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XV.

Die Würfel sind gefallen.

Alles ist verloren. –

Bianka lächelt und sagt: »Es war sehr töricht von mir. Wie hübsch hätten wir den Nachmittag bei mir verplaudern können.«

Ginstermann entgegnet: »Aber bitte. Nein, das wäre zuviel der Liebenswürdigkeit gewesen. Sie waren ohnedies so gütig gegen mich.«

Er verbeugt sich einigemal und lächelt. Er verbeugt sich linkisch und lächelt erstarrt. Da sind einige Muskeln um seinen Mund, die sich verzerrt haben.

Bianka merkt das nicht. Sie sieht nicht, daß seine Augen wie ausgetrocknet sind, seine Haare vom Schweiße an die Stirne kleben, daß er bleich ist wie eine Wand.

Es ist gut, daß es dämmert.

Sie stehen wieder in dem Vorgärtchen vor der dunklen schweren Türe und morgen geht die Reise. Adieu! Morgen geht die Reise. Um 11 Uhr.

Ein Mann muß sich beherrschen können, er muß stehen, bis er tot hinschlägt. War er nicht ein ganzer Kerl, ein ganzer Kerl! Das Messer war ihm bis ans Heft ins Herz gefahren, mitten ins Herz und er hatte nicht gezuckt. Er hatte gelächelt und geplaudert, als habe sie ihm etwas Schönes geschenkt. Sie sollte nicht wissen, daß sie ihn heute nachmittag getötet hatte.

Jetzt sei es allerdings zu spät. Es gäbe auch noch eine Menge Besorgungen für die Reise.

Aber selbstverständlich. Wann sie fahre?

Sie lächelt, da er schon einigemal gefragt hat, und erwidert: »Um ½11. In Bellinzona machen wir die erste Station. Mamas halber.«

Sie sieht an den Fenstern hinauf, eine unbegreiflich lange Zeit, dann tritt sie näher und blickt ihn an. Noch einmal schwebt dieses zarte, rätselhafte Antlitz vor ihm, und diese klaren graugrünen Augen locken zum letzten Mal tote Wünsche.

Aber sie bleiben tot, nicht einer regt sich mehr.

»Sie werden mir doch dann und wann schreiben, Herr Ginstermann?«

»O gewiß, wenn sie es erlauben. Ein paar Zeilen –«

»Erinnern Sie sich stets daran, daß Sie da unten im Süden eine Freundin haben, die Ihnen für alle Zeiten und Fälle eine Freundin sein möchte, wollen Sie das?«

Er dankt ihr, indem er sich verbeugt.

Er werde sich stets daran errinnern. Für alle Zeiten. Er danke ihr, ja er danke ihr tausendmal für all ihre Güte. Er wisse, daß auch Sie sich oft an den herrlichen Sommer errinnern werde.

Fließend, ohne einen Fehler in der Betonung, spricht er. Es ist ihm, als sei da ein Zweiter neben ihm, dem er voll Bewunderung und Erstaunen zuhöre.

Dann schüttelt sie ihm die Hand.

»Adieu. Morgen um ½11, bestimmt! Am Bahnhof. Adieu. ½11 Uhr, nicht? Adieu!«

Das sagt sie leicht hin, etwas hastig und steigt die Treppen hinauf.

Ginstermann wendet sich augenblicklich und geht zur Gartentüre hinaus. Er geht stolz und aufgerichtet. Der Wind wirft ihm boshaft lachend eine Hand voll Staub ins Gesicht.

Da ruft sie ihn nochmals. Sie steht auf der obersten Treppe, mit einer Geste als wolle sie herabsteigen, um ihm noch etwas zu sagen. Aber sie steigt nicht herab, sie spricht nichts, sie hebt nur die Hand, um zu winken. Aber sie winkt auch nicht.

»Adieu, Fräulein Schuhmacher!«

Die Türe fällt ins Schloß, mit jenem eigentümlichen, dumpfen Laut einer Türe, die sich für immer geschlossen hat. Er sieht sie noch da oben stehen, die Hand erhoben. Und nun sieht er nur noch die Hand.

Er sieht die Türe an und lächelt, er blickt am Haus entlang und lächelt.

Dann geht er. –

Die Sache Henri Ginstermann – Bianka Schuhmacher ist erledigt: Ginstermann ist geschlagen!

Nun war es vorbei.

Ein tränenloses Schluchzen erschütterte seine Brust und gleichzeitig lachte er.

Weshalb ereignete sich nichts? Weshalb fiel kein Haus ein, kam nicht ein Stück vom Himmel da droben herunter?

Aber er hatte es ja nicht anders verdient. Nein, wenn er einem Menschen einen Vorwurf machen konnte, so war er dieser Mensch selbst. Weshalb war er so verblendet gewesen, abermals an einen Menschen zu glauben? Sein Herz einem jungen Mädchen zu Füßen zu legen, das achtlos und blind darüber hinwegschritt? Noch immer war er jener Tor, der sein Herz auf den Händen durch die Straßen trug und die Leute fragte, ob sie es nicht haben wollten, da es zu schwer von Liebe sei für ihn. Er hatte es als Kind seinen Eltern schenken wollen, sie hatten es nicht angenommen, er hatte es später Frauen und Freunden schenken wollen, sie hatten es verspottet und mißhandelt, und wieder, wieder –? O, er war ein Tor! Die Menschen waren zersprungene Geigen, die keinen Ton mehr gaben, die Menschen waren zu arm an Liebe, um einen Hund damit ernähren zu können. Die Menschen waren ein Pack von Krämern, Kirchgängern, Wucherern, Handwerkern und Barbaren. Aber die Menschen waren keine Menschen. Diesen Titel hatten sie einigen Großen gestohlen und sich umgehängt wie einen Orden.

Das war ja des Hades Maskengarderobe, was da ging und stieg und sich brüstete nach Pfauenart, Ekel verbreitend und üblen Geruch. Als geputzte Bälge kamen sie daher, stupid und leer ihre Augen, aus denen ihr Magen blickte.

Er spie aus, er spie ihnen seine ganze Verachtung vor die Füße.

Hoho! Einer der Leichname fand diese Grabrede für zu bündig. Wohl Psalme, du Schuft?

Ginstermann erwiderte kein Wort. Er stand still, die Fäuste in den Rocktaschen und maß ihn mit messerscharfen Blicken, den Kopf kampfbereit gesenkt. Ein ganzer Kreis von Leuten bildete sich um ihn. Einen nach dem andern fixierte er und einer nach dem andern stahl sich fort.

Sie hatten alle Angst, diese Feiglinge. Es war sonderbar, niemand lächelte, niemand erwiderte eine Silbe. Diese Leute hatten Furcht vor ihm. Es war eine Wonne, seine Macht zu fühlen.

»Wäre doch wenigstens noch etwas vom Kain, vom Tiger in euch!« sagte er, verächtlich die Lippen zuckend.

Er wandte sich voller Abscheu und ging. Mit herausfordernden Blicken, den Kopf scharf nach jedem wendend, der ihn anblickte, schritt er die Straße entlang. Einigemal blieb er stehen, lachte, hustete, um einen Kampf zu provozieren.

Sie hatten Angst, alle. So ein feiges Gesindel waren diese Kreaturen!

Der Wind blies ihm entgegen in heftigen Stößen, mit seinen riesigen Fittigen bald die Straße fegend, bald die Wipfel der Pappeln beugend. Die Straße herauf flogen Karossen in Wirbeln von Staub, eine hinter der anderen. Kamen sie aber vorbei, so waren gar keine Karossen darin, nur der Wind. Der sprang lachend heraus. Plötzlich war das Trottoir mit schwarzen Sternchen übersät und eine dunkle Wolke senkte sich bis nahe an den Erdboden herab, Finsternis verbreitend. Der Wind stand, ein jammerndes Gespenst, in wirbelnde Lappen gehüllt, inmitten der Straße und drehte sich im Kreise. Durch eine Wolke von Staub hindurch sah man Leute, die betend die beiden Hände gen Himmel streckten. Die Häuser wankten, die Wagen neigten sich, die Erde drehte sich schneller unter den Füßen – da erhielt sie einen Stoß und stand still, die Leute taumelten.

Ginstermann spürte einen heftigen Schmerz an der linken Schläfe. Er war gegen eine Staffel gefallen. Er wollte sich erheben, aber es ging nicht. Ein paar Leute standen um ihn herum, die Augenbrauen in die Höhe gezogen. Ein Student, die Mensurmütze über dem glatten Schädel, näselte ein lateinisches Wort.

Da stand Ginstermann augenblicklich auf und ging weiter. Seine Füße waren wie mit Blei ausgegossen. Um ihn rauschte es, es regnete.

Seine Schläfe schmerzte, in die Augenbraue sickerte es.

»So geht es, wenn man sich aufregt, mein Freund«, sagte er zu sich und lächelte, als wolle er einem hübschen Mädchen gefallen.

Die Häuser standen wieder aufrecht, die Leute hörten auf zu tanzen und zu taumeln.

Er bog links ab und ging in den Englischen Garten.

Das aufziehende Regenwetter hatte die Leute vertrieben. Der Park lag still und traurig, die Bäume verschleiert, als erwarte er einen Leichenzug. Man betrat ihn nicht ohne Bangen und Grauen.

Ginstermann blieb stehen und lauschte. Unzählige Spechte klopften an den Bäumen. Endlich entdeckte er, daß es das pochende Blut in seinen Ohren war. Die Baumgruppen erschienen ihm wie zusammengeduckte Ungeheuer, denen einer, der das nicht bemerkte, unfehlbar in den Rachen lief. Aber er war nicht so töricht. Im übrigen wußte er auch recht gut, daß es ganz gewöhnliche Bäume waren, nichts weiter. Dort oben stand der Monopteros.

Sonnentempel, Tempel der Seligkeit! Haha!

Er sah aus wie die Arbeit eines Zuckerbäckers, die nun im Regen elend zerweichen mußte.

Hahaha, gerade so. Er war Teig, weicher Teig war er.

Er blieb stehen.

»Zur Sache«, sprach er, »wir wollen es kurz machen. Hier war es, gerade hier.« Oder war es nicht hier? Er mußte – wo war es? Er mußte – bei allen Heiligen – doch die Stelle finden, wo er begraben lag! Haha, das wäre noch hübscher! Zur Ruhe, zur Ordnung! Was hatte sie gesagt? Ein Dutzend Worte. Hier war es angegangen, also mußte es hier neben diesem kleinen Bäumchen sein.

Er kniete nieder und machte ein winziges Kreuz in den Sand.

»Henri Ginstermann, gestorben am Herzeleid. Bete ein Vaterunser, o Christ!«

Aber vielleicht war es doch nicht hier? War das nicht dumm, nicht dumm, messieurs? Man mußte ins reine kommen.

Er lief den Weg hinab und setzte sich auf eine Bank. Dann stand er auf und sagte: »Sie haben recht, die Sonne sticht hier unerträglich. Man sitzt wie im Brennpunkt einer Lupe.« Langsam schritt er, als ginge er neben Bianka einher.

Ah, nun wußte er alles, jede Einzelheit. Hier ging Bianka, hier er. Ihre Schatten liefen wie folgsame Pudel links von ihnen.

Er wußte alles ganz genau. Plötzlich war eine Jalousie in seinem Kopfe in die Höhe gegangen.

Sie sprachen von der Reise, sie sprachen von der Reise. Und sie sprachen auch vom mutmaßlichen Wetter. Jawohl. Und sie sprachen auch davon, wie schön der Sommer gewesen wäre. Auch vom Sommer. Gut. Reise, Wetter, Sommer. Gut. Es stimmt. Bianka – ja, nun kam es. Wie kamen sie nur darauf? Ach, richtig, sie sprachen ja vom Sommer. Wie schön er gewesen wäre. Bianka – nur Vorsicht – bis zu dem Büschel Löwenzahn dort ungefähr von der Reise, bis zur Wegkreuzung vom Sommer, wie schön er gewesen wäre – von hier an – jawohl. Alles in Ordnung. Hier ging ein alter Herr mit einem glatten Elfenbeinknopf am Spazierstock an ihnen vorüber, so daß er näher zu Bianka hinüber mußte. Bianka spielte mit den Quasten ihres Sonnenschirmes, und er bemerkte, daß die Naht des Handschuhes am Ballen etwas geplatzt war. Haha, er entsann sich sogar auf Dinge, die er kaum recht beobachtet hatte. Und Bianka sagte:

»Eigentlich ist es doch recht selten –« Oder begann sie nicht so? Es war da etwas wie ein helles A am Anfang ihres Satz es. »Das passiert nicht oft, daß man einem Menschen begegnet. Mir passierte es sehr selten. Und deshalb freut es mich, daß ich Sie kennen gelernt habe.« Nun blieb sie stehen, sah ihn an und fuhr fort, indem sie lächelte: »Wie sonderbar es begann, da im Theater, da bei Kapelli, nicht? Und dieser Sommer – es war alles hübsch.« Sie stockte, besann sich, ging weiter.

Er entgegnete nichts darauf. Von einer freudigen Ahnung durchschauert, wartete er auf das, was sie nun sprechen würde. Sie hatte gleichgültig gesprochen, wie einer, der etwas Besonderes folgen lassen wird. Es war wie eine Einleitung und hinter ihrem letzten Wort stand etwas wie ein großer Doppelpunkt.

Nun wird sie es sagen, dachte er und es flimmerte ihm vor den Augen vor Erregung.

Aber sie setzte ihre Rede nicht fort. Sie schwieg.

Er wartete noch immer, noch immer. Da begann sie über Nizza zu sprechen.

Sie sprach nichts weiter, nichts sonst, keine Silbe. »Es war hübsch, hörst du, Ginstermann? – hübsch war es.«

Und hier war es, hier.

O, es war in der Tat hübsch, außerordentlich hübsch. Sie können sich nicht vorstellen, wie hübsch es war, Herr Ginstermann. Wir gingen einige Wochen zusammen, wir unterhielten uns, Sie eröffneten mir ihre Ideen, Herr Ginstermann, ja vielleicht liebten sie mich auch ein bißchen. Addieren Sie, bitte, addieren Sie. Summa: hübsch.

Er umschritt das kleine Kreuzchen im Sande und lachte.

»Hier liegen die Träume eines Toren«, begann er in pastoralem Tone, »hier liegt die Sehnsucht eines Narren – hahaha. Sie ertranken in der Tiefe einer Mädchenseele. Ich will mein Senkblei in deine Seele werfen, sagte der Narr, ob sie tief sei, ich will es gegen ihre Wände schlagen lassen, ob sie Ton wiederhallen, ob sie Silber singen. Da ertranken seine liebsten Kinder in der bodenlosen Tiefe – hahaha –!«

Plötzlich hielt er inne und richtete sich auf. Ein unheimlicher Gedanke stieg in seinem Kopfe empor, riesengroß, ein graues Gespenst ohne Form und Ausdruck.

»Du bist wahnsinnig«, sagte er leise zu sich, damit es niemand höre außer ihm.

Das Gespenst sank wie ein Schatten auf ihn herab und hüllte ihn ein. Sein Herz ging in langsamen Stößen, er stand wie gelähmt. Eine Ewigkeit.

Rings um ihn rieselte der Regen, der Park lag wie ein Leichnam, starr und still. Die Stille flüsterte, sie flüsterte unverständliche, grauenhafte Dinge. Der Wind stieß wie die Flügel eines Schwarmes von Vögeln an seinen Kopf.

In seinem Kopfe da ging ein schweres Pendel hin und her, das alle Gedanken, die aufstehen wollten, niederschlug. Und er lauschte auf das, was diese Stille flüsterte.

In der Ferne schlug eine Uhr.

Das war eine Uhr, dachte er. Jawohl, eine Uhr. Und das hier ist ein Weg, und das da bin ich, Henri Ginstermann, dem sie in der Jugend einen schlimmen Untergang prophezeiten. Und das hier ist meine Hand. So nennt man das Ding. Ich kann es bewegen.

Was ist geschehen, was ist geschehen mit mir, dachte er.

Nun haben sie mich in die Luft eingemauert, wie ein Luftbläschen in Glas eingemauert ist. Angst lähmte ihn.

Drüben am Wege ging eine Gestalt, in einen sonderbaren Mantel gehüllt.

Nun kommt er, dachte er, den großen Holzhammer unterm Mantel, um dir auf den Kopf damit zu schlagen.

Aber nein, was war mit ihm geschehen?

Plötzlich bewegte er die Füße und ging. Fort, fort aus diesem Garten, dessen tausend graue erloschene Augen dich anblicken, fort, fort.

Er lief hastig, quer durch die Wiesen, um die Gebüsche zu vermeiden.

Endlich war er auf der Straße. Er wurde ruhiger. Hier gab es Menschen und Schutzleute, er war geborgen.

Nach und nach kehrte die Reaktion seiner Sinne zurück. Langsam, mit dumpfem Kopfe schlich er an den Häusern entlang. Es war noch nicht spät, es dämmerte. Der Himmel war düster und erschien wie ein unendlich tiefer Sack, aus dem flimmernde Fäden hingen. Die Bogenlampen brannten, die Telephondrähte schimmerten und liefen rasch in die Dämmerung hinein, als hätten sie es sehr eilig, an den Leitungsdrähten der Straßenbahn sprühten zornige, grüne Flammen auf.

Die Cafés waren erleuchtet, die Türen gingen auf und zu. Durch einen Vorhang sah er ein grünes Billard, über das sich ein Herr mit langen weißen Manschetten beugte. Der Kopf einer Kellnerin ging hinter der Scheibe vorüber und verdeckte für einen Moment das ganze Billard.

Er war fähig, diese Eindrücke aufzunehmen, ohne aber sonst Kraft zum Denken zu besitzen. Man hat alle Drähte in meinem Kopfe durchschnitten, dachte er.

Seine Schläfe brannte. Das Bedürfnis, sie mit kaltem Wasser zu netzen, trieb ihn über die Brücke, in die Anlagen. Dort stieg er zum Fluß hinunter. Die Böschung war gepflastert, er mußte vorsichtig sein. Der Fluß rauschte vorüber, blitzschnell, mit hundert Zungen nach ihm leckend. Schon daran, die Hand nach dem Wasser auszustrecken, hörte er über sich rufen. Er wandte erschrocken den Kopf und glitt aus. In Todesangst klammerte er sich an den Steinen fest.

Es war ihm, als habe ihn der Fluß schon in seine brausende Tiefe hinabgezogen. Ohne sein Vorhaben auszuführen, kroch er wieder in die Höhe; kalter Schweiß bedeckte seine Stirne. Er schleppte sich weiter, müde ging er wie ein alter Gaul.

Er ging lange, bis die Häuser klein und niedrig wurden. Trüb leuchteten ihre Augen, einige hatten viele, wiederum welche waren blind von oben bis unten.

Auf der Straße spielten Kinder. Es waren kleine Mädchen. Sie hatten einen Kreis gebildet und schritten um ein Mädchen herum, das in der Mitte saß, die Hände vor dem Gesicht. Dabei summten sie ein Lied. Es war ein weicher flüsternder Gesang, wehmütig durch die Dämmerung schwebend.

Ginstermann stand und lauschte. Aus diesem Summen der Mädchen da sprach es zu ihm, wie aus dem Flüstern der Stille im Park.

Und nun verstand er.

Sterben, sprach es.

Er ging und lächelte vor sich hin, von diesem weichen, kosenden Sang gefolgt, der: sterben sagte. Wie die weichen Arme eines Unsichtbaren umschlang es ihn und küßte ihm dies Wort auf den Mund.

Die Häuser hatten ein Ende. Frei lag das Feld vor ihm.

Über die Ebene lief hurtig ein kühler Wind. Er nahm den Hut ab und ließ sich die Stirn von ihm kühlen. Das war sanft und wohltuend, er mußte an die schmalen kühlen Lippen seiner Mutter denken, wenn sie ihm die Wangen küßte.

Es regnete nicht mehr. Im Westen glomm ein schmaler, düsterroter Saum, die Nacht schlug wie das ungeheure schwermütige Lid eines Vogelauges über der Erde zusammen.

Die Luft war gewürzt vom Geruche des triefenden Waldes, der Wiesen. Er roch die Nacht heraus.

Er kniete nieder und küßte die Erde.

Adieu, sagte er. Er stand noch eine Weile: Das war der Wald, hier das Feld, dort oben der Himmel. Adieu.

Dann wandte er sich der Stadt zu. Er wollte nach Hause.

Nun konnte er plötzlich wieder denken. Aber all seine Gedanken liefen diesem einen Ziele zu, – ruhig, ohne Schmerz, erfüllt von Weihe, die dieses Ziel über sie hauchte.

Die ganze Stadt war Licht, Lärm, Lachen. Menschen fluteten, Menschen, die dieses Licht, diesen Lärm, dieses Lachen liebten, die die kleinen süßen Abenteuer liebten. Es brauste nah, in der Ferne. Es läutete, klingelte.

Aber lauter und klingender wie der Lärm des Verkehrs ging hoch oben ein Brausen über die Stadt. Es lief durch die Straßen, riß die Fenster auf, fuhr durch die Häuser, fuhr in die Brust der Menschen, und blies die Glut ihrer Herzen zu Flammen: Das Leben!

Nun lag es hinter ihm. War es nicht schön gewesen? O, es war köstlich gewesen. Es hatte ihm die große Freude, den großen Schmerz gegeben. Was sollte es mehr? Er hatte sich satt getrunken an seinen Schönheiten, er hatte seinen Rätseln gelauscht.

Er war müde, er sehnte sich nach der großen Ruhe, nach der Rückkehr in das Nichts, wo die atemlose Flucht der Erscheinungen ein Ende hatte.

Bei einem Waffenladen blieb er stehen. Die Läufe blitzten, die runden hohlen Augen blickten ihn wie etwas Bekanntes an. Wie unschuldige Wichtchen schlummerten die Kugeln in den Schachteln, plump und dick ein Schädel in Stücke reißend, klein, nur den Stich einer Nadel an der Schläfe hinterlassend.

Aber er ging weiter. Er hatte zu Hause ein scharfes, scharfes Rasiermesser. Damit wollte er sich die Adern durchschneiden, und während das Blut in langsamen Stößen seinem Körper entwich, noch an all das Herrliche denken, das ihm das Leben schenkte. –

Als er seine Treppe emporstieg, sah er Frau Trud vor der Tür des Ateliers stehen. Es schien als warte sie auf jemanden.

»Ach, Sie sind es«, sagte sie. Sie sah angegriffen aus und hatte gelbe Ringe um die Augen.

Ginstermann erschrak, als er sie erblickte, es war ihm, als errate sie seine Absicht. Sie betrachtete ihn auch so sonderbar, versteckt argwöhnisch. Sie ließ ihn sicher nicht ohne weiteres vorbei.

»Was ist mit Ihnen, Herr Ginstermann?« fragte sie mit jäher, erschrockener Stimme.

»Mit mir, wieso denn nur?«

»Wie sehen sie nur aus. Ist Ihnen etwas zugestoßen?«

Diese Besorgnis, diese mütterliche Anteilnahme machte ihn bewegt.

»Ach nein«, erwiderte er. »Gute Nacht, Frau Trud.«

Er gab ihr die Hand und sah ihr mit einem tiefen Blick in die Augen.

Oben wandte er sich nochmals um und rief: »Grüßen Sie Kapelli, ich werde ihn demnächst wieder mal besuchen.«

Er zitterte noch, als er in seinem Zimmer angelangt war.

Hatte sie etwas gemerkt? Wie konnte sie das?

Nachdem er abgeschlossen hatte, zündete er die Lampe an. Dann spähte er unter das Bett, ob niemand drunter versteckt sei, der ihn beobachten konnte. Die Vorhänge zog er zu.

Er ging zur Büste, blickte sie eine Weile düster lächelnd an und hob sie herab.

Er preßte sie an die Brust und küßte sie auf den Mund.

»Bianka«, sagte er, »leb wohl. Wer du auch seist, ich danke dir. Du warst das Schönste, das Leuchtendste in meinem Leben. Du gabst mir ein tiefes Erlebnis. Nie hat ein Mensch Schönres erlebt. Dafür danke ich dir. Weißt du, wie ich dich liebe? Sieh, ich bin irrsinnig geworden, so liebe ich dich. Irrsinnig, du meine Bianka. Vielleicht hätte ich dich glücklich gemacht. Wir wissen es ja nicht. Leb wohl. Wenn du von meinem Tode hörst, so härme dich nicht. Verzeih!«

Tränen rollten über seine Wangen, während er sie lächelnd betrachtete. Er öffnete den Schrank und stellte die Büste behutsam hinein. Sie sollte es nicht sehen.

Da pochte es an seiner Türe.

Er erschrak heftig und fragte stockend: »Wer da?«

»Kapelli.« Ob er nicht Lust habe, den Abend mit ihnen zu verbringen. Bißchen Karten spielen.

»Nein, danke schön.«

»So machen Sie doch mal auf!«

Ginstermann ging an die Türe, unschlüssig ob er öffnen sollte.

Dann rief er: »Ich will arbeiten, Kapelli. Stören Sie mich nicht länger.« Aber Kapelli pochte nochmals.

Ginstermann beugte sich herab und blies durchs Schlüsselloch.

»Ich werde Sie die Treppe hinunterblasen«, rief er, sich zum Lachen zwingend.

»Na, dann also gute Nacht.«

Kapelli stieg die Treppe hinab, hielt inne, kam wieder ein paar Stufen herauf, stieg abermals hinunter und schloß endlich die Türe seines Ateliers hinter sich.

Was wollen sie nur, dachte Ginstermann. Diese beiden guten Leutchen, sie ahnen wohl etwas? Morgen wird Kapelli sagen: Armer Kerl, der Ginstermann. Und des Nachts werden sie stumm in ihren Betten liegen und an mich denken.

Und Kapelli wird hinter dem Sarg hergehen, seinen engen schwarzen Rock über dem Bauche zugeknöpft, einen Zylinder auf dem Kopf. Und er wird im Sarge liegen und Grimassen schneiden. Aber nein, er wird hübsch ruhig bleiben. Im übrigen wußte es man nicht. Niemand weiß, was ein Toter tut, wenn der Deckel aufgeschraubt ist. Noch besaß niemand soviel Mut sich neben einen Toten in den Kasten zu legen und zu beobachten, was er tut. Einer seiner Bekannten wird ein paar Worte am Grabe sprechen: Bläh – bläh – Henri Ginstermann ist tot. Er hat »Das Ebenbild Gottes« geschrieben – bläh – bläh – er hat auch Verse geschrieben – man weiß nicht, woran er gestorben ist, vielleicht ist er am Leben gestorben – bläh – bläh –

Ginstermann setzte sich auf die Ottomane und sann vor sich hin. Seine Hände zitterten, die Pulse hüpften in seiner Schläfe; in seinem Kopfe da rauschte es, rings herum.

Da gab es noch jemanden, den die Nachricht stutzig machen wird. Dieser jemand wird sagen: Henri Ginstermann? das ist ja mein Sohn. Seine Mutter hatte ihn doch ein bißchen gerne, früher. Nun ja, bei jenem Skandal – kann eine anständige Dame da anders handeln. Ein Schüler, ein Junge von siebzehn Jahren, der sich mit einer verheirateten Frau einläßt! Puh, puh! Aber nein, früher. Als er noch zwölf Jahre alt war. Bis er den Ring stahl. Stahl, das ist ja nicht richtig. Er legte ihn ja abends wieder auf den Toilettetisch. Er hatte ihn nur in der Sonne funkeln lassen, weil das seine Augen entzückte. Sie hatten ihn allerdings Dieb genannt. Dieb zischten sie alle. Und er wurde in eine dunkle Kammer gesperrt, die ganze Nacht. Da kam der Teufel mit seiner ganzen Verwandtschaft. Die Holzwürmer schlugen mit den dicken Köpfen auf die Dielen. Die Mäuse nagten die Balken ab, um ihn in einen tiefen Schacht hinabzustürzen. Eine Uhr rasselte wie ein Sterbender. O, das war schon mehr als Geisterspuk. Des Morgens kam ein graubleicher Bursch zur Türe heraus, dem diese Nacht mit ihrem Schrecken wie ein Frost auf die Seele gefallen. Seitdem haßte er sie, seine Eltern und Geschwister, seine Mitschüler und Lehrer, alle Menschen. Und er schlief trotzig in der Geisterkammer, ohne Furcht, da er sich dem Teufel verschrieben hatte, der ihm jetzt nichts mehr tat. Ja, selbst die Mörder fürchtete er nicht mehr. Sollten sie ruhig zum Fenster hereinsteigen und ihn erdolchen. O, es war nur ein Spaß! – Hoho, aber plötzlich da wurde es anders. Niemand liebte ihn, bis er eine junge hübsche Frau kennen lernte.

Weshalb sieht man so finster in die Welt, lieber Henri? – Wollen wir Musik zusammen machen, wie? – Wollen wir in den Garten gehen und die Blumen ansehen? – Armer Bub wie haben sie dich hergerichtet? – Nein, nicht küssen, nicht küssen, Schlingel!

O juhei, o juhei – wie herrlich ist das Leben! – Wie, abgereist? Gnädige Frau ist abgereist? So so. Er lebt acht Tage als Waldmensch, frißt Moos und Schnecken und heult wie ein Irrer durch die Nächte. – Hinaus! sagt der Vater, hinaus! Sein Finger deutet gegen die Türe. Er biegt ihn im Gelenk ab, damit es recht theatralisch aussieht. Haha, welche Großartigkeit. Wie ein Feldherr: alle Fünftausend. Hinaus, hinaus! Alle Türen zu. Einer dreht sich im Kreise, ein ganzer Kreis von Fingern deutet: Hinaus! – Ein Zug braust durch die Nacht. Hahaha, Freundchen, es ist nicht so einfach, sich unter einen rasenden Zug zu werfen, dazu gehört die Gewandtheit eines Seiltänzers. Wie, die Hand haben sie sich blutig geschlagen, Mylord? O, das schadet nichts. Ein bißchen Blut, wir sind doch kein kleines Mädchen, wie? – Die Bauern sind ein mitleidig Volk, sie geben Brot, sie hetzen auch ihre Hunde. Nur Scherz. Es schläft sich gut im Wald, bei den vielen Mücken und Ameisen. Man träumt von Gendarmen, das ist nur angenehm. Denn wenn man erwacht, so sieht man nichts um sich als Büsche und Kräuter, und der Mond spannt silberne Saiten zwischen den Stämmen. Drauf greifen Elfenfinger ihre Lieder. Ist das nicht herrlich? – – In Böhmen liegt ein Bauernhof. War es nicht ein hübscher Bauernhof? Die Bäume herum, die Tannen dahinter auf dem Hügel wie finstere Borsten auf einem Ungeheuer. Und Segtschin, der Wahnsinnige, wie er mit den Zähnen fletscht. Er kann die Deutschen nicht leiden. »Ich renne ihm die Mistgabel durch den Leib!« Ach, eine Mistgabel, ich bitte Sie, Verehrtester, Sie werden doch so ein Ding nicht fürchten. Und da ist Hesse, der defraudierte Bahnbeamte aus Baden. Er hat eine Kneipe in Rumänien. »Willst du das Weib da küssen, du Kleiner! Ha! Ein Patron, ißt und trinkt drei Wochen bei mir und will das Weib da nicht küssen, wenn ich es befehle. Hund, marsch – oder – ah – sie ist ja ein kleines Schweinchen, die Sonja – aber – hahaha!« Sein betrunkenes Gesicht mit dem Ausdruck eines Metzgerhundes schwillt auf vor Wut, als ob es zerplatzen wollte. Ach, nun ist es gar nicht mehr Hesse, nun ist es Herr Trutt, der Kaufmann Trutt mit seinem Doppelkinn, seinem Fettnacken, seinen schielenden Augen, seiner fettrasselnden Stimme. Dieser Halunke, der will, daß man sich für ein paar Gulden kaput arbeitet. Aber was will nur Hesse mit dem Bohrer. Nein, es ist kein Bohrer, es ist ein Spazierstock. Und doch ist es ein Bohrer, ein Bohrer so lang wie ein Spazierstock. Mit diesem Bohrer kommt er auf ihn zu, den Bohrer schwingend. Aber so groß seine Schritte auch sind, er kommt nicht näher. Er baumelt wie an den Hüften festgeschraubt, schlägt mit Armen und Füßen, den Bohrer schwingend. »Ich will dir den Kopf anzapfen, Kleiner, gib acht. Sonja, schlage ihn, du sollst dich betrinken, bis du platzt, Schweinchen!«

Was wollen denn diese vielen Leute? Sie stehen um Hesse herum und deuten auf ihn, alle auf ihn. Und sie schielen alle und haben viereckige und verschrobene Köpfe. Es ist eine ganze Mauer von Leuten, es sind tausend Köpfe. Lauter Köpfe; unter ihrer Verzerrtheit verbirgt sich ein bekanntes Gesicht. Segtschin fletscht mit den Zähnen – und da ist auch Kapelli! He, Kapelli! Zum obersten Stockwerke dieses lebendigen Gebäudes sieht er heraus. Er spuckt herunter. Ah, nun ist er über ihm. Hoho, über ihm sind auch Köpfe! Überall, rings um ihn Köpfe, die sich unaufhörlich verzerren zu entsetzlichen Grimassen, bald den, bald jenen darstellend. Da ist ja auch jenes Weib, Ritts Freundin mit den weißen Händen. Sie wirft ihm Sofakissen an den Kopf. Ich schlage dich doch noch tot, du Kleiner, flüsterte Hesse plötzlich dicht neben ihm und schwingt einen Weinheber über seinem Kopfe. Seine Augen sind blutunterlaufen und aus seinem roten Schnurrbart strömt der Geruch von Branntwein. »Sie leugnen also jede höhere Bestimmung des Menschen, mein Herr, wie, wie? Sie gestatten, mein Name ist Spi.« »Ja, zum Teufel, mein Herr –« »Spi ist mein Name, gestatten – Sie leugnen also jede höhere Bestimmung des Menschen, mein Herr? Hier stehe ich, Spi.« »Die Bestimmung des Menschen kann nicht hoch genug sein. Ich sage mir, sie ist keine göttliche, sondern eine vom Menschen selbst gegebene, deshalb nicht minder hoch. Der große Mensch und Gott fließen in eins zusammen, – ja, zum Henker, mein Herr, wer sind Sie eigentlich?« »Spi, gestatten.« »Speien Sie mir doch nicht immer ins Gesicht, wenn Sie Ihren verfluchten Namen aussprechen! Meine Behauptung gleicht also – ja, wo stecken Sie denn?« »Hier, Spi –« »Teufel –!« »Spi, ich bin unsichtbar, gestatten, Spi ist mein Name.« »Lassen Sie mich doch – lassen Sie mich doch –!« »Aber was wollt ihr denn, was wollt ihr denn, ihr hängt ja Camilla auf!« »Hier hinauf, geehrter Bruder im Herrn, auf den hohen Baum, sie will die Welt sehen, und deshalb hängen wir sie so hoch hinauf, seht, wie niedlich sie ist, wie des Jairi Töchterlein – –«

Da erscholl ein mächtiger Schlag.

Ginstermann stand inmitten des Zimmers, er taumelte, er stolperte über einen Stuhl, der am Boden lag.

Er starrte vor sich hin, ohne etwas zu sehen.

Ein Gedanke rang in seinem Kopfe, aber er kam nicht zur Klarheit.

Er suchte sich auf etwas zu besinnen. Was war denn eigentlich? Was war das alles? Was wollte der phosphoreszierende Schädel dort? Ein Gespenst, hu? Oder – nein, eine Lampe. Seine Lampe. Sehen so die Lampen aus?

Ja, es konnte auch eine Lampe sein.

Er fand für einige Augenblicke die Besinnung zurück. Das war sein Zimmer, hier stand sein Tisch, dort das Bücherregal, auf dem Biankas Büste gestanden. Diese Büste hatte er in den Schrank getan.

Er ging an den Schrank, um nachzusehen. Aber er wagte ihn nicht zu öffnen. Er wußte, etwas unsagbar Gräßliches hockte darin. Da entdeckte er ein Gesicht an der Wand. Dieses Gesicht bewegte sich nach derselben Richtung, nach der er sich bewegte. Es war ein Kreidefleck mit Augen darin, die wie Tiger heraussprangen. Ah, das war ein Spiegel und das Gesicht darin war das seinige.

»Ich komme gleich nach«, rief er aus und ging an den Waschtisch.

Was wollte er nur? Er hatte doch etwas aus dem Waschtisch nehmen wollen. Sollte er beten, daß Gott ihm aus seiner Wirrnis herausführe. Haha, vielleicht durch einen hübschen Engel mit bleichen, lilienzarten Händen? Gott? Was war Gott?

»Sie wissen nichts!« sagte ihm jemand ins Ohr. Das war Dichter Glimms Stimme. Er zeigte die Zähne wie ein Eichhörnchen. Aber er war gar nicht zu sehen.

»Sie wissen nichts!« wiederholte er. O, dieser Heuchler. Die ganze Zeit hatte er sich als Atheist aufgespielt.

»Wer setzte die Urzelle in die Welt, mein Lieber? Weshalb haben alle Völker, alle Völker den Drang nach Gott, he? Antworten, antworten!« »Ist die Welt?« »Geflunker – Geflunker! Antwort? Wer ist Gott? Ich lasse Sie nicht los. Sie – Dummkopf, Sie.« »Ich bin Gott, Gott ist in uns. Jeder hat sein Mekka in sich.« »So sagten Sie in Ihrem Drama, Freund – in Ihrem traurigen Machwerk, das Sie Drama nennen – hahaha!«

Nein, was wollte er nur! Was erhielt er für Besucher?

Er stand und starrte an die Wand. Da zappelte etwas. Auf hohen Spinnenbeinen kroch es daher, den gequollenen Körper vorwärtsschiebend. Unsinn, es war ein Tintenfleck! Jemand hat ein Tintenglas einmal gegen die Wand geschleudert – glaubt es, ihr Leute! Spinne? Es sah aus wie Pinien. Er hatte, seit er hier wohnte, stets an Pinien gedacht.

Nun löste es sich von der Wand und zappelte durch die Luft.

Er wich zurück und schrie. Ein dumpfer Schlag und Klirren.

Er verschwand in ein Loch und sank in tiefe, tiefe Nacht.

Ach, wie gut tat die Finsternis! Und wie herrlich war es zu sinken, immerzu zu sinken.

Hatte er es doch dabei? Ja, natürlich. Das Rasiermesser! Es tat nicht weh, nein, nein. Die Adern werden schlaff und die große selige Müdigkeit kommt. Muß man tiefer schneiden? Er mochte nicht mehr. Er war müde. Und auf seinem Kopfe saß einer, so schwer wie ein Zentner.

»Guten Tag, ihr Herren, guten Tag, ihr Frauen.«

He! was ist das. Was sind das für Leute? Graue Gesichter. Es sind die Selbstmörder der letzten Woche. Hahaha, der Tod verliert seine ganze Kundschaft. Und wer ist der dort? Hehe? Mit seinem purpurnen Schlips. Siry! Siry! Siehst du, hier an der Schläfe habe ich ein winziges Loch. Ich kämme das Haar darüber, immer elegant! –

Was wollt ihr denn mit der Decke? So, bin ich nackt? Danke.

Die große selige Müdigkeit ...

Ich höre nichts mehr, weshalb pocht ihr mir? Weshalb ruft ihr mir?

Möchten sie pochen – ruhig pochen – mochten sie rufen, ruhig rufen .....


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