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Impressionisten

Die Begründer der modernen Malerei in ihren Hauptwerken

(1908)

Die vorliegende Publikation soll zum ersten Male Dokumente der französischen Malerei im neunzehnten Jahrhundert in solchen Dimensionen und in solcher Treue wiedergeben, daß daraus ein einigermaßen richtiger Begriff von den Originalen gewonnen werden kann. Man hofft, daß dadurch wenigstens die großen Linien der Entwicklung augenscheinlich hervortreten werden. Aber diese Vorrede ist nicht der Platz, eine neue Geschichte der französischen Malerei zu geben. Der Raum gestattet nur, kurz Rechenschaft abzulegen von den Gesichtspunkten, unter denen die Auswahl getroffen ist. Die Absicht war, einmal die Kontinuierlichkeit der Entwicklung, die in diesen Bildern verkörpert ist, fühlbar zu machen, und andererseits auch besonders solche Bilder vorzulegen, an denen der Zusammenhang mit der älteren Tradition sowohl wie die Ausbildung einer neuen, aus sich selbst weiterwachsenden Tradition, die den gegenwärtigen Moment in der Kunst ausmacht, deutlich sichtbar ist. Denn wenn irgendein Irrtum in künstlerischen Dingen Verwirrung und Unheil bei uns, sowohl bei den sogenannten Sezessionisten wie bei den Gegnern der ›Sezession‹, angerichtet hat, so ist es der, daß die im Impressionismus gipfelnde französische Malerei des neunzehnten Jahrhunderts in der Form revolutionär und der individuellen Willkür preisgegeben gewesen sei; denn die einen haben daraus das Recht hergeleitet, sie unbesehen zu verwerfen, die anderen sind in großer Zahl verführt worden, den reichen Schatz an Erfahrungen, der in den alten Werken enthalten ist, unbesehen liegen zu lassen und ihre Arbeit ganz auf den dünnen Boden der »Persönlichkeit« zu säen. Die kleine Sammlung von französischen Bildern, die Tschudi in der Berliner Nationalgalerie zusammengebracht hat und die dort inmitten der sonst so verworrenen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts heute schon klassisch wirkt, sollte genügen, um diesen Irrtum zu widerlegen; aber da er noch immer rechts und links vorherrscht, so mag es nicht überflüssig erscheinen, in dieser Vorrede wenigstens etwas ausführlicher auf diesen Irrtum einzugehen und den gegenwärtigen Moment in der Kunst, wie er sich als Folge der impressionistischen Bewegung darstellt, zu charakterisieren.

Man hat also, um noch einmal die herrschende Meinung anzuführen, ausgegeben, daß der Impressionismus alle Traditionen über Bord werfe. Man tadelte oder lobte an ihm das Revolutionäre, das mit allen Lehren der Vergangenheit aufräume und wieder frisch von vorne anfange: »kindisch«, »barbarisch«, »unfertig«, »roh« waren in den Kunst-Feuilletons der achtziger und neunziger Jahre die Worte, die die Drucker am häufigsten setzen mußten. Man sah den Grund der Wirkungen des Impressionismus in einem rücksichtslosen Radikalismus und das Wesen seiner Technik in einer Einfachheit, die es sich aus Bequemlichkeit und Nichtkönnen bis zur Unverschämtheit leicht mache.

Ich würde, wenn ich ein Gegner des Impressionismus wäre, ihm genau das Gegenteil vorwerfen: nämlich seine Kompliziertheit, eine an den Künstler fast übermenschliche Anforderungen stellende Kompliziertheit, die aus der Mannigfaltigkeit der Traditionen folgt, die er in sich vereinigt hat. Gerade in dieser Kompliziertheit scheinen mir sowohl die Schwächen wie die Stärken des Impressionismus zusammenzulaufen; und diese Kompliziertheit haftet auch den anderen Bewegungen an, die mit dem Impressionismus in der Literatur, dem Drama, der Poesie, der Musik parallel gehen.

Die Kompliziertheit des Impressionismus in seinen Anforderungen nicht nur an den Künstler sondern auch an den Beschauer, kommt wie gesagt daher, daß er in Wirklichkeit alles andere wie revolutionär ist, daß er im Gegenteil das sehr zusammengesetzte Produkt der gesamten geistigen und künstlerischen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts ist, und insbesondere der zwei scheinbar feindlichen Hauptbewegungen der ersten Hälfte des Jahrhunderts, der Romantik und des Realismus.

Die Romantik war auf allen Gebieten ein Enteilen aus einer grau und charakterlos empfundenen Welt in Gegenden, wo die Pracht, wie man glaubte, auf der Straße lag, und das Charaktervolle sich, aller Fesseln ledig, frei entfalten konnte. Pracht und Charakter waren das edle Wild, das die Romantik jagte, ob sie mit Arnim und Brentano in den blumenbesäeten deutschen Märchenwald flüchtete oder mit der Guiccioli sich Byron zu Füßen warf, ob E. T. A. Hoffmann eine Spukwelt im Rhythmus des Grotesken erfand oder Heine Perlen funkelnden Witzes auf alte, alte Lieder stickte. Man zog die Farben und Linien fremder Welten wie gotische Glasfenster vor eine Wirklichkeit, in der das Auge noch keinen Reichtum und die Seele noch keinen Charakter entdeckt hatten.

Auch die Malerei wurde romantisch, d. h. sie floh vor der Wirklichkeit und suchte im Gegensatz zu ihr vor allen Dingen Reichtum und Charakter. Turner verkleidete die Landschaft in die Stimmungen des ersten Schöpfungstages, Delacroix rang mit dem Material und machte aus der Ölfarbe etwas wie orientalische Fayencen Kostbares. Gleichzeitig lehrten Goya und Ingres, was in den Linien und Farben Charakter ist, und Daumier erfand sich wie E. T. A. Hoffmann eine eigene Welt starker und grotesker Akzente.

Veredelung des Materials und die Suche nach Charaktervollem um jeden Preis in Farben und Linien waren die Tendenzen, die die Romantik der Malerei ebenso wie der Poesie und Musik zurückließ. Die Gegenbewegung, der Realismus, packte die Wirklichkeit an etwa so wie Balzacs junger Rastignac Paris, wenn er, auf dem Montmartre stehend, das moderne Babel vor sich ausgebreitet, ausruft: »A nous deux maintenant.« Sie erkannte den Reichtum der Gegenwart, sie wußte aber am Anfang nicht recht, wie sich seiner bemächtigen. Und so benutzte sie zunächst das romantische Mittel: den Charakter. Sie suchte in den Dingen der Gegenwart nach Charakter; und wo er ihr zu schwach erschien, übertrieb sie wissentlich. Man braucht nur an Dickens zu denken, um zu verstehen, was ich meine.

Aber je mehr der Realismus fortschreitet, je tiefer er in die Welt eindringt, um so klarer erkennt er, daß die Wirklichkeit dem Künstler außer dem »Charakter« noch ein anderes Mittel bietet, sie in Kunst zu verwandeln: nämlich die große Einheit alles Wirklichen, die große Einheit, vermöge derer alles, was ist, mit allem, was ist oder je gewesen ist, zusammenhängt, und die Dinge deshalb in ihrer Wirklichkeit dargestellt dem tiefsten Prinzip der Kunst, dem Prinzip der Einheit des Kunstwerkes, ganz von selbst entgegenkommen. Balzac hatte das Gefühl dafür, als er seine ›Comédie Humaine‹ konzipierte, ein Kunstwerk, dessen Einheit nichts ist als die Einheit des Lebens: das Wunderbare, daß die Grisette mit der Nonne, der Verbrecher mit dem Gesandten, der entlaufene Sträfling Vautrin mit dem großen Bankier Nucingen, Rubempre, der junge schöne Abenteurer, mit dem alten Bourgeois Goriot und das Mädchen mit den Goldaugen mit der Tochter aus dem Hause Dudley zusammenhängt.

Künstlerisch ist das Bedeutsame an dieser Einheit des Lebens, daß sie viel intimer ist als die Einheit der bis dahin überwiegenden Kunstformen. Denn sie besteht darin, daß jedes Stück Wirklichkeit mit jedem anderen fortlaufend zusammenhängt, jedes von jedem unzertrennbar. Während das Wesen der älteren Formen künstlerischer Komposition Teilung ist, allerdings um die Teile dann künstlich durch Proportion, Harmonie, Rhythmus zusammenzufügen, deutet die Einheit des Lebens also hin auf die Möglichkeit einer Einheit neuer Art in der Kunst: als Gegenstück des Lebens auf den fortlaufenden, lückenlos zu verfolgenden Zusammenhang aller einzelnen Elemente im Kunstwerk, so daß also statt mehr oder weniger geordneter Gruppen eine einzige »unendliche Melodie« herauskommt.

Hierauf also muß der Realismus seiner Absicht gemäß ausgehen: um die Illusion der Wirklichkeit zu geben, muß er jedes Kunstwerk als »unendliche Melodie« entweder irgendwo vom Leben abschreiben oder künstlich dem Leben in dieser Einheit nacherfinden. Courbet hat bald das eine, bald das andere getan, bald im Atelier aus dem Kopf Ton an Ton logisch aneinander gereiht, bald vor der Natur am Meeresstrand das zarte Blau oder sturmschwarze Grün des flachen Küstenmeeres Ton um Ton nachgemalt. Das Wesentliche am Realismus war für ihn nicht das Abschreiben, sondern die Einheit, die Wiedergabe oder Schöpfung dieser letzten und tiefsten Eigenschaft der Wirklichkeit, ihrer fortlaufenden, lückenlosen innigen Einheit. Wie notwendig übrigens jeder Realismus zu dieser Art von Einheit führt, zeigt sich an der großen Wirklichkeitsmalerei des siebzehnten Jahrhunderts, die von Caravaggio über Ribera bis Velasquez zu demselben Resultat gelangt.

Das war also, was Monet, Manet, Renoir, die anderen jungen Maler der sechziger und siebziger Jahre vorfanden: auf der einen Seite Courbet und mit ihm die Anerkennung der Gegenwart und die realistische Einheit; auf der anderen Seite die romantischen Ziele: Kostbarkeit und Charakter. Es folgte fast von selbst, daß in ihrer Kunst beides zusammenfloß: Gegenwartsbejahung und realistische Einheit mit dem, was als Pracht und Akzent von Delacroix zu lernen war. Das Resultat dieser Mischung ist, was man Impressionismus genannt hat. Bei den einen wie bei Degas oder Van Gogh überwog in der Mischung der »Akzent«, das Charaktervolle, bei den anderen, wie bei Manet oder Cézanne, das Streben nach Einheit, bei dritten wieder, wie bei Renoir und Monet, die Pracht und das Leuchten der Farbe. Aber bei allen findet man die drei, oder wenn man will, vier Elemente: Kostbarkeit der Farbe, Auswahl des Charaktervollen, Wirklichkeitsliebe und die besondere Art von Einheit, die ich die realistische genannt habe.

Der Impressionismus ist also in der Tat eine zusammenhängende Bewegung und vergleichbar mit ähnlichen Erscheinungen in der Literatur und Musik: mit Baudelaire und Flaubert und Maupassant, die die Einheit des Lebens in die Schönheit der romantischen Sprache kleiden, mit Richard Wagner, bei dem die romantische Tonpracht in die Einheit der unendlichen Melodie floß, mit Tolstoi und Dostojewski, die die Einheit des Lebens durch eine unendliche Fülle winziger kostbarer Akzente wiederschufen, mit Hauptmanns »Stimmung«, die aus einem raschen Wechsel zwischen romantischen und realistischen Stilelementen hervorgeht. Ich will die Liste nicht ausspinnen. Ich wollte nur andeuten, wie diese aus dem Zusammentreffen der Stilelemente von Romantik und Realismus entstandene Bewegung alle Gebiete unserer Kultur ergriffen hat.

Ihr Problematisches ist, wie schon gesagt, die Kompliziertheit der durch sie geschaffenen Ausdrucksformen. Und diese Kompliziertheit haftet nicht erst dem Impressionismus, sondern schon den Stilelementen der Romantik und des Realismus einzeln an.

Schon das erste dieser Stilelemente, die Kostbarkeit, ist nicht ohne Berechnung zu erreichen. Delacroix' Tagebücher zeigen, wieviel Überlegung er auf die Mittel verwenden mußte, seine Farbenharmonien reich und glänzend zu gestalten. Tag für Tag notiert er Beobachtungen über Farbe, Erfahrungen, Versuche; er untersucht die Bilder im Louvre, namentlich die Venezianer: Tizian, Veronese, auch Velasquez, auch Rubens, experimentiert, rastet nicht auf der Suche nach Gesetzen der Farbenpracht. Sein ganzes Leben ist ein fast ununterbrochenes Sammeln immer zahlreicherer Grundsätze. Und diese Fülle von Grundsätzen und Rücksichten muß man sich dann in sein Schaffen verpflanzt denken. Schon bei ihm welche ungeheure Komplikation des Gestaltens!

Noch mehr belastet den Künstler die Beschränkung auf Charaktervolles, der Verzicht auf die Schablone. Die akademische Kunst des sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten Jahrhunderts freut sich, wo sie ein Vorbild benutzen kann. Der Künstler erfindet aus Eigenem möglichst wenig. Er macht sich mit gutem Gewissen das Schaffen einfach. Der Romantiker will jedes Ding neu erfinden, jedem eine eigene Seele geben; keine Form, keine Farbenverbindung genügt ihm, wird für ihn je allgemeingültig. Man ist überrascht, wenn man auf diesen Punkt hin einen Delacroix mit einem Rubens vergleicht: beides Koloristen, Rubens Delacroix' Abgott; aber Rubens hat fünf oder sechs erprobte, glanzvolle Farbenharmonien, die er nur ganz wenig variiert, bei Delacroix sind dagegen jedesmal in jedem Bild alle Harmonien neu. Rubens ist wie ein Gärtner, der sich an das bewährte Blumenarrangement: rote Rosen mit Veilchen und Vergißmeinnicht, hält. Delacroix läuft jedesmal in die weite Welt und sucht an Hecken und Wegen neue, seltene, nie benutzte Blumen für den Strauß. Und ebenso ist es mit Formen und Linien. Man braucht sich nur die beruhigenden, so leicht zu erlernenden Silhouetten des akademischen Aktes vorzustellen, um alles, was sie dem Künstler an Aufregung ersparen, voll zu würdigen.

Am aufreibendsten ist aber für den Künstler die Verfolgung der realistischen Einheit. Die alten Methoden der Komposition beschränkten sich auf die Ordnung weniger großer Hauptverhältnisse im Kunstwerk; jetzt soll der Künstler jeden Strich, den er hinzufügt, in seinen Beziehungen zu jedem anderen Strich im Werk berechnen, alles zu allem in ein ganz intimes Verhältnis setzen, nirgends eine Lücke lassen. Wenn Rubens einen roten Mantel malte, konnte er außer acht lassen, wie sich das Einzelne im Rot zum Braun oder Grün der Landschaft dahinter verhielt; es genügte für die Einheit, die er suchte, wenn der ganze Mantel zur ganzen Landschaft in der richtigen Relation blieb. Mantel und Landschaft waren für ihn auch als Maler zwei Gegenstände, sozusagen zwei Bilder, mehr oder weniger lose durch einen Kontrast oder ähnliches verknüpft. Ein Bild von Courbet ist dagegen immer ein Bild, wenn man so sagen darf. Mögen noch so viele Dinge dargestellt sein, sie werden durch seine Malerei wie ein Gegenstand, über den das Auge von Ton zu Ton ohne Sprung fortlaufend hingleitet. Die Anspannung, die dazu gehört, so beim Malen immer das ganze Bild und jedes einzelne Element darin im Auge zu behalten, ist ganz analog der eines mathematischen oder logischen Prozesses hoher Ordnung.

Wenn die realistische Einheit allein schon solche Anforderungen stellt, kann man sich denken, was es heißen muß, neben diesem Prozeß auch noch gleichzeitig die romantischen Ziele, Kostbarkeit und Charakter, zu verfolgen. Und selbst hiermit ist die Kompliziertheit des impressionistischen Schaffens noch nicht ganz dargelegt, denn es fehlt noch die Besonderheit, von der die ganze Bewegung ihren Namen hat, das Suchen, das Haschen nach dem Momentanen, Flüchtigen.

Man hat, namentlich in der ersten Zeit, fast allgemein dieses und den Gegensatz gegen die Wiedergabe der dauernden Erscheinungsformen der Natur als den eigentlichen Kern des Impressionismus angesehen, und es sind wohl Hunderte von Künstlern, die die neue Richtung mitmachen wollten, an dieser oberflächlichen, allzu naiven Auffassung gescheitert. In Wirklichkeit hat natürlich dieser Griff nach den flüchtigsten Farben und Linien nur Sinn in Verbindung mit den künstlerischen Zielen des Impressionismus, den Zielen der Kostbarkeit, des Charakterstarken und der realistischen Einheit. Für sich allein ist die Suche nach dem Flüchtigen eine Kinderei und hat mit dem Impressionismus von Monet, Manet, Renoir ebensowenig zu tun wie das phonographische Lallen gewisser Machwerke mit der Kunst von Hauptmann oder Maeterlinck. Aber als Jagdgrund, um Kostbarkeit und Charakter zu suchen, ist allerdings die flüchtige Wirklichkeit unendlich viel ergiebiger als das Beharrende. Denn wo dieses eine Farbe, eine Linie darbietet, geben die Bewegung und das wechselnde Licht auf den Dingen Hunderte, Tausende von Linien, Formen, Farben, Zwischentönen, aus deren Fülle der Künstler immer wieder neue Reichtümer, neue Akzente schöpfen kann. Degas oder Rodin finden in den Linien einer Tänzerin, eines Aktes mehr Stoff zu charaktervollen Arabesken als die Akademiker seit Jahrhunderten in allen alten Gipsen. Ein Heuschober schenkt Monet zwischen Morgen- und Abendsonne mehr Juwelen als die Schatzhäuser der Kalifen enthielten. Und diese Fülle von Tönen und Linien macht es möglich, die Veredelung des Materials fortzuführen bis zu seiner völligen Belebung. Monets und Renoirs Material ist nicht nur wie das von Delacroix eine Pracht; es ist wie das Leben selbst eine blühende, pulsierende, bewegte Pracht.

Auf dieser Grundlage erhebt sich dann auch das Ideal der Einheit zu einer neuen Stufe. Die Einheit des Bildes ist bei Courbet etwas Kühles, unverhüllt Rationelles. Sie überzeugt den Beschauer von der Wirklichkeit des gezeigten Naturausschnitts: weiter nichts. Jetzt wird sie in den Händen derer, die sie aus diesem blühenden Glanz aufbauen, zu etwas, das die Phantasie entzündet, so daß sie nicht mehr bloß die Einheit dieses einen Stückchens Wirklichkeit empfindet, sondern wie von der Schönheit emporgerissen darüber hinaus die Einheit der Welt selbst zu schauen meint. Deshalb sind wohl auch seit Rembrandt keine Bilder gemalt worden, die so geheimnisvoll und tief religiös wirken wie die Landschaften Monets – religiös natürlich nicht im Sinne irgend eines Dogmas, sondern so, daß man vor ihnen durch den ewigen Fluß des Werdens hindurch die unzerstörbare Einheit alles Seins wie ein persönliches Erlebnis fühlt. In diesem wie ein Rauch aus den Dingen emporsteigenden Weltgefühl, in diesem Lobgesang aller Kreatur erreicht der Impressionismus seinen natürlichen Gipfelpunkt.

Niemand, der sich mit ihm auf dieser Höhe beschäftigt, wird, wie ich glaube, leugnen, daß er zu den großen Kunstformen der Welt gehört. Aber durch welche Erschwerung für den Künstler ist selbst noch dieser letzte Schritt zum Gipfel erkauft. Die Kraft, die dazu gehört, alle die verschiedenen Ziele der impressionistischen Technik vor der flüchtigen Erscheinung festzuhalten, auf den einen kurzen Moment zu konzentrieren, ist fast übermenschlich. Monet, ein vierschrötiger Bauer, kann nach einer Serie von Bildern, wie die Londoner, vor Erschöpfung sechs Monate lang keinen Pinsel anrühren. Van Gogh ist vor Arbeit wahnsinnig geworden; seine Tagebücher und Briefe erzählen wie. Manet ist an den Aufregungen seines Schaffens gestorben, vor der Zeit aufgebraucht. Und fast noch bedenklicher wäre die Liste der Künstler, die vor der Schwierigkeit kapituliert haben, die aus erlahmender Kraft einen halben und wertlosen Impressionismus treiben, sich begnügen, Monet abzuschreiben, oder statt Kunst bloß flüchtige Wirklichkeit zu geben. Aber auch dem Beschauer mutet die unendliche Komplexität dieser Kunst eine Anstrengung zu, die für viele zu groß ist; sie kommen, wie man so sagt, nicht mit. Man kann geradezu durch das Jahrhundert hin verfolgen, wie mit der wachsenden Kompliziertheit der Kunstmittel der Kreis derer, die der lebenden Kunst zugewendet sind, immer kleiner, der der Philister immer größer wird. Daher die lange Befehdung und noch immer das Mißverstehen impressionistischer Werke.

Dies also ist, wie schon angedeutet, das Problematische am Impressionismus, diese übergroße Kompliziertheit; und daß es auch den verwandten Bewegungen in der Dichtung, dem Drama, der Musik anhaftet, habe ich bereits angedeutet. Die Wortkunst eines Mallarmé oder Mombert ist fast schon über die Grenze des Schreibbaren hinausgelangt. Ein Stück von Maeterlinck oder selbst von Hauptmann ist in der Fülle und Feinheit seiner Stimmungen kaum noch richtig aufzuführen; seine Äußerlichkeit geht ebensoweit wie die Innerlichkeit Shakespeares über die Bühne hinaus. Die Beispiele lassen sich fast beliebig vermehren. Mir scheint nun der gegenwärtige Moment in der Kunst dadurch charakterisiert, daß einerseits der Impressionismus und die ihm verwandten Bewegungen immer allgemeiner anerkannt werden, immer siegreicher vorgehen, immer mehr Künstler anziehen, daß aber gerade die, die sich am tiefsten mit dem Impressionismus eingelassen haben, immer stärker ein Bedürfnis nach Vereinfachung zeigen.

Diese Vereinfachung wäre natürlich zu erreichen durch ein Aufgeben der Ziele des Impressionismus. Man hat ja schon Vorjahren das törichte Wort gesprochen von der »Überwindung« des Impressionismus. Ich nenne dieses Wort töricht, weil man Kunst überhaupt nicht überwindet. Was große Künstler schaffen, bleibt und wird nicht abgetan. – Aber ich sehe auch nirgends ein Zeichen, daß die besten Künstler die Ziele des Impressionismus, Kostbarkeit des Materials, Charakter statt Schablone, Einheit nach Art der Natur, Benutzung auch des Flüchtigen, Seltenen, aufgeben. Im Gegenteil: überall sehe ich, wie ich eben sagte, diese Absichten im Vordringen. Es bleibt also nur eine andere Möglichkeit: der Wunsch nach Vereinfachung betrifft nicht die Ziele, sondern die Wege zu den Zielen, die Wege zur Erreichung und die zum Genuß dieser Ziele. Und dieses ist, was mir in der Tat die Zeichen zu bedeuten scheinen. Denn diese sind immer entweder Versuche, dem Künstler das Schaffen zu vereinfachen, oder Versuche, dem Beschauer die Auffassung zu erleichtern. Gemein ist aber allen, daß sie diese Erleichterung oder Vereinfachung von allgemeinen Prinzipien erwarten, denen sich der Künstler beim Schaffen unterordnen soll. Man kann also nicht von einer Überwindung des Impressionismus reden, da seine Ziele bestehen bleiben, wohl aber, wie ich glaube, von einer neuen Art von Klassizismus, der sich vorbereitet. Denn das Wesen des Klassizismus ist, wie ich meine, Auswahl und Ordnung der Kunstmittel nach Prinzipien, die nicht bloß individuell sind, sondern allgemeine Geltung beanspruchen.

Wenn ich vom Heraufkommen eines neuen Klassizismus rede, denke ich also nicht bloß und nicht einmal hauptsächlich an das seit zehn Jahren gleichzeitig in Deutschland, in Frankreich, in England wachsende Interesse am Griechentum; – obwohl auch dieses auf irgendein in jener Richtung liegendes Bedürfnis hinweist; – sondern ich denke an ein Wiederaufleben des Wesens klassischer Kunst, das – ich wiederhole es – mir zu bestehen scheint in der Auswahl und Ordnung der Kunstmittel nach Prinzipien, die nicht bloß einem individuellen Geschmack entsprechen, auch nicht bloß dem Geschmack eines einzelnen Volkes oder Zeitabschnitts, sondern allgemeinmenschliche Geltung beanspruchen. So ist es z.B. nach meiner Meinung ein Schritt in der Richtung auf den Klassizismus, wenn Monet, statt wie Delacroix seine Palette bloß nach seinem Geschmack zusammenzustellen, die sieben Regenbogenfarben wählt; denn das Prinzip dieser Wahl ist überindividuell, allgemeinmenschlich; ein Gesetz der Optik, daß alle Farben sich für das Auge aus den sieben Regenbogenfarben herstellen lassen. Ich meine also, wie dieses Beispiel zeigt, daß es wohl eine Kunst geben kann, die das Wesentliche des Klassizismus besitzt, ohne sich an die Antike oder die Renaissance anzulehnen. Denn wenn das Wesen des Klassizismus so ist, wie ich es definiert habe, so ist daran nichts, das es auf die eine Erscheinungsform in Griechenland und Rom beschränkt, – so überaus wichtig und lehrreich auch immer diese antike Form für die Menschheit bleiben muß.

Mir scheint im Gegenteil, gerade das war der Fehler des akademischen Klassizismus, daß er diese antike Form für die einzig mögliche hielt und deshalb die Prinzipien einer klassischen Kunst allein in der Tradition suchte. Denn das Menschliche ist weiter selbst als das Griechische und erlaubt deshalb auch außerhalb der Antike Gesetze von allgemeiner Gültigkeit zu finden.

In der Tat war die Begründung der Gesetze der Kunst allein auf die Tradition eine Besonderheit des akademischen Klassizismus; und gerade die Antike selbst hat sich nie auf die Tradition allein verlassen. Alles, was wir von antikem Kunstbetrieb, von antiker Kunstschriftstellerei wissen, deutet daraufhin, daß neben der Tradition ein fortwährendes Messen, Berechnen, Versuchen einherging. Man braucht nur zu denken an die immer wieder neu berechneten Proportionen der dorischen Tempel oder des menschlichen Schönheitsideals in der Plastik. Und ich möchte dann auch noch eine andere Epoche in der Kunst anfuhren, die ich ebenfalls nicht anstehe, im wesentlichen Sinne als klassisch zu bezeichnen: die Früh-Gotik. Dome, wie die von Chartres oder Naumburg oder wie Notre-Dame in Paris, Statuen wie die der Könige in Reims oder der Naumburger Stifter sind Beispiele einer unanfechtbar klassischen, d.h. überindividuellen, nach allgemein gültigen Prinzipien schaffenden Kunst. Aber auch hier wissen wir, daß fortwährend über die Tradition hinaus berechnet und probiert wurde, und daß die Tradition selbst nur soweit akzeptiert wurde, wie sie vor diesem Berechnen und Probieren standhielt.

In der Tat müssen wir bis ins siebzehnte Jahrhundert suchen, um einen bloß auf Autorität gestützten Klassizismus zu finden; und es ist vielleicht kein Zufall, daß die erste Begründung von Akademien im modernen Sinne in die Zeit und die Länder der Gegenreformation fiel. Der Klassizismus ist also nicht an die antike Tradition gebunden; und das Beispiel von Monets Palette zeigt auch gleich, wo er denn also noch außerdem Prinzipien von allgemeiner Gültigkeit finden kann: in der Wissenschaft und insbesondere in jenen verhältnismäßig neuen Gebieten, in denen Physik, Physiologie und Psychologie zusammentreffen.

Diese Verbindung mit der Wissenschaft ist in der Kunst gar nicht so unerhört und bedenklich, wie man hat sagen wollen. Die Musik hat sie schon vor einigen Jahrtausenden geschlossen. Und das Messen und Probieren der Antike und des Mittelalters ist ebenfalls im Geiste wissenschaftlich, indem es an der Hand von Versuchen nach Gesetzen forscht, die vor der Vernunft unumstößlich sein sollen. Noch Dürer und Lionardo haben diesen Geist gehabt. Dann sieht man immer mehr bloß noch einerseits gedankenlose Nachahmung und andrerseits individuelle Willkür. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Denn der Tradition gegenüber, die sich bloß noch auf Autorität stützt, nicht auf logisch zwingende Gründe, erhebt sich naturgemäß das schrankenlose, weil durch keine vernünftigen Schranken mehr gebundene Individuum. So beginnt die moderne Kunstgeschichte. Man kann, glaube ich, ohne Übertreibung sagen, daß das folgenschwerste Ereignis der Renaissance die Unterdrückung des experimentellen und logischen Geistes in der Kunst und seine Ersetzung durch einen der Prüfung nicht unterliegenden Glauben an die Autorität gewesen ist. Wenn also heute einige versuchen, wieder wissenschaftliche Methoden mit dem Schaffen zu verbinden, so revoltieren sie allerdings, wie man gleich zugeben muß, gegen die Kunst der letzten drei Jahrhunderte; aber diese Kunst selbst steht in diesem Punkt im Gegensatz zu den größten Epochen Griechenlands und des Mittelalters; und man muß deshalb wenigstens zugeben, daß der Versuch nicht von Haus aus unkünstlerisch ist.

Auch wendet er sich durchaus nicht prinzipiell gegen die Tradition. Seine Resultate greifen nur gelegentlich über sie hinaus; aber überall, wo sie zu finden ist, erkennen Logik und Wissenschaft sie als den sichersten Wegweiser bei ihren Untersuchungen an.

Ich habe schon gesagt, in welche Richtung diese Untersuchungen hauptsächlich heute gehen: sie suchen Prinzipien, die einerseits dem Künstler das Gestalten, anderseits dem Beschauer die Auffassung erleichtern sollen.

Monets Palette ist natürlich ein Beispiel der ersteren Art. Während Delacroix trotz seiner mehr als dreißig Farben beim Malen nie die Zweifel los wurde, ob er die gewollte Pracht der Farbe erreichen würde, und welche Nuancen sie ihm am reinsten geben würden, weiß Monet wissenschaftlich sicher, daß ungemischte Regenbogenfarben immer den reinsten Glanz ausstrahlen, und braucht seine Kraft nicht mehr bei Erwägungen zu verlieren, die Delacroix, wie sein Tagebuch beweist, sein halbes Leben gekostet haben. Eine ähnliche Kraftersparnis bietet die Lehre von den Komplementärfarben. Man braucht nur das hoffnungslose Tasten der Costumiers auf den meisten deutschen Bühnen mit den sicheren Effekten eines englischen Ballets zu vergleichen, um zu ermessen, wieviel nutzlose Zeitvergeudung dieses Prinzip ersparen kann. Bekanntlich benutzen es die Neo-Impressionisten in Verbindung mit Monets vereinfachter Palette. Seurat und Vandevelde haben dann versucht, die Lehre von den komplementären Empfindungen von den Farben auf die Linie auszudehnen. Diese Beispiele müssen hier genügen. Die andere Richtung, die dem Beschauer die Auffassung des Kunstwerks erleichtern will, wird meistens als die Tendenz zum Dekorativen oder Ornamentalen bezeichnet. Neben rohen Vergewaltigungen der Natur, die abzulehnen sind, tritt innerhalb dieser Tendenzen immer mehr Wertvolles ans Licht. Zwei Erscheinungen, die zu den ersten unserer Zeit gehören, haben ihnen den größten Teil ihrer Kraft und ihres Werkes zugewendet: Adolf Hildebrand und Cézanne. Hildebrand betrachtet die ganze Plastik bloß von diesem einen Gesichtspunkt: sie soll, wie er lehrt, nichts anderes als dem Beschauer die Formen deutlich machen. Und wenn man auch nicht zugeben kann, daß dieser Gesichtswinkel ganz weit genug ist, so gehören doch Hildebrands Lehren ebenso wie seine Werke ohne Zweifel zum wertvollsten und fruchtbarsten Kulturbesitz Deutschlands. Cézanne hat wieder nach Poussin versucht, einen Rhythmus in die Lichtabstufungen im Bilde zu bringen, d. h. er sucht Intervalle zwischen Ton und Ton und sogar zwischen Farbe und Farbe, die rhythmisch auf das Auge wirken, so daß ein Bild von ihm eine Art von metrischer Solidität bekommt und sich zu einem Monet wie ein Vers zu einem glänzenden Prosasatz verhält. Und nach Cézanne möchte ich in diesem Zusammenhang noch Maillol nennen, der diese rhythmische Klarheit, die Cézanne dem Licht leiht, der Masse gibt, d. h. den aufeinandergetürmten dreidimensionalen Volumina, aus denen jedes plastische Werk besteht. Er geht damit wieder auf eine Eigenschaft zurück, die griechischen Bildwerken noch nach Jahrtausenden der Verwitterung, die die ganze Oberfläche zerstört hat, eine über alle moderne Skulptur triumphierende Schönheit gibt.

Aber – und dieser Einwand liegt nahe – Monet mit seinen Spektralfarben, Seurat mit seinen komplementären, Cézanne mit seinen Lichtrhythmen, Maillol mit seinen abgewogenen Massen verändern doch die Natur; und vorhin ist betont worden, diese neueren Tendenzen rührten nicht an den Zielen des Impressionismus, zu denen unter anderen auch doch irgend eine Art von Realismus gehört.

Nun, ich würde, wenn dieser Einwand laut würde, hinweisen auf das, was ich bei der Darstellung von Courbets Realismus gesagt habe: daß er nicht in einem Abschreiben der Details der Wirklichkeit bestand, sondern in der Übertragung ihrer fundamentalsten Eigenschaft, ihrer Einheit, in das Kunstwerk bestand. In der Tat ist ein restloser Realismus in der Kunst undenkbar. Wer alle Details abschreibt, muß die Einheit opfern; und wer die Illusion der Einheit geben will, muß Einzelheiten auslassen, ja manchmal sogar verändern. So ist es nicht bloß in der Malerei und Plastik, sondern auch in der Dichtung und auf dem Theater. Anna Karenina oder der erste Akt von Hauptmanns ›Pippa tanzt‹ geben eine Illusion absoluter Wirklichkeit, weil sie eine Atmosphäre individuell, zusammenhängend, überzeugend herstellen. Deshalb wird im ersten Akt von Pippa diese Illusion auch nicht im mindesten gestört, wenn der phantastische, und im wirklichen Leben unmögliche alte Huhn oder das Glasofen-Kindchen Pippa selbst erscheint. Dagegen können einen bei einer Kinematographen-Aufführung alle photographisch festgehaltenen Einzelheiten nicht von der Wirklichkeit des Eisenbahnunfalls oder des Kassendiebstahls überzeugen. Das Detail ist für den Künstler – auch den realistischen – wie Gauguin sagt, nur ein Lexikon, in dem er nachschlägt; der Realismus eines Kunstwerks besteht nicht in der Richtigkeit der Details, sondern in der Analogie des Ganzen mit der Wirklichkeit, d. h. es kommt nur darauf an, ob das Ganze so wie das Leben fortlaufend, sprunglos, ohne sichtbare Nähte, oder ob es im Gegenteil nur künstlich zu einer Einheit zusammengefaßt erscheint, wie z. B. ein Raffael'sches Bild durch die, im übrigen wunderbare, Führung der Linien. Monet, Seurat, Cézanne, Maillol tragen in die Wirklichkeit Elemente hinein, die nirgends in ihr vorkommen, genau so wie Hauptmann in seine oberschlesische Wirtsstube Pippa und den alten Huhn; aber aus demselben Grunde, aus dem bei Hauptmann das Phantastische die Illusion absoluter Wirklichkeit nicht hindert, hören auch sie nicht deshalb auf, Wirklichkeit zu geben, wenn sie Farben oder Rhythmen einflechten, die in der Wirklichkeit so nicht vorkommen, weil sie trotzdem ein nach Analogie der Natur zusammenhängendes Ganzes geben.

So kann man denn auch nicht bloß einzelne Elemente, sondern ein ganzes Stück Natur wie ein Musikstück sozusagen transponieren, ohne deshalb im wesentlichen mit der Wirklichkeit zu brechen. Das tut Gauguin, der von allen in der scheinbaren Abkehr von der Wirklichkeit am weitesten gegangen und doch nach meinem Empfinden durchaus in den Bahnen der realistischen, impressionistischen Kunst geblieben ist. Gauguin steigert alle Farben, bis sie glühen wie die Scheiben gotischer Glasfenster, er zwingt die Umrisse seiner Menschen und Tiere in Rhythmen, die denen der Helden und jungen Männer auf griechischen Vasen gleichen, er schafft Friese, die von weitem aussehen wie große Emailleplatten und die so einfach wie Nürnberger Bilderbogen für das Auge zu lesen sind; und doch hängt er durch die Art seiner Einheit mit seiner Mutter Natur wie durch eine Nabelschnur zusammen; und niemandem, der seine Werke ohne Vorurteil ansieht, werden sie wie bloße phantastische Empfindungen erscheinen. Man fühlt, selbst wenn man es sich nicht erklären kann, daß irgend etwas bei ihnen die überzeugende Sprache der Wirklichkeit redet.

Und hier scheint mir die Malerei wieder ein merkwürdig helles Licht auf den Stand der Dinge heute auch in den anderen Künsten und namentlich in der Dichtung und dem Drama zu werfen.

Auch hier ist auf den Realismus der achtziger und neunziger Jahre eine Kunst gefolgt, die von einem Teil der Kritik triumphierend als die Abkehr vom Naturalismus, als die Verneinung des bis dahin Erstrebten, als die Verurteilung der vorhergehenden Generation ausgeschrieen wurde; und dann hat man auch hier von »Überwindungen« gesprochen und Flaubert und Maupassant, Tolstoi und Dostojewski, Ibsen und Hauptmann zu den Toten geworfen. Ich glaube aber, man hat sich etwas zu sehr beeilt; man wird auch hier finden, wenn man näher zusieht, daß die Generation nach Nietzsche: d'Annunzio und de Régnier, Oscar Wilde und Bernard Shaw, Dehmel und Liliencron, George und Hofmannsthal den wesentlichen Zug des Naturalismus, das Gefühl, daß nichts niedrig und nichts hoch ist, daß nichts schön und nichts häßlich ist, daß jedes mit jedem zusammenhängt, das Gefühl von der großen Einheit alles Seins ebenso im Herzen tragen und zur Triebfeder ihrer Kunst machen wie ihre Vorgänger und daß, wo sie sich von der Natur zu entfernen scheinen, auch sie nur – wie Gauguin – transponieren, um die Wirklichkeit wirklich, aber in einer faßlicheren Form zu geben.


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