Gottfried Keller
Der grüne Heinrich
Gottfried Keller

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Bohnenromanze

Am nächsten Morgen legte ich denselben Weg, der von Tau und Sonne funkelte und blitzte, mit meinem Geräte beladen, zurück und sah bald den See unter dem Morgendufte hervorleuchten. Haus und Garten waren vom jungen Tag übergoldet und warfen ihr kristallenes Gegenbild in die Flut; zwischen den Beeten bewegte sich eine blaue Gestalt, so fern und klein wie in einem Nürnberger Spielzeuge; das Bild verschwand wieder hinter den Bäumen, um bald desto größer und näher hervorzutreten und mich in seinen Rahmen mit aufzunehmen. Schulmeisters hatten mit dem Frühstücke auf mich gewartet; ich war sehr eßlustig geworden durch den weiten Weg und sah mich daher mit großer Zufriedenheit hinter dem Tische, während Anna die Tugenden eines Hausmütterchens aufs lieblichste spielen ließ und sich endlich neben mich setzte und so zierlich und mäßig an dem Essen nippte wie eine Elfe, und als ob sie keine irdischen Bedürfnisse hätte. Ich sah sie indes kaum eine Stunde nachher mit einem mächtigen Stück Brot in der Hand und mir auch ein solches bringend, unbefangen und tüchtig dreinbeißen mit ihren kleinen weißen Zähnen, und dies begierige Essen im Gehen und Plaudern stand ihr ebenso wohl an wie vorher der bescheidene Anstand am Tische.

Nach dem Frühstücke war der Vater mit der alten Magd in seinen Weinberg gestiegen, um von den reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches den Sonnenstrahlen den Zugang versperrte. Die Besorgung des Weinberges war, nebst dem Schlagen und Kleinmachen des Holzes, seine Hauptarbeit in seinem beschaulichen Leben. Ich aber sah mich nach einem Gegenstande meiner Tätigkeit um. Anna hatte eine mächtige Wanne voll grüner Bohnen der Schwänzchen zu entledigen und an lange Fäden zu reihen, um sie zum Dörren vorzubereiten. Damit ich in ihrer Nähe bleiben konnte, gab ich vor, ich müßte nun zur Abwechslung einmal Blumen nach der Natur malen, und bat sie, mir einen Strauß derselben zu brechen. Der Zusammenstellung wegen begleitete ich sie in den Garten, und nach einer guten halben Stunde hatten wir endlich eine hübsche Menge beisammen und setzten sie in ein altmodisches Prunkglas und dieses auf einen Tisch, der in einer Weinlaube hinter dem Hause stand; Anna schüttete ihre Bohnen rings darum her und wir setzten uns einander gegenüber, bis zur Mittagsstunde arbeitend und von unseren beiderseitigen Lebensläufen erzählend. Ich war nun ganz erwärmt und heimisch geworden und begann bald mit der Überlegenheit eines Bruders dem guten Kinde mit wichtigen Urteilen, eingestreuten Bemerkungen und Belehrungen zu imponieren, indessen ich meine Blumen mit verwegenen bunten Farben anlegte und sie mit erstaunt und vergnügt zuschaute, über den Tisch gebeugt und ein Büschel Bohnen in der einen, das kleine Taschenmesserchen in der anderen Hand. Ich brachte den Strauß in natürlicher Größe auf einen Bogen und gedachte damit ein rechtes Prunkstück im Hause zurückzulassen. Inzwischen kam die Magd vom Berge und forderte meine Gespielin auf, ihr zum Bereiten des Essens behilflich zu sein. Diese kurze Trennung, dann das Wiedersehen am Tische, die Ruhestunde nach demselben, das Billigen meiner vorgeschrittenen Arbeit von seiten des Schulmeisters, gewürzt mit weisen Sprüchen, und endlich die Aussicht auf ein abermaliges Zusammensein bis zum Abend in der Laube veranlaßten ebenso viele angenehme Bewegungen und Zwischenspiele. Anna schien auch meines Sinnes zu sein, da sie eben wieder einen ansehnlichen Haufen Bohnen auf den Tisch schüttete, welcher bis zum Abend auszureichen schien. Allein die Haushälterin erschien plötzlich und erklärte, daß Anna mit in den Weinberg müßte, damit man heute mit demselben noch fertig würde und eines kleinen Überbleibsels wegen nicht am anderen Tage hinzugehen brauche. Diese Erklärung betrübte mich, und ich war sehr ärgerlich über die alte Frau; Anna hingegen brach sogleich willig und freundlich auf und bezeigte weder Freude noch Verdruß über die Änderung ihres Planes. Die Alte, als sie mich bleiben sah, sagte, ob ich nicht auch mitkomme, ich werde doch nicht allein hier sein wollen, und es sei recht schön im Weinberge. Allein ich war nun schon zu tief betrübt und unwillig und erklärte, ich müßte meine Zeichnung zu Ende führen. Bald saß ich allein in der einsamen Gegend und der Nachmittagsstille und fühlte mich nun doch wieder zufrieden. Auch kam dieses Alleinsein meinem Machwerke zugute, indem ich mir mehr Mühe gab, die natürlichen Blumen vor mir wirklich zu benutzen und an ihnen zu lernen, während ich am Vormittage mehr nach meiner früheren Kindermanier drauflos gepinselt hatte. Ich mischte die Farben genauer und verfuhr reinlicher und aufmerksamer mit den Formen und Schattierungen, und dadurch entstand ein Bild, welches an der Wand unschuldiger Landbewohner etwas vorstellen konnte.

Darüber verfloß die Zeit schnell und leicht und brachte den Abend, indessen ich mit Liebe die Zeichnung nach meiner Einsicht vervollkommnete und überall ein Blatt oder einen Stiel ausbesserte und einen Schatten verstärkte. Die Neigung für das Mädchen lehrte mich dies gewissenhafte Fertigmachen und Durchgehen der Arbeit, welches ich bis dahin noch nicht gekannt; und als ich gar nichts mehr anzubringen sah, schrieb ich in eine Ecke des Blattes »Heinrich Lee fecit« und unter den Strauß mit gotischer Schrift den Namen der künftigen Eigentümerin.

Der Weinberg mußte inzwischen noch ein großes Stück Arbeit gegeben haben, denn schon schwebte die Sonne dicht über dem Waldrande und warf ein feuerfarbenes Band über das dunkelnde Gewässer her, und noch hörte ich nichts von meinen Gastfreunden. Ich setzte mich auf die Stufen vor dem Hause; die Sonne ging hinab und ließ eine tiefe Goldglut zurück, welche auf alles einen Nachglanz verbreitete und das Bild auf meinen Knien wunderbar verklärte und etwas Rechtem gleichsehen ließ. Da ich sehr früh aufgestanden war und in diesem Augenblicke auch sonst nichts Besseres zu tun wußte, schlief ich allmählich ein, und als ich erwachte, standen die Zurückgekehrten in der vorgerückten Dämmerung bei mir und am dunkelblauen Himmel wieder die Sterne. Meine Malerei wurde nun in der Stube bei Licht besehen, die Magd schlug die Hände über dem Kopf zusammen und hatte noch nie etwas Ähnliches erblickt; der Schulmeister fand mein Werk gut und belobte meine Artigkeit gegen sein Töchterchen mit schönen Worten und freute sich darüber; Anna lächelte vergnügt auf das Geschenk, wagte aber nicht, es anzurühren, sondern ließ es auf dem flachen Tische liegen und guckte nur hinter den anderen hervor darüber hin. Wir nahmen nun das Nachtmahl ein, nach welchem ich aufbrechen wollte; aber der Schulmeister verhinderte mich daran und gab Befehl, mir ein Lager zu bereiten, da ich mich auf dem dunklen Berge unfehlbar verirren würde. Obgleich ich einwandte, daß ich den nächtlichen Weg ja schon einmal zurückgelegt hätte, ließ ich mich doch leicht bereden, aus bloßer Freundschaft dazubleiben, worauf wir in den kleinen Saal mit der Orgel gingen. Der Schulmeister spielte und Anna und ich sangen dazu einige Abendlieder, und der Magd zu gefallen, welche gern mitsang, einen Psalm, den sie mit heller Stimme beherrschte. Dann ging der Alte zu Bette. Doch jetzt begann erst die Herrschaft der alten Katherine, welche unten in der Stube einen ungeheuren Vorrat von Bohnen aufgetürmt hatte, welche heute nacht noch sämtlich bearbeitet werden sollten. Denn da sie nachts nicht viel schlafen konnte, beharrte sie hartnäckig auf der ländlichen Sitte, dergleichen Dinge bis tief in die Nacht hinein vorzunehmen. So saßen wir bis um ein Uhr um den grünen Bohnenberg herum und trugen ihn allmählich ab, indem jedes einen tiefen Schacht vor sich hineingrub und die Alte den ganzen Vorrat ihrer Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns beide in wacher Munterkeit erhielt. Anna, welche mir gegenüber saß, baute ihren Hohlweg in die Bohnen hinein mit vieler Kunst, eine Bohne nach der andern herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdischen Stollen, so daß plötzlich ihr kleines Händchen in meiner Höhle zutage trat, als ein Bergmännchen, und von meinen Bohnen wegschleppte in die grauliche Finsternis hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte gemäß verpflichtet sei, mich zu küssen, wenn ich ihre Finger erwischen könne, jedoch dürfe der Berg darüber nicht zusammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub sie sich noch verschiedene Wege und begann mich auf die listigste Weise zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges versteckt, sah sie mich über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch an, indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unsichtbarer Maulwurf, dann plötzlich mit der ganzen Hand hervorschoß und wieder zurückschlüpfte wie ein Mäuschen ins Loch ohne daß es mir je gelang, sie zu haschen. Sie trieb es so weit, mir immer auf die Augen sehend, daß sie plötzlich eine Bohne, die ich eben ergreifen wollte, meinen Fingern entzog, ohne daß ich wußte, wo dieselbe hingekommen. Katherine bog sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Laßt sie nur machen, wenn ihr der Bau endlich zusammenbricht über den vielen Löchern, so muß sie Euch auf jeden Fall küssen!« Anna wußte jedoch sogleich, was die Alte zu mir sagte; sie sprang auf, tanzte dreimal um sich selbst herum, klatschte in die Hände und rief: »Er bricht nicht, er bricht nicht, er bricht nicht!« Beim dritten Male gab Katherine mit ihrem Fuße dem Tische schnell einen Stoß und der unterhöhlte Berg stürzte jammervoll zusammen. »Gilt nicht, gilt nicht!« rief Anna so laut und sprang so ausgelassen im Zimmer umher, wie man es gar nicht hinter ihr vermutet hätte. »Ihr habt an den Tisch gestoßen, ich hab es wohl gesehen!«

»Es ist nicht wahr«, behauptete Katherine, »Heinrich bekommt einen Kuß von dir, du Hexe!«


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