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XVII.

Es gab eine Menge Neuigkeiten.

Frau Trud hatte einem Mädchen das Leben geschenkt.

Kapelli erzählt es eben Ginstermann. Er saß auf der Bettkante bei ihm und rauchte seine Zigarre.

»Heute morgen um fünf Uhr«, sagte er und alle Vokale funkelten. »Es ist ein Prachtwesen!«

Er hatte die Blicke auf eine Skizze an der Wand gerichtet, und Ginstermann sah es ihm an, daß er Mühe hatte, sein Glück zu ertragen. Während der ganzen Nacht war er wohl in seinem Atelier auf und ab gegangen, zusammenschreckend bei jedem Geräusch, jedem Schrei im Nebenzimmer, bebend vor Angst, vielleicht hatte er auch ein wenig gebetet. Nun war er erlöst und glücklich. In seinen Augen glänzte die Freude. Ein neuer Lebenstag begann für ihn, über dem nicht mehr die beunruhigenden Schatten der letzten Zeit schwebten.

Ginstermann nahm an seinem Glück teil, denn sowohl Kapelli als Frau Trud hatte er sehr gern, im Innersten seines Herzens aber nagte ein Gefühl, das er nicht die Aufrichtigkeit besaß, Neid zu nennen.

Es gab noch manches andere.

Kapelli stand der Auftrag zu einem Brunnen in Aussicht. Wenn er ihn bekam – er rechnete bestimmt darauf – so hatte er Beschäftigung auf ein Jahr – da wollte er sich in der Nähe der Stadt ein Atelier mieten. So etwas wie ein Haus im Freien, Bäume herum, ein Garten, in dem Frau Trud das »Schnuckerl« spazieren fahren konnte, meinte er.

Maler Ritt hatte auf sein letztes Bild hin eine Professur erhalten. Er feierte seit fünf Tagen ein Fest in seinem Studio drunten und hatte Tag und Nacht ein Rudel Herren und Damen zu Gaste. Mit einer Ziehharmonika machten sie Musik, alle Anwesenden waren als Zigeuner kostümiert, und man konnte nicht zum Hause hinausgehen, ohne über einen im Flur liegenden Bezechten hinwegsteigen zu müssen.

»Was aber sagen Sie zur Sacken, Ginstermann?«

Fräulein von Sacken war in allen Besprechungen ganz hervorragend gelobt worden.

Unsere neueste Entdeckung heißt Sacken, schrieben sie. Und: Man sah nur selten Fische so gemalt. Großes ist von dieser Künstlerin zu erwarten.

»Es ist ihr zu gönnen, selbstverständlich. Nun ja, Ritt hat ihr ein bißchen geholfen, aber das geht uns nichts an«, meinte Kapelli.

Ginstermann kleidete sich an, um Frau Trud persönlich zu beglückwünschen. Auf der Treppe begegnete ihm Fräulein von Sacken. Sie trug wie sonst ein schwarzes Kleid, das die Fahlheit ihres leicht schwammigen Gesichtes erhöhte. In ihren Augen wohnte der alte, unnennbare Kummer, und erst als Ginstermann ihr die Hand zur Gratulation schüttelte, leuchtete helle Freude darinnen auf, von der man übrigens nicht wußte, ob sie echt oder gemacht war. Sie ließ ihn nicht vorüber, ohne daß er die Rezensionen gelesen hatte.

»Jetzt können Sie ruhig sterben,« scherzte er, indem er ihr nochmals die Hand drückte.

»Ja«, entgegnete sie und blickte zu Boden, als suche sie irgend etwas; »besondere Genugtuung bereitet es mir, meinen Angehörigen den Beweis erbringen zu können, daß ihr Spott ungerecht war.«

Sie blickte auf, und der Haß flackerte noch in ihren Augen. Ginstermann hätte nie und nimmer solch wilden Stolz und elementare Leidenschaft in diesem bescheidenen, schwermütigen Weibe vermutet.

Sie lächelte und sagte: »Sie wissen ja, daß mich Herr Ritt bei der Arbeit unterstützte.«

Auf ein paar Pinselstriche käme es nicht an.

»Ich habe meinen Lehrer für heute abend eingeladen. Wollen Sie mir nicht auch das Vergnügen schenken, Herr Ginstermann?«

Er müsse leider aus Gesundheitsrücksichten ablehnen.

»Nicht? – Sie sehen nicht gut aus, in der Tat. Ihr Gesicht ist noch um etwas schmäler und blässer geworden.« »O, und graue Haare haben Sie auch bekommen, eine ganze Menge«, setzte sie lächelnd dazu. –

Frau Trud war vergnügt und zu Scherzen aufgelegt wie sonst. Aber es schien, als ob sie nur lache und scherze, um ihre Ergriffenheit dahinter zu verbergen. Sie war außerordentlich blaß und geschwächt, und oft sprach sie so leise, daß man sie nicht mehr verstand. Kapelli mußte sie fortwährend ersuchen, den Mund zu halten.

Ginstermann küßte sie, bewegt von dem anspruchslosen Heroismus, mit dem sie ihr Martyrium ertrug, auf die Stirne. Das war sein Glückwunsch und gleichzeitig sein Dank für »neulich«. Es kümmerte ihn nicht, daß Kapelli dabei stand, und Kapelli kümmerte es auch nicht. Frau Trud dankte ihm mit einem Blick voller Liebe, als sei er ihr Geliebter.

Natürlich mußte er auch das Kind sehen.

Mein Gott! es war ein runzeliges Tierchen mit schneeweißen Härchen auf dem unförmigen Kopfe. Er konnte es nur mit Überwindung betrachten.

»Es hat dieselben blauen Augen wie ich, sehen Sie?« sagte die Mutter. »Es wird überhaupt ein hübsches Kind werden, nicht?«

Er konnte das mit dem besten Willen nicht herausfinden.

»Wenn es so fortfährt, sicherlich«, sagte er.

Kapelli trug sich allen Ernstes mit dem Gedanken, diese »Skizze von Mensch« in Gips abzugießen. Und zwar gleich morgen.

»Die Lippen werde ich dann etwas retouchieren. Oder finden Sie nicht, diese Unterlippe da ist etwas zu breit? Trud hat ja zwar –«

Frau Trud machte ihm eine geballte Faust, die sich aber augenblicklich zu einer verlangend ausgestreckten Hand löste.

Kapelli küßte sie.

»Du sollst nicht so viel reden«, sagte er.

»Ich hab ja nun gar nichts gesagt«, Frau Trud darauf.

Ginstermann wandte sich ab, um seine Bewegungen zu verbergen.

Die Sehnsucht nach dem Weihe, mit dem man eins ist, die in jedem Manne lebt, erwachte in ihm, die Sehnsucht nach dem Kinde, ohne die nie ein Mensch groß ward, stand in ihm auf.

Weder dies, noch das, sagte er sich.

Das wußte er, nie sollte er ein Weib haben. Nach Bianka würde er nicht mehr fähig sein, ein Weib zu lieben. Das wußte er, nie sollte er ein Kind haben. Er würde nicht imstande sein, seine Seele mit der eines Weibes zu vermischen, nachdem ihm das Schicksal Bianka gezeigt.

Andere Sterne! Andere Sterne!

Ach, da war ja noch die Erinnerung – und die Arbeit! –

Er ging.

Er stieg die Treppe hinunter, um im Hofe nach seiner kleinen Camilla zu sehen. Er wollte ihr nur die Locken streicheln.

Bei Maler Ritt wurde getanzt. Füße schlürften, und zuweilen stieß jemand gegen die Türe. Eine Violine spielte einen berückenden, schwermütigen Walzer, viel zu zart für das wüste Schleifen der Tanzenden.

Hoi – hoi! rief dazwischen Ritts scharfe Stimme. Die Rufe hörten sich an wie das Knallen einer Peitsche, mit der er die Ermatteten antrieb.

Camilla war nicht zu sehen. Er begab sich in das Vorderhaus, um in ihrer Wohnung nachzufragen. Eine ausgetrocknete Alte mit in den Brillengläsern zerfließenden, erschreckend großen Augen öffnete. Von ihr erfuhr er, daß Camilla ausgezogen sei. Eine Weile besann er sich, ob er sie in ihrer netten Wohnung aufsuchen sollte. Vielleicht würde er sie treffen, wenn er am Hause auf und ab ging.

Aber er war zu müde, und dann war ja all das unsinnig.

Er legte sich wieder nieder und nahm ein halbfertiges Manuskript, das von der »Religion der Gottlosen« handelte, zur Hand, um sich auf andere Gedanken zu bringen. –

Noch einige Tage und er war gänzlich hergestellt.

Dr. Scholl besuchte ihn jeden Nachmittag. Sie waren Freunde geworden. Ginstermann liebte das offene, kluge Wesen des jungen Arztes. Dieser Mann hatte die Eigentümlichkeit, die radikalsten Anschauungen wie etwas Selbstverständliches zu äußern, und das tat wohl. Ein immenses Wissen erlaubte ihm, spielend Unmengen von Material aus allen Gebieten herbeizubringen, an der Hand desselben Schlüsse zu ziehen, zu begründen, zu widerlegen. Es war eine Lust, mit ihm zu diskutieren. Man brauchte nicht mehr im Jargon zu sprechen, nicht zu befürchten, mißverstanden zu werden, keine noch so feine Nüance ging verloren, und selbst da, wo der Ausdruck fehlte, sprach eine Gebärde, das Stocken selbst. Ihre Gespräche griffen wie die Zähne zweier Räder ineinander.

Noch nie hatte sich Ginstermann so sehr und so angenehm in der Beurteilung des Wertes eines Menschen nach seinem Äußeren getäuscht. –

Ginstermann hatte Bianka ein Billet zugeschickt, worin er ihr für ihre Grüße dankte und ihr seine Genesung mitteilte.

Tags darauf erhielt er eine Einladung ihrerseits zu einem kurzen Spaziergang.

Werter Freund, schrieb sie, werter Freund.


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