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Die Entstehung der Josephs-Legende

(1928)

An einem jener Abende, wo die feinsten Köpfe des geistigen Paris sich im Restaurant Larue in der Rue Royale zwischen Mitternacht und drei Uhr zum Souper mit dem Russischen Ballett trafen, an einem Abend, an dem auch Hofmannsthal und Max Reinhardt zugegen waren, sprach Diaghilew mit einer Pascha-Geste den Wunsch aus, er möchte ein biblisches Ballett haben, aber nicht im biblischen Kostüm sondern in einem venezianischen, etwa so wie es Paolo Veronese gemalt hat. Er wandte sich an Jean Cocteau, der neben mir saß, und dann auch an Hofmannsthal und mich, ob wir ihm nicht so etwas machen und vielleicht durch Richard Strauss komponieren lassen könnten? Sofort tauchte eine ganze Reihe von biblischen Stoffen auf, Cocteau schlug David vor, der vor der Arche tanzt, ein anderer Deborah, ein dritter Judith und Holofernes; Nijinsky, Reynaldo Hahn, ich glaube auch Proust, der ausnahmsweise ebenfalls, ganz in dicke Halstücher eingemummt, zugegen war, mischten sich ins Gespräch, das bald wie ein verheerender Brand durch die Bibel raste. Schalen mit riesengroßen Erdbeeren standen auf dem Tisch, Sektgläser, Liköre, die in allen Farben glitzerten; der Aga Khan, der reichste mohammedanische Fürst Indiens, saß, von einem Maskenball kommend, in einem ganz mit fabelhaft echten Perlen und noch größeren Rubinen und Smaragden besäten orientalischen Kostüm an einem Tischende; einen Augenblick verursachte er sogar eine kleine Panik, weil er seinen Turban, der mit den kostbarsten Edelsteinen aus seinem Schatz geschmückt war, in seinem Auto draußen vergessen hatte, und es plötzlich hieß, der Kopfschmuck sei gestohlen worden. An der Musik tanzte ein verspätetes Paar Tango. Aus dieser Atmosphäre ist die erste Szene des ›Joseph‹ geboren worden. Denn auf dem Nachhausewege entstand in mir plötzlich das Bild des Gastmahls der Potiphar mit den schweren goldenen Fruchtschalen, wie sie aus veronesischen Tischen aufblühen, den hohen Kristallkelchen mit rubin- und jaspisfarbenen Weinen, den schwer in Brokat und Edelsteinen gehüllten Gästen, den weißen Windhunden, die schlanker als schöne Frauen zu ihren Füßen spielen, der gewitterschwülen, elektrisch geladenen Geistigkeit einer überalten Kultur, die der plötzlich hineinversetzte Hirtenknabe Joseph zur Entladung bringt. Ich wachte um fünf Uhr morgens auf, und eine Stunde später waren schon die Grundzüge der Josephs-Legende so, wie sie nachher geworden ist, auf einen Zettel niedergeschrieben. Um acht Uhr früh war ich bei Hofmannsthal, der, als ich ihm sagte: »Das Ballett ist fertig!« lachte und die Sache für einen Witz hielt. Wir gingen im Tuilerien-Garten auf und ab, ich erzählte ihm die einzelnen Szenen, bis auf den Schluß, der mir nicht eingefallen war. Da setzte Hofmannsthal den Engel als Schlußpunkt hin.

Übermütig wie das kleine Libretto entstanden war, sollte es auch ausgearbeitet und in Musik gesetzt werden: keine todernste Legende, sondern ein Spiel, in das nur einen Augenblick echte Tragik einbricht, in der Szene der Werbung Potiphars um Joseph. Ein halb parodistischer Anfang: das Gastmahl der Potiphar, ein Papiermaché-Engel am Schluß. Beides zusammen als Rahmen für diese eine wirklich tragisch gedachte Szene, als ausgesprochenes Barock. Leider habe ich bisher nie erreichen können, daß die Regie diesem spielerischen Charakter von Anfang und Ende Rechnung trug. – Nachdem wir den Engel erfunden hatten, gingen Hofmannsthal und ich gleich zu Diaghilew, der gerade aus dem Bett kam und Nijinsky rief; und ihnen trugen wir das Libretto vor. Nijinsky sah sich gleich in der Rolle. Auch Diaghilew stimmte zu; und jetzt wandten wir uns an Richard Strauss.

Das weitere war dann so, daß ich die Figur des Joseph mit Nijinsky in London bis in jede einzelne Bewegung hinein durcharbeitete; wobei Nijinsky seine unvergleichliche Genialität im Erfinden von Ausdrucksbewegungen entfaltete. Dann wurde das Libretto mit den von Nijinsky und mir erfundenen Gebärden an Strauss geschickt, der auf sie seine Musik schrieb. Die Potiphar sollte die große Künstlerin Ida Rubinstein mimen. Die Tücke des Schicksals hat es aber gewollt, daß weder Nijinsky noch die Rubinstein jemals ihre Rolle gespielt haben. Nijinsky überwarf sich mit Diaghilew, und im letzten Augenblick sagte auch die Rubinstein aus irgendeinem Grunde ab, nachdem ich die Rolle auch mit ihr in den Zimmern Eduards VII. im Hotel Bristol in Paris bis ins einzelne durchgeprobt hatte.

Die erste Aufführung fand in der Großen Oper in Paris kurz vor dem Kriege statt; ganz Paris war erschienen, sowohl das geistige Paris wie auch die französischen Regierungskreise und der Faubourg Saint-Germain. Es war das erstemal, daß seit dem Kriege 1870 ein deutsches Werk in der Pariser Oper seine Premiere erlebte; die letzte, glänzendste Parade des Vorkrieg-Europa in seinem glänzendsten Rahmen, während die Katastrophe schon hereinbrach. Die tragisch furchtbare Situation hatte ich unbewußt in das Libretto hinein verwebt.


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