Paul Keller
Der Sohn der Hagar
Paul Keller

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Zwanzigstes Kapitel

Die Getreideernte war beendet, die letzte Fuhre Weizen eingebracht; kaum daß hier und da ein langsames Bäuerlein noch ein Fleckchen Hafer liegen hatte. Die Scheunen waren gefüllt, und große Getreideschober erhoben sich auf den Feldern, dicke, gelbe Türme, die von Macht und Reichtum des Bauern zeugen, stolze Außenwerke reicher Höfe.

Da wurde das Erntefest begangen mit Kuchenbacken, Schlachtfest, Kirchgang, Spiel und Tanz.

Das Hauptinteresse des Tages aber war der Hochzeit des Dr. Friedlieb mit Christel Hartmann gewidmet.

Das ganze Dorf wetteiferte, dem freundlichen Mädchen seine Liebe, dem Doktor Dankbarkeit zu bezeigen. Führte er auch ein altmodisch-autokratisches, oft sehr willkürliches Regiment, die Leute fühlten keine Härte, weil so viel Menschliches und so viel Amüsant-Theatralisches dabei war. Und es gab keinen Menschen im Dorfe, dem sich der Doktor noch nicht einmal nützlich erwiesen hätte. Für Nützlichkeit aber haben die Bauern Verständnis.

So wurde am Vorabend der Hochzeit ein Fackelzug veranstaltet, in dem neben vielen bunten Papierlaternen auch zehn Pechfackeln zu sehen waren, wie der Schulze in seiner Huldigungsrede hervorhob. Der Lehrer brachte am klaren Sommermorgen mit seinen Schulkindern ein Gesangsständchen, das den Doktor bis zu Tränen rührte, und alle Leute hatten geflaggt, sogar die, die sonst den Sedantag vergaßen. Die Scherwenken hielt den ganzen Tag ihre Fenster offen, damit »er« sich nicht ärgere, wenn er an ihrem Häuslein vorbeiginge, und die Leipelten hatte, obwohl nur 19 Grad Wärme waren, kein Kopftuch unter dem Strohhut, sondern nur höchst unauffällig die Ohren mit Watte vollgestopft. Der Winkler-Maurer sogar brachte ein schweres Opfer. Er stellte sich nachmittags um 3 Uhr, da die Trauung war, völlig nüchtern an die Kirchentür. Und er sah blaß aus wie ein Aszet.

Der eigentlichen Hochzeitsgäste waren wenige. Lore hatte abgeschrieben. Sie hatte einen Knaben geboren, zu dessen Wartung sie daheim bleiben mußte. Sie schrieb selten und wenig, niemals etwas davon, wie es ihr eigentlich gehe. Nur daß alle gesund seien, betonte sie, daß sie mit dem Gelde auskämen und daß sie allen in Teichau so dankbar sei. Auch ihr Mann kam nicht zur Hochzeit. Er gab an, jetzt im Dienste nicht abkömmlich zu sein.

Als dieser Brief vorgelesen wurde, stand Robert am Fenster und starrte hinaus. – – –

Während der Hochzeitsvorbereitungen hatte es im Hartmannschen Hause noch eine heftige Szene gegeben.

Es war in dem Zimmer, wo Hartmann im Lehnstuhl saß. Die ganze Familie war versammelt, dazu Dr. Friedlieb und Gottlieb Peuker. Der Doktor sprach über die Trauzeugen.

»Meine beiden Trauzeugen«, sagte er, »sind mein alter Freund Geheimrat Professor König und mein andrer alter Freund Gottlieb Peuker.«

Frau Hartmann stieß ein lautes Lachen aus, und Berthold fing vor Vergnügen an zu tanzen. Der alte Großknecht Gottlieb aber sagte:

»Ich weiß, Herr Doktor, Sie stuppen mich nich aus! Sie woll'n 's wirklich! Sie woll'n mir alten Manne die Ehre antun! Ich danke schön – ich rechne mir das hoch an, aber ich nehm' 's natürlich nich an.«

»Sie müssen, Gottlieb! He, Sie werden mir doch das nicht abschlagen! Das wär' eine große Kränkung für mich! Ich hab's extra so gemacht. Mein Freund König ist einer von den besten Menschen in der großen Stadt, und mein Freund Peuker ist einer – – Na, kurz und gut, Sie müssen mein Trauzeuge sein!«

Da fuhr Gottlieb mit der rauhen Hand über das Gesicht, nickte zweimal mit dem Kopfe und ging hinaus. Draußen stand er lange in der Haustür. Dann färbten sich seine runzeligen Backen rot, er ging nach seiner Stube, zählte in einer Truhe sein Geld und begab sich dann zum Schneider, bei dem er sich einen Anzug mit schwarzem Gehrock bestellte.

»Und meine Trauzeugen«, sagte Christel inzwischen, »werden sein: Berthold und Robert – Robert Winter.«

Ein Schein der Freude ging über das Gesicht des Kranken. Die Frau bemerkte das. Ihr blasses Gesicht nahm eine graue Färbung an. Sie mußte heftig nach Luft schöpfen, als sie sagte:

»Das – das wird ja die reinste Dienstbotenhochzeit! Gibt's denn niemand anders? Denkt ihr nich an meine Verwandten? Hat nich die Christel genug Vettern? Warum – warum soll sich denn der Berthold gerade neben einen Knecht stellen?«

»Nu eben«, sagte Berthold. »Das paßt mir schon lange nich.«

Dr. Friedlieb vergaß die Pietät, die er als angehendes Familienmitglied schuldig war, und sagte:

»Berthold, du bist 'n Schaf! Wenn sich mein Freund König, der 'n wirklicher König der Wissenschaft is, zum Gottlieb Peuker stellt (und er stellt sich gerne zu ihm, das weiß ich), da wirst du dich doch wohl zum Robert Winter stellen können. Also sei nich albern!«

Berthold zuckte trotzig die Achseln, die Frau aber konnte ihre Wut nicht mehr verbergen.

»Ein Schaf is der Berthold nich! Sie brauchen ihm nich vorzuwerfen, daß a nich so viel gelernt hat wie Sie! 's kann nich jeder Doktor sein! Überhaupt, wenn Sie das so rausdrehen wollen, daß wir Ihnen zu gering sind, da wär's ja besser –«

»Mutter!«

»Laß sie, Christel, laß sie! Sie spricht zwar nicht logisch, aber sie spricht fließend!«

»Sie! Sie! Ich – geh' überhaupt nich mit zur Hochzeit! Hat man sich sowas an seinen Kindern erzogen? Sowas verdient? Und immer, immer dieser Kerl! Der zugelaufene Bummler! Lassen Sie mich reden, das is ja vorläufig noch mein Haus! Jawohl, mein Haus! Ohne mich, ohne mein Geld wär' die Bude hier längst zugemacht worden.«

»Anna!«

Der Kranke litt schwer. Aber er war machtlos und konnte sich nicht wehren.

»Ich werd' hier meine Meinung sagen! Und so dumm, wie Sie denken, bin ich nich. Ich weiß, was ich weiß!«

»Richtig!«

»Jawohl, richtig! Wer's weiß, wird's schon wissen!«

»Wieder richtig!«

»Ich bitte dich, Wilhelm, es is die Mutter –«

»Natürlich! Na, Frau Hartmann, ich tu Ihn'n doch auch nichts. Ich verstehe bloß nich, wie Sie sich so ereifern können. Sehn Sie mal, 'n kirchlicher Trauzeuge zu sein, das is nich gerade was Schweres. Man hat einfach dazustehen, braucht nich mal `gauz' zu sagen. Braucht nich mal 'n Namen schreiben. Da ist's doch ganz egal, ob der Robert dasteht oder 'n andrer.«

»Was soll'n denn bloß die Leute sagen; was soll'n sie sich denn denken? Und nich amal 'n anständigen Anzug hat a.«

»A is halt in Hemdsärmeln Beistand«, sagte Berthold höhnisch.

»A kann sich mein'n schwarzen Anzug anziehen«, sagte der alte Hartmann leise. »A is von meiner Statur, und ich werd' kein'n schwarzen Rock mehr brauchen.«

»Deinen – guten – schwarzen – Rockanzug –?«

Die Frau brachte das stoßweise heraus und sah den Mann erschrocken, feindselig an.

Hartmann machte eine hilflose Gebärde. Er litt schwer unter der aufregenden Unterhaltung.

»Den schwarzen Anzug! Hört nur! Hört nur! Hört nur! Das is ja gar nich, als ob a der Knecht wär', das is ja –«

Hartmann wurde sehr bleich. Dr. Friedlieb sprang zu ihm.

»Hören Sie auf, Frau! Sehen Sie denn nicht, wie Sie ihn aufregen, wie Sie ihm schaden? Herr Hartmann, seien Sie ruhig, trinken Sie da mal 'n Schluck Wasser! Christel, gib die Medizin in dem braunen Fläschchen her! – – – So, und nun ist's gut damit! Regen Sie sich nicht auf! Was ist auch dabei! Es war meine Absicht, daß Robert Beistand sein sollte, ich hab's der Christel eingeredet. Ich wollte es tun, weil – weil der Robert – weil ich ihn doch hergebracht habe und weil – weil ich ihn bei den Dorfleuten mal einheben wollte – ja, deshalb! Aber wenn deshalb hier Streit und Aufregung entsteht, da können wir's ja lassen. Da müssen wir's ja lassen.«

Der Kranke beruhigte sich etwas, nur seine Brust rang schwer nach Atem. Die Frau hantierte erregt auf dem Tische herum. Berthold ging hinaus.

»Den guten schwarzen Rockanzug!« begann sie noch einmal. »Wenn der jemandem zukommt, so ist's der Berthold, der Sohn – der Sohn sage ich –«

»Ja doch, ja doch, Frau Hartmann! Er kann ihn ja haben! Und jetzt muß ich Sie als Arzt dringend auffordern, daß hier Ruhe wird!«

* * *

Die Orgel klang, ein paar junge Mädchen und Burschen des Dorfes sangen eine Kantate, der Männergesangverein, dem Dr. Friedlieb als Ehrenmitglied angehörte, marterte sich mit einem Chor, dann klang die Orgel allein weiter, und das war schön.

Freundlich schien die Sonne durch die bunten Kirchenfenster und vergoldete Christels grünen Brautkranz. Der Doktor stand stattlich neben ihr und hatte es nicht verwinden können, bei der Rede des jungen Priesters, der die Trauung vollzog, ein paarmal zustimmend mit dem Kopfe zu nicken. Dann kamen die Gebete um Segen, der weithin reicht über Kinder und Kindeskinder.

Steif und regungslos saß Robert Winter in der Kirchbank. Wie durch einen Schleier sah er den Priester, das Brautpaar, die vier Trauzeugen. Nicht einmal darüber wunderte er sich, wie feierlich und sicher der alte Gottlieb Peuker neben dem seinen Professor aus der Hauptstadt dastand. Die äußeren Erscheinungen waren ihm gleichgültig.

Vor ihm auf der Bank lag ein altes Gebetbüchlein, in schwarzes Leder gebunden. Er blätterte scheu darin. Dieses Büchlein nahm er nur bei den wichtigsten Veranlassungen seines Lebens.

Und einmal –

Einmal blätterte er bis zum Titelblatt zurück.

»Martha Hellmich, geboren den 15. Juni 1850.«

Das Gebetbuch – das einzige Erbe seiner Mutter!

Seine Reliquie.

Und er lenkte sich ab, sah wieder zum Altar.

Er hörte die Segensworte und sah sie in lieblicher Erfüllung vor dem Auge seiner Seele: sah weit in der Zukunft glückliche Kinder spielen in der sicheren Umfriedung der Ehe, die da vollzogen wurde.

Seine Seele wurde wieder matt und bitter, er war wieder der Ausgewiesene, Heimatlose, Rechtlose, der aus keiner Ehe kam und wohl nie in eine Ehe gehen würde.

Scham befiel ihn: daß er keine größere Freude empfinde über das Glück dieser beiden Menschen, die er doch lieb hatte. Er wußte nicht, was ihm das Leben Kostbares geraubt hatte: Spannkraft und Mut, daß es ihn feig und scheu gemacht hatte, unfähig zu den hohen Dingen, zu denen ungetrübte Mitfreude gehört.

Sogar als er heute früh den Anzug, den er sich für das von Dr. Friedlieb »geborgte« Geld gekauft hatte, anzog, mutete ihn die schwarze Farbe an wie Trauer.

Der Hochzeitszug ordnete sich, die Kirche zu verlassen. Gleich hinter dem Brautpaar schritt der Geheimrat mit Fräulein Jettel Friedlieb, die kurz vor der Trauung in einem puritanisch einfachen Hochzeitskleide erschienen war, im übrigen jetzt aber stolz daher schritt und die zahlreich versammelte Gemeinde nicht eines Blickes würdigte.

Zu Hause angelangt, führte der Doktor seine Braut in sein Arbeitszimmer. Sie waren allein miteinander. Der Doktor küßte seiner jungen Frau zärtlich Stirn, Mund und Hand und schloß dann einen Schub auf, dem er ein Schriftstück entnahm.

»Liebe Christel,« sagte er ernst, »das hier ist mein Testament. Es bestimmt, daß du nach meinem Tode die Hälfte meines Vermögens bekommst und die andre Hälfte die eventuellen Kinder. Abzüglich einiger Legate.«

»Wilhelm – heute bei der Hochzeit –«

Sie schmiegte sich an ihn, und sie, die bei der ganzen Trauung keine Träne vergossen hatte, fing leise an zu weinen.

»Na – nicht, Christel, bloß das nicht! Na, sieh mal, Ordnung muß sein, und wenn man so viel älter is –«

»Wilhelm, du ängstigst mich so. Bist du denn krank? Du bist doch Arzt, du mußt das doch wissen. Ich hab' Kummer um dich!«

Sie sah ihn angstvoll an. Da fing er an zu lachen.

»Kummer hat sie – Kummer! Um mich Kummer!«

Und er küßte sie viele Male.

Und brummte dazwischen: »Kummer hat sie, Kummer! Ausgerechnet um mich! Kummer!«

Aber dann lachte er laut.

»Nee, nee, nee! Keine Spur! Ich sage dir, ich bin geradezu auffällig gesund! Vor acht Tagen habe ich mich um eine große Summe in der Lebensversicherung erhöht. Da untersuchen sie einen höllisch genau. Denkst du, die Kerle fanden was an mir? ›Die Versicherung is froh, daß wir Sie kriegen‹, sagte der Vertrauensarzt. Na, zahlen muß ich auch genug!«

Es klopfte.

»Entschuldige, lieber Freund, die Störung, aber dein Fräulein Schwester wünschte durchaus, daß ich sie sofort hierher führe.«

»Nu, wir wären ja gleich rübergekommen«, knurrte der Doktor.

Fräulein Jettel nahm nach einem Seitenblick auf den Geheimrat eine sehr vornehme Haltung an und hub an also zu sprechen:

»Geehrtes Brautpaar, ich habe es für meine Pflicht gehalten, der ehelichen Verbindung meines Bruders beizuwohnen, und bringe meine Gratulation dar, gleichzeitig aber empfehle ich mich, denn ich reise unverzüglich wieder ab.«

»Jettel, du – du bist ja ganz verrückt!«

Ein empörter Blick traf ihn.

»Ich will sagen, Jettel, das is doch von dir bloß 'n Hochzeitsulk, das is doch nich dein Ernst –«

»Fräulein – Fräulein Friedlieb, ich bitte Sie so sehr –«

Sie gab weder dem Bruder noch der jungen Frau Antwort, sondern wandte sich an den Geheimrat:

»Herr Geheimrat, bitte, führen Sie mich zum Wagen.«

»Na, dann – dann wünsch' ich zum wenigsten noch glückliche Reise!« schrie ihr der Doktor nach.

Wütend schritt er durch das Zimmer, nahm das Testament und hieb es auf den Tisch.

»Da – da streich' ich 'n Legat, da paßt nur mal auf!«

Die junge Frau saß stumm auf einem Stuhl. Er trat vor sie hin und faßte ihre Hand.

»Na, Christel, das tust du mir nicht an, daß du dich etwa darüber ärgerst! Über so 'ne, so 'ne – – da ärgert sich kein vernünftiger Mensch! Wenn die auch nich da is! Pah! Da wird wenigstens der Wein nich so sauer schmecken! Ärgern? Am Hochzeitstage ärgern? Was pfeifen werd' ich ihr!«

Und er pfiff wirklich.

Der Geheimrat kam zurück und sprach ein paar beruhigende Worte. Friedlieb trat dicht vor ihn.

»Na, König, du kennst sie ja von der Studentenzeit her. Da sieh mal, da bist du ein großer Mann geworden, 'n Licht – schüttle nich 'n Kopp! – 'n Licht sag' ich, denn ich laß mir mein bissel Stolz, daß ich mit so 'nem Mann wie du studiert und promoviert hab', nich nehmen! Da hast du 'n hohen Orden vom Kaiser! Verdient sag' ich, sehr verdient! Da einen vom Sultan, weil du den mal von einer seiner vielen Krankheiten kuriert hast, und da noch 'n paar andre. Sieh mich an! Ich hab' keinen einzigen Orden! Ich bin 'n gewöhnlicher Dorfquacksalber. Aber ich sage dir, König, wenn das höheren Orts bekannt wäre, was ich mit meiner Schwester Jettel durchgemacht hab', da kriegt' ich's Eiserne Kreuz, und meine Frau, die Christel, kriegte die Rettungsmedaille.«

* * *

Eine laue Sommernacht. Es war Neumondszeit. In tiefer Dunkelheit lag das Dorf.

Nur von einem freien Platze hob sich ein phantastisches Bild ab. Ein Karussell drehte sich im Kreise, die Lichter glänzten, die bunten perlengestickten Purpurvorhänge leuchteten, eine Leier tönte lärmend durch die stille Nacht, Holzpferde flogen. Viel junges Volk stand um das Karussell, Burschen und Mädchen.

Unter ihnen Berthold Hartmann.

Er hatte sich vom Hochzeitsfeste seiner Schwester fortgeschlichen. Der Festkreis in der großen Stube seiner väterlichen Behausung, dieser Kreis, wo der fremde Geheimrat mit seinem neuen Schwager plauderte, war ihm langweilig geworden. Unten im Tanzsaal war freilich ein Volksfest. Aber es hatte ihn fortgezogen zum Karussell, wo die Tochter des Besitzers in grellbuntem Aufputz den »Fahrpreis« einkassierte. Er fuhr jede Tour, schämte sich nicht, auf hölzernen Pferden, Löwen und Ziegenböcken zu reiten und wechselte mit dem dreisten Karussellmädchen verliebte Blicke und Worte.

Zuweilen wollte er seinen Reichtum beweisen, lud lärmend die Anwesenden zu einer »Freitour« ein, die er bezahlte, und freute sich, wenn die ganze Horde unter Lärmen und gellendem Schreien sich um die freien Plätze zankte. Und dann lächelte der dicke, schmierige Karussellbesitzer, und dann lächelte seine bunte, dreiste Tochter.

Als Berthold schon viel Geld los geworden war, setzte sich auf sein Bitten hin das Mädchen neben ihn auf ein zweites »Pferd«, und er schlang den Arm um sie und fuhr den närrischen Ringelreihen, indes die Leier einen blöden Gassenhauer spielte.

Da traf Robert Winter ein. Bertholds Abwesenheit war bemerkt und Robert abgeschickt worden, den Bruder der Braut zum Feste zurückzuholen.

»Was will denn der hier?« schrie Berthold, der angetrunken war. »Kommt er mich etwa holen? Was niesen werd' ich ihm! Freitour! Ich bezahle!«

Lachend stürzten sich die jungen Leute auf die freien Plätze und übermütig fuhr Berthold mit seiner bunten Gefährtin im Kreis herum, im Kreis herum.

Als das Karussell anhielt, trat Robert zu Berthold.

»Berthold, Sie möchten bald nach Hause kommen!«

»Ich? Was geht denn das Sie an? Was niesen werd' ich euch! Extratour! Extratour!«

Wieder die armselige Komödie.

Und zum zweiten Male trat Robert zu Berthold.

»Lassen Sie sich zureden, Berthold! Bedenken Sie doch, es is die Hochzeit Ihrer Schwester.«

»Ganz egal! Es is mir langweilig! Hier is es feiner! Ich laß mir nischt mehr gefallen! Ich bin nich mehr so tumm wie früher! Beim Kommiß bin ich helle geworden! Freitour! Rosa, hierbleiben! Nich weggehen! Bei mir bleiben!«

Und das bunte, dreiste Mädchen schmiegte sich an ihn an und ließ sich schamlos vor den Augen aller Bertholds Zärtlichkeiten gefallen. Die Nacht war lau, die Leier lärmte, die bunten Purpurfetzen glitzerten mit ihren Glasperlen.

Über Robert Winter kam ein tiefer Grimm.

Was lag ihm an diesem beschränkten und so leichtsinnigen Burschen? Was lag ihm an diesem feilen Mädchen! Mochten sie untergehen!

Aber die Nacht war schwül, und Robert Winter dachte daran, daß vielleicht nach einem Jahr ein heimatlos Kindlein mehr durch die Welt ziehen würde.

Das Kind einer solchen Mutter und eines solchen Vaters! Da kam ihm zum Bewußtsein, daß nicht jede Hagar ein menschlich Mitleid verdient, aber daß es immer und immer um das Kind sei. Nie um den Mann, oft auch nicht um das Weib, aber immer um das Kind.

Und es ekelte ihn des funkelnden Gaukelspiels, er erschrak, daß in so elendem Ringeltanz ein junges Leben entstehen und verderben sollte.

Als das Karussell hielt, trat er zu Berthold und faßte ihn derb am Arm.

»Wenn Sie jetzt nicht augenblicklich mitkommen, dann sag' ich's Ihrem Vater, und dann wird Herr Dr. Friedlieb Sie holen!«

»Was – klatschen? Klatschen will der Kerl? Der Teufel hol' ihn! Rausschmeißen werd' ich ihn! Raus aus meinem Hofe, den Stromer, den Fechtbruder!«

Robert wandte sich ab und ging fort. Die jungen Leute standen alle stumm und verlegen da.

Da sprang Berthold von seinem Holzpferde herab und eilte Robert nach. Es schien, als sei er plötzlich etwas nüchterner geworden.

»Wehe Ihnen, wenn Sie klatschen!«

Robert gab ihm keine Antwort.

»Woll'n Sie mich wirklich beim Doktor und bei meinem Alten verpetzen?«

»Schämen Sie sich! Sie sollten von Ihrem Vater mit mehr Respekt reden.«

Berthold lachte frech.

»Ach der – ich weiß genug, der hat in seiner Jugendzeit noch ganz andre Zicken gemacht – der hat auch ein uneheliches Kind –«

Robert gab ihm eine schallende Ohrfeige.

Auf der dunklen Dorfstraße rangen die Halbbrüder miteinander.

Um des Vaters Ehre!

Da kam der alte Gottlieb Peuker, der auch zum Karussell hin wollte, und schlichtete.


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