Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Aus der Höhe journalistischer Macht.

Ich war wieder in Marilkaporta. Frohen Herzens war ich heimgezogen. Auf Frau Holles Wiese hatte ich mein Glück gefunden, und seit der Zeit habe ich keinen Groll mehr gegen die alte Frau.

Angelika war mit der Prinzessin weit fort im Lande. Das blonde Königskind suchte in der Fremde das Vergessen.

Was als Dichtertraum durch die alten Volkslieder zieht, wurde mir zur Wahrheit: Oft kam ein Vöglein und brachte an rotseidenem Faden einen Brief der Geliebten getragen. Und im Märchenwald waren stille Weiher, die zeigten mir das liebe Angesicht der fernen Braut in ihrem schimmernden Zauberspiegel.

Dem, der von einem Kummer genesen ist, ist selbst der Alltag verklärt. Mit Freuden nahm ich meine Arbeiten wieder auf und war freundlichen und versöhnlichen Sinnes gegen die ganze Welt.

Der Ärger blieb freilich nicht lange aus.

Im Sitzungssaale unseres Redaktionspalastes war es, wo Dr. Nein mit lauter Stimme folgenden Passus aus der neuesten Nummer der »Posaune« vorlas:

»Die Prinzessin Goldina ist mit ihrer Gesellschaftsdame verreist. Auch der Herr Chefredakteur der »Zeitung« hatte nach Herausgabe der ersten Nummer schon eine längere Erholungstour notwendig. (NB. Der Nummer selbst hätte man die aufreibende Anstrengung, die sie erfordert hat, nicht anmerken können.) Vielleicht sind die hohen Herrschaften unterwegs einander begegnet. Der Zufälle spielen ja viele im Leben. Unser Erbprinz Juvento ist inzwischen an dem etwas vereinsamten Hofe von Marilkaporta zurückgeblieben. Er soll fleißig auf die Jagd gehen und hat dabei Gelegenheit genug, nachzudenken, in welch seltener Weise sich die Gastfreundschaft des benachbarten und verwandten Hofes gegen ihn betätigt.«

»Infam,« knirschte Herr von Stimpekrex, »ganz infam!«

»Achtung, meine Herren, es kommt noch besser! Hören Siel – Eine sehr intime Freundschaft scheint den Herrn Chefredakteur der »Zeitung« mit dem Prinzen Hamrigula zu verbinden. Es war da neulich auf einer Straße von Marilkaporta ein interessantes Momentbild aufzunehmen. Dr. Barragu und der Prinz sprachen eifrig miteinander. Da fuhr der schwachsinnige Prinz Helgin vorbei. Er saß in seiner Ziegenbock-Equipage und naschte seelenvergnügt aus einer riesigen Bonbondüte. Nun hat der Prinz Hamrigula bekanntlich die allerhöchste Gewohnheit, ein wenig zu schielen. Er brachte das Kunststück fertig, sein rechtes Auge voll Wohlwollen auf dem dienstgefälligen Zeitungsmanne ruhen zu lassen, während zu gleicher Zeit sein linkes voll Verachtung auf seinen Nebenbuhler Helgin blickte. Ein Auge wohlwollend geradeaus, das andere scheelsüchtig zur Seite – man sieht, ein Thronanwärter muß umsichtig sein und die Augen überall haben.«

»Das ist gemein,« rief Stimpekrex.

»Jawohl,« schrie Dr. Nein,«und das Gemeinste ist, daß wieder der Beweis da ist, wie niederträchtig bei uns spioniert wird.«

Nach diesen Worten fing Herr Schnaff plötzlich an jämmerlich zu heulen. Er sprang auf von seinem Stuhle, und seine lange, dürre Figur drehte und krümmte sich schmerzvoll wie eine Weidenrute im Sturme.

»Nu fängt zu allem Verdruß der noch an zu heulen,« knirschte der Doktor.

»Aber, Herr Schnaff, was ist denn?«

»Ist Ihnen nicht wohl, Herr Schnaff?«

Das Geheule wurde ärger, wir waren ratlos. Endlich raffte sich Schnaff soweit auf, daß er sagen konnte:

»Ich weiß, – ich weiß, – Sie haben – Sie haben alle – wegen der »Posaune« – einen Verdacht auf mich!«

Ein Weinkrampf folgte den Worten.

Wir waren sprachlos. Dr. Nein aber stand auf, schlug dem Weinenden auf die Schulter und sagte in warmer Herzlichkeit:

»Schnaff, Sie sind ein Esel!«

»Meinen Sie das ehrlich, Herr Doktor?« schluchzte Schnaff.

»Sehr ehrlich!« bekräftigte Nein.

Das tröstete Herrn Schnaff besser, als eine lange Rede vermocht hätte, und er beruhigte sich ziemlich rasch.

Unsere Laune hatte sich ein bißchen gehoben, sank aber bald wieder auf den Gefrierpunkt herab.

»Sie hätten den Vorschlag Sr. Majestät, die fremde Zeitung im Lande konfiszieren zu lassen, annehmen sollen,« sagte Herr von Stimpekrex zu mir.

Ich schüttelte den Kopf.

»Dann würde die »Posaune« bei uns nicht zwei, sondern zehn Millionen Exemplare absetzen. Ich kenne das! Nein, meine Herren, wenn wir uns nicht selbst helfen, die Polizei wird uns nicht helfen. Ich weiß, Sie sind mißmutig, daß ich auch in unserer zweiten Nummer mit keinem Wort auf die rüden Anrempelungen des gegnerischen Blattes eingegangen bin. Sie meinen, das Volk wird das für Schwäche halten, und Sie können wohl recht haben. Unsere Zeitung ist in vierzigtausend Exemplaren abgesetzt worden, die »Posaune« in zwei Millionen. Aber ich kann es nicht ändern. Im Schimpfen ist mir eben der Redakteur der »Posaune»überlegen.«

»Aber Sie haben doch mich!« schrie Dr. Nein. »Ich komme mir nachgerade in der Redaktion überflüssig vor. Sire, geben Sie Schimpffreiheit! Haben Sie ein wenig Vertrauen zu mir, lassen Sie mir freie Hand, und Sie werden sehen, daß ich meinen Mann stelle.«

»Ich danke Ihnen für Ihr heldenmütiges Angebot, Herr Doktor; aber wir werden auf andere Weise den Weg zum Volk finden. Ich lade Sie ein, meine Herren, mit mir nach der »kühlen Eule« zu kommen.«

Diesem Wunsche leisteten meine drei Untergebenen auch diesmal ohne Widerspruch Folge. Bald umfing uns das trauliche Gemäuer. Lillebolle erschien, stellte mächtige, schimmernd grüne Humpen auf den Tisch, verriegelte die Türen, zeigte warnend nach der Sprengvorrichtung hinauf und verschwand huschend in sein Verließ.

Feierlich erhob ich mich und hielt folgende Rede:

»Meine Freunde, ich trinke auf Ihr Wohl und auf das Wohl unserer lieben »Zeitung«, trinke das Wohl mit diesem köstlichen Rüdesheimer Wein!«

Ein gemeinsamer Schrei kam von den Lippen der drei Männer. Entsetzt, fassungslos starrten sie mich an.

»Ja. meine Freunde, mit echtem, deutschem Weine! Wir wollen uns dieses herrlichen Trankes nicht schämen, wir wollen die Maske der Heuchelei fallen lassen. Noch mehr, wir wollen auch versuchen, diese unwürdige Maske von Tausenden anderer Gesichter im Lande abzunehmen. Meine Herren, ich bin erst wenige Wochen in Ihrem Vaterlande; aber ich weiß, daß es ein herrliches Land ist und daß ein mündiges Volk darin wohnt, würdig der Freude. So sehr ich den Rausch für ein Elend halte, so sehr ich wünsche, daß gewohnheitsmäßige Trinkerei und Vieltrinkerei niemals zu einer Tugend erhoben, sondern von dem Gewissen jedes mündigen Volkes als verächtliche Schwachheit gebrandmarkt werde, so fest bin ich überzeugt, daß es ein unwürdiger Zustand ist, wenn der Wein, der Bringer der Freude, reifen Männern polizeilich abgeschlossen wird, wie unwissenden Kindern das Gift. Fort mit jedem unnützen Zwang, fort mit der Heuchelei jeder Art! Meine Herren, ich werde in unserer Zeitung Sturm laufen gegen das volksbedrückende, unfröhliche Antialkoholgesetz; ich werde nicht dem Suff, wohl aber erlaubter Freude eine Bahn zu brechen suchen!«

»Chef! Goldmensch! Sie sind der größte Staatsmann sämtlicher Jahrhunderte!«

Mit diesem Jubelschrei riß mich Dr. Nein an seine Brust; Schnaff, der seinen sentimentalen Tag hatte, fing augenblicklich an, Freudentränen zu vergießen, und nur Herr von Stimpekrex protestierte. Es wurde ein erklecklicher Skandal, so daß Lillebolle ein paar warnende Tropfen auf unseren Tisch regnen ließ.

Das mahnte uns zur Vorsicht, und wir führten nun eine halblaute, aber nichtsdestoweniger fieberhaft erregte Debatte. Dr. Nein und Schnaff stimmten mir rückhaltslos zu; Herr von Stimpekrex dagegen hatte eine Menge historischer, volkswirtschaftlicher, moralischer, hygienischer, selbst dynastischer Bedenken. Wir wandten all unseren Scharfsinn auf, um ihn für uns zu gewinnen, Dr. Nein bot ihm sogar die Brüderschaft an, aber erst als er den vierten Humpen geleert hatte, wurde er zugänglicher. Zuletzt erhob sich der Leutnant und sagte, indem er sichtlich mit der Rührung zu kämpfen hatte:

»Ich habe Bedenken, – Bedenken, meine Herren, – aber wenn es das Wohl des Vaterlandes gilt, – ein Hundsfott, der gegen das Wohl des Vaterlandes ist, – also, wenn es das Wohl des Vaterlandes gilt, meine Herren, – ich bin nie gegen das Vaterland gewesen, meine Herren, im Interesse des Vaterlandes stimme ich zu, – prosit! Meine Herren, das Vaterland lebe hoch!«

Jubelnd stimmten wir in den Ruf ein, so jubelnd, daß Lillebolle einen kleinen Sprühregen für angezeigt hielt. Dr. Nein sprang auf, hieb mit der Faust auf die Falltür der Höhle und schrie:

»Lillebolle, du naßkalter Schuft, komm herauf, du wirst Millionär!«

Da regnete es etwas stärker. Der Zwerg war unbestechlich.

Ich mahnte zum Aufbruch, aber da der Regen nachließ, wurde nichts daraus. Humpen auf Humpen wurde geleert, alles »auf gesetzlichen Vorschuß«.

Zuletzt wurden die Reden verwirrter. Nur die Hauptpunkte meiner ersten Ansprache wurden öfters wiederholt.

»Es – es gilt das Wohl – des Vater – Vaterlandes!« rief Stimpekrex begeistert und trank.

»Fort mit der Heuchelei! Fort sag' ich!« Zum Donnerwetter, fort mit der Heuchelei sag' ich,« krächzte Dr. Nein.

»Es – es ist für mündige Männer – ein – ein unwürdiger Zustand,« lallte Schnaff und fiel unter den Tisch.

Ich wußte angesichts dieser Erfahrung nicht, ob ich meinen Plan nicht fallen lassen sollte. Aber ich wies die philiströse Anwendung ab in dem Gedanken, daß aller Anfang schwer, und daß die Unzulänglichkeit die Großmutter der Vollendung ist.


Am 16. März erschien die dritte Nummer der »Zeitung«. Ihr Leitartikel hieß:

»Fort mit dem Antialkoholgesetz!!!«

Ich bin ein friedsamer Poet, und es ist schwer für mich, die aufregenden Szenen der Tage, die auf den 16. März folgten, auch nur andeutungsweise zu schildern. Auch bitte ich herzlich um Verzeihung, wenn ich in folgendem erzähle von der Fülle des Ruhmes und des Volksinteresses, die in jenen bewegten Märztagen über mein unwürdiges Haupt hereinbrach. Man wolle mir nicht als Ruhmredigkeit auslegen, was ich als ehrlicher Chronist nun einmal nicht verschweigen darf.

Am Abend des 16. März brach auf dem Marktplatz von Marilkaporta, wo die Zeitungen verkauft wurden, ein stürmischeer Tumult los. Binnen einer Stunde hatten sich mehr als hunderttausend Leute jedes Standes, Alters und Geschlechts vor unserem Redaktionspalast eingefunden.

Ein wüster, betäubender Lärm drang herein in unseren Sitzungssaal.

»Dr. Barragu raus! Barragu raus! Barragu hoch! Nieder mit ihm! Nieder mit ihm! Hurra! Pfui! Freiheit! Frechheit! Säufer! Befreier! Hoch, hoch! Nieder mit der Zeitung! Barragu raus!«

Wir waren bewaffnet. Dr. Nein hatte für jeden Mann zwei Revolver mitgebracht, Schnaff trug außerdem in jedem Hosenbein einen Totschläger, Stimpekrex hatte einen kugelsicheren Panzer an.

Das Geschrei draußen wurde immer wilder. Ich ging auf die Balkontür zu.

»Die Revolver, Chef, die Revolver!«

»Ohne Revolver!«

Ich trat hinaus, mit mir meine Freunde.

Ein wilder, gellender Schrei zerriß die Luft. Ich sah ein empörtes, wogendes Meer von Köpfen, eine betäubende Brandung brach auf mich herein, die Augen wurden mir trüb und nebelig.

»Die Säufer! Die Helden! Herunter! Hurra! Sperrt sie ein! Reden! Ruhe! Still! Haut sie durch! Hurra – hoch!«

Ich machte eine Gebärde, daß ich reden wollte. Ein Gejohl antwortete mir. Die Mahner zur Ruhe lärmten am lautesten. Jedes Wort ertrank hilflos in dem Meere der Erregung. – Zwei Parteien waren da unten, die eine für mich in taumelnder, jauchzender Begeisterung, die andere gegen mich in tobendem Zorn. Grenzen zu ziehen, zu unterscheiden war unmöglich.

Eine bewegliche Rednertribüne wurde herbeigeschleppt.

»Reden! Reden! Reden!« brauste der hunderttausendfache Ruf.

Ein Schwarzer kroch auf die Tribüne – ein Arzt.

»Der Alkohol ist Gift! Er bewirkt, daß die Leber verfault, und daß die Niere –«

Ein geschickt geworfener Stiefel traf ihn ins Gesicht, die Nase blutete ihm, und unter mörderischem Geheul verließ der unglückliche Redner die Bühne.

Ein anderer Schwarzer!

»Der Alkohol, mit Maß genossen, ist eines unserer besten und geeignetsten –«

Hallo! Ein Weib kletterte ihm nach, faßte ihn am Sammetkragen und zerrte ihn kreischend hinab. Ein Schuster machte sich Bahn zur Tribüne.

»Ich bin ein moralischer Mann! Wo Alkohol ist, da ist immer auch Unzucht, Mord, Totschlag –«

»Nu, du verlogener Pechhengst!«

Ein Schmied war dem Schuster nachgestiegen, und warf ihn mit herkulischer Kraft hinab in die Menge.

»Ich bin das Volk, ich!« schrie der Schmied, »Wenn wir Kräfte haben sollen, müssen wir was trinken! Wir müssen fest zusammenstehen, feststehen, sag' ich –«

Die Tribüne fiel um samt dem Schmiede, wodurch in der dichtgedrängten Menge zwei bis fünfzehn Leute schwer und sechs bis vierunddreißig leicht verletzt wurden. Ein unbeschreibliches Chaos! Männer fluchten, lärmten, brüllten; Weiber kreischten, gellten, gestikulierten; Kinder weinten, schrieen, lachten.

»Das Militär!«

Ein tausendfältiger Schrei, ein lebensgefährliches Gedränge, eine lärmende, wilde Flucht.

Ein Fähnlein Soldaten zog vorbei, kaum hundert. Zwei Offiziere! Vorn ein blutjunger Leutnant warf mir einen verachtungsvollen Blick zu, hinten ein dicker Hauptmann schmunzelte mich an und salutierte verstohlen mit dem Degen.

Die kleine Truppe zog vorbei. Ihr Weg führte rein zufällig hier vorüber. Das erkannte die Menge, sammelte sich wieder und war erregter als zuvor.

Die Parteien ordneten sich, rechts meine Freunde, links der Feind. Alle sonstige Zusammengehörigkeit war aufgehoben. Ärzte, Beamte, Juristen, Handwerker, Parlamentarier hüben wie drüben, der Mann gegen die Frau, der Vater gegen den Sohn, das junge Mädel gegen den Bräutigam.

Eine Gasse bildete sich, ein wilder Kampf schien sich vorzubereiten. Da eilte ich hinab, riß die Tür auf und sprang mitten in die Gasse. Die Freunde eilten mir nach.

Ein Schrei der Überraschung, und dann wurde es still. Alle blieben stehen. Bald aber schrie die Menge:

»Reden soll er! Reden! Reden! Reden!«

Die halbdemolierte Tribüne wurde hergebracht. Mutig stieg ich hinauf. Ein Ring von Freunden schloß sich wie eine Schutztruppe um mich; auch die drei Redakteure waren dabei.

Mit einem raschen Blick musterte ich mein Publikum. Bei den Freunden meiner Sache fast nur Männer, bei den Gegnern überwiegend Frauen. Ich wandte mich an die Frauen, indem ich ihnen zuerst eine tiefe Verneigung machte und dann eine Kußhand zuwarf.

»Edle, schöne Damen von Marilkaporta! Ich wende mich an eure milden Herzen und bitte euch um Gehör!«

Heilige Ruhe tritt bei den Weibern ein, ein paar Männer lachen.

»Hochverehrte Frauen von Herididasufoturanien! Ich verstehe euren Zorn und muß euch in schwerwiegenden Dingen rechtgeben. Ein betrunkener Mann ist ein Ekel!«

Ein Beifallsgeschrei im höchsten Diskant.

»Ein Verbrecher ist der Mann, der seine und seiner Familie Habe gewissenlos vertrinkt!«

Weiße Hände fahren in die Höhe, Tücher und Schleier wehen, losgebundene Schürzen stiegen in die Luft. Auf der Männerseite ist ein Geknurre.

»Wenn der Mann überhaupt Wein trinken darf, dann soll er es nur tun dürfen zur Verherrlichung der Frau.«

Erstauntes Schweigen.

»Der junge Bursch, der zu seinem Schatz geht, soll ein Glas milden, edlen Weines trinken dürfen, nicht, um der Gier seiner Kehle zu fröhnen, sondern nur, daß seine Wangen röter, seine Augen strahlender, seine Lippen feuriger werden, der Geliebten zur Freude.«

Ein leises, vergnügtes Kichern. Auch auf der Männerseite einiger Beifall.

»Der Mann, der des Tages Last und Mühe getragen hat, soll ein Glas stärkenden Weines genießen, auf daß ihm neue Kraft und Lust komme zur Arbeit für seine Familie. Er soll aber von diesem Glase Wein die ersten, köstlichsten Perlen seiner treuen, fleißigen Hausfrau anbieten, soll ihr zur Gesellschaft, unter ihren Augen, am häuslichen Herd seinen Labetrunk genießen.«

Starkes Gebrumme bei den Männern; die Frauen schauen sinnend vor sich hin.

»Der Vater, der sich über die Wiege des Neugeborenen neigt, soll ein Glas hellen, süßen Weines trinken und dabei sagen: So hell und süß, du liebes Kind, werde ich dir dein Leben gestalten.«

»Er ist ein gemütvoller Mann!« schrie eine Frau.

»Ja«, er hat ein Herz für die Kinder!« rief eine zweite, viel freundliche Zustimmung wurde den beiden.

»Und ist der Bube ein großer, hübscher Bursch geworden und fortgezogen in der Fremde, sitzt er weit von der Heimat auf einer stillen, einsamen Herbergsbank, traurig und verlassen, sein letztes Geld wird er zusammensuchen, ein Glas guten Weines kaufen und sagen: Auf dein Wohl trinke ich, mein liebes, gutes Mütterlein zu Haus!«

Jetzt brach eine starke Beifallskundgebung bei den Weibern los; einige weinten vor Rührung. Ich ließ den günstigen Augenblick nicht ungenützt vorüberziehen.

»So, ihr edlen Frauen und holden Jungfrauen von Marilkaporta, fasse ich die Frage auf, ob die Männer Wein trinken dürfen oder nicht. Es ist leicht möglich, daß ich mich täusche, möglich, daß es besser ist, wenn der Bursche nicht seinem Schatze zu Ehren, der Mann nicht zur Gesellschaft der Frau, der Vater nicht auf das Wohl seines Kindes, der junge Wanderer nicht auf das Andenken seiner Mutter trinkt; ihr müßt ja das besser wissen als ich, der landfremde Mann.«

Allgemeiner freundlicher Widerspruch.

»Wir meinen es alle ehrlich! Und bedenkt, ein Zeitungsartikel ist noch kein Gesetz; nur ein Vorschlag, und einen wohlgemeinten Vorschlag darf jeder machen! Nicht einer, sondern nur die Weisheit aller, der Männer wie der Frauen, kann eine so wichtige Sache entscheiden. Deshalb bitte ich euch, daß ihr erst im Frieden eurer Familie den Fall besprecht, wenn ihr aber wünschet, so werde ich den König bitten, daß er in den nächsten Tagen schon im Reichsrat die Sache gründlich beraten läßt.«

Großer Zustimmungstumult, vereinzelter Widerspruch. Ich verdreifachte meine Stimme:

»Bürger und Freunde! Ich sehe daß ihr nach. Hause gehen wollt. (Widerspruch.) Ich sehe, daß die Klügsten und Besten zuerst gehen wollen. (Zwischenruf des Herrn Schnaff: »Ich gehe schon!«) Namentlich feingebildeten Damen ist ja so viel Lärm auf die Dauer gegen den Geschmack. (Eine große Anzahl blonder und schwarzer Köpfe verschwand.) Wir Menschen haben einen alten Weisheitssatz, der heißt: Wer aus einer Volksversammlung zuerst nach Hause geht, der behält Recht! (Allgemeiner Aufbruch.) Eilt nicht so, geehrte Herren, verehrte Damen! Ruft wenigstens noch mit mir: Unser geliebter König lebe hoch!

Der Ruf brauste über den Platz. Und da noch dem Königshoch in den meisten Fällen keiner mehr etwas zu sagen weiß, gingen alle. Es ging nicht ohne Lärmen, Drängen und heftiges Gestikulieren ab, aber – sie gingen.

Befriedigt stieg ich von der Tribüne.


Vierzehn Tage lang tobte der Kampf für und wider den Wein im Parlamente. Die Gegnerschaft war bei vielen wieder erwacht in dem Gefühle, daß ich sie mit meiner Rede eigentlich überrumpelt hätte. Denn meine Freunde hatten unklugerweise zu laut triumphiert.

Immerhin schien es mir, als seien die Gegner der Vorlage im Parlament nicht ganz bei der Sache. Ihre Reden wurden matter und matter und entbehrten der inneren Wärme. Nur, wenn dem Herrn Deputierten ein energischer, aufmunternder Blick aus der Damenloge zuflog, raffte er sich zu einer schärferen Tonart auf und schleuderte sein: »Nie! Nie! Nie!« in den Saal.

Der allerletzte Parlamentsredner war Dr. Nein. Er trug, als er die Tribüne bestieg, ein Glas blinkenden, goldenen Weines in der Hand.

»Rufen Sie mich nicht zur Ordnung, Herr Präsident, ich trinke ihn nicht! Denn noch ist es verboten! Ich will ihn nur anschauen! Meine Augen sollen sich laben an dem milden Glanz, und der Duft soll mich erquicken, der edler ist als der Duft roter Rosen und grüner Wälder. Meine Herren, ich bin viel zu bewegt in dieser für das Vaterland so ernsten Stunde, als daß ich eine lange Rede halten könnte. Halten will ich nur dieses Glas, solange halten, bis der Wille des Volkes verkündet wird. Siegt die Freiheit und die Freude, so werden diese köstlichen, kühlen Perlen wohlig meine Zunge entlang rollen, und Sie alle werden sich bald an gleich köstlichem Tranke laben, siegt die Unfreiheit und das graue, wässerige Elend, dann wird dieses Glas in Scherben zerbrechen wie unser aller Glück. – Herr Präsident, ich bin fertig!«

Das war Dr. Neins kürzeste Reichsratsrede. Gleich darauf erfolgte die geheime Abstimmung durch Zettel.

Das Resultat war überraschend:

»Das Antialkoholgesetz ist durch einstimmigen Beschluß des Reichsrats aufgehoben.«

»Ich trinke auf die Opposition!« schrie Dr. Nein, war aber so außer sich vor Freude, daß ihm das Glas aus der Hand fiel und zerbrach.– –

Was nun folgte, will ich nur ganz flüchtig berichten. Die bloße Erinnerung schon ist anstrengend.

Fünf Stunden lang wurde ich auf einem Schilde durch die Straßen der Stadt getragen. Ich kann sagen, daß selbst Damen mir Rosen zugeworfen haben und daß nur vereinzelt einmal eine Zwiebel, eine saure Gurke oder sonst eine Küchenutensilie an mir vorbeisauste. Aber von dem vielen Hurrarufen bekam ich Trommelfellkrampf, und von dem Geschaukle auf dem hochgetragenen Schilde wurde ich ein wenig seekrank. Da sehnte ich mich zurück nach dem sicheren Bretterstuhl des Unberühmten.

In den folgenden Wochen nahm ich teil an sechs Volksversammlungen, drei Festvorstellungen, neun Banketten; ich empfing einhundertneunzehn Deputationen, etliche tausend Dankadressen, wurde Ehrenbürger von sechsundvierzig Städten, bekam vom Frauen- und Jungfrauenverein eine gestickte Ehrenschärpe, wurde Protektor des Verbandes reisender Handwerksburschen, Ehrenpräside des Vereins glücklicher Bräutigame, und wenn irgendwo eine kleine Gemeinde gar nicht wußte, wie sie mich ehren sollte, so ernannte sie mich wenigstens zum Schützenkönig.

Die denkwürdige dritte Nummer der »Zeitung« wurde in sechsunddreißigeinhalb Millionen Exemplaren abgesetzt, ein Exemplar wurde in schwerem Goldrahmen über dem Sitze des Reichsratspräsidenten aufgehängt, und es wurde bestimmt, daß der Alkoholartikel wenigstens auszugsweise in die Schullesebücher aufgenommen werde.

Das Erhebendste kam zuletzt.

Eine Deputation, bestehend aus Künstlern und Männern hoher Würden, kam zu mir mit der Eröffnung, daß mir ein Nationaldenkmal errichtet werden solle. Über zwanzig Millionen seien unter der Hand schon gezeichnet, auch sei das Komitee bereits in der glücklichen Lage, mir den preisgekrönten Entwurf zeigen zu können.

Auf hohem Piedestal stand meine Figur in stolzer, majestätischer Haltung. Neben mir ein riesiges Faß! Um das Faß war eine dicke Kette geschlagen. Ich aber hatte die Kette »zerrissen« und hielt nun ihre beiden Enden triumphierend in den Händen.

Als die Deputation fort war, legte ich mich zu Bett und litt acht Tage lang an grausamer Migräne.


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