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XIV.

Eines Nachmittags, gegen sechs Uhr, empfing Ginstermann den Besuch einer Dame, die er schon irgendwo gesehen hatte.

Sie trug ein Kleid von weißer durchsichtiger Seide mit kleinen rosa Röschen darauf, einen goldenen Gürtel, einen hellen Hut mit kleinen rosa Röschen, sie trug einen Schleier.

Ginstermann stand auf und sein Herz pochte, daß er es fühlte.

Er hatte ganz in Gedanken herein gesagt, und nun trat eine Dame ein in weißem Seidenkleid mit kleinen rosa Röschen darauf, und goldenem Gürtel, eine Dame, die er kannte. Ihre Haare waren so sonderbar weißblond, wie Stroh, das lange in der Sonne gelegen hat.

Die Dame stand schweigend an der Türe und hob mit zierlicher Handbewegung den Schleier. Da erkannte er sie mit den Augen, er hatte seinem Herzen nicht glauben wollen.

Er stand wie gelähmt. Seine Augen waren ohne Blick, als zerflössen sie.

Die Dame trat auf ihn zu und gab ihm die Hand. Ohne jeden Willen hatte er ihr die Hand gegeben, ohne Druck.

»Mein Gott, Henri!« sagte sie bewegt, verwirrt, nahezu wie er selbst.

Sie hatte noch dieselbe Stimme.

Und er entgegnete: »Guten Tag, gnädige Frau.«

Sie lächelte voller Scham, voller Verwirrung und sah sich nach einem Stuhle um, ihre Erregung zu verbergen.

»Bitte«, sagte Ginstermann und schob ihr seinen Arbeitssessel hin.

Sie nahm Platz, setzte den linken Fuß über den rechten, dann den rechten auf die Fußspitze des linken und bewegte ihn leicht hin und her. Ihre Hände strichen über die Lehnenrundung des Sessels, immer auf und ab.

Nach geraumer Zeit sagte sie, ganz leise: »Ich habe dich gesucht, überall gesucht, aber ich fand dich nirgends. Du warst wie von der Erde verschwunden.«

Er saß ihr gegenüber und lächelte erstarrt. Sie bemerkte es nicht, sie sah zu Boden, dem Spiel ihres Fußes zu.

»Dann las ich von dir und hörte, du seist Dichter geworden. Ich wußte es ja damals schon, daß du ein Dichter bist.«

Sie blickte auf, zu ihm hin, voll Vertrauen auf die Wirkung ihrer letzten Worte. Sie war schön, ihre blaßgrauen Augen tief, erfüllt von verborgener Leidenschaft. Hellbraune Pünktchen schwebten darin wie gefangene Luftbläschen.

»Du wirst mich verurteilen, Henri, ich weiß es. Aber ich versichere dich – glaube es mir – ich konnte damals nicht anders handeln. Glaube es mir. Ich erzähle dir einmal alles. Ich hatte Sehnsucht, Sehnsucht, dich wiederzusehen, ich hatte auch den Mut dazu. Ich bin da, siehst du. Es steht bei dir, ob du meinen Besuch erwidern willst oder nicht. – Ich wohne in Starnberg. Mein Gatte ist gestorben, verunglückt bei einer Segelpartie in Nizza –.«

»Nizza«, sagte ein Echo in Ginstermann.

»Ich wohne in Starnberg. – Willst du nichts sprechen? Wie ging es dir denn?«

»Danke, es ging.«

»Vielleicht bin ich dir noch soviel, daß du mich Freundin nennen kannst, Henri?«

Ginstermann stand auf und sagte, ebenso leise wie sie, ebenso kühl, als sie herzlich sprach: »Nein, gnädige Frau.«

Die Dame erhob sich und blickte ihn an. Ihre hellgrauen Augen überzog ein Schleier.

»Glaube es mir, ich konnte damals nicht anders. Mein Gatte – du sollst alles hören. Ich hatte so große, große Sehnsucht nach dir – – willst du mir nicht die Hand geben, Henri?«

»Doch, gnädige Frau. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch.«

»Willst du mich nicht anders nennen. Hast du meinen Namen vergessen?«

»Ja, gnädige Frau.«

»Adieu, Henri. Ich sage trotzdem Henri zu dir.«

Ginstermann zog ein Schubfach auf und nahm ein Kuvert heraus.

»Ich habe Ihnen dieses Kuvert zurückzugeben, danke.«

Sie sagte: »O«, blickte ihn zusammenzuckend an und nahm das Kuvert. »Besuche mich doch«, bat sie wieder, »nur einmal, einen Augenblick! Als – Feind, wenn du willst. Du weißt ja nicht, was die Liebe ist.«

Nein, er wußte nicht, was die Liebe ist.

Sie stand eine Weile, ließ das Kuvert in den Sessel gleiten und wandte sich zur Türe. Da fiel ihr Blick auf Biankas Büste, wie ein Blitz, so kurz zuckte er darüber.

Ginstermann nahm abermals das Kuvert und sagte: »Sie haben dies vergessen, gnädige Frau.«

Sie nahm es, zerknüllte es langsam, dann wandte sie sich nochmals um. Sie lächelte.

»Vielleicht besuchst du mich doch einmal, Henri?« sagte sie. Sie wollte ihm ihre Niederlage nicht eingestehen.

Ihr Antlitz war weiß wie ihr Kleid, und die rosa Röschen darauf schienen röter zu sein.

Sie ging.

Langsam glitt ihr Schritt die Treppe hinab. –

Ginstermann goß sich ein Glas Wasser ein und trank es auf einen Zug hinunter. Das Glas stellte er auf einen Stuhl, da es zum Tisch zu weit war.

Er kauerte sich auf die Ottomane und blieb sitzen bis es dunkel wurde.


An der Decke entstand ein gelber trüber Fleck, den eine Petroleumlampe aus dem Küchenfenster gegenüber hereinwarf. Es war furchtbar still. In der Ferne wurde mit Bestecken geklappert. Ein Wagen rasselte auf der Straße. Dann war es wieder still, furchtbar still. Der schmutziggelbe Flecken an der Decke schwankte, glitt zum Fenster hinaus, erschien wieder an einer anderen Stelle.

Ginstermann saß immer noch auf der Ottomane.

Die Stille spannte sich über ihn wie eine Glocke von Glas.

Ein Pfiff schrillte und lief gleich einem Risse über diese Glocke. Schritte kamen, die Huppe eines Automobils ertönte, und Surren erschütterte die Luft. Fräulein von Sacken rief draußen über das Geländer, und eine Menge schwatzender, lachender Damen trampelte die Treppe herauf.

Ginstermann stand auf und machte Licht.

Nun war es überwunden.

Er zog das unterste Fach seiner Kommode auf und kramte darin. Bündel von Zeitschriften Manuskripten, Briefen warf er auf den Boden. Ein Päckchen Briefe in dunkelroten Enveloppen trug er an den Tisch. Sie waren abgenutzt vom vielen Herumtragen und die Schrift verwischt vom Regen.

Diese Briefe las einer vor Jahren jeden Morgen und jeden Abend. Diese Briefe waren einst für einen das, was Gebete für Leute sind, die die Verzweiflung beschwören.

Er nahm den obersten und hielt ihn über die Lampe. Das Papier begann zu kohlen, zu knistern, eine kleine blaue Flamme sprang von oben herab und fraß sich am Rande wie eine feurige Schlange entlang. Das Kuvert bog sich auf und der glühende Saum kroch auf die Anrede: mon petit cœur zu, verschlang sie, und gleichsam als ihr Gespenst tauchten die Worte in bronzegrüner Tinte auf der dunklen Asche auf.

Er warf den Brief in den Ofen und die anderen dazu. Verbaffende Rauchwolken quollen aus den Fugen, die Flamme brauste auf und nun bog sich ein Stück Pappe in der Glut hin und her. Das Bildnis einer Frau tauchte einen Moment auf, neigte sich vor und zurück wie in entsetzlicher Qual und stürzte endlich als weiße Asche in das Häufchen Glut, das aussah wie ein klippiges, winziges Gebirge, das in der Sonne glüht.

Ginstermann stand, den roten Widerschein der Glut in den Augen, und lächelte.

Nun war es überwunden.

Er holte jene Päcke Manuskripte und Zeitschriften herbei und warf sie in die verglimmende Asche. Ein Fanatismus, alles zu zerstören, was ihn an seine früheren Jahre erinnerte, erfaßte ihn.

Hier und da warf er einen Blick in die Blätter. Es waren die Aufzeichnungen eines verbitterten, höhnischen Menschen, dessen Seele ein Erlebnis zerstört hatte. Ungeheure Zynismen, Verwünschungen, Flüche.

Da war auch ein Kapitel über das Weib darunter. Ginstermann lachte, als er es überflog, er las es nicht zu Ende.

Der wüste Lärm von Kneipen, das Lachen eines Wahnsinnigen, der Geruch von Branntwein, das Gekreische von Dirnen stieg aus diesen Blättern.

Er las all das nicht ohne jenen Schrecken, den einer empfindet, der einer Gefahr entronnen ist, in der er ohne sein Wissen schwebte.

Sein Blick fiel auf ein Blatt, das die Überschrift trug: Der letzte Stern.

Es war eine eigentümliche Geschichte. Sie lautete:

Eines Morgens fanden die Leute bei ihrem Erwachen die ganze Erde mit Sternen bedeckt. Alle Sterne waren des Nachts vom Himmel gefallen. Sie erschraken gewaltig und blickten bleich und höhnisch zu gleicher Zeit auf die Propheten, die sie gelehrt hatten, die Sterne anzubeten. Haha! schrien sie, die Sterne sind heruntergekommen diese Nacht!

Einige Vorwitzige hatten sich aufs Feld gemacht und sich den Sternen genähert. Kommt! schrien sie, kommt! Und sie wälzten sich vor Lachen.

O, ihr Lügner von Propheten, ihr Diebe von Propheten, so seht doch, seht doch – hahaha! Das also sind eure heiligen Sterne, das!

Und sie spien den Propheten ins Gesicht.

Das nämlich hatte sich herausgestellt: Die Sterne waren Pappe, bronzierte Pappe, nichts als bronzierte Pappe.

Hahaha, ihr Hunde! Seht ihr, Pappe, bronzierte Pappe!

Den ganzen Tag zeterten und höhnten sie. Die Sterne schlugen sie in Fetzen, dieselben Sterne, vor denen sie früher die Stirnen beugten.

Die Propheten standen gesenkten Hauptes, das Gesicht trauernd und grübelnd in die langen Bärte gedrückt. Gegen Abend begannen sie, den andern bei der Zerstörung der Sterne zu helfen, dieser Sterne aus bronzierter Pappe.

Bis auf einen, einen alten, ganz alten mit schneeweißen Haaren. Der stand wie aus Stein.

Es wurde Nacht. Da geriet der Greis in Verzückung und deutete gen Osten. »Seht!« rief er, »seht!«

Alle sahen hin. Es war ein Wunder. Dort oben blinkte ein Stern, ein winziger Stern mit grünem Lichte.

Hoho, schrien sie, hoho?

»Seht! Seht!«

Sie aber schüttelten die Köpfe und lachten. »O, du eisgrauer Narr«, höhnten sie, »du hast den Verstand eines neugeborenen Kalbes! Begreifst du – ha! Alle Sterne waren nichts als bronzierte Pappe, so wird auch dieser bronzierte Pappe sein!«

»Weshalb fiel er nicht? Seht ihr nicht, wie er leuchtet und sprüht! Der ist aus reinstem Golde!«

»Alle Sterne – siehst du nicht – Narr! Bronzierte Pappe! – O, Narr, uns betrügst du kein zweites Mal!«

»Weshalb aber fiel er nicht?« Und der Greis deutete mit erhabenem Triumphe zu dem letzten Stern empor.

Da gab es einige wenige, die zu lachen aufhörten – – –

Dieses Blatt wanderte nicht in die Flammen.

Die Papiere hatten eine starke Hitze verursacht. Ein dichter Qualm zog die Decke entlang und wirbelte lustig zum Fenster hinaus. Er hatte alle Mücken, die an der Decke gesessen, in Aufregung versetzt, und sie summten wie verrückt umher.

Ginstermann saß und blickte in die Glut. Er lächelte. Seine Irrjahre waren vorbei, da drinnen sanken sie in Asche. Nichts verband ihn mehr mit ihnen. Er fühlte, daß sich seine Seele erneuert hatte.

Lange saß er bis alles kalt und tot war da drinnen. – –

Wenn aber die Vergangenheit vergangen ist, Bianka? flüsterte er ...


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