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Van de Veldes Tafelsilber

(1904)

Im vorigen Heft dieser Zeitschrift ist im Dresdener Monatsbericht von van de Veldes Tafelsilber kurz die Rede gewesen. Der Verfasser der Notiz, eine geschätzte Autorität auf dem Gebiet des Kupferstiches, hat offenbar große und anerkennenswerte Mühe aufgewendet, auch für Tafelsilber sich Prinzipien zu gewinnen. Aber er wird nichts dagegen haben, wenn der Versuch, dieses Tafelsilber einzuschätzen, hier noch einmal unternommen wird.

Die Schönheit des Silbers ist der eigenartig tiefe, feine Glanz, den Hammer und Feile in ihm entzünden. Dieser zarte, aber wie aus Tiefen tätig dringende Silberglanz unterscheidet sich von dem Oberflächenspiel des Lichts am trägen Zinn ebenso wie von der blonden Üppigkeit des Goldes, das vom Licht durchtränkt in seiner Pracht am Ziel zu ruhen scheint. Silber ist in seiner Aktivität das einzige Metall, das Geist zu haben scheint; wie Kupfer immer eine Art von fahler Leidenschaftlichkeit. Die Aufgabe des Silberkünstlers ist deshalb, diesen tätig-zarten Glanz, der des Silbers Seele ist, hervorzulocken, für die Dauer anzuzünden und durch Formen arabeskenhaft zu variieren.

Das haben bewundernswert die Silberschmiede der Renaissance und des Barock durch Ziselierungen getan. Sie entzündeten den Silberglanz an Ornamenten als Netzwerk von kleinen energischen Schatten und hellen Lichtern in Fruchtkränzen und Girlanden. Die englischen Silberschmiede des 18. Jahrhunderts entdeckten den milderen Glanz der schlichten Silberfläche. Die belebende Spur des Hammers verstanden sie mit unerreichter Meisterschaft zu erhalten und als solche doch dem Auge zu entziehen, so daß nur die Belebung geblieben ist, ohne aufdringlich sichtbare Hammerschläge. Mit den Tönen dieses zarten und geheimnisvollen Glanzes spielten sie, – allerdings nicht sehr mannigfaltig, – durch die fein berechneten Rundungen und Profile ihrer Stücke. Das Ornament mit seinen bestimmteren Wirkungen ist für sie fast nur Folie zu dem zauberhaften Schimmer ihrer Flächen.

Unser Silber ist nicht mehr geschmiedet, sondern gepreßt, durch Maschinen in Schablonen hineingedrückt. Die Politur findet auf dem platt gequetschten Metall keinen Halt; sie läßt das Licht blank und glatt wie an Nickel abgleiten. Das Ornament wirkt matt oder roh. Seitdem fehlen die Voraussetzungen eines Silberstils: der milde Glanz der kunstvoll behandelten Oberfläche und die feine Nuancierung feiner Ornamente. Charakterlos nimmt das Maschinensilber, dem kein Weg gewiesen ist, jede Form und Façon an, vom billigen Hochzeitsgeschenk für arme Verwandte bis zu den ungeheuerlich pompösen Tafelaufsätzen mit Palmenbäumen, Hirtinnen und Kamelen, die um 1880 beim europäischen Bourgeois den Tisch zierten und denen jede Beziehung zum Material, jeder Stil, in einer selbst bei Negerfürsten unerhörten Weise fehlte.

Eine Reaktion hat seit einigen Jahren eingesetzt; allerdings bisher fast nur in England. Ashbee und die Birminghamer Gilde haben den Silberglanz wiedergefunden. Ihre einfachen, viereckigen und runden Formen wirken durch das Material. Sie werden durch den Glanz schön. Aber sie selbst bleiben passiv. Sie werden sozusagen nur geschmückt.

Die Formen aktiv zu machen, sie wieder so zu machen, daß durch sie das kunstvoll behandelte Silber noch subtiler und reicher glänzt, das ist dann ein weiteres Ziel. Dieses verfolgt van de Velde.

Aber die reiche Ziselierung des Louis XV, diese Fülle von Handarbeit, widerspricht unsrer Zeit. Deshalb geht van de Velde den andren Weg, den der alten Engländer, aber bestrebt, ihre Methode zuende zu denken. Er sucht dem Gerät Flächen zu geben, die den Glanz verschieden hell und tief in einem kunstvoll berechneten Wechsel spiegeln; Hell und Dunkel sollen an ihnen wie in Rhythmen spielen. Das Ornament kommt hinzu, nur um diesen Grundtakt zu unterstützen, durch schwärzere Schatten und hellere Lichter. Die Form des Geräts und sein Ornament sind Stufen zu demselben Ziel: die Seele des Silbers, die der Hammer erweckt hat, lebendig und wie in Versen reden zu lassen.

Deshalb sind Ornament und Form hier organisch eins. Die Flächenbewegung kulminiert im Ornament wie der Rhythmus des Verses auf dem stärksten Ton oder im Reim. Das Ornament entsteht aus der Flächenbewegung. Es ist zum Gerät nicht hinzuerfunden, sondern aus ihm herausentwickelt. Es ist kein einzelnes für sich bestehendes Motiv, wie die Fruchtkränze oder Eierstäbe des Louis XVI., sondern ein Teil der unendlichen Melodie, die das Licht an diesem Silberstück singen soll.

Wo die Flächenbewegung allein schon den Silberglanz in genügend klare Rhythmen bricht, kann deshalb das Ornament fehlen, ohne daß van de Veldes Stil dadurch in seinem Wesen verändert wird. Im Gegenteil; je mehr er die Wirkung der Flächenbewegung auf das Licht beherrschen lernt, um so mehr kann er des Ornaments entraten, enträt er wirklich des Ornaments, wie bei dem Teeservice hier, und bei dem Teebrett, auf dem nur eine einzige Linie den Glanzeffekt gegen die Griffe zu unterstützt.

Deshalb kann er auch das Gerät genau der bequemsten Form für den Gebrauch anpassen, weil er nicht von irgendwelchem Ornament abhängt, sondern bloß leise Beugungen und Verschiebungen der Flächen braucht, die für Hand und Mund nicht zu merken sind. Seine Bestecke liegen genau im Gleichgewicht in der Hand, was sie auffallend leicht macht und ebenso angenehm wie selten ist. Und ihr Griff ist zugleich ein kleines Meisterwerk der Anpassung an die Finger, ebenso wie sein Dessertlöffel an den Mund. Man empfindet beim Essen mit diesen Bestecken eine Art von sinnlichem Reiz und Vergnügen, wie wenn ein dünnes, geschliffenes Glas die Lippen berührt.

Diese so folgerichtig aus dem Silber entwickelte Formgestaltung durch die Fläche und das Helldunkel hängt natürlich nicht ab von van de Veldes Linien. Sie ist eine Norm für jede Zeit und Mode. Aber van de Veldes Linienführung paßt genau in sie hinein. Denn das Wesen dieses Silberstiles ist Belebung und das van de Veldescher Linien, daß sie leben.

Sie leben, weil sie wie die gotischen eine Bewegung wiedergeben, eine Kraft, die erwacht, emporschnellt, gehemmt wird, gegen andere Kräfte in der Spannung bleibt: ihr Sujet ist prinzipiell immer eine Kraftkurve, wie das Sujet anderer Ornamentik, der barocken etwa, Pflanzen oder Menschen. – Und sie leben auch noch, weil sie modern sind, d. h. Beziehungen haben zu dem Leben rings um sie herum durch die Verwandtschaft ihres Charakters mit dem langen, eleganten Zug der Linien, die jetzt überall merkwürdig ähnlich hervordringen: nicht bloß in der Eisenkonstruktion, in den mächtigen Hängebrücken, in Maschinen, Rennyachten, Automobilen, sondern auch im intimen Leben, im Rock, im Schnitt des Fracks, im schneidergemachten Damenkleid. Diese Kurve der modernen Kraft ist die Stimmgabel für van de Veldes Linien. Sie schwingen mit, wo sie mit ihr in Berührung kommen. Die Silhouetten des Teeservices, das hier abgebildet steht, seine feinen, straffen Umrisse, suggerieren schon für sich die Bewegungen und schlanken Linien der modernen Frau, die Tennis spielt, reitet, ihr eigenes Automobil führt. Neben ihr, in ihren Händen, werden sie bewegte Teile ihres Ausdrucks, ihrer Gebärden.

Dieses Leben, das die Linien und Profile wie ein feines Feuer füllt, ergänzt und steigert natürlich noch die Beseelung des Silbers durch den Glanz und seine Rhythmen. Beide wirken ineinander und machen den Geist dieses Stils aus.

Was dieser wert ist, wie er die praktische Form schmückt und verständlich macht, ohne sie zu vergewaltigen, zeigt hier die Jardinière, wo die Spannung der Linienzüge so lebensvoll im Verhältnis steht zu der Blumenpracht, die zu tragen ist, und der Zweck so ganz Form geworden ist, und die Form so wirkungsvoll den Silberglanz zur Geltung bringt, daß die Lösung notwendig und fast einfach scheint. Erst wenn man sich die Tafelaufsätze einer kurz vergangenen Zeit ins Gedächtnis ruft oder selbst die schönen, aber erfindungsarmen, ungegliederten englischen Stücke, sieht man klar, welchen Schritt van de Veldes Tafelservice für die Silberschmiedekunst bedeutet.


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