Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Herididasufoturanische Hoftypen

Herr von Stimpekrex hatte mich in seinem verschwenderisch ausgestatteten Heim gastlich aufgenommen, und ich hatte mich ein paar Stunden ausgeruht. Aber meine große Aufregung legte sich nicht, und über all meinem Staunen fühlte ich mich schwach und elend. Einen armen Kerl macht eine glänzende Umgebung immer traurig und noch viel ärmer, als er schon ist.

Der Freund erbarmte sich meines Zustandes. Er brachte ein Leinentuch, tauchte es ins Wasser und legte es mir auf die Stirn. Dabei sprach er:

»Staunen ist ungesund! Dieses Tuch ist ein Wundertuch. Eine alte Waldhexe hat es gesponnen. Sie war ihr ganzes Leben lang als Dienstmagd in vornehmen Häusern, bei Königen, Grafen, Gelehrten und Künstlern. Das Staunen machte sie krank. Als sie aber älter wurde, verlernte sie das Staunen; sie verkroch sich in einm öden Wald, fing an zu lachen, laut und grimmig zu lachen, jahrelang zu lachen, und als sie sich endlich ausgelacht hatte, spann sie dieses Tuch. Wer es ins Wasser taucht und es sich auf die Stirn legt, der wird vom Staunen kuriert.«

Ich dachte über diese kleine Geschichte nach, während das kühle Tuch um meine Schläfe lag, und es wurde mir leicht und fröhlich dabei. Die Hexe hatte gut gesponnen.

Die Kur war für mich notwendig, denn bald darauf führte mich Herr von Stimpekrex nach dem Königspalast, da ich bei der Neujahrs-Gratulationscour Sr. Majestät vorgestellt werden sollte. Und es ereignete sich, daß ich über der Wunderpracht, die sich vor mir auftat, nicht närrisch wurde. Ja, als mir Herr von Stimpekrex erklärte, selbst die Wände seien aus massivem, l4karätigem Gold, machte ich ein ungläubiges Gesicht, und erst als er mir mitteilte, gleich links unten neben dem Eingang sei der Goldstempel, glaubte ich es.

In dem großen Warteraum, in dem wir standen, waren nur Herren zugegen; die Damen hatten eine besondere Anticamera. Herren in allen Lebensaltern und in sehr bunten Gewandungen, obwohl eigentliche . Uniformen selten waren, vorherrschend war der lange, bis an die Waden reichende, von einem Gürtel um die Hüften zusammengehaltene Staatsrock aus Sammet. Ich trug auch einen solchen Rock, und zwar von blauer Farbe. Alle Gelehrten von Beruf in Herididasufoturanien tragen sich blau, und ein Zeitungsredakteur ist dort unten auch ein Gelehrter von Beruf. Herr von Stimpekrex gab mir leise einige Erklärungen:

»Passen Sie auf die Farben auf, die Farben sind wichtig: Hofleute grün, Gelehrte blau, Geistliche braun, Juristen rot, Künstler weiß, Ärzte schwarz, Parlamentarier scheckig.«

»Warum sind die Ärzte schwarz?« fragte ich.

»Strafbestimmung aus alter Zeit! Früher mußten sie auch noch einen Totenkopf als Kokarde tragen. Das ist aber durch einen Gnadenakt neuerdings aufgehoben. Die Kerls hatten mal bei einer Epidemie eine falsche Diagnose gestellt, da ist eine ganze Provinz ausgestorben. Sehen Sie, da kommt schon einer auf uns zu, der ist mein Onkel.«

Ein Schwarzer schob sich an uns heran. Ein kleines Männlein mit einem verrunzelten, verschobenen, verschrobenen, zerstobenen Gesicht, in dem eine sanftrote Nase glänzte.

»Dr. Schnugu,« stellte er sich vor, »Waldarzt!«

»Hofarzt,« verbesserte Stimpekrex.

»Waldarzt,« wiederholte Dr. Schnugu grimmig. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr, denn ich hoffe, daß Sie das Volk über gesundheitliche Fragen aufklären werden.«

»Jawohl,« fiel Stimpekrex höhnisch ein, »er wird einen Leitartikel gegen die Ärzte schreiben.«

Dr. Schnugus Gesicht verschob und verschrob sich noch mehr, und seine Nase glimmte auf.

»Mein lieber Neffe,« sagte er, »gegen die Reserveleutnants etwas zu schreiben, ist allerdings nicht erst nötig. Hab die Ehre! Mein Herr, ich werde Sie zu sprechen suchen, wenn dieser – dieser unreife Mensch nicht bei Ihnen ist.«

Und er stampfte von dannen. Stimpekrex lachte ihm nach.

»Mein lieber Onkel! Wir müssen ihn besuchen, wir müssen ihn bestimmt besuchen, denn ich sage Ihnen, er ist ein Unikum.«

Ein steinaltes Männlein trat vor mich und legte mir die Hand auf den Arm. Ganz gebückt stützte es sich auf einen Stock mit silbernem Knauf und versuchte, die roten, blöden Äuglein zu mir aufzuheben.

»Ähähä, ähähä!« begann das Männlein mit meckriger Stimme, »der Fremde! Der fremde junge Herr von droben! Kenne die Menschen, – o ja, kenne sie! Da muß ich Ihnen was erzählen. Also wir waren doch damals droben – Erz hacken, – ja, wir sieben, – und als wir heimkamen, – ich spürte es ja gleich, daß jemand aus meinem Becherlein getrunken hatte, – ja, und die anderen schrien, daß eine Dälle in ihrem Bettchen wäre. Ähähä, zum Lachen! Eine Dälle! In meinem Bettchen war eine sehr große Dälle. Da lag sie selbst! O, Gott, ein schönes Mädchen! Ein liebes Mädchen! Gerade in meinem Bettchen! Das paßte ihr. Na, also schlief ich bei den anderen und –«

Hier benutzte ich ein Gedränge, um von dem Alten, den ich für blödsinnig hielt, loszukommen. Herr von Stimpekrex lachte.

»Also sie kneifen auch schon aus? Schon beim ersten Male? Und ich hab' die Geschichte schon hundertmal anhören müssen, wirklich, schon hundertmal.«

»Erbarmen Sie sich,« sagte ich, »und erklären Sie mir wenigstens, was eine Dälle ist.«

»Eine Dälle ist eine Grube die man in ein Federbett gedrückt hat. Und der Alte ist das siebente Zwerglein, in dessen Bettchen vor uralter Zeit das Schneewittchen geschlafen hat.«

»Aaaah! Sie hat aus seinem Becherlein getrunken und in seinem Bettchen geschlafen?«

»So ist es! Aus seinem ganzen langen Leben hat er sich nur dieses eine Abenteuer gemerkt, alles andere hat er vergessen. Aber vom Schneewittchen erzählt er jedem zehnmal, hundertmal, kurz, solange, bis der andere ausreißt.«

»Er ist wohl sehr alt?«

»O, Genaues weiß man nicht; aber sein Milliönchen hat er auf dem Rücken.«

»Was heißt das: sein Milliönchen?«

»Nun, eine Million Jahre! So alt ist er mindestens."

»Doch nicht eine Million Erdenjahre?«

»Sicher! Allerdings nach dem Julianischen Kalender gerechnet.«

Ich bekam einen sanften Ohnmachtsanfall. Mein Freund sah mich ernst an.

»Ja, wir sind nicht wie die Menschen, die schnell wachsen und aufblühen, aber noch schneller welken als die Bäume des Waldes, wir entwickeln uns langsam, aber wir dauern lange. Auch ich werde am nächsten l7. August schon 2467 und bin doch noch ein blutjunger Mann.«

Wir standen in einer Fensternische. Ich sehnte mich nach dem Tuch der Hexe. Ein paar Fliegen spielten hinter uns am grünen Fensterglas.

»Denke dir,« summte die eine, »Schnurr ist gestorben.«

»Laß ihn gestorben sein,« brummte die andere, »er war ja schon 5½ Tag alt.«

»Haben Sie gehört?« fragte Stimpekrex lächelnd. »Gegen diese Fliegen haben Sie Ihr Milliönchen auf dem Rücken. Und es sind doch auch Lebewesen.«

Ein Gescheckter trat an mich heran, ein großer, kräftiger Mann mit einem stattlichen Vollbart. ,

»Gestatten, daß ich mich vorstelle: Dr.Nein! M.d.R.«

»Dr. Barragu, Chefredakteur!«

»Geben Sie mir die Hand, Verehrtester! Ich freue mich, daß Sie da sind! Das hat Brust gekostet! Seit 279 Jahren habe ich in jeder Session des Reichsrats die Einführung einer Zeitung beantragt und bin 278 mal mit meinem Antrag durchgefallen. Das letztemal ist's geglückt. Hat aber Brust gekostet, Verehrtester! Ich allein habe einmal fünf Tage und sechs Nächte lang ohne Unterbrechung geredet.«

Ein Schauer überrieselte mich. Dr. Rein rieb sich die Hände.

»Es ist nämlich bei uns die famose Bestimmung getroffen, daß niemand den Sitzungssaal verlassen darf, solange die betreffende Sitzung dauert. Na, Sie können sich denken, was bei meiner Dauerrede passiert ist. Die Hälfte der Abgeordneten schlief, die andere Hälfte war ohnmächtig, der Präsident lag im Starrkrampf, und sämtliche Stenographen waren scheintot. Ich aber redete, redete ohne Ende. Zuletzt war nur noch ein einziger außer mir bei Besinnung, leider gerade der Finanzminister, mein wütendster Gegner. Der saß da, riß die Augen auf, aß Kaffeebohnen und stach sich von Zeit zu Zeit mit einer Nadel in die rückwärtigen Oberschenkel. Es war ein grausiger Kampf: ich als Redner, er als Zuhörer. Aber ich sage Ihnen, das Anstrengendere ist auf die Dauer doch das Zuhören. Nach fünf Tagen und sechs Nächten fiel auch dieser letzte mit Gedröhne bewußtlos unter den Tisch, und ich hatte gesiegt. Da sich niemand mehr zum Wort meldete, beantragte ich sofortige Abstimmung, weckte meine Parteigenossen, die um die Rednertribüne verstreut lagen, dazu noch so viel andere, als wir brauchen konnten; wir brachten mühsam den Vize-Präsidenten auf die Beine und stimmten ab. Mein Antrag wurde angenommen, glänzend angenommen. Die Einführung der Zeitung war beschlossen! Hat aber Brust gekostet, Verehrtester!«

»Es muß eine anstrengende Sitzung gewesen sein,« sagte ich teilnahmsvoll.

»O, ich sage Ihnen! Hinterher hat sich herausgestellt, daß acht Mann akut verrückt geworden sind, elf haben das Nervenfieber bekommen, und der Präsident ist heute noch nicht aufgewacht. Der arme Mann leidet an chronischer Schlafsucht. Mich selber hat's auch arg mitgenommen; ich habe gleich am selben Tage noch eine lebensgefährliche Brechruhr bekommen. Der Finanzminister, mein Zuhörer, übrigens auch! Wir haben dann zusammen eine gemeinschaftliche Erholungsreise gemacht und sind ja jetzt beide gottlob wiederhergestellt.«

»Lieber Freund, Se. Hoheit Prinz Hamrigula wünscht Sie kennen zu lernen.«

Stimpekrex war es, der also an mich herantrat. Dr. Neins Gesicht färbte sich bräunlich-grün.

»Herr, Herr,« rief er, »gehen Sie nicht, lassen Sie's drauf ankommen, gehen Sie nicht! Dieser Prinz Hamrigula ist der gemeinste Schuft, der schauerlichste Volksverderber, der elendeste Kronräuber, der jemals unter der Erde gelebt hat. Er will Sie ausnützen, kapern, er weiß, daß die Presse –«

Stimpekrex hatte mich bereits fortgezogen. In einer Fensternische stand Prinz Hamrigula. Er war jung, konnte nach meiner jetzigen Schätzung kaum 2000 Jahre alt sein, hatte aber jene kalten, berechnenden Augen, die bei Jünglingen immer fatal wirken.

Ein Lächeln stahl sich um seine große Nase, während er mir in jener herablassenden Weise gewisser »vornehmer« leute entgegentrat, die mich immer mehr als Nichtswürdigkeit denn als Liebenswürdigkeit berührt hat.

Er schielte, war überhaupt häßlich und machte einen unangenehmen Eindruck auf mich. Einen Märchenprinzen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich konnte ein Unbehagen nicht unterdrücken, obwohl ich ausgesprochen häßlichen Personen gegenüber immer sehr vorsichtig mit mir selbst bin. Mein Schönheitssinn hat mir bei der Beurteilung von Leuten so oft die bösesten Streiche gespielt, daß ich sehr mißtrauisch gegen mich selber bin. Ich gab mir alle Mühe, sympathische Züge an dem häßlichen Prinzen zu entdecken, konstatierte, daß er einen festen, energischen Mund, eine wohlgebildete Stirn und lebhafte Augen habe, daß er offenbar ein kluger, willensstarker Mann sei und konnte doch meines Mißbehagens nicht Herr werden.

Der Prinz erzählte mir in auffallend freundlichem Tone, daß er ein sehr naher Verwandter des regierenden Königs sei, aber viel zu leiden habe, da er von anderen Agnaten stark befehdet werde. Ich werde auch eine recht schwierige Stellung haben, könne mich aber ganz auf ihn verlassen, da ich ihm sehr sympathisch sei und er wohl sagen dürfe, daß er viel Einfluß habe.

»Ja, sehen Sie, und gerade in meinem Bettchen! O, ein reizendes Kind! Und die anderen schrien, daß sie eine Dälle in ihrem Bettchen hätten – ähähähä, eine Dälle! Zum Lachen!«

Das Zwerglein!

Mit einer Verwünschung ergriff Prinz Hamrigula vor dem redseligen Alten die Flucht. Ich aber war dem rettenden Greise dankbar und ließ mir geduldig die Geschichte von dem vergifteten Kamm auseinandersetzen.

Indes erregte eine neue Persönlichkeit meine Aufmerksamkeit. Ein Mann stand in meiner Nähe, auf dessen fabelhaft dünnen und gebogenen Beinchen ein dicker, ballonähnlicher Leib ängstlich hin- und herjonglierte. Die ganze Erscheinung hatte etwas peinlich Unästhetisches. Dazu dienerte das schnurrige Männlein, so oft ich es nur mit einem Blick streifte, und bei jeder solchen Verneigung ergriff mich eine Angst, die Bauchkugel werde von ihrem unsicheren Gestell herabfallen.

»Alter Herr, können Sie mir nicht sagen, wer dieses Männlein ist, das immerfort dienert?«

Der Jahresmillionär hob die blöden Augen und dachte einige Augenblicke nach; dann verfiel er wieder in sein blödes Lächeln und sagte:

»Ja, freilich, den Händler mit dem vergifteten Kamm hatte natürlich auch die Königin geschickt.«

Die Geduld ging mir aus; mit ein paar Worten des Abschieds wollte ich den Greis verlassen, da schoß plötzlich das dienernde Männlein auf mich zu, machte eine auffällig tiefe Verneigung vor mir und sagte:

»Euer Gnaden wollen huldvollst meine große Aufdringlichkeit verzeihen, wenn ich –«

»Mein Herr, ich glaube bestimmt, daß Sie mich verkennen,« unterbrach ich den überhöflichen Mann; »ich bin nichts weiter als der Chefredakteur der neu zu gründenden Zeitung.«

»Und ich, Ew. Gnaden, ich bin der Theaterdirektor Krimskramski. Werden Ew. Gnaden die Güte haben, die Theaterreferate selbst zu schreiben oder –«

»Erlauben Sie!«

Ein dicker, aufgeblasener Mann schob das artige Direktorlein brutal beiseite und wandte sich hochmütig an mich.

»Hab gehört, Sie sind der neue Zeitungsmensch!«

»Chefredakteur Professor Doktor Barragu,« sagte ich mit scharfer Betonung. Der andere nickte und wickelte die schwere Uhrkette um seinen plebejisch fetten Daumen.

»Jawohl, wollte mal fragen, wieviel Skonto Sie für Reklamen bei Barzahlung geben.«

»Zunächst bitte: wer sind Sie?«

Ich sah, daß ihn die Frage in dieser Form ärgerte. Aber er beherrschte sich, warf sich in die Brust, spielte an einer Brillantnadel und sagte in einem Tonfall, in dem sich bequem eine Gottheit hätte offenbaren können:

»Kommerzienrat Knallkulurando, Zement und künstliche Düngung!«

»Mein Herr, es tut mir leid, aber ich habe für Mist in meiner Zeitung vorläufig absolut keinen Raum.«

Ein Gelächter ertönte, und ich sah, daß ein Heer von Gescheckten auf mich eindrang. Sie hatten mich umzingelt, und es drohte mir eine regelrechte Belagerung.

In diesem Augenblick erscholl eine Trompetenfanfare, Kanonendonner dröhnte darein, und augenblicklich ordnete sich die ganze Gesellschaft zu einem langen Zuge. Ver König war in den Thronsaal getreten.

Wenn ich einen Hofbericht über die Gratulationscour bei Herididasufoturu LXXV. liefern sollte, würde er mangelhaft ausfallen. So manch einen Herzog, Minister, Würdenträger habe ich nicht »bemerkt«, obschon er laut Rangliste unbedingt zu »bemerken« war; so manch eine Schönheit hat mich nicht »geblendet«, obwohl das Auge eines Hofberichterstatters ganz zweifellos die Pflicht hat, sich pro Fest wenigstens einigemal »blenden« zu lassen; so manch eine traumhafte Toilette hat weder meinen »Neid noch meine Bewunderung« erregt – woraus ich den Schluß ziehe, daß ich für solche Dinge ein verlorener Mann bin. Aber es gab unendlich viel Schönes.

Der König – der König war schön! Ein alter, feingliederiger Mann mit den milden Augen vornehmer Greise, an deren abendlich sanfter Wärme zwar keine Früchte mehr reifen, aber auch keine Wetter sich mehr entzünden, die mit ihrer ruhigen herbstlichen Strahlenschönheit die Werke eines langen Fruchttages beleuchten und verklären.

Unter der goldenen Königskrone trug er die silberne Lockenkrone eines Mannes, der in Ehren alt wurde, und diese weißseidenen Haare bildeten eine vollendet schöne Unterlage für das schimmernde Machtmetall.

Zur Rechten des Königs saß eine wunderliebliche Jungfrau: die Prinzessin Goldina! Blondlockig, blauäugig, schön, wie nur je eine Märchenprinzessin schön gewesen ist. Sie war des Königs Enkelkind, das Ebenbild seiner einzigen, früh dahingerafften Tochter.

Neben ihr stand, hochaufgerichtet in männlicher Jugendschönheit, Juvento, der Erbprinz aus dem Nachbarlande. Sein Vater war der Bruder des Königs. Früher waren beide Länder vereinigt gewesen. Erst unter die beiden Brüder waren sie geteilt worden. Nun war Juvento an den Hof seines königlichen Oheims gekommen und sollte ein ganzes Jahr in Marilkaporta bleiben. Ich ahnte, was die Sehnsucht der Völker und wohl auch der Höfe war: eine Verbindung dieser beiden schönen, jungen Leute, und damit wieder die Verbindung der getrennten Reiche.

Links vom König stand Hamrigula. Er hielt meist den Blick ergebungsvoll auf den Herrscher gerichtet; zuweilen aber hingen seine lodernden, dunkeln Augen auf einen Augenblick an der lieblichen Goldina oder musterten kalt und forschend die Gestalt des Erbprinzen.

Daran mußte ich denken, als wir heimgingen, so lebhaft denken, daß ich selbst der wenigen, gütigen Worte vergaß, die der greise König an mich gerichtet hatte.


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