Ansätze zu solchen; denn er hat zur Behandlung der Wirtschaftsfragen eine eigene »Sektion« und zur Behandlung der sozialen Fragen das »Internationale Arbeitsamt«. Und schließlich ist es nicht zweifelhaft, daß er, wenn seine Mitglieder es einmütig wollen, auch die nötige Macht entfalten kann, um die Beschlüsse, die er faßt, durchzuführen. Denn welchem politischen Gebilde ist jemals auf Erden eine größere Macht durch ein bindendes Dokument verliehen worden als durch seine Bundesakte dem Völkerbunde? Alle Gewalt der Welt ist sein. Seine Bausteine sind die mächtigsten Staaten der Erde, von seinen Zinnen wehen die Fahnen der durch einen überwältigenden Sieg gekrönten Großmächte.

Und doch liegt gerade in seiner unerhörten Macht auch seine Schwäche. Gerade weil er nur eine Vereinigung mächtiger Staaten ist, kann er seine Macht nicht verwenden ohne Genehmigung jedes dieser Staaten. Er wird von diesen gegängelt, ohne eigenen Halt auf der Erde, und schwebt deshalb über ihr, sozusagen wie ein Luftschloß, so lange ihm nicht ein eigenes Fundament auf der Erde geschaffen wird. Dieses Fundament aber, diese eigene bodenständige Kraft können ihm allein die international, gemäß ihren Berufen und Bedürfnissen als Produzenten und Konsumenten organisierten Werktätigen geben. Erst in dem Maße, wie man ihm diese zweite Stütze einfügt, wird er reale Macht bekommen und große Aufgaben lösen können.

Und was vom Völkerbund als Ganzem gilt, gilt genau so von seinen sozialen und wirtschaftlichen Organen. Heute entscheiden in ihnen nur Politiker und Beauftragte von Politikern. In ihrer heutigen Verfassung entsprechen sie schon deshalb nicht der Forderung, die Wirtschaftskrisis durch Wirtschaftler und Beauftragte der wirtschaftlich Schaffenden zu lösen. Wenn der Völkerbund jetzt helfen soll, so müssen vorher noch wenigstens diese Organe ergänzt werden, so daß sie ein unverfälschtes Sprachrohr der wirtschaftlich Tätigen werden. Ich halte die Vervollständigung, den Ausbau dieser Organe zu einer Art von Selbstverwaltungskörpern der Werktätigen, in denen diese mit den Beauftragten der Regierungen über ihre Interessen beraten und beschließen können, für den heute völkerrechtlich gegebenen, sichersten und schnellsten Weg zum Wiederaufbau einer blühenden Weltwirtschaft. Diesen Weg fordere ich daher in erster Linie; und stelle das voran in der Resolution, die ich Ihnen unterbreite.

Aber wenn (wenigstens für die Wiedergutmachung) die Zeit drängt und zu kurz scheint, um diesen Ausbau noch für diesen Zweck vorzunehmen, dann bleibt uns nur noch ein Weg: eine besondere Konferenz, die ähnlich wie die Brüsseler Finanzkonferenz vom Herbst 1920, nur mit erweiterten Aufgaben und erweiterter Mitgliedschaft, insbesondere unter Heranziehung von Vertretern der als Produzenten und Konsumenten organisierten Werktätigen, an die große Frage herantritt. Ich habe keine Sorge, daß die Lösungen, die eine so beschickte, auf ein so breites, demokratisches Fundament gestützte Konferenz vorschlägt, achtlos beiseite geschoben werden könnten. Sie würden sich durch das Gewicht der hinter ihnen stehenden öffentlichen Meinung, vor allen Dingen durch den Zwang des allgemeinen Hungers durchsetzen.

Welche Vorschläge diese Konferenz machen würde, wollen wir im Einzelnen nicht voraussagen. Aber eines steht außer Zweifel: sie wird zahlreiche internationale Maßnahmen vorsehen. Zwar werden auch die einzelnen Völker in ihrem eigenen Bereich sich gewaltig anstrengen und schmerzliche Opfer bringen müssen; und dieses gilt vor allem für das deutsche Volk. Aber kein Volk kann für sich allein aus dem Abgrund emporsteigen. Alle müssen sich die Hände reichen; und dazu sind internationale Verabredungen und Maßnahmen nötig.

Man kann sogar einzelne internationale Maßnahmen, die höchst wahrscheinlich getroffen werden, voraussagen: darunter in allererster Linie gemeinsame deutsch-französische Arbeit zum Wiederaufbau Nordfrankreichs. Gerade in diesen Tagen haben, wie Sie wissen, die Baugewerkschaften von Deutschland und Frankreich darüber in Genf ein Abkommen unterzeichnet. Diese Zusammenarbeit deutscher und französischer Werktätiger zur Heilung einer schweren Kriegswunde, zur Lösung eines Teils der Weltkrisis, wäre ein erster bedeutsamer Schritt zum Wiederaufstieg und muß daher mit allem Nachdruck gefordert, alles, was dazu gehört, unverzüglich auf beiden Seiten vorbereitet werden.

Eine noch gewaltigere Aufgabe, die nur alle Völker zusammen lösen können, ist die Wiedereinreihung Rußlands in die Weltwirtschaft. Rußland wird alle Völker nötig haben, und alle Völker haben Rußland nötig: seine Rohstoffe, seine Arbeit, sein besonderes Genie. Auch die Wiedereinknüpfung Rußlands in das Netz der Weltwirtschaft wird international geregelt werden müssen.

Schließlich wird aus Gründen, die ich angedeutet habe, die Verteilung der Rohstoffe und Transportmittel nach dem Bedarf der verschiedenen Völker, die Verteilung der Finanzkraft, d. h. des Kredits, gleichfalls nach deren Bedarf internationale Maßnahmen größten Maßstabes erfordern und wenigstens insofern eine Weltbedarfswirtschaft einleiten.

Das sind alles Maßnahmen, die eine fortlaufende Tätigkeit von Jahren und Jahrzehnten erfordern werden. Diese wird nur geleistet werden können durch eigens für sie geschaffene ständige Organe; und diese werden ebenfalls international sein müssen. Es ist undenkbar und wäre auch nicht wünschenswert, daß ein einzelnes Land, sagen wir Amerika, den Neubau der Weltwirtschaft in die Hand nähme und allein die Einrichtungen dafür schüfe. Insoweit wir internationale Maßnahmen zur Heilung der Weltwirtschaft brauchen, brauchen wir daher auch ständige internationale wirtschaftliche Organe. Das wird heute allgemein von Sachverständigen und Geschäftsleuten anerkannt. So hat der neue amerikanische Handelsminister, der als Ernährungskommissar im Kriege weltbekannt gewordene Herr Hoover, vor kurzem vorgeschlagen, die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen auf kooperativer Grundlage, d. h. auf der Grundlage von Konsumgenossenschaften neu aufzubauen und dafür eine gemeinsame Einkaufszentrale aller Staaten für den Einkauf von Rohstoffen mit Hilfe von Sicherheitsfonds einzurichten. So ist bei der Brüsseler Finanzkonferenz im September 1920 das Hauptergebnis der Beratungen der Ter-Meulensche Vorschlag eines internationalen Kreditinstitutes gewesen, dessen Verwirklichung seitdem namentlich von englischen Industrie- und Finanzkreisen als Hilfsmittel gegen die Arbeitslosigkeit immer ernstlicher gefordert wird. Wir können daher die Einsetzung dauernder internationaler wirtschaftlicher Organe in den nächsten Jahren als sicher voraussehen.

Aber solche internationalen Verabredungen und Organisationen könnten allerdings eine Form annehmen, die sie zu einer noch größeren Gefahr für die Freiheit und die Produktivität des Einzelnen machen würde als irgendwelche bisherige Einrichtungen: nämlich wenn sie, von privater Seite ausgehend, zu privatkapitalistischen Monopolen und Weltsyndikaten sich auswüchsen. Die ganze Menschheit wäre in den Dienst einiger nicht zu umgehender Privatunternehmungen eingespannt. So etwas wäre möglich; ja, Pläne, die in diese Richtung zielen, werden erörtert. Ich möchte Sie nur hinweisen auf das höchst bemerkenswerte Projekt von Parvus, das er im Februar im Berliner 8-Uhr-Abendblatt veröffentlicht hat. Er will die Weltkrisis durch einen privatkapitalistischen Welttrust heilen. Ob gerade Parvus, der Sozialist und ein Kopf erster Ordnung ist, diesen Trust als der Entwicklung letzten Schluß ansieht, bleibt dahingestellt. Jedenfalls müssen wenigstens wir aussprechen, daß eine solche Lösung, ob vorübergehend oder dauernd, für uns unannehmbar wäre. Sie würde die ganze Erde und alles Leben auf der Erde dem Gutdünken weniger Großkapitalisten ausliefern, die damit zu Weltherrschern in einem bisher nie gekannten Ausmaße würden; die Weltrevolution, der blutige Aufstand der jeder freien Produktivität, jeder Selbstbestimmung beraubten und in ein Zuchthaus eingezwängten Menschheit wäre unausbleiblich.

Wenn solche monopolistischen Organe geschaffen werden, so müssen wir daher verlangen, daß sie von vornherein der Mitbestimmung der in ihnen beschäftigten Werktätigen und der durch sie versorgten Konsumenten unterstellt werden: es müssen wirtschaftliche Selbstverwaltungsorgane, nicht private Zwangstrusts werden.

Und noch in einer anderen Hinsicht werden sie sich von den bisherigen viel kleineren, viel weniger ständigen und mächtigen internationalen Trusts unterscheiden müssen: sie werden Vollmachten und Machtmittel brauchen von den Völkern und den Staaten. Anders werden sie ihre Aufgaben nicht erfüllen können. Sie erfordern daher ein Bündnis, einen Zusammenschluß der Völker zu diesem Zweck: sie erfordern mit anderen Worten einen wirtschaftlichen Zweckverband der Völker.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie wir Schritt für Schritt von der Betrachtung der Londoner Beschlüsse und »Sanktionen«, d.h. von der Betrachtung der heutigen zugespitzten Lage und der sie umschließenden Weltkrisis dazu gedrängt worden sind, internationale wirtschaftliche Besprechungen, eine von den Vertretern der Werktätigen beschickte demokratische Konferenz, dann als notwendiges Ergebnis einer solchen Zusammenkunft, internationale wirtschaftliche Organe, ebenfalls auf demokratischer Grundlage, und schließlich einen demokratisch aufgebauten wirtschaftlichen Zweckverband der Völker oder, was dasselbe ist, einen demokratisch aufgebauten wirtschaftlichen Völkerbund zu fordern. Ich glaube, daß diese Forderungen nirgends eine Lücke aufweisen, daß kein Glied in dieser Kette fehlen darf, wenn zugegeben wird, daß wir heute in einer Weltkrisis stehen, die nicht durch Gewalt, sondern nur noch durch internationale wirtschaftliche Maßnahmen heilbar ist.

Was ist nun in dieser ganzen gewaltigen Entwicklung die Bedeutung des gegenwärtigen Moments? Ich meine, der durch die Londoner Beschlüsse und die sogenannten Sanktionen geschaffenen augenblicklichen Lage? Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Bedeutung kann kaum überschätzt werden. Zunächst wird nach meiner festen Überzeugung die Entwicklung der nächsten Monate wiederum und noch eindringlicher als bisher zeigen, daß mit Gewalt die Welt nicht mehr zu retten ist. Sie wird ferner die Abhängigkeit der Völker voneinander, vor allem die gegenseitige Abhängigkeit der wirtschaftlich Tätigen diesseits und jenseits des großen Spalts mit elementarer Gewalt den breitesten Massen überall zum Bewußtsein bringen. Die Interessengemeinschaft aller Werktätigen, die vielleicht bisher mehr ein Glaube als ein greifbares Erlebnis war, wird Millionen von Menschen, die um ihr tägliches Brot kämpfen, wie mit glühendem Eisen eingebrannt werden. Ein Wind erhebt sich und wird Sturm blasen, und seine Kraft wird uns entweder zum Zerschellen an die Riffe oder aber endlich in einen Hafen tragen. Die heutige akute Krisis, die nicht lange ungelöst bleiben kann, wenn sie nicht zur Katastrophe werden soll, bietet uns eine Gelegenheit, die nicht wiederkehrt, den ersten Schritt zu tun zum Aufstieg aus der Hölle, in die die Menschheit geraten ist. Wenn wir zur Lösung der gegenwärtigen Schwierigkeiten die wirtschaftliche und auf das Selbstverwaltungsrecht der Werktätigen gestützte Methode durchsetzen, dann gibt es kein Zurück mehr in das bisherige hilflose politische und militärische Getriebe. Daher lassen Sie uns diesen Schritt mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften erzwingen. Um dies zu erreichen, müssen wir das Ziel ganz klar vor uns sehen: und deshalb habe ich die großen Linien, auf die wir die Entwicklung schieben wollen, in der Resolution festgelegt, die ich Ihnen hiermit unterbreite. Sie lautet:

1. Wir anerkennen die Wiedergutmachung als eine Pflicht Deutschlands, deren Erfüllung nicht bloß im französischen, sondern auch im deutschen Interesse liegt;

2. Jedoch lehnen wir die Pariser Beschlüsse sowohl wie das Londoner Diktat als Grundlage für ein endgültiges Abkommen prinzipiell ab, nicht nur wegen der Höhe der geforderten Zahlungen, sondern auch in erster Linie wegen der unsachgemäßen Methode, nach der diese Zahlungen festgesetzt worden sind, nämlich nicht durch sachverständige Wirtschaftler nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern durch Politiker nach politischen Augenblicksbedürfnissen, und zwar durch Politiker weniger Staaten ohne Zuziehung von Vertretern der durch diese Beschlüsse in ihrem wirtschaftlichen Gedeihen tief beeinflußten anderen Völker und ohne Befragung der durch sie in ihrer Arbeitsmöglichkeit und Lebenshaltung auf das einschneidendste berührten Werktätigen der ganzen Welt.

Unter Ablehnung jeder nationalistischen Hetze fordern wir daher, daß sofort mit dem Wiederaufbau der zerstörten Gebiete gemäß dem Übereinkommen zwischen den französischen und deutschen Bauarbeiterorganisationen begonnen wird, und außerdem zum Zwecke einer Verständigung mit den Alliierten möglichst bald entweder vor dem Völkerbund auf Grund von Art. III und XI Abs. 2 der Bundesakte oder sonst durch die interessierten Staaten eine wirklich internationale Konferenz von wirtschaftlichen Sachverständigen (nach Art der Brüsseler Konferenz vom Herbst 1920, nur mit erweiterten Aufgaben) unter Hinzuziehung von bevollmächtigten Vertretern der organisierten Werktätigen einberufen und beauftragt werde, einen Plan aufzustellen für die Wiedergutmachung im Rahmen des Wiederaufbaues Europas im Sinne einer Weltbedarfswirtschaft.

Meine Damen und Herren, »Resolution« heißt »fester Wille«, d. h. der feste Wille, bestimmte Forderungen prinzipiell durchzusetzen, nicht von ihnen abzulassen, bis sie verwirklicht sind. Ich habe Ihnen gesagt, warum wir gerade diese Forderungen durchsetzen müssen: weil nämlich sonst die Welt nicht gesunden kann; weil im Gegenteil sonst die Not immer schlimmer wird. Ja, wir wollen uns nicht scheuen, egoistisch zu erscheinen, das ganz Gewöhnliche, das Nächste auszusprechen: wir müssen sie durchsetzen, weil sonst jeder von uns, jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, immer weniger zum Leben haben wird, seine Wochenrechnung um einen Posten nach dem andern kürzen muß, gezwungen sein wird, eine Arbeitsstunde nach der anderen zuzulegen, ein schwer errungenes Recht nach dem andern zu opfern; weil sonst die ganze Last der Wiedergutmachung, die ganze Last der Weltkrisis auf Sie, auf Sie allein, auf die nur von ihrer Arbeit Lebenden aller Länder abgewälzt wird. Es handelt sich bei dem, was wir heute miteinander besprechen, nicht um ferne, hochpolitische, lebensfremde Ideale, sondern um Ihren Alltag, Ihr Wohlbefinden, Ihre Feierstunden, um Ihre Bewegungsfreiheit und Ihre Rechte in Ihrem Betriebe oder an Ihrem Schreibtisch, um das Glück und die Zukunft Ihres Jungen und Ihres Mädels. Etwas – etwas Gewaltiges und Unerbittliches hat Sie und Ihre Angehörigen an der Gurgel und wird Sie erdrosseln, wenn Sie sich seiner nicht erwehren. Und ich sehe keine Abwehr als die, die diese Resolution Ihnen vorschlägt.

Aber, meine Damen und Herren, manche von Ihnen fühlen sich machtlos und werden fragen: wie sollen wir das machen, diesen Weg den widerwilligen und ungeheuer mächtigen Politikern und Militärs abzutrotzen? Und da wird vielleicht einigen die einzige Lösung scheinen, ebenfalls durch militärische Gewalt, durch die Mittel, die der Bolschewismus in Rußland benutzt hat, ihre Forderungen durchzusetzen. Aber, meine Damen und Herren, wenn etwas aus der bisherigen Geschichte der Weltkrisis unzweideutig hervorgeht, so scheint es mir gerade das, daß militärische Gewalt, romantische und blutige Abenteuer sie nicht beenden können. Gewiß, auch sanfte Überredung, die wohltuende und aufklärende Wirkung reiner, hehrer Vernunft, oder ein Wunder: die Bekehrung geld- und machtgieriger Männer zu sanften Menschenfreunden werden sie ebenso wenig beenden. Auch wir wissen, daß es hart auf hart gehen wird und muß. Wir verwerfen aber die Methode des Bolschewismus aus denselben Gründen wie die Methoden von Ludendorff und Foch, nicht nur, weil wir sie nicht für sittlich, sondern auch, weil wir sie nicht für wirksam halten.

Was sind also die Methoden, die Erfolg versprechen? Ich kann sie Ihnen in zwei Worten sagen: die Geschlossenheit und Entschlossenheit aller Werktätigen, ihre geschlossene und entschlossene Verfügung über ihren Stimmzettel und ihre Arbeitskraft zu einem klar durchdachten Zwecke.

Ich sage Geschlossenheit: und meine damit den festen Zusammenschluß von Mann zu Mann, von Beruf zu Beruf und von Land zu Land in der Verfolgung eines Zieles. Es gibt viele, die auch zur Herstellung dieser Geschlossenheit nur noch auf Gewalt vertrauen; die kein anderes Mittel als Gewalt sehen, um die Werktätigen zum Zusammenschluß zu zwingen und ihnen die nötige Stoßkraft zu verleihen; die entschlossen sind, die Werktätigen zu einem handfesten Klumpen zusammenzu knütteln. Wir verwerfen diese Ludendorffsche oder, was dasselbe ist, diese Trotzkische Methode auch hier: nicht nur, weil wir sie für grausam und rechtlos, sondern auch, weil wir sie für unwirksam und überflüssig halten.

Ich habe Ihnen gesagt und gezeigt, daß die Geschlossenheit der Werktätigen heute einen natürlichen und festen Boden hat in ihrer täglich durch die Weltnot immer enger, immer zwingender werdenden Interessengemeinschaft. Wir brauchen nicht an die Gewalt zu appellieren, um sie zusammenzuschweißen; ebensowenig wie wir uns auf Gefühle verlassen zu brauchen. Wir bewegen uns nicht in den rosaroten Wolken irgendwelcher Brüderlichkeits-Utopie. Wir bauen auf steinharte Tatsachen; auf Tatsachen, an denen wir uns wundstoßen! Ich habe Ihnen diese Tatsachen schon gesagt. Und wir können zum Glück feststellen, daß auch die Erkenntnis dieser Zusammenhänge überall immer klarer wird. Der englische Kohlenarbeiter in Wales weiß, daß er entlassen wird, weil für geringeren Lohn als er der deutsche Bergarbeiter Überstunden arbeiten muß. Ich verweise Sie auf die Äußerungen des Vorsitzenden des Südwalisischen Bergarbeiter-Verbandes James Winstone, die im »Labour Leader« vom 3. Februar veröffentlicht sind. Er sagt unter anderem wörtlich: »Der walisische Bergarbeiter ist fast ebenso sehr ein Opfer des Friedensvertrages wie der deutsche Bergarbeiter«, und begründet dieses Urteil mit einem reichen Zahlenmaterial. Ich verweise Sie ferner auf die Aufrufe, die in Sachen der Wiedergutmachung gegen die Pariser und Londoner Beschlüsse ausgegangen sind von Seiten des Internationalen Gewerkschaftsbundes, der englischen Arbeiterpartei, des französischen allgemeinen Gewerkschaftsbundes, des Nationalrats der französischen sozialistischen Partei und anderer großer Arbeiterorganisationen in den verschiedenen Ländern. Überall steht die Erkenntnis der Interessengemeinschaft und nicht bloß irgendwelcher gefühlsmäßiger Solidarität der Werktätigen im Mittelpunkt. Was zu befürchten steht, ist nur, daß irgendwelche Verwirrung von außen oder irgendwelche Hetze hemmend wirkt, so daß diese Erkenntnis keine Taten zeitigt. Daher ist vor allen Dingen jede nationale Aufhetzung heute, wo gerade die deutschen Werktätigen nur mit Hilfe der Werktätigen der anderen und auch der bisher gegnerischen Länder wieder aus ihrem Elend emporsteigen können, ein Verbrechen am deutschen Volke. Sie durchschneidet unser Rettungsseil. Vaterlandslose Gesellen sind heute nicht die, die man früher so geheißen hat; vaterlandslose Gesellen sind, ob sie es wissen oder nicht, die nationalistischen Hetzer. ( Stürmischer Beifall).

Meine Damen und Herren, ich sehe, daß Sie wenigstens dieser Hetze nicht unterliegen werden. Aber ich will Ihnen noch eine andere Gefahr kennzeichnen, vor der Sie sich hüten müssen, wenn Sie Ihre gerechten Forderungen durchsetzen wollen. Es ist die der Mutlosigkeit, der Gleichgültigkeit, des mangelnden Selbstvertrauens. Was Sie zur Durchsetzung Ihrer Forderungen brauchen, ist nicht bloß nationale und internationale Geschlossenheit, sondern auch, wie ich Ihnen sagte, Entschlossenheit: den festen Willen nicht bloß zur Forderung, sondern auch zur Tat. Und das steht bei jedem Einzelnen von Ihnen. Hier können Sie zeigen, daß Sie stolze deutsche Männer und sogleich national und international organisierte Arbeiter sind. Was wir brauchen, sind nicht bloß Versammlungsbesucher, sondern charakterstarke, entschlossene Männer und Frauen, die von ihrer Macht, der Macht des Willens und ihrer Arbeitskraft Gebrauch machen; nicht durch Gewalttaten, sondern durch die planmäßige Verwendung dieser unwiderstehlichen Waffen im Kampfe für ein klar durchdachtes Ziel. Denn, meine Damen und Herren, und das soll mein letztes Wort sein, wenn Sie wollen, haben Sie die Macht. Sie können das verwirklichen, was not tut. Sie haben Ihre Rettung in der Hand. Nur wollen müssen Sie. Und deshalb soll alles, was ich Ihnen vorgetragen habe, nichts sein als ein Aufruf zum Wollen.


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