Paul Keller
Der Sohn der Hagar
Paul Keller

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Sechstes Kapitel

Es war noch das rotgoldene Licht des Herbstes im Lande. Die feuchten Schollen der frischgepflügten Ackerstücke zeigten das heimliche, tiefe Aufblitzen großer, glänzender Kupferstücke, die Kühe auf der braungrünen Weide hatten weithin schimmernde Felle wie Tiere auf frischgemalten und frischlackierten Bildern. Im Walde waren die Blätter rot, in der Luft schwebten bunte Papierdrachen, und die kleinen Feldfeuer glühten ihre Traumlichter ins Land.

Das ist der rotgoldene Herbst.

Auf den Feldern arbeiteten lachende Leute. Sie waren bei der Kartoffelernte. Die Kartoffelernte am warmen Herbsttag ist der fröhlichste Teil aller Erntearbeit. Sie hat etwas von der kindlichen Vergnügtheit der Schatzgräberei.

Da richtete sich Gottlieb Peuker in seiner Kartoffelfurche auf und sagte zu dem kleinen Peterle Hübner, einem zehnjährigen Schulbüblein, das als Hilfsarbeiter angestellt war:

»Du, Peterle, was hast du für dunkle Hände! Wenn du noch viel Nüsse maust, wirste wohl noch so schwarz werden wie a Neger.«

Peterle betrachtete mißvergnügt seine gebräunten Räuberhände.

»Das is von den grünen Nußschalen, und 's geht nich ab,« sagte er, »nich mit Wasser und nich mit Spucke; ich hab' sogar schon mit Seife probiert. Und nu kann ich mich in der Schule nich mehr melden, sonst merkt's der Lehrer oder gar der Pfarr'.«

»Gelt, Peterle,« fragte Gottlieb teilnehmend, »und da mußte halt in der Schule immer die Hände unten lassen und tun, als wenn du rein gar nischt wüßtest und a ganz tummes Schaf wärst?«

Peterle nickte.

»Ja, seit die Nüsse reif sind, bin ich in der Schule schon sieben Plätze runtergekommen.«

Gottlieb tröstete ihn.

»Laß gut sein, Peterle, jetzt dauert's nich mehr lange, da maust du dann Wasserrüben. Da wird's dann besser, denn die färben nich ab.«

Und so scharrten sie wieder vergnügt in ihren Kartoffelfurchen.

Auf einem andern Teile des großen Feldes schwelgten zwei junge Mägde in Ballerinnerungen.

»'s war 'ne fermose Kirms«, sagte die ältere, »die Kerle haben geblasen wie die Deiwel.«

»Ja, sie haben ganz dolle geblasen,« sagte die zweite, »bloß der Große, der Steiner heißt, hatte sich dann a bissel besoffen, und da konnt' a mit seinem großen Basse nich mehr richtig schnell genug den andern nach. Da hat'n ja dann der Dr. Friedlieb angeschnauzt, a soll beim Blasen nich so 'ne schwere Zunge haben. Aber das hat a sich nich gefallen lassen. ›Herr Doktor,‹ sagt a, ›man bläst überhaupt nich mit der Zunge! Und wenn ich wollte, könnt' ich noch amal so schnell blasen wie die andern und viel schneller fertig sein wie sie.‹ Da blies a dann ganz schnell, aber a kriegte a Husten davon und mußte aufhören.«

»Es war 'ne schöne Kirmes«, sagte die erste wieder begeistert. »Auf meinen neuen Gamaschen mit Gummizug hab' ich die Sohlen durchgetanzt.«

»Ja, wer so ein'n Hanke August hat«, entgegnete die zweite mit leisem Neid und einigem Seufzen.

»Ach du!« erwiderte die erste in seligem Zorn. »Da is ja nich dran zu denken. Was du so redest.«

Und sie richtete die blühende, gesunde Gestalt empor und schaute nach einem Hügel hinüber, wo ein junger Knecht langsam den Pflug durchs weiche Erdreich führte. Und hatte dann, als sie weiterarbeitete, immerfort das Herz voll geheimer, tiefer Wonnen.

Da kam langsam Robert Winter vorbeigezogen. Er pflügte ein benachbartes Stoppelfeld um.

Die zweite Magd rief einen derben Spaß hinüber. Er antwortete nicht, schüttelte nur leise den Kopf und sah wieder auf seinen Pflug.

»Der is stolz«, sagte die erste Magd. »Der is a extra Feiner. Der is a Prinz!«

»Prinz Bettelmusikante! Prinz Bettelmusikante!« schrie die Junge ihm nach.

Robert wandte sich um und warf den Mägden einen zornigen Blick zu. Da riß ihn schon der Pflug weiter. Er strauchelte ein wenig, und die Mägde lachten.

So ging er unmutig hinter dem Pfluge her, immer die Furchen auf und ab, sah in Gedanken verloren, wie die dunkle Erde aus der Pflugschar herausquoll und warf den Pferden manchmal ein Wort der Aufmunterung hin.

Er hatte Heimweh.

Heimweh nach der Fremde. Er hatte sich lange nach einem sicheren, ruhigen Heim gesehnt, aber nun, da er's besaß, fühlte er sich in der Enge und war schwer bedrückt.

Es war wohl auch, daß die Kameraden nicht mehr bei ihm waren. Früher hatte er sich oft über sie geärgert. Sie standen an Bildung alle unter ihm. Aber es waren fröhliche Leute. Und es ist doch nichts über Fröhlichkeit und gibt doch nichts Schöneres als Freiheit.

Das war auch, weil Frau Hartmann so unfreundlich mit ihm war. Sie hatte noch kein Wort mit ihm gesprochen in den zwölf Tagen, da er da war und ihm immer finstere Gesichter gezeigt. Der Herr war freundlicher, aber auch nur, wenn er ihn allein traf, und dann sah er sich immer um, als ob er fürchte, es möchte ihn jemand beobachten. Die Mädel waren nett. Hauptsächlich die Christel, die tat ihm viel Gutes. Oft war ihm das peinlich. Wenn er in ihr weißes Gesicht und auf ihren ordentlichen Anzug sah, schämte er sich oft.

Und dann die Lore.

Wie er an die Lore denkt, wird auch sein Gesicht hell, und er gönnt den Pferden einen freudigen Zuruf.

Ein Schwarm verspäteter Vögel fliegt noch in der Luft fernhin nach Süden. –

Pflüg', armer Bauer, pflüg' das nordische Feld! Es ist nicht dein Feld und wird nicht deine Ernte sein. Aber in Herbstnebel und kaltem Wind sollst du den Acker bestellen und in enger Klause warten, wenn die Saat schläft unter Eis und Schnee. Wir aber fliegen der Sonne entgegen über die blinkenden Berge und durch die rosenroten Wolken, die über südliche Meere gehen, und werden bei fremden Blumen sein und vor fremden Zelten singen. Doch wenn im nächsten Jahre die Frucht reift auf deines Herrn Acker, dann kommen wir mit unsern Kindern und kosten die besten Körner.

Pflüg', armer Bauer, pflüg' das nordische Feld! –

Da war vor sechs Tagen auch einer fortgezogen – Berthold Hartmann, der Sohn seines Herrn. Robert hatte ihn zur Bahn gefahren auf dem kleinen Korbwagen, und die Lore war auch mitgefahren, weil sie in der Stadt Besorgungen machen sollte.

Ein Lächeln geht über Roberts Züge, da er an den Abschied denkt. Da hätte einer freilich die verschlossene lieblose Frau Hartmann nicht wiedererkannt. Wie sie im Hause herumrannte in ihrer Abschiedsaufregung, wie sie die zwei Riesenkoffer mit allem Möglichen für Berthold vollfüllte, wie sie ihm noch einmal alle Leckerbissen vorsetzte.

So ist's um die Mütter. Die eine tut nichts, als ihr Leben lang Kisten und Kasten zu füllen, die andre stirbt, ehe sie dem hungrigen Kindlein auch nur einmal die Brust reichen konnte.

Die Liebe zu eignem Fleisch und Blut ist die leichteste und darum die unverdienstlichste auf der Welt. Aber da die Sonne, unter der unsre Welt lebt, die Selbstsucht ist, kann es nicht anders sein, als daß jene Blutsliebe als eine rote herba officinalis auf allen Äckern ins Kraut schießt, während die allgemeine Menschenliebe nur auf einsamen, stillen Feldrainen gedeiht und die Feindesliebe ein Edelweiß auf steilen Felsenklippen bleibt, nach denen nur die Stärksten und Lichthungrigsten streben.

Wie sie schaffte, wie sie eine Fürsorge zeigte, die bis ins Lächerliche ging. Er solle sich beim Militär nur nicht erkälten. Als ob schon je einer beim Militär gewesen wäre, der sich nicht erkältet hätte! Es war sehr albern, wie sich diese Frau benahm.

Als sie dann endlich auf der Landstraße hinfuhren: die Lore, der Berthold und er, fing die Lore mit drolliger Schwermut an zu singen:

»Als ich Abschied nahm,
als ich Abschied nahm,
waren Kisten und Kasten schwer.
Als ich wiederkam,
als ich wiederkam,
war alles leer.«

Da fing Berthold zum Steinerweichen an zu heulen. Lore aber sprach mit tiefem Ernst:

»Weine nicht, lieber Soldate, denn das Lied ist noch nicht aus. Paß mal auf:

»Doch ist alles leer
und ist nichts mehr drein,
ist die Not auch groß und toll,
schreibe ich nach Haus,
und mein Mütterlein
macht's wieder voll!«

Berthold lachte unter Tränen.

»Hast du – hast du das alleine gemacht – Lore?«

»Ganz allein!« sagte Lore stolz. »Dir zum Troste!«

»Du bist gut und klug, Lore«, seufzte er.

»Gut bist du auch«, sagte sie.

Berthold lächelte dankbar, und Robert Winter gab den Pferden einen vergnügten Peitschenhieb, daß sie ganz schnell davongingen.

Dann kam Berthold wieder ins Weinerliche.

»Gelt, Lore, du wirst nich mit dem Adjuvanten aus der Schule poussier'n, er hat bloß siebenhundertfünfzig Mark jährlich.«

»Er wird später Kantor,« sagte Lore, »und dann hat er viel mehr.«

»Aber, Lore, du wirst doch nich – nich – und dann mit dem Postassistenten – der wohnt doch in der Stadt – und du paßt doch nich in die Stadt –«

»Ich paß gut in die Stadt! Da is es fein! Da hat man schöne Kleider und 'ne elektrische Klingel an der Tür.«

»Und dann mit dem Forsteleven –wenn den nu mal die Wildschützen totschießen –«

»Wenn sie ihn totschießen, heirat' ich ihn nich«, sagte Lore mit Bestimmtheit.

»Lore, mir is so, als wenn du mich bloß ausstoppen tät'st. Gelt, aber die andern, a Heiber Emil und a Zimmer Karle und a Jäschke Bernhard – die nimmste alle nicht?«

»Die nehm' ich nicht alle!« sagte Lore.

Da ließ Robert Winter die Pferde langsam gehen. Bei aller Lustigkeit des Gesprächs quoll auch ihm in der Seele eine leise Bitterkeit auf.

Berthold weinte leise vor sich hin.

»Wenn ich doch nich – wenn ich doch nich zu a Soldaten müßt' –« schluchzte er leidenschaftlich.

Lore sang die Melodie eines Tanzstückes. Dann fragte sie plötzlich:

»Sie, Winter, Sie war'n doch auch Soldat. Da hab' ich mal gehört, wenn Krieg werden soll und es is gerade schlechtes Wetter, da fällt der Krieg aus. Is das wahr?«

Robert lachte.

»Ja, das is wahr! Das is immer so! Da wird erst genau ans Barometer geguckt, beim Manöver auch!«

Auf dem Bahnhofe, als Berthold einsteigen sollte, fing er noch einmal an zu weinen.

»Gibst du mir – gibst du mir wenigstens einen Kuß?« sagte er kläglich.

»Mit Gott für König und Vaterland!« sagte sie und küßte ihn derb auf den Mund.

Er winkte wie rasend mit seinem Taschentuche, bis der Zug verschwand. Sie winkte auch, aber als er fort war, sagte sie:

»Das is einer! Lieb' Vaterland, kannst ruhig sein! Dumm darf ja ein Mann sein, wenn er's schon nicht lassen kann. Aber heulen darf er nich! Das is – das is miserabel! Wenn's kalt wird, muß der Ohrklappen an seinen Helm kriegen.«

Er fand sie entzückend, als sie so ein spöttisches Gesicht machte. Zornig sah sie aus. Die gesunde Weiblichkeit, die sich über die männliche Schlappheit empörte, kleidete sie. Dann ging er mit ihr durch die Stadt. Sie zeigte ihm alle Geschäfte, in denen er selbst vielleicht einmal zu tun haben könnte, machte ihre Einkäufe und ließ ihn den Korb tragen.

Zuletzt sagte sie:

»Nun kommen Sie, Winter, jetzt geb' ich Ihnen was zum Besten!«

Er schämte sich ein wenig, aber er ging mit. Sie führte ihn in einen Frühstücksladen und bestellte für ihn zwei Paar warme Würstchen, für sich ein Paar und für jeden ein Glas Bier. Sie bezahlte, besah ein Zehnpfennigstück, das sie noch in der Hand behielt, und sagte freundlich:

»Dafür werde ich Ihnen dann noch zwei Zigarren kaufen. Es is von meinem Taschengelde. Zwei Mark monatlich! Viel is das ja nich. Aber die Tante is elendiglich geizig. Der Onkel schustert mir manchmal was zu, und das is auch gut, denn man braucht viel. Ein Vierteljahr lang hab' ich auf einen Brennapparat für meine Haare sparen müssen. Und mit Oranienburger Kernseife mag ich mich auch nicht waschen.«

Ja, sie war reizend an jenem Tage. Und sie ist alle Tage reizend. In allen Mühen des Tages tröstet Robert immer der eine Gedanke, daß er wohl ein paar Minuten in der Mittagspause oder am Abend mit ihr plaudern könne.

Neue Vögel fliegen gen Süden.

Pflüg', armer Knecht, pflüg'! Auf all diesen Feldern wächst für dich keine Frucht. Du darfst helfen und zusehen, wie sie gedeiht, und dann, wenn ein andrer erntet, ein fröhliches Gesicht machen. – –

»Das is ein Staat! Die Furchen sind wie mit der Schnur gezogen.«

Robert Winter hielt die Pferde an und ließ den Pflug fallen. Gottlieb Peuker stand vor ihm. Er rieb sich die Hände.

»Das muß ich sagen, Robert, Sie sind 'n Landwirt! Da liegt was drin! Sie sind 'n andrer Kerl wie der Berthold.«

Robert war glücklich über das Lob des alten Knechtes.

»Ich bin ja sehr heraus aus der Arbeit!« sagte er. »Wenn man so was jahrelang nich betreibt, vergißt sich viel. Und es strengt ein'n im Anfang an.«

»Na, da komm'n Sie, Robert, ruh'n Sie sich a bissel aus! Die Lore hat eben a Vesperkaffee gebracht.«

»Fräulein Lore?« fragte er glücklich.

»Ja, die Lore! Na, da kommen Sie!«

Was wissen alle Satten und Faulen, was wissen auch alle die armen Stubenmüden im Lande von der Freude, gesunden Hunger zu stillen auf freiem Felde! Alle Künste der Koch- und Kellermeister reichen nicht hin, ihren Gaumen einen Teil jener Wonnen zu vermitteln. Die Bauernknechte, die gesunde Kost haben, sind die glücklichsten Feinschmecker im Lande.

Es war wieder ein schönes Herbstbild.

Am Feldrande, an dem die Landstraße entlang lief, hatten sie sich gelagert: Gottlieb, Robert, Lore und Peterle.

Die Mägde und Knechte saßen abseits. Sie wollten nicht mit den andern zusammensitzen. Sie taten, als ob jene etwas Feineres waren, und hatten ein Gefühl, als seien die andern hochmütig, und waren doch froh, daß sie nicht zu ihnen kamen und sie in ihren Derbheiten störten. Das war hier wie überall. Die Roheren sonderten sich von den Feineren ab, schimpften auf deren Hochmut und waren glücklich, allein zu sein.

Peterle hatte einen Haufen Kartoffelkraut zusammengetragen und Gottlieb ein Phosphorhölzchen an seiner harten Lederhose entzündet und das Feldfeuerchen entfacht. So hielten sie am Wegrande im kurzen braunen Herbstgras glückliches Lager. Lore packte Butterstullen aus und gab jedem sein Teil Kaffee. Das Feldfeuerchen knisterte sein Märchenlied und sah mit glühenden Augen aus dem großen Berge des dürren Krautes.

Lore, das gesunde Kind, war guter Laune, wie meist. Nach einer Weile schickte sie das Peterle fort und zog dann einen Brief aus der Tasche, den sie Gottlieb und Robert zeigte.

»Vom Berthold«, sagte sie. »Ich werde ihn euch vorlesen: Liebe Lore, es ist hier sehr schlecht. Der Unteroffizier hat mir beim Einkleiden so den Helm auf den Kopf geschlagen, daß er mir wehtut. Und ich habe sehr das Heimweh. Und meine Stiefel sind auch zu klein. Krawutschke II in meiner Bude ist ein sehr schlechter Mensch. Die Würste haben mir die andern schon alle weggegessen. Krawutschke II hat drei Stück allein genommen. Und ich schlafe oben an der Decke. Da lassen mich die andern immer nicht rauf und schlagen mich immer sehr. Liebe Lore, mir ist sehr bange nach Dir und nach der Mutter. Der Robert Winter hat es gut. Er ist zu Hause, und ich bin fort, und ich werde es gewiß nicht aushalten und bei den Soldaten sterben. Krawutschke II sagt, im Manöver komm ich um. Liebe Lore, ich bitte Dich sehr herzlich, daß Du nicht den Schuladjuvanten und den Postassistenten und den Forsteleven oder die andern heiratest, denn ich bin sehr unglücklich. Wenn Krawutschke II sein Jahr vollends um hat und abgeht, dann wird es wohl besser sein. Aber ich werde es nicht aushalten. Und Du sollst mir treu bleiben.

Herzlichen Gruß von Deinem Berthold.«

Sie sahen sich an und lächelten ein wenig über den Brief. Aber lachen konnten sie nicht. Im Dorfe drin, als sie ihn das erstemal las, hatte Lore über den Brief gelacht. Aber jetzt, wo sie ihn dahier beim freien Feldfeuer vorlas, sah sie doch aus all der Unbeholfenheit der menschliche Jammer an, und sie konnte nicht lachen.

»A hat's zu gutt gehabt derheeme«, sagte Gottlieb. »A is immer wie a Pappekindel gehätschelt worden. Nu find' a sich in der großen Welt nich zurechte.«

»Ja, es wird ihm wohl sehr schwer werden«, sagte Robert Winter. »Im Anfang is das Soldatenleben für jeden schwer, und wenn einer verwöhnt is, dann is es schlimm.«

»Sie beneidet a, Sie, Winter! Der Winter hat's gut, der is zu Hause, und ich bin fort, schreibt a. Nu, lange genug war's umgekehrt. Da war er zu Hause und Sie waren fort.«

Winter lächelte.

»Er is halt der Sohn«, sagte er.

Da stand Gottlieb Peuker auf, griff ins Kartoffelkraut und lockerte es auf, daß die Flamme hoch emporschlug. Und es war wie ein Signal zu sehen, das über die Felder hin leuchtete.

Lores freundliches Gesicht hatte sich verfinstert. Ein Trotzteufelchen guckte aus ihren blauen Augen.

»Ich nehm' ihn nicht, ich will ihn nicht, ich mag ihn nicht!« sagte sie. »Und wenn er an mir hängt, was kann ich dafür? Ich Hab' ihn nicht lieb, nicht das allerkleinste bissel lieb! So einen Mann mag ich nie – nie!«

Robert Winter sah mit glänzenden Augen das schöne Mädchen an und faßte sie selbstvergessen an der Hand. Sie ließ ihn gewähren, und er ließ die Hand erst los, als sie sagte:

»Und ich laß mir das nich vorschreiben, auch nich von der Tante. Und ich werd' ihm Antwort schreiben: er soll mir nich immer Vorschriften machen wollen, ich amüsier mich, mit wem ich will.«

* * *

Am Abend desselben Tages, als Robert heimgekehrt war, trat Christel in ihrer stillen Art an ihn heran, als er einsam an einem Tische saß.

Sie setzte sich neben ihn auf die Bank und legte ihre Hände neben die seinigen.

»Robert,« sagte sie möglichst unbefangen, »ich war heute mit dem Vater in der Stadt, da Hab' ich ein paar Einkäufe für Sie gemacht. Sie brauchen doch jetzt – wo's auf den Winter zugeht – mancherlei an Wäsche. Das hab' ich gekauft. Es war gerade Ausverkauf und sehr billig. Der Vater hat mir das Geld gegeben, und ich hab' alles auf einen Zettel geschrieben. Es kann Ihnen dann so nach und nach vom Lohne abgezogen werden. Und einen neuen Anzug können Sie sich auch beim Schneider bestellen. Den bezahlen wir auch einstweilen. Ist Ihnen das recht?«

Er schlug die Augen nieder und wußte vor Scham und Dankbarkeit kaum etwas zu sagen. Leise schlug er mit den Fingern auf den Tisch.

Dieses Mädchen erlöste ihn – erlöste ihn von Schmutz und Schande. Seine geringe Wanderhabe war elendschlecht. Unter diesen seßhaften, ordentlichen Menschen kam er sich vor wie ein Lump, wie einer, der nicht das hochzeitliche Kleid anhat. Am letzten Sonntag hatte er sich nicht sehen lassen, hatte angegeben, nicht wohl zu sein, und im Bett gelegen, solange er keine Arbeit hatte. Nun erlöste ihn dieses Mädchen, reihte ihn ein, gab ihm die Uniform der Wohlanständigkeit, gab ihm einen Sonntagsanzug.

»Fräulein Christel, Sie sind sehr gut zu mir«, sagte er leise. Sie legte die Hand auf die seinige und sah ihn mit großer Liebe an und sprach:

»Ich möchte Ihnen immer helfen, wenn ich kann. Sagen Sie mir's doch immer, wenn Ihnen etwas fehlt. Wollen Sie?«

»Ja. Gern.«

»Sonst braucht niemand das von der Wäsche zu wissen. Auch meine Mutter nicht. Es können ja alle denken, Sie haben selber noch Geld gehabt und sich was beschafft. Und sonst – lassen Sie sich das nicht drücken. Es wird nicht lange dauern, da sind Sie ganz schön in Ordnung.«

Er würgte an einer Frage.

»Und – und Fräulein Lore – weiß es die?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das ist nichts für Lore«, sagte sie und ging aus der Stube.

Er sah ihr nach. Sie war wohl der beste Mensch, der ihm begegnet war. Sie war so lieb zu ihm. Dachte und sorgte für ihn. Und wie sie ihn angeschaut hatte. Mit solchen Augen!

Ein heißes Gefühl strömte dem Musikanten durch die Seele. Aber es war kein Glück. Es war Scheu und Furcht. Als Robert dann in seiner Kammer war, fand er ein großes Paket mit Unterwäsche, Strümpfen, Vorhemdchen, Kragen und zwei Krawatten, auch einen schwarzen Filzhut, der ihm genau paßte.

Ein Zettel lag dabei, darauf stand seine Schuld verzeichnet, die lächerlich klein war. Aber da er nach Art junger Männer keine Ahnung von dem Wert guter Wäsche hatte, machte er sich keine Bedenken und war glücklich über seinen neuen Besitzstand.

Gerade als er mit großer Zufriedenheit immer wieder alles neu musterte und den Hut vor dem kleinen Wandspiegel noch einmal probierte, kam Gottlieb Peuker. Er sah die Herrlichkeiten und machte ein verdutztes Gesicht. »Sehn Sie mal an – na, da kann ich wohl wieder einpacken?«

Er nahm mit großer Umständlichkeit seinen Geldbeutel aus der Tasche und steckte einen Hundertmarkschein hinein, den er in der Hand gehalten hatte. »Den Hab' ich von der Botenfrau auf der Sparkasse abheben lassen; ich dachte, wenn ich Ihn'n was vorstrecken könnte«, sagte er brummend.

Da kam ein großes Glücksgefühl über Robert Winter, das Hochgefühl, bei guten Menschen zu sein.

Um selben Abend noch wanderte er mit Gottlieb zum Schneider, um den neuen Anzug zu bestellen, und er stand mit feierlichem Gefühl still und steif da, wie ein glücklicher Knabe, als der Schneider an ihm herummaß.

Am nächsten Sonntag war der Anzug noch nicht fertig, da lag Robert Winter am Nachmittag wieder im Bett, aber am übernächsten Sonntag hatte er das feiertägliche Gewand.

Mit einem Andachtsgefühl im Herzen zog er es an, und dann stand er ganz still da, und seine Augen glänzten. Er war ein ordentlicher Mensch! Dieser neue Anzug umschloß seinen Leib wie ein schützender Panzer gegen vieles, was feindlich war in seinem Leben.

So stieg er langsam wie ein Entsündigter die Treppe hinab.

Unten traf er die Lore. Das hatte er sich gewünscht. Sie betrachtete ihn wohlwollend, lobte ihn, daß er sich neu beschafft habe, drehte ihn im Kreise herum und zupfte an seiner Krawatte. Dann sagte sie, er könne jetzt augenblicklich mit ihr zur Kirche gehen; sie sei gewissermaßen schon auf dem Wege.

Robert fiel ein, daß er wohl erst Christel suchen und sich ihr vorstellen müsse, aber da Lore nicht warten wollte, ging er mit ihr.


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