Gottfried Keller
Der grüne Heinrich
Gottfried Keller

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Das braune Getränk war das feinste, was ich in meinen einfachen Verhältnissen bis anhin genossen; allein das Ungewohnte, ein so kostbares Familiengeräte bei einem fahrenden Künstler in täglichem Gebrauche zu finden, schüchterte mich etwas ein, und als Lys, meine abermals herumschweifenden Blicke bemerkend, mich anredete: »Nun, Herr Lehmann, können Sie sich noch nicht mit dem unmalerischen Anblick meiner Wohnung befreunden?« reizte mich das Vergessen oder Nichtbeachten meines Namens sowie die Weigerung, seine Arbeiten zu zeigen, zu einem kleinen Ausfalle. Die Art seiner Einrichtung, versetzte ich, werde vielleicht mit einem andern Wesen zusammenhängen, das ich seit einiger Zeit beobachtet habe, nämlich die wunderliche Manier, in welcher die verschiedenen Künste ihre technische Ausdrucksweise vertauschen. So hätte ich kürzlich die Kritik einer Sinfonie gelesen, worin nur von der Wärme des Kolorites, Verteilung des Lichtes, von dem tiefen Schlagschatten der Bässe, vom verschwimmenden Horizonte der begleitenden Stimmen, vom durchsichtigen Helldunkel der Mittelpartien, von den gewagten Konturen des Schlußsatzes und dergleichen die Rede sei, so daß man durchaus die Rezension eines Bildes zu lesen glaube; gleich darauf hätte ich den rhetorischen Vortrag eines Naturforschers, der den tierischen Verdauungsprozeß beschrieb, mit einer gewaltigen Sinfonie, ja mit einem Gesange der Göttlichen Komödie vergleichen hören, während an einem andern Tische des öffentlichen Lokales einige Maler die neue historische Komposition des berühmten Akademiedirektors besprochen und von der logischen Anordnung, der schneidenden Sprache, der dialektischen Auseinanderhaltung der begrifflichen Gegensätze, der polemischen Technik bei einem dennoch harmonischen Ausklingen der Skepsis in der bejahenden Tendenz des Gesamttones zu reden gewußt hätten, kurz, es scheine keiner Zunft mehr wohl in ihrer Haut zu sein und jede im Habitus der andern einherziehen zu wollen. Wahrscheinlich handle es sich um das Ermitteln und Feststellen eines neuen Inhaltes für sämtliche Wissenschaften und Künste, wobei man sich beeilen müsse, nicht zu kurz zu kommen.

»Ich sehe schon«, rief Lys mit Lachen, »Wir müssen doch noch hinübergehen, damit Sie sehen, daß wir wenigstens noch mit Farben malen!«

Er ging voran und öffnete die Türe zu einer Reihe von Räumen, in welchen je eines seiner Bilder, an denen er arbeitete, ganz allein und in der besten Beleuchtung aufgestellt war, so daß der Blick durch nichts anderes abgezogen und zerstreut wurde. Die spätere Nachmittagssonne, die auf den Wolken draußen, auf der weiten Landschaft und den tempelartigen Gebäuden lag, ließ die an sich schon leuchtenden Bilder durch ihren hereinfallenden Reflex noch verklärter erscheinen, so daß sie in der Stille des Raumes einen seltsam feierlichen Eindruck machten. Das erste war ein Salomo mit der Königin von Saba, ein Mann von eigentümlicher Schönheit, der sowohl das Hohe Lied gedichtet als geschrieben haben mußte: Alles ist eitel unter der Sonne! Die Königin war als Weib, was er als Mann, und beide, in reiche Gewänder gehüllt, saßen allein und einsam sich gegenüber und schienen, die glühenden Augen eines auf das andere geheftet, in heißem, fast feindlichem Wortspiele sich das Rätsel ihres Wesens, der Weisheit und des Glückes herauslocken zu wollen. Das Merkwürdige dabei war, daß der schöne König in seinen Gesichtszügen ein verschönter und idealisierter Lys zu sein schien. Im Zimmer war sonst nichts als eine flache blankgeputzte Messingschüssel von alter Arbeit mit einigen Orangen, die zufällig auf einem Ecktischchen stehen mochte. Die Figuren des Bildes waren von halber Lebensgröße.

Das Bild im nächsten Raume stellte Hamlet den Dänen dar, aber nicht nach einer Szene des Trauerspieles, sondern als das von einem guten Künstler gemalte Bildnis gedacht, als das Porträt des in seine Staatsgewänder gekleideten noch ganz jungen und blühenden Prinzen, um dessen Stirn, Augen und Mund jedoch schon das verschleierte Schicksal der Zukunft schwebte. Dieser Hamlet erinnerte ebenfalls an den Maler selbst, aber mit so großer Kunst verhüllt, daß man nicht wußte, woran es lag. In einer Ecke des Zimmers lehnte ein Schwert mit reich in Stahl und Silber gearbeitetem Korbe, welches offenbar zum Modell gedient hatte oder noch diente. Dieser vereinzelte Gegenstand erhöhte noch den Eindruck der Einsamkeit und sanften Trauer, der von des Bildes stillem Leuchten ausströmte. Im übrigen hatte das Kniestück die volle Lebensgröße.

Von diesem Raume ging es endlich in den letzten hinüber, der schon ein Saal zu nennen war. Gleich den übrigen Bildern, bereits mit dem schweren Schmuckrahmen versehen, stand hier die größte Komposition, deren Veranlassung die Bibelworte gegeben: Wohl dem, der nicht sitzet auf der Bank der Spötter! Auf einer halbkreisförmigen Steinbank in einer römischen Villa, unter einem Rebendache, saßen vier bis fünf Männer in der Tracht des achtzehnten Jahrhunderts, einen Marmortisch vor sich, auf welchem Champagnerwein in hohen venetianischen Gläsern perlte. Vor dem Tische, mit dem Rücken gegen den Beschauer gewendet, saß einzeln ein üppig gewachsenes junges Mädchen festlich geschmückt, welches eine Laute stimmt und, während sie mit beiden Händen damit beschäftigt ist, aus einem Glase trinkt, das ihr der nächste der Männer, ein kaum neunzehnjähriger Jüngling, an den Mund hielt. Dieser sah beim lässigen Hinhalten des Glases nicht auf das Mädchen, sondern fixierte den Beschauer, indessen er sich zu gleicher Zeit an einen silberhaarigen Greis mit rötlichem Gesicht lehnte. Der Greis sah ebenfalls auf den Beschauer und schlug dazu spöttisch mutwillig ein Schnippchen mit der einen Hand, während die andere sich gegen den Tisch stemmte. Er blinzelte ganz verzwickt freundlich mit den Augen und zeigte allen Mutwillen eines Neunzehnjährigen, indessen der junge, mit trotzig schönen Lippen, mattglühenden schwarzen Augen und unbändigen Haaren, deren Ebenholzschwärze durch den vermischten Puder glänzte, die Erfahrungen eines Greises in sich zu tragen schien. Auf der Mitte der Bank, deren hohe, zierlich gemeißelte Lehne man durch die Lücken bemerkte, saß ein ausgemachter Taugenichts und Hanswurst, welcher mit offenbarem Hohne, die Nase verziehend, aus dem Bilde sah und seinen Hohn dadurch noch beleidigender machte, daß er sich durch eine vor den Mund gehaltene Rose das Ansehen gab, als wolle er denselben gutmütig verhehlen. Auf diesen folgte ein stattlicher Mann in Uniform; dieser blickte ruhig, fast schwermütig, aber doch mit mitleidigem Spotte drein, und endlich schloß den Halbkreis, dem Jüngling gegenüber, ein Abbé in seidener Soutane, welcher, wie eben erst aufmerksam gemacht, einen forschenden stechenden Blick auf den Beschauer richtete, während er eine Prise zur Nase führte und in diesem Geschäft einen Augenblick anhielt, so sehr schien ihn die Lächerlichkeit, Hohlheit oder Unlauterkeit des Beschauers zu frappieren und zu bösen Witzen aufzufordern. So waren alle Blicke, mit Ausnahme derjenigen des Mädchens, auf den gerichtet, der vor das Bild trat, und sie schienen mit unabwehrbarem Durchdringen jede Selbsttäuschung, Halbheit, Schwärmerei, jede verborgene Schwäche, jede unbewußte oder bewußte Heuchelei aus ihm herauszufischen. Auf ihren eigenen Stirnen, um ihre Mundwinkel ruhte zwar unverkennbare Hoffnungslosigkeit; aber trotz der Blässe, die ohne den rötlichen Greis alle überzog, steckten sie in einer unverwüstlichen Gesundheit wie die Fische im Wasser, und der Betrachter, der seiner nicht ganz bewußt war, befand sich so übel unter diesen Blicken, daß man eher versucht war auszurufen: Weh dem, der vor der Bank der Spötter steht!

Waren nun Absicht und Wirkung dieses Bildes verneinender Natur, so war dagegen die Ausführung mit dem wärmsten Leben getränkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle wirkliche Persönlichkeit und war für sich eine ganze tragische Welt oder eine Komödie und nebst den feinen arbeitlosen Händen vortrefflich beleuchtet und gemalt. Die gestickten Kleider der wunderlichen Herren, die altrömische Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die Korallenschnur darum, die schwarzen Zöpfe und Locken, die Bildhauerarbeit an dem alten Marmortische, selbst der glänzende Sand des Bodens, in welchen sich der Fuß des Mädchens drückte, diese Knöchel im blaßrotem Seidenschuh: alles dies war so breit und sicher und doch ohne Manier und Unbescheidenheit, sondern aus dem naivsten Wesen heraus gemalt, daß der Widerspruch zwischen dem freudigen Glanz und dem kritischen Gegenstande des Bildes die sonderbarste Wirkung hervorrief. Lys nannte dies Bild seine »hohe Kommission«, den Ausschuß der Sachverständigen, vor welchen er sich selbst zuweilen mit bangem Herzen stelle; auch führte er etwa einen armen Sünder, dessen Wohlweisheit und Salbung nicht aus dem lautersten Himmel zu stammen schien, vor die Leinwand und beobachtete die verlegenen Gesichter, die er schnitt.

Als wir wiederholt von einem Bilde zum andern gingen, ich dazwischen auch bei diesem oder jenem allein zurückblieb, wußte ich nicht ein Wort zu dem Gespräche beizutragen, sondern unterlag schweigend dem Eindrucke, den ein so entschiedenes Können auf den machte, der es nicht übersah. Erikson dagegen, welcher ein so beschränktes und bescheidenes Arbeitsfeld besorgte, hatte so vieles geübt und gesehen, daß er sich mit Leichtigkeit und Verständnis aussprechen konnte. Er pflegte auch zu sagen, er verstehe nun gerade genug von der Kunst, um ein anständiger Liebhaber und Sammler zu sein, wenn das Glück ihn reich machen wollte, und um diesen Preis würde er sofort seine Palette an den Nagel hängen. In der Tat wußte er Altes und Neues wohl zu beurteilen und zu würdigen, ungleich so manchen Künstlern, die alles hassen oder geringschätzen oder einfach nicht verstehen, was nicht in ihrer Richtung liegt. Diese leidenschaftliche Beschränktheit ist freilich für manche notwendig, wenn sie auf dem Punkte beharren sollen, dem sie allein gewachsen sind, weil Anspruch und Bescheidung sich selten glücklich mischen. Auf jene Äußerung erwiderte dann Lys zuweilen, es sollte allerdings ab und zu einer von der Ausübung freiwillig zurücktreten, um der Kennerschaft frisches Blut zuzuführen; die Literaten seien wohl nützlich für das Logische und Chronologische, das Graphische und Biographische, für das Eintragen des Festgesetzten; vor dem Gegenwärtigen, sofern es als neu oder überraschend erscheine, ständen sie in der Regel unproduktiv und ratlos, und die ersten Stichworte müßten immer von den Künstlerkreisen ausgehen und seien daher meistens parteiisch, welche Parteilichkeit von den Literaten, nachdem die erste Kopflosigkeit überwunden, weiter ausgesponnen werde, bis der Gegenstand der Vergangenheit angehöre und einer verständigen Registrierung fähig geworden. Es sei das ein verdrießlicher Handel! Er habe Maler gekannt, die den verwichenen Raffael einen unangenehmen Kerl gescholten und dabei auf ihre grausam kritische Ader sich wunder was eingebildet haben; hinwieder seien ihm Kollegien lesende Professoren vorgekommen, welche an älteren Bildern eine wirkliche metallische Vergoldung nicht von gemaltem Golde zu unterscheiden wußten und in technischer Hinsicht überhaupt auf dem Standpunkte von Kindern und Wilden standen, die in einem gemalten Gesichte den Nasenschatten für einen schwarzen Fleck anzusehen pflegen.

Ich bemerkte wohl, daß Lys mit seinen Bildern in eigentümlicher Weise durch die Schule der großen Italiener hindurchgegangen sei, ohne sie im Unmöglichen gerade nachmachen zu wollen, erfuhr nun aber, er habe früher sich zum strengen deutschen Zeichner ausgebildet, der es im sichern Führen von Stift und Kohle fast seinem berühmten Meister gleichgetan und die Farbe für ein mehr oder weniger notwendiges Übel gehalten habe. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien sei er gänzlich umgewandelt zurückgekommen, mit Geringschätzung auf die frühere Weise herabsehend. Als hievon die Rede war und Erikson bedauerte, daß Lys die edle Kunst der deutschen Zeichnung, die doch in ihrer Art ein unersetzliches Gut und Wahrzeichen der Nation sei, so ganz beiseite werfe, erwiderte dieser: »Ei was! Wer einmal recht zu malen versteht, kann erst recht zeichnen, und zwar alles, was er will! Übrigens übe ich das Ding manchmal noch, freilich nur zu meinem eigenen Spaß.«

Er holte ein ziemlich großes Album vom besten Papier herbei, das in Leder gebunden und mit einem stählernen Schlosse versehen war. Mit dem Schlüsselchen, das an seinem Uhrgehänge befestigt, geöffnet, zeigte sich Blatt um Blatt eine Welt von Schönheit und zugleich der Verspottung derselben, wie sie nicht leicht wieder in solcher Weise sich zusammenfinden mag. Es war die Geschichte einer Reihe von Liebschaften, welche er erlebt und in das Buch gezeichnet hatte mit feinstem Stifte und im solidesten deutschen Stil, als ob Dürer und Holbein, Overbeck oder Cornelius den Dekameron illustriert und die Zeichnungen für den Grabstichel unmittelbar fertiggebracht hätten. Eine solche Geschichte bestand je nach ihrer Dauer aus mehr oder weniger zahlreichen Blättern; jede begann mit dem Bildniskopfe des betreffenden Frauenzimmers und einigen Variationen desselben in verschiedener Auffassung; dann folgte die ganze Figur, wie man wohl einer schönen Person zum erstenmal auf dem Markte, in der Kirche oder im öffentlichen Garten ansichtig wird; dann entwickelte sich die Bewegung und das Verhältnis zum Helden, immer Lys selbst, bis zum Sieg und Triumph der Liebe, worauf der Niedergang sich einleitete mit Gezänkszenen, Abenteuern der einseitigen oder gegenseitigem Untreue bis zur unvermeidlichen Trennung, die entweder mit einer jähen Verstoßung des scheinbar zerknirschten Helden oder mit einer komischen Gleichgültigkeit beider Teile vor sich ging. In diesem Verlaufe glänzte besonders eine Anzahl Einzelfiguren von schmollenden oder weinenden Schönen als wahre kleine Monumente des anmutig strengen Stiles. Eine entfesselte Haarflechte, eine Verschiebung der Gewänder an Schulter oder Fuß erhöhte stets den Eindruck der Bewegtheit, wie das zerrissen flatternde Segel eines Fahrzeuges von überstandenem Unwetter Kunde gibt. Es war nicht zu entscheiden, ob diese tragischen Situationen eine andächtig mitfühlende Hand geschildert, oder ob eine leise Ironie ihren Teil daran hatte; unbestritten dagegen strahlten die weiblichen Ehren einiger Wesen, welche auf der Höhe ihres Triumphes in mythologischen Gestalten verklärt wurden.


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