Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Unsere Redaktion.

Ein Ministerrat, dem der König selbst präsidierte, und zu dem ich zugezogen wurde, beschäftigte sich mit der Feststellung der Grundlinien des neuen Zeitungsunternehmens. So ernst wurde die Sache genommen!

Bei uns zu Hause geht ja so etwas leichter. Wenn sich in Deutschland ein »frischaufstrebender« Verleger, der 2000 Mark Kapital besitzt, und ein Literat, der über einen entsprechenden geistigen Reichtum verfügt, begegnen, dann gibt es vier Wochen später eine neue Zeitung.

In dem Ministerrat gingen die Meinungen sehr auseinander. Der Kanzler meinte, wenn jedes Vierteljahr eine Nummer erschiene, so wäre das völlig genügend. Die Leute müßten sich erst an die Neuerung gewöhnen, und das Zeitunglesen sei eine der zeitraubendsten und unnützesten Beschäftigungen. Die Redaktion solle gemeinsam vom Staatsministerum mit einer Anzahl vom König zu ernennenden Parlamentariern, Gelehrten und anderen Männern der Öffentlichkeit geführt werden; ich solle eine beratende Stimme haben. Abonnent dürfe jeder werden, der eine Staatsprüfung bestanden, das 750. Lebensjahr zurückgelegt habe und mindestens in der zweiten Steuerstufe sei.

Daraufhin um meine Meinung befragt, gab ich meine Dimission.

Der König nahm die Dimission nicht an, schloß vielmehr die Sitzung und gab mir auf, in einem schriftlichen Gutachten meine Vorschläge niederzulegen, die er, wenn irgend möglich, genehmigen werde.

Daraufhin gab das Kabinett seine Dimission, die ebenfalls nicht angenommen wurde.

Meine Vorschläge waren dann in der Hauptsache folgende:

1. Die Redaktion besteht aus Dr. Barragu, als Chef, Herrn von Stimpekrex, als Vertreter der Regierungsparteien, Dr. Nein, als Vertreter der Opposition, und einem noch zu findenden Lokalredakteur.

2. Die Zeitung erscheint wöchentlich einmal in einer von der Redaktion zu bestimmenden Stärke.

3. Eine Zensur existiert nicht.

4. Abonnent kann jeder werden, der bezahlen kann.

5. Das ganze Unternehmen geht auf Rechnung der Staatskasse.

Der König setzte an Stelle des wöchentlichen Erscheinens das einmonatliche; alle anderen Punkte genehmigte er. Darauf gab das Kabinett abermals seine Dimission, die wiederum abgelehnt wurde. Ich versprach den Herren, die zweimalige für sie höchst ehrenvolle Ablehnung ihrer Dimission bald in der ersten Nummer gebührend hervorzuheben, worauf ich von ihnen zu einem diplomatischen Abendbrot eingeladen wurde, bei dem wir uns alle königlich amüsierten.

Druckereien gab es mehrere in Marilkaporta. Auch Bibliotheken waren da. Die Herididasufoturianer folgen dem smarten amerikanischen Brauche, alles von fremden Völkern nachzudrucken, was sie durch ihren Beifall auszeichnen, ohne indes erst dem Autor oder Verleger mit irgendwelchen Verhandlungen oder gar Honorarangeboten beschwerlich zu fallen. So fand ich in Marilkaporta die interessantesten Bücher der Weltliteratur, angefangen von der Iliade der Griechen und den Veden der Inder bis zu den »Schluchten des Balkan« von Karl May. Auch die eigene umfangreiche Literatur blieb mir nicht lange verschlossen, da ich die Landessprache bald beherrschte.

Die Sprachenfrage interessierte mich natürlich sehr, zumal ich mich nach meiner Schätzung unter österreichischem Staatsgebiet befinden mußte. Ich hörte, daß außer der Landessprache in den Schulen das Deutsche, Polnische und Czechische obligatorisch sei, während das Wendische leider nur als fakultatives Fach auftrat.

Noch vor der Herausgabe der ersten Nummer erhielt ich etliche hundert Briefe, in denen (meist in Versen) die Erwartung ausgesprochen wurde, daß ich als guter Sohn meines Vaterlandes die Zeitung deutsch drucken würde; gegen tausend polnisch gesinnte Herididasufoturianer drohten mir mit dem Boykott, falls ich mich nicht der polnischen Sprache bedienen sollte, und ein czechisches Komitee sandte mir einfach per Post einen Knüppel ins Haus.

Das war schlimm für einen Mann, der für Rassen- und Sprachenkämpfe nie etwas anderes übrig hatte als schmerzliches Bedauern. Eine fremde Sprache hat mir nie eine Abneigung eingeflößt, höchstens vorübergehend dann, wenn ich mich mit ihren unregelmäßigen Verben abquälte.

Aber das Märchenland ist glücklich. Es hat eine Sprache, die alle verstehen, in der alle Substantiva nach dem Muster des Wortes »Bruder« dekliniert werden und in der das Eigenschaftswort »ehrlich« das einzige ist, das sich nicht steigern läßt. Diese Sprache ist so kinderleicht und einfach, daß man sie in wenigen Tagen lernen kann. Mancher begreift sie in einer Stunde; ja, ich glaube, die Begnadetsten werden damit geboren.

Kurz und gut, ich druckte die Zeitung herididasufoturanisch, und ich habe damit bei Deutschen, Polen, Czechen und Wenden die besten Erfahrungen gemacht. –

Bald in den ersten Tagen fand ich den »Lokalredakteur«. Schnaff hieß der Edle. Dr. Nein hatte ihn mir empfohlen. Herr Schnaff reichte mir mit seiner Bewerbung einen »Lebenslauf« von dem Umfang eines zweibändigen Romans ein, aus dem ich hier einige dürftige Angaben mache.

Herr Schnaff hatte in seiner Jugend nacheinander an sämtlichen vier Fakultäten studiert, hatte darauf eine Stelle als Straßenkehrer angenommen, war dann als Zirkusathlet aufgetreten und darauf mit einer gräflichen Familie als Reisebegleiter ins Ausland gegangen. Wegen einer gänzlich unglücklichen Liebe zu einer Komtesse hatte er allein nach der Heimat zurückkehren müssen und daselbst einen ehrenvollen Ruf an den königlichen Steinbruch von Marilkaporta erhalten, wo er sich in seinen Mußestunden zum Wunderdoktor ausbildete, wegen einiger »Kunstfehler« wanderte er ins Gefängnis, wo er sehr in sich gegangen sein muß, denn er etablierte sich nach seiner Entlassung als Wanderprediger. Darauf spekulierte er in Bergkristallen, was ihm nichts einbrachte, war dann siebzehn Jahre lang Röhrenputzer am Gesundheitssee und darauf Hauslehrer bei einem Bankier. Als ihm die Pädagogik nicht mehr behagte, wandte er sich wieder den freien Künsten zu und erzielte als Feuerfresser und Degenschlucker bedeutende Erfolge. Einer Magenverstimmung wegen gab er auch diese Tätigkeit wieder auf und sang nun sechs Jahre lang ersten Tenor bei einer Begräbnis-Genossenschaftskapelle. Nach dem sechsten Jahre wurde er melancholisch. Er erfand nun eine Bartpomade, von der er sich redlich zu ernähren beabsichtigte. Nach kurzer Zeit fand er indes den Verkehr mit seinen Kunden, die meist sehr energisch ihr Geld von ihm zurückverlangten, zu aufregend und rettete sich mit Verlust der linken Ohrmuschel und der rechten Backenzähne auf ein kleines Theater, wo er tragische Rollen spielte. Da sich aber das Publikum als für seine Kunst unreif erwies, trat er bei einem Schornsteinfeger in Dienst, fiel bereits am zweiten Tage vom Dache, war dann lange Zeit Ehrenbürger eines Hospitals und darauf Staatsrentner. Zu seinem Bedauern ging er auch dieser Würden wieder verlustig, da er genaß, und nachdem er einige Zeit als Hilfsheizer an einem Vulkan fungiert hatte, glaubte er seinen wahren Beruf erkannt zu haben und gründete in Marilkaporta ein Auskunftsbureau, das er »die Lupe« nannte und das über Vermögen, Befähigung und Ruf der Herididasufoturianer, namentlich im negativen Sinne, die detailliertesten Auskünfte erteilte,

»Sie werden diesem Manne eine gewisse Vielseitigkeit nicht absprechen können« sagte Dr. Nein.

Da ich ihm recht geben mußte, engagierte ich Herrn Schnaff.

Unserer nunmehr vollzähligen Redaktion wurde vom Staate ein prächtiger Redaktionspalast zur Verfügung gestellt. Ich allein hatte darin sechs Zimmer zu meinem Gebrauch, außerdem eine Wandelhalle für die lebhafte und eine Wandelhalle für die sentimentale Anregung; die »lebhafte« Halle mit den kostbarsten, farbenfrohesten Gemälden, mit reizenden lauschigen Winkeln, mit Tischlein deck dich und vielen anderen Genüssen, mit denen ich meinen irdischen Kollegen nicht unnötig den Mund wässerig machen will, die »melancholische« eine fensterlose Halle mit rotleuchtenden Pechfackeln, mit einem Sargduft von Firnis und Oleanderbäumen und einem künstlich erzeugten, beständig über den Boden hinstreichenden, kalten Grabeshauch.

Unser Beratungssaal war so groß, daß der Landtag eines Kleinstaates bequem darin Platz gehabt hätte, samt allem Publikum und allen Presseleuten. Für uns vier Männlein war der Saal zu groß und viel zu prächtig, und es geschah meist, wenn wir eine Sitzung darin abhielten, daß uns dann allen vieren rein gar nichts einfiel. Ich glaube überhaupt, daß die großen, prächtigen Beratungssäle oft eine gedankenfeindliche Tendenz haben. Die Musen haben einen Hang zu proletarischem Liebesleben; sie gebären ihre kräftigsten Kindlein gern in kalten Dachkammern.

Drei Tage nacheinander hielten wir Sitzungen ab, auf deren Tagesordnung als einziger Punkt die Beratung des Namens stand, den die neue Zeitung führen sollte, vor dem Redaktionspalast stand immer ein militärischer Doppelposten, der die Bajonette aufpflanzte, »wenn die Herren Beratung hatten«. Es ist peinlich, in so großartig gesicherter Arbeitsruhe nichts zustande zu bringen. Gingen wir nach der Sitzung, wenn wir absolut keinen passenden Namen gefunden hatten, nach Hause, präsentierte die Wache, und ließ uns das Volk, das sich vor dem Palaste gesammelt hatte, in achtungsvollem Schweigen passieren, dann war mir immer ganz jämmerlich zumute.

So rasch als möglich, bog ich in eine stille Nebengasse ein, jedesmal zum großen Verdruß Herrn Schnaffs, der sich durch die militärischen und zivilen Ehrenbezeugungen sehr gehoben fühlte.

Am zweiten Beratungstage stießen wir auf dieser Flucht auf eine seltsame Behausung. Mitten in der Stadtmauer lag ein großer Felsenwürfel, in den eine Tür führte. Der graue Stein war von Efeu übersponnen, rechts und links standen Pinien, oben auf dem Würfel sprang ein Springbrunnen. Über der Tür war eine kleine, durchgehende Öffnung, in der saß eine gelbäugige Eule.

»Was ist das?« fragte ich. »Ist das ein Haus?«

»Ich weiß nicht genau,« sagte Herr von Stimpekrex und wurde rot. »Aber es ist schon möglich.«

»Natürlich, natürlich wird es ein Haus sein,« meinte Dr. Nein, wobei mir seine Aufregung auffiel.

»Ach,« machte Herr Schnaff möglichst unbefangen, »ich hab mal gehört, es sei so eine Art Erfrischungshaus. Es heißt »die kühle Eule«. Wissen Sie, weil es kühl darin ist, und weil eine Eule über der Tür ist.«

»Gehen wir hinein,« entschied ich. Die Herren zögerten, aber ich klopfte an die Tür, die bald von einem häßlichen, verwachsenen Zwerge geöffnet wurde.

Wir kamen in einen Raum, in dem einige Tische und Bänke waren, etwa nach dem Muster unserer Dorfwirtshäuser.

Der Zwerg, der ein sehr durchtriebenes Gesicht hatte, begrüßte meine drei Gefährten mit Namen, was diesen ersichtlich unangenehm war, und sagte dann:

»Weiß schon, was die Herren wollen, weiß schon! Grüne Limonade!«

Und er öffnete eine Falltür im Fußboden und huschte hinab.

Ein peinliches Schweigen griff Platz. Am aufgeregtesten war Stimpekrex. Er hüstelte und sagte:

»Ach ja, ich erinnere mich jetzt, daß ich schon einmal hier war. Daher kennt mich der Kerl. Aber es ist lange her.«

»Ja,« sagte Schnaff, »ja, ich erinnere mich jetzt für meinen Teil auch.«

»Ach was,« schnauzte Dr. Nein, »natürlich war ich schon hier; ich wollte es bloß nicht jedem auf die Nase binden.«

Pause. Um etwas zu sagen, fragte ich:

»Wie heißt denn das schnurrige Männlein?«

»Lillebolle,« knurrte Dr. Nein. »Ein durchtriebener Schuft! Und ein verrückter Kerl! Oben auf seinem Dache hat er einen Teich mit einem Springbrunnen angelegt.«

Da erschien schon der Wirt und stellte uns je einen Humpen auf den Tisch.

»Grüne Limonade,« grinste er und verschwand wieder in seiner Höhle.

»Also auf Ihr Wohl, meine Herrenl«

Keiner tat mir Bescheid. Alle sahen mich gespannt und ängstlich an, während ich trank... trank... mit Wonne trank und bei mir im stillen konstatierte, daß noch nie vorher ein kostbarerer Tropfen »Rüdesheimer« über meine Lippen geflossen sei.

»Wie – wie finden Sie diese Limonade?« stammelte Herr von Stimpekrex.

»Ja, wie schmeckt Ihnen diese »grüne« Limonade?« fragte eifrigst Herr Schnaff.

»Meine Herren,« sagte ich, »ich beteure Ihnen feierlich, daß mir in meinem ganzen Leben noch keine Limonade so gut geschmeckt hat, wie diese »grüne«.«

Da wurden sie fröhlich und tranken auch. Nur Herr von Stimpekrex blieb ein bißchen ängstlich und meinte nach einiger Zeit:

»Es würde sich immerhin empfehlen, die Sache als Redaktionsgeheimnis zu betrachten.«

»Meine Herren,« sagte ich, »es ist selbstverständlich, daß wir uns hier in geheimer, ja höchst geheimer Sitzung befinden, aus der nicht ein Jota verlauten darf.«

Darauf mußte Lillebolle neue Humpen bringen.


Auch am dritten Sitzungstage konnten wir uns über den Namen der neuen Zeitung nicht einigen und gingen daher in gedrückter Stimmung an der salutierenden Wache und der angesammelten Volksmenge vorbei, die nachträglich an unser tiefsinniges Aussehen allerlei Kombinationen geknüpft hat.

Ganz zufällig kamen wir wieder an der »kühlen Eule« vorbei. Es schaute zwar keiner mit einem Blicke hinüber, aber die Schritte aller nahmen ein gemäßigteres Tempo an, als wir uns dem Felsenhäuschen näherten. Da blieb ich stehen und sagte:

»Meine Herren, ich glaube, die große Pracht unseres Beratungssaales verwirrt unseren Geist, und die immerhin beträchtliche Wärme lähmt unsere Phantasie. Dort in der »kühlen Eule« finden wir das, was wir brauchen: Frische und wohltuende Einfachheit. Wenn Sie noch nicht zu ermüdet sind, schlage ich Ihnen vor, unsere abgebrochene Sitzung in der »kühlen Eule« fortzusetzen.«

Ich hatte die Genugtuung, daß sich alle Herren meiner Redaktion opferwillig mit dieser Fortsetzung unserer Beratungen einverstanden erklärten.

Lillebolle, der unschöne, aber allzeit dienstbereite Zwerg erschien und stellte mächtige Humpen grüner Limonade vor uns hin. Nachdem wir uns alle etwas betrunken hatten, begannen wir die Beratung, Lillebolle zog sich allemal schleunigst nach seiner Höhle zurück, störte also nicht.

»Meine Herren,« sagte Dr. Nein, »ein passender Name für unsere Zeitung wird uns wahrscheinlich in dem nächsten Säkulum nicht einfallen, also schlage ich vor, wir heißen die Zeitung: »Die Zeitung«.

Wir begriffen diese Worte nicht gleich. Schnaff kam zuerst hinter ihren Sinn.

»Ach, die Zeitung soll »Die Zeitung« heißen?«

»Jawohl!« sagte Dr. Nein. »Denn erstens, es kann niemand behaupten, daß der Name »Zeitung« für eine Zeitung nicht passe: zweitens, es ist ein leichtfaßlicher und leichtbehaltbarer Name; drittens, er enthält kein bestimmtes Programm, was immer unbequem und unkünstlerisch ist; viertens, er ist diesem ersten aller derartigen Unternehmen wie auf den Leib geschrieben, da es die Urzeitung, die Zeitung aller Zeitungen sein wird; fünftens, etwas Besseres wissen wir nicht.«

Die Wucht dieser Gründe, namentlich aber des letzten, bestimmte uns, Dr. Neins Vorschlag einstimmig anzunehmen, worauf wir unsere Humpen leerten, um mit einer neuen Blume »Die Zeitung« leben zu lassen. Darauf traten wir gleich in die Beratung der ersten Nummer ein. Ich als Chef der Redaktion hatte vor, zuerst das Wort zu ergreifen, sah aber bald ein, daß das durchaus nicht in der Absicht der übrigen Redakteure lag. Herr Schnaff begann zuerst zu reden.

Er meinte, die erste Nummer müsse phänomenal gestaltet werden. Sie müsse wertvoller sein, als alle elf anderen Nummern zusammen genommen. Denn von der ersten Nummer hänge der Abonnentenfang ab. Es sei mit den Zeitungen so wie mit den Schaubuden auf den Jahrmärkten: lediglich auf das Portal komme es an. Was in der Bude selbst sei, könne dem Besitzer ganz gleichgültig sein, denn das liege doch jenseits der Kasse.

»Prospekt, meine Herren, Prospekt! Das ist die ganze Hauptsache!«

Nach dieser Rede hieß Dr. Nein Herrn Schnaff einen »Schmiersack« und verband sich mit uns anderen beiden zu der soliden, wenn auch rückständigen Geschäftspraxis, in der ersten Nummer keineswegs mehr zu versprechen, als wir in den folgenden halten könnten. Herr Schnaff faltete ob solcher Geschäftsignoranz betrübt die Hände über seinem dünnen Bauche, ergriff aber gleich wieder das Wort.

Zunächst müsse ein fulminanter Bericht über die Neujahrs-Gratulationscour bei Hofe steigen, sagte er. Das mache einen sehr anständigen, patriotischen Eindruck und sei das Interessanteste für arm und reich. Er sei erbötig, diesen Bericht selbst zu schreiben. Er sei zwar nicht bei dem Feste gewesen, aber eben darum sehr unbefangen, und er habe sich seinerzeit in der gräflichen Familie gewisse Formen allerfeinsten Tones angewöhnt, die er nun verwerten wolle. Sodann schlage er eine politische Rundschau vor, die am besten auch er selbst –

Bei dieser Stelle goß Dr. Nein Herrn Schnaff einen Humpen Limonade ins Gesicht.

»Halten Sie das Maul, Sie Esel! Wollen Sie ewig reden?« schrie der jähzornige Mann, zitternd vor Wut.

Herr Schnaff nieste.

»Oder ist in Ihrem verbrannten Hilfsheizergehirn, in Ihrem verunglückten Schornsteinfegerschädel je eine blasse Ahnung von Politik gewesen?«

Herr Schnaff nieste sehr heftig.

»Meint so ein invalider Spitalgreis, wir werden uns solchen Blödsinn anhören? In einer ernsten Sitzung? Wir werden ihn über Politik reden lassen?«

Herr Schnaff machte einen Versuch zu reden, schnappte aber nur erfolglos mit dem Munde, denn er hatte sich verschluckt.

»Hat die Welt je schon so einm Frechling gesehen, hat die Welt – hat die Welt – ooh, meine Herren, wenn ich jetzt im Parlament wäre, würde ich sehr grob werden – sehr grob!«

Mit feuerrotem Gesicht setzte sich Dr.Nein. Schnaff hatte sich inzwischen so weit erholt, daß er wieder reden konnte.

»Mir ist – Limo – Limonade in die Na – Nase gekommen. EZ ist gar nicht schön von Ihnen – Herr Kolle – denn die politische Rundschau würde ich – uoohaahziehuuah –«

»Die politische Rundschau muß ein Politiker schreiben,« sagte Herr von Stimpekrex. »Als politischer Redakteur bin ich eingetreten, und ich würde natürlich nicht dulden, daß mir jemand in mein Ressort pfusche. Die politische Rundschau muß ein Mann schreiben, der das Vertrauen des Hofes hat.«

Dr. Nein fuhr auf.

»Nein, der das Vertrauen des Volkes hat!«

»Wir wollen keine Philisterpolitik!«

»Wir brauchen kein Höflingsgegirr!«

»Die Weisheit sitzt auf keiner schmierigen Kannegießerbank!«

»Aber sie fährt auch nicht spazieren auf den Schleppen der Hofdamen.«

»Mein Herr, ich zweifle an Ihrer Königstreue!«

»Mein Herr, ich zweifle an Ihrer Liebe zum Volk!«

»Uoahziehuuh!«

»Gestatten Sie!«

Ich hatte mich erhoben. Alle sahen mich erstaunt an.

»Meine Herren, es hat keinen Zweck, über solche Dinge zu streiten. Die entscheidet allein der Chef, und der Chef bin ich!«

»Uuaahziehuuh! Burr! Schschsch! Pff! Kff! Psch!«

»Was Sie sagen!«

»Der Chef sind Sie?«

»Jawohl! Und ich ersuche Sie sehr, meine Herren, das doch ja nie zu vergessen. Wir wollen uns bemühen, unsere Beratungen ohne alle Aufregung und alle Apostrophe zu halten; auch bitte ich Sie freundlichst, sich stets bei mir zum Worte zu melden, ehe Sie bei unseren Konferenzen zu reden anfangen.«

Eine kleine Pause entstand. Herr von Stimpekrez war blaß geworden.

»Und was würden Sie tun, Herr Chefredakteur, wenn ich mich diesen Anordnungen nicht fügte?«

»Dann würde das Ihre Entlassung aus der Redaktion bedeuten, verehrter Herr Leutnant.«

Er sah mich an und ich blickte ihm freundlich, aber fest in die Augen.

»Und wenn ich nicht ginge? wenn es mir auch nicht nahegelegt würde, zu gehen? Was dann?«

»Dann ginge ich!«

»Aah – dann gingen Sie? Zurück auf die Erde?«

»Ohne das Geld – ja! In der nächsten Stunde! Ohne Zaudern und ohne Bedauern!«

»Sie dürfen versichert sein, daß ich mich Ihnen gern und willig fügen werde!«

»Ich auch!« rief Dr. Nein. »Das ist selbstverständlich! Ordnung muß sein! Ich kann bloß nicht leiden, wenn hier ein solcher – ein solcher Ton einreißt!«

Schnaff putzte sich energisch die Nase.

»Also könnte ich ja jetzt – – ja jetzt fortfahren! Die politische Rundschau –«

»Er hat ja gar nicht das Wort!«

»Nein, das Kamel hat es nicht!«

»Er schimpft, Herr Chef, er apostrophiert nicht!«

»Aber er hat doch nicht ohne das Wort zu reden zum Schockdonnerwetter, er hat doch das Maul zu halten, wenn er –«

»Silentium!«

»Ich bin kein Kamel! Die politische Rundschau –«

»Donnerschlag, er spricht schon wieder –«

»Aber meine Herren –«

»So mög er doch die Klappe zumachen –«

»Die politische –«

»Das ist ja gegen allen Anstand –«

»Aber meine Herren, meine Herren!«

»Die politi – uo – aah – zieh –«

Schrrrrr!

Schreien, Gekreisch! Wir fahren auf, die Humpen fliegen um, die Stühle, der Tisch, wir fliehen – Ein Wasserbad, ein Wolkenbruch, eine Überschwemmung, eine eiskalte Sündflut rauscht auf uns herab. Es regnet, regnet, regnet!

Wir triefen, wir zittern vor Frost, schreien, rufen, blicken entsetzt um uns. Wasser! Wasser! Wasser!

Was ist? Was geschieht? Was ist los?

In jeder Ecke klebt einer, kauert sich zusammen, und der Regen rauscht, das Wasser rinnt, die Füße stehen in tiefen Lachen.

Was ist denn? Ist die Hölle los? Ein teuflisches Gekreisch tönt von der Tür her. Die Eule! Und es regnet weiter, regnet immer weiter.

Dr. Nein fuchtelt wie rasend mit den Armen, Schnaff hat einen Erstickungsanfall, Stimpekrex jammert.

»Wo ist die Tür? Die Tür? –«

Da läßt mit einem Schlage der Regen nach. Nur einzelne große Tropfen fallen noch hernieder. – –

Wir atmeten auf, der Teufelsspuk war vorbei. Schnaff fand zuerst die Sprache wieder.

»Ich werde – werde gewiß – einen furchtbaren Schnupf –«

Das andere verlor sich in einem Krampfhusten.

Wir drei anderen standen betreten und stumm da. Das Wasser lief uns in Strömen vom Körper.

»Was war das?« fragte ich endlich, »das war ja furchtbar!«

Stimpekrex zuckte die Schultern und betrachtete betrübt seine verdorbene Toilette.

»Man soll nicht in Lokalen unter seinem Stande verkehren,« sagte er. »Der Teich auf dem Dache wird defekt sein.«

Dr. Nein stürzte nach der Versenkung.

»Lillebolle, du elender Kerl, komm herauf, wir ersaufen hier oben!«

Keine Antwort.

»Lillebolle, wenn du nicht antwortest, schlag ich deine Fuchshöhle kurz und klein.«

Schweigen.

»Lillebolle, dein Teich ist kaput! Lillebolle, so sag wenigstens, ob du etwa da unten schon ersoffen bist.«

Da tönte die Stimme des Zwerges aus der Tiefe.

»Wenn meine Gäste bei der grünen Limonade zu viel Lärm machen, zieh ich eine Schleuse. Jetzt ist die Schleuse zu, aber nun merkt's Euch!«

Da setzte sich Dr. Nein platt auf die Versenkung.

»Eine Schleuse! O, du kühle Eule!«

»Wenn ich bloß wüßte, wie ich in meinem Anzug nach Hause kommen soll.«

»Mir ist es wieder in die Na – Na – Pff! Krrr!«

Betrübt standen alle im Kreise. Da erfüllte ich meine Pflicht als Chef.

»Meine Herren, ich schließe die Sitzung!«


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