Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Im Märchenwalde.

Ich verzichtete darauf, eine neue Redaktionssitzung anzuberaumen. Ich beauftragte Herrn von Stimpekrex schriftlich, eine politische Umschau binnen vier Tagen auszuarbeiten und mir einzureichen; Dr. Nein würde alsdann den Auftrag von mir erhalten, über dieselben Dinge zu schreiben. Beide Artikel würden veröffentlicht werden. Der Leser möge sich dann aus Meinung und Gegenmeinung die eigne Meinung bilden.

Beide Redakteure protestierten heftig gegen eine solch unerhörte Praxis. Sie meinten auf eine eigne Meinung der Leser zu rechnen, sei eine wilde Spekulation. Ich beachtete aber diese Proteste nicht. Herrn von Stimpekrex antwortete ich nur, daß er nunmehr seinen Artikel schon binnen drei Tagen zu liefern hätte; Herrn Dr. Nein, in dessen Brief eine Injurie enthalten war, schrieb ich, er möchte freiwillig tausend Mark Geldstrafe in die »Hilfskasse für unbemittelte Schriftsteller« legen, wenn er nicht sehr unliebsame Erfahrungen machen wolle. Tausend Mark waren eine sehr bescheidene Summe, denn ein Mehrfaches davon erhalten in Herididasufoturanien die Parlamentarier an täglichen Diäten.

Am nächsten Tage schickte mir Dr. Nein eine offene Karte, auf der er schrieb, er habe die tausend Mark zwar bezahlt, aber es sei eine »Schweinerei« usw.

Wenn ich nun auch einsah, daß ein Mann, der jahrhundertelang Parlamentarier war, notwendig in seinem Stil verwildern mußte, so fand ich es doch für unerläßlich, meine Selbstherllichkeit wie einen ehernen Felsen zu befestigen, und gab also Herrn Dr. Nein die Weisung, zu den ersten tausend Mark noch weitere fünftausend hinzuzulegen. Darauf schrieb er, die Korrespondenz mit mir sei ihm auf die Dauer zu teuer, weswegen er vorläufig seine Proteste einstelle.

Schnaff beauftragte ich, für einige Spalten »Lokales« zu sorgen; ich selbst übernahm den belletristischen Teil.

Es war an einem Nachmittag, als ich nachdenklich die Straßen von Marilkaporta entlang schlenderte. Ich hatte Sorgen. Nicht, daß es mir meine Mitredakteure schwer machten – ich hoffte, mit ihnen schon fertig zu werden–, aber ich wußte nicht, wie ich die literarischen Aufgaben, die mir selbst zufielen, am besten lösen solle. Ich sollte Erzählungen, vielleicht gar einen Roman schreiben über Wesen, die mir fremd waren, über ein Land, das ich so wenig kannte.

Jenseits der Tore der Stadt kam ich in einen herrlichen Wald. Riesige Bäume mit wildverworrenem Geäst spannten ein Dach über mich. In ihren Zweigen wohnten seltsame Vögel; in ihren hohlen Stämmen hausten Tiere, die ich nicht kannte. Herzförmige Blätter wuchsen aus der Erde; ganz frei standen sie, und mitten aus den grünen Herzen sproßten rote Blüten. Große, rätseläugige Blumen träumten zwischen verwittertem Gestein, und die Bäche und Quellen waren alle buntfarbig. Es war ein Wald der Furcht und Freude: viel Schauriges viel Geheimnisse, viel Herrlichkeit, verträumte Weiher und versteckte Einsiedeleien, zerfallene Hexenhäuslein und graue Burgtrümmer. Felsenhöhlen und schmale, wilde Räubersteige, leise surrende Mühlen und rotleuchtende Waldschmiedefeuer. Dort, wo die Nebel im Tal zwischen den Bäumen aufstiegen, kochten die Waldweiber ihr Mahl, Unter den großen Pilzen saßen kleine Elfenkinder, auf einer Wiese hütete ein Knabe eine Herde weißer, rotäugiger Mäuse. Den Schlangenkönig sah ich thronen auf einem rubinroten Stein. Ganz kleine Wasserkobolde badeten in den Bächen; sie ritten auf den Fischen und fürchteten sich vor den Fröschen; sie segelten auf abgefallenen, großen Laubblättern und warfen sich mit Sandkörnchen. Und im Märchenwalde fand ich auch die, die ich vom deutschen Walde her kenne: die Sehnsucht und die Stille. Die Sehnsucht, die am Baume lehnt und die kein Wunder um sich sieht, kein Glück, keine Schönheit, die blind ist für alle Nähe und nur immer zur Ferne schaut, immer zur Ferne ...

Die Stille, die heilige Stille, die Gnadenreiche, die Freundliche, die Wundertäterin, dort im armen, grünen Winkel sitzt sie auf der Moosbank unter dem windbrüchigen Wegweiser.

O, ich kenne dich wohl, heilige Stille! Ich bin zu dir geflohen, wenn ich am ärmsten, verlassensten war, wenn ich krank war, wenn ich schuldig war, wenn ich ganz müde war. Vor dir hab' ich gekniet, mein Haupt in deinem Schoße geborgen, du Mütterliche, du Heilerin, und wenn ich aufstand, sah ich dir ins Auge und lächelte.

Laß mich auch jetzt bei dir sitzen am alten Wegweiser im Märchenwald, schlag' deinen grünen Mantel über mich, leg' deine weichen Hände auf meine lautmüden Sinne, laß mich auf ein paar Augenblicke alles vergessen!

Nichts wissen! Wie ein gesunder, satter Säugling glücklich sein, der nichts weiß, der nichts wünscht, den nichts reut, der bloß ist.

An dieser Urquelle unseres Seins, unserer ersten Kindheit Kraft schöpfen.

Heilige, gnadenreiche Stille! –

Aber du närrischer, alter Wegweiser im Märchenwald, du bist ein schlechter Gesell! Du zeigst fort von hier. Du zeigst in die Ferne. Was stehst du da und schielst in die Weite?

O, ich weiß ja: Wegweiser hat die Sehnsucht aufgerichtet.

Drohe mir nicht mit deinem lahmen Arm! Ich kenne dich schon, ich kenne mich. Ich weiß, die Stille ist aufgestanden hinter mir und davongegangen, und nun lehnt wieder die Sehnsucht an dir, die dich gezimmert hat, und blickt auf mich mit ihren heißen Augen.

Ich weiß das. denn ich höre wieder. Ich höre längst das feine Silbergeläut, das vom Berge herabkommt, und ich möchte wissen, was es bedeutet. –

So war es, dann zerriß der Zauber, denn es kamen andere. Aber es war ein glücklicher Tag, es kam eine neue Schönheit.

Ein glänzender Wagen fuhr die grüne Straße entlang, sechs weiße Hirsche zogen ihn. Neben dem Wagen ritt auf einem braunen Hirsch der Prinz Juvento. In dem Wagen saßen die Prinzessin Goldina und Angelika.

»Da – der Mensch!«

»Der Doktor!«

Der Wagen hielt. Ich nahm meine blaue Mütze vom Kopf und verneigte mich tief.

»Ist der Dichter ausgezogen, um die Poesie zu suchen?«

»Ja, und er ist ihr begegnet!«

»Sie sind ein sehr artiger Herr! Wollen Sie mir aus dem Wagen helfen? Ich möchte gern ein Stück spazieren gehen, und sie sollen mir dabei erzählen, was Sie alles in das neue Blatt schreiben werden; ich bin so neugierig darauf.«

Ich reichte dem lieblichen Königskinde die Hand, und sie hüpfte aus dem Wagen, nach ihr kam Angelika. Die war in ein weißes, duftiges Gewand gehüllt, und als ich ihr die Hand reichte, war es mir, als sei vom Berge herunter zu mir das Glück gekommen.

Auch der Erbprinz begrüßte mich. Es gefielen mir an ihm wieder seine lachenden, herzlichen Augen. Die Dienerschaft zog mit dem Gefährt und dem Reittier langsam voraus.

»Zu Dr. Schnugu!« las der Erbprinz von dem Wegweiser ab. »Wer ist das? Es ist ein sehr kurioser Name.«

»Und auch ein sehr kurioser Mann. Er ist Waldarzt; aber wenn bei Hofe jemand etwas fehlt, dann muß er bestimmt kommen, denn er ist einer der klügsten Männer im ganzen Reich.«

»Wir wollen ihn besuchen,« lachte der Erbprinz.

»O nein,« sagte die Prinzessin ernsthaft; »Wer ihn besucht, ohne krank zu sein, den jagt er fort.«

»Aber doch nicht uns?«

»Ich fürchte, auch uns.«

»Das ist köstlich! Ich besuche ihn bestimmt! Natürlich ein andermal! He, Professor, Sie müssen mich begleiten!«

»Ich kenne ihn schon! Er erwartet von mir, daß ich das Volk in der Zeitung über gesundheitliche Fragen aufklären werde.«

»Da haben wir's! Wir wollen Rücksprache mit ihm über die Zeitungsartitel nehmen. Also kann er uns doch dann nicht hinauswerfen.«

Wir gingen den grünen Waldweg entlang. Ich fragte Angelika, wie es ihr gehe. Sie sagte, daß sie gehalten werde wie eine Schwester der Prinzessin. Ab«r sie war blaß.

»Haben Sie Heimweh?« fragte ich leise.

Es zuckte leicht um ihren Mund.

Die Prinzessin hatte die Frage aufgefangen und sah überrascht auf Angelika. Da schüttelte diese lächelnd den Kopf.

»O nein, – das heißt, manchmal ein wenig, – in der ersten Zeit, – es ist mir alles so fremd, – aber jetzt gar nicht, – aber jetzt gar nicht –«

Goldina schlang den Arm um sie.

»Nicht traurig sein, Herzchen! wir werden jetzt öfter den Herrn Professor bitten, uns zu besuchen. Dann können Sie mit ihm sprechen, von Ihrem Land und von den Menschen. Da wird's besser sein, nicht wahr?«

Ich küßte dem guten Königskinde dankbar die Hand.

»Und nun wollen wir lustig sein! Sehr, sehr lustig! O, aber was ist das?« –

Eine Horde wild und verwegen aussehender Burschen sprang plötzlich aus dem Walde, mit Knüppeln, Dolchen, Lanzen und Flinten bewaffnet.

»Halt! Still stehen! Das Geld her, oder –«

Räuber! wir waren angefallen. Ein Schreck durchzuckte mich jäh. Unwillkürlich legte ich den Arm schützend um Angelika. Der Erbprinz sprang vor Goldina und zog seinen Degen; ich war leider ohne alle Waffe. Ein furchtbar aussehender, verwilderter Kerl, einäugig und rothaarig, trat aus der Gruppe.

»Geld her, sag' ich! Nicht gefackelt oder –«

»Zurück, Kerl! Keinen Schritt –«

»Oho, feines Püppchen –«

Der Erbprinz erhob seinen Degen, der Kerl seine Keule. Die Rotte drängte heran, Angelika weinte.

Da geschah etwas Unerhörtes. Die Prinzessin sprang plötzlich vor den Räuber und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Aber Brumbu, dummer Kerl, kennst du mich nicht? Siehst du nicht, daß wir von Hofe sind? Wie kannst du dich unterstehen, uns anzufallen?«

Der Kerl erbleichte, ließ seine Keule sinken und fiel auf die Knie.

»Brumbu, du bist ja ein schlechter Patron!«

»Verzeiht, verzeiht, gnädigste Prinzessin,« stammelte der Räuber, »ich hab es nicht gewußt, ich habe bloß die anderen drei gesehen, die ich nicht kannte.«

»Schäm dich, Brumbu! – Du hast keine guten Augen mehr, wie kannst du solche Bockstreiche machen? Siehst du nicht, wie sich das liebe Kind da vor dir fürchtet? Diesmal mag dir's noch so hingehen. Andermal pass' besser auf! Da hast du was, und packe dich jetzt!«

Sie gab dem Räuber eine leichte Ohrfeige, der ihr dafür den Saum des Kleides küßte, alsdann seine Keule unter den Arm quetschte und mit seinen ebenso erschrockenen Gefährten gesenkten Hauptes von dannen schlich.

Ich war maßlos überrascht.

»Was war das?« fragte ich fassungslos. »Waren denn das wirkliche Räuber?«

»Gewiß,« antwortete Goldina, »sogar unsere gefährlichsten, Brumbu, der Schrecken der Wälder, mit seiner Schar. Aber sehen Sie, jemand von Hofe anzufallen, dazu hat er keine Konzession.«

»Hat er,– hat er denn überhaupt eine Konzession, Leute anzufallen?«

»Aber gewiß! Er ist konzessionierter Staatsräuber. Bloß armen Leuten und dem Hof darf er nichts tun. Das geht über seine Befugnisse.«

»Und die anderen Leute?«

»Die raubt er aus, wenn sie sich's gefallen lassen. Aber meist lassen sie sich's nicht gefallen. Er ist oft schrecklich zerschunden. Er hat ein schweres Brot, der arme Mann.«

»Aber die Polizei! Die Gesetze!«

»O, wenn er sich erwischen läßt, wird er eingesperrt. Sonst würde ja alles nur Spielerei und gar keine Ordnung sein. Man läßt ihn aber immer wieder ausbrechen.«

»Läßt ihn ausbrechen? Aber wozu denn – wozu denn das alles?«

Sie sah mich erstaunt an.

»Ja, wir müssen doch Räuber haben! Einen Wald ohne Räuber, so etwas können wir uns gar nicht denken. Das wäre entsetzlich langweilig! Das werden Sie einsehen!«

«O ja, ich sah es ein, und als ich ernstlich darüber nachdachte, fand ich, wie so vieles andere in Herididasufoturanien, auch diese Einrichtung nicht kindisch.

Naives Volk braucht Räuber in seine Wälder, und es ist besser, daß es manchmal ausgeplündert werde, als daß es sich langweile.

»O Prinzessin, es ist so vieles anders in Ihrem Lande als bei uns, daß ich ganz verzage, den Leuten etwas bieten zu können, was sie interessiert.«

»Das dürfen Sie nicht glauben! Wenn Sie wissen wollen, was unser Volk interessiert, dann brauchen Sie nur zum Geschichtenerzähler zu gehen, zu unserem Köhler.– O, es ist noch zeitig, wir wollen alle zum Köhler gehen, er wohnt gar nicht weit.«

Wir schlugen nach einiger Zeit einen Seitenpfad ein. Der Erbprinz ging mit Goldina voraus, ich folgte mit Angelika, wir plauderten miteinander, und mitten im Märchenwald war mir das seligste Wunder die Nähe eines menschlichen Herzens.

Ein Weiler tauchte auf. Wir hatten schon lange die weißgraue Rauchlinie über die Baumkronen emporsteigen sehen. Eine Menge wunderlichsten Volks hockte um das schwelende Feuer. Waldweiblein mit ihren Kindern, Erdmänner und Waldkobolde, Nymphen und Hexen, Arbeiter in groben Kitteln, auch feines Volk aus der Stadt. Der Köhler saß auf einem Holzstoß, ließ die Beine, die von langen Bändern umwunden waren, herabbaumeln und rauchte aus einer Stummelpfeife.

Er erzählte. Wir suchten uns leise und unauffällig einen Platz unter der Zuhörerschar. Die Damen setzten sich auf zwei Baumstümpfe, der Erbprinz und ich legten uns zu ihren Füßen ins Gras.

Der Köhler erzählte von einem fernen, wilden Gebirge auf dem Boden des Meeres. Ein Bergvölklein haust dort. Es hat kleine Flossen an den Füßen und kann ebensogut schwimmen, als laufen und klettern. Das kristallhelle Meer umgibt wie klare, stille Luft ihre Hütten. Manchmal aber, wenn droben der Sturm haust, wird auch das Wasser am Meeresgrund unruhig, dann stürzen die Häuser ein, das Meervölklein flüchtet sich auf die Tange und wird grausig hin- und hergeschüttelt, und von den Wasserpflanzen regnen die Bernsteinstücke wie in anderen Ländern im Herbst von den Bäumen die reifen Äpfel.

»Das ist langweilig!« sagte ein Waldweiblein und gähnte.

»Was anderes!« schrie ein grober Waldschrat. Die ganze Menge stimmte ihm bei.

»Was anderes! Was anderes!«

Der Köhler spuckte von seinem Holzstoß herunter und machte ein unzufriedenes Gesicht. Aber es war doch, als ob es in seinen klugen Augen schalkhaft blitze.

»Also was anderes! – Ich bin auf meinen weiten Reisen auch einmal in die wunderbare Stadt Vineta gekommen, die Stadt, die untergegangen ist und nun auf dem Grund des Meeres steht. Von weitem schon hörte ich ihre silbernen Glocken.«

»Nichts von Vineta!«

»Nein, gar nichts von Vineta! Das ist langweilig!«

»So will ich Euch erzählen, wie ich in meinem feuerfesten Anzug in den Krater des Vulkans gekrochen bin bis zu den Feuerteufeln.«

»Die Feuerleufel sind schrecklich langweilig!«

»O, sie sind zum einschlafen langweilig!«

»Von den Menschen sollst du erzählen!«

»Von den Menschen! Von den Menschen! Jawohl! Jawohl, von den Menschen!«

Alle waren ganz aufgeregt, am meisten die Weiber. Der Köhler hatte ein weises, stilles Lächeln im Gesicht.

»Von den Menschen!« sagte er langsam. »Wohl! von dem, was Euch am allerfernsten, was Euch am allerfremdesten ist. Ich war dreimal bei den Menschen, denn der König hat es mir erlaubt. Hört also zu!«

»Es wurde einmal ein Mensch geboren, der war schon bei der Geburt größer, als ich jetzt bin.«

Ein Schrei der Überraschung. Namentlich die Weiber quiekten, schlugen mit den Armen, schüttelten sich vor Lachen, konnten sich gar nicht fassen und behaupteten, sowas sei ganz unmöglich.

»Jahwohl! Dieser Mensch hatte, als er noch nicht ein Jahr alt war, eine Spielklapper, die größer und dicker war, als dieses Holzscheit, und als er zwei Jahre alt war, konnte er ganz allein laufen.«

»Er lügt! Er lügt! Wahrhaftig, er lügt greulich!«

»Aber er lügt schön! Laßt ihn, es ist eben so eine Fabel!«

»Weiter, Köhler, weiter!«

»Als der Mensch sechs Jahre alt war, war er dreimal so groß als ich und lernte lesen und schreiben.«

Die ganze Gesellschaft platzte wieder in Lachen aus, aber ein alter Mann, dem vor Lachen die Tränen über die Wangen liefen, winkte Schweigen.

»Natürlich mußte er viel essen. Er aß eine Menge Knödel, die dreimal so groß sind als unsere Köpfe, und verschlang soviel Suppe, als ein starker Mann bei uns in zwei Kannen fortschleppen kann.«

Der Waldschrat tat einen Luftsprung, die Weiblein quietschten vor Gelächter, die Knaben schlugen Räder, und dem alten Manne tropfte vor Erschütterung die Nase.

»Er hatte einen Dachshund, der war so groß wie unsere Stiere und so lang wie unsere Krokodile, er hatte einen Rachen wie unsere Flußpferde, Ohren so groß wie unsere Fensterläden und einen Schwanz wie unsere Glockenseile. Mit diesem Ungeheuer spielte der Menschenknabe, und wenn er ihn satt hatte, ergriff er ihn mit einer Hand und sperrte ihn in ein großes Hundehaus.«

»Mit einer Hand – mit einer Hand – oh, mit einer Hand!«

»Er schwindelt – aber er schwindelt herrlich!«

»Ich muß mich – ich muß mich drücken,« sagte der alte Mann und schlich beiseite.

»Er lernte Bücher aus, von denen war manches so groß wie unsere Kleiderschränke, er schleppte diese Bücher auf seinem Rücken die Straße entlang nach der Schule, und auf dem Heimwege suchte er sich einen Knüppel, der so hoch war wie unsere Schiffsmasten, und prügelte seine Kameraden damit.«

»Oh, oh, sie waren tot!«

»Sie waren erschlagen!«

»Ach nein! Sie prügelten ihn wieder. Auch mit solchen Baumstämmen! Und wenn er dann nach Hause kam, mußte er eine Schüssel leeressen, die so groß und tief war wie ein kleiner Teich.«

Ein Waldweiblein unterbrach schreiend den Erzähler.

Ihr Junge hatte die Maulsperre bekommen. Sie erhob ein großes Geschrei über solch gefährliche Geschichten und verschwand mit ihrem sperrmäuligen Sprößling eiligst in der Richtung auf Dr. Schnugu zu.

»Weiter, Köhler, weiter!«

»Mit zwanzig Jahren hatte der Mensch eine Liebste!«

Ein wieherndes Gelächter ließ den Wald erbeben. Die Weiber sprangen auf, fielen einander um den Hals, lachten, schrien, tanzten, während der Waldschrat rücklings von seiner Sitzgelegenheit gepurzelt war und die Beine hilflos in die Luft streckte.

Diese maßlose Heiterkeit durchbrach eine kreischende Weiberstimme:

»Köhler! Köhler! Komm nach Hause! Deine Frau hat einen kleinen Sohn bekommen!«

Mit einem Satz war der Köhler von seinem Holzstoß herunter, durchbrach die Reihen der Weiber, trat in der Eile dem liegenden Waldschrat auf die Nase und stürzte davon. Die ganze Gesellschaft aber lachte, schrie, tobte und tanzte durcheinander.

Ein freudiges Ereignis in Herididasufoturanien , das interessierte auch mich lebhaft. Ich machte mich mit einer Frau bekannt, die abseits der erregten Gruppe stand.

»Sie haben auch Kinder, liebe Frau?«

»Aber gewiß! Drei! Die zwei dort gehören mir; die kleinste ist erst 120 Jahre, da kann man sie noch nicht gut mitnehmen. Sie ist zu Hause.«

»Die Kinder entwickeln sich sehr langsam?«

Sie lachte.

»Ja, was heißt langsam! Mit zwei Jahren laufen und mit zwanzig Jahren eine Liebste haben, so etwas gibt's bei uns nicht. Nein, so etwas gibt es wirklich nicht!«

Sie lachte so herzlich, daß ihr die Augen übergingen.

»Wollen Sie mir erzählen, wie sich die Kinder entwickeln, gute Frau? Ich habe das noch nicht erlebt, denn ich bin fremd hier.«

»Ja, wie's halt so geht! Es geht rasch genug. Die ersten drei, vier Jahre schlafen sie ja, dann kommen fünf, sechs Schreijahre, dann kommt wieder eine ruhigere Zeit. Mit fünfzehn Jahren ungefähr setzen die Zähne ein, da gibt's nichts zu lachen. Aber was ist das! Mit fünfundzwanzig Jahren konnte meine Kleine schon allein sitzen, und mit sechsunddreißig ist sie gelaufen. Jungens sind ja etwas tapsiger und entwickeln sich langsamer. Aber mein Ältester hat doch schon mit fünfundvierzig Jahren und sieben Wochen das erstemal »Mama« gesagt. Mit fünfzig Jahren war ich immer über das Gröbste weg. Ich habe Glück mit meinen Kindern. Und es war auch gut. Denn der Älteste war kaum siebenundfünfzig, da kam schon der zweite. Aber es ist halt doch eine Freude und ein Segen, lieber Herr!«

Ich dankte der Frau und dachte bei mir:

»Du lieber Gott, einer echten Mutterliebe ist auch ein fünfzigjähriges Opferleben noch eine Freude und ein Segen. Das ist bei uns nicht viel anders!«


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