Gottfried Keller
Der grüne Heinrich
Gottfried Keller

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11

Die Maler

Gehe ich mit der Erinnerung meinem damaligen Wandel nach, so gestaltet sich derselbe erst um die Zeit wieder etwas deutlicher, wo ich gegen anderthalb Jahre am Musenorte mehr oder weniger inkognito zugebracht. Denn weder meine Vorbereitung noch meine Lebenskunde waren geeignet gewesen, mein Tun und Lassen rasch in eine feste Form zu leiten.

In diesem Übergangsschatten herumsuchend, sehe ich mich eines Nachmittags bei guter Zeit die Palette reinigen und die Pinsel auswaschen, mit denen ich den Kampf mit einem auf Hörensagen begonnenen Ölmalen führte. Ich sehe mich noch den schlichten breitrandigen Hut ergreifen, den ich längst statt des sentimentalen Samtbarettes trug, und den Weg zu einem neuen Bekannten antreten, um denselben noch bei der Arbeit zu finden und ihm eine flüchtige Weile zuzuschauen, ehe wir den verabredeten Gang ins Freie unternahmen. Ohne alle Empfehlungen angekommen und auch ohne Mittel, mich in die Werkstatt eines in der Wolle des Gelingens sitzenden Meisters einzudingen, war ich darauf angewiesen, in den Vorhöfen des Tempels zu stehen und da oder dort durch die Vorhänge zu gucken, was immer seine Schwierigkeit hatte. Denn von den Scholaren, wie sie im Durchschnitte sind, war nichts zu lernen, und sobald die jungen Leute durch den Verkauf eines Werkleins sich als angehende Meister betrachten lernten, wurden sie in der Mitteilung ihrer Kunstgeheimnisse zugeknöpft und einsilbig. Schon war ich einmal zurückgeschreckt worden, als ich mich auf ausdrückliche Einladung hin bei einem derartigen schüchtern zum Besuch meldete und er mich an der Türe mit der hochmütigen Entschuldigung abwies, er halte soeben Konferenz mit seinem Literaten, um »den Mann« für die Besprechung eines neuen Bildes zu instruieren. Auch in der Idealwelt der Kunst sind Kümmel und Salz reichlicher als Ambrosia, und wenn die Leute wüßten, wie klein und ordinär es in den Köpfen mancher Maler, Dichter und Musikanten aussieht, so würden sie einige dem Völklein nur schädliche Vorurteile aufgeben.

Mein neuer Freund, Oskar Erikson, war jedoch eine gerade und einfache Natur. Mit seiner ganzen langen und breitschultrigen Gestalt und in seinem dichten Goldhaar, welches vom hocheinfallenden Lichte gestreift wurde, saß er vor einem winzigen Bildchen, an dem er malte. Sonst war außer einigen Skizzenbüchlein in dem geräumigen Zimmer nichts zu erblicken als ein paar Jagdflinten an der Wand, auf dem Boden ausgestreckte Wasserstiefel und auf dem Tische liegende Pulverhörner und Schrotbeutel neben einigen Büchern. Eine kurze Jägerpfeife im Munde, rückte die Hünengestalt eben, als ich eintrat, mächtige Rauchwolken ausstoßend, auf dem Stuhle stöhnend und brummend hin und her, stand auf, setzte sich wieder, warf die Pfeife weg, daß das glimmende Kraut umherfuhr, zielte mit dem Pinsel und rief in abgebrochener Weise: »O heiliges Donnerwetter! Welcher Teufel mußte mir einblasen, ein Maler zu werden! Dieser verfluchte Ast! Da hab ich zu viel Laub angebracht, ich kann in meinem Leben nicht eine so ansehnliche Masse Baumschlag zusammenbringen! Welcher Hafer hat mich gestochen, daß ich ein so kompliziertes Gesträuch wagte? O Gott, o Gott! wär ich, wo der Pfeffer wächst! Ei, ei, ei, ei! Das ist eine saubere Geschichte – wenn ich nur diesmal noch aus der Tinte komme!«

Plötzlich fing er aus Verzweiflung machtvoll an zu singen:

»Oh, wär ich auf der hohen See
Und säße fest am Steuer!«

was ihm zum Durchbruch zu verhelfen schien; denn der Pinsel saß jetzt an der rechten Stelle und arbeitete mehrere Minuten gemächlich fort, indessen Erikson die angefangene Melodie immer ruhiger und gedämpfter wiederholte und endlich verstummte und still weitermalte. Aber offenbar, um Gott nicht allzulange zu versuchen, sprang er unversehens auf und betrachtete, einen Schritt zurücktretend, mit höchster Zufriedenheit, den Alten-Dessauer-Marsch pfeifend, sein Werk. Dann setzte er das Gepfiffene in Worte um und sang, indem er das Rauchzeug wieder zusammensuchte: »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage« und so fort, wobei er endlich meine Anwesenheit entdeckte.

»Sehen Sie, wie ich mich plagen muß!« rief er, mir unbefangen die Hand schüttelnd. »Seien Sie froh, daß Sie ein gelehrter Komponist und Kopfmaler sind, der nichts zu können braucht, während so ein armer Teufel von Handelsmaler nicht weiß, wo er die Tausende von bargültigen Halbtönchen, Druckerchen und Lichtchen auftreiben soll, um seine kabinettsfähigen vierzig Quadratzoll nicht allzu schwindelhaft zu überstreichen!«

Das war durchaus nicht ironisch gemeint; vielmehr betrachtete er seine Arbeit von neuem mit mißtrauischen Augen und setzte sich wieder hin, um noch ein bißchen sein Heil zu versuchen, indessen ich ihm gespannt zuschaute, wie er auf der großen Palette mit ängstlicher Vorsicht reine und sichere Tinten aussonderte, mischte und in der beschriebenen Weise auftrug. Wie er später, bei entwickelter Vertraulichkeit, von sich selbst behauptete, war er nicht etwa ein schlechter Maler (dazu war er allerdings zu geistreich), sondern im wesentlichen Sinne der Frage gar keiner. Ein Kind der nördlichen Gewässer, von der Grenzmark zwischen den Deutschen und Skandinaviern herstammend, Sohn eines in guten Umständen lebenden Seefahrtsmannes, hatte er in den ersten Jugendjahren ein anmutiges Geschick bekundet, mit gewandtem Stifte zu skizzieren, was ihm vor die Augen kam, und hauptsächlich für das jährliche Schulexamen prunkende Schaustücke in schwarzer Kreide angefertigt. Durch den Einfluß eines jener verkümmerten Zeichenlehrer, welche die Dürftigkeit ihrer Existenz mit unversieglicher Begeisterung zu verhüllen oder zu verbessern trachten und überall mit unseligem Aufstacheln zur Hand sind, war er vom freisinnigen Mut einer glücklichen Familie, sich selbst nur halb bewußt, der Kunst zugewendet worden, nicht ohne daß jener Lehrer hierbei manches kräftige Liebesmahl und auch klingenden Lohn für allerlei Rat und Tat zu genießen wußte. Die ungewöhnliche Laufbahn schien auch dem hellen und fröhlichen Sinn des Jünglings, seiner unbändig emporwachsenden Kraft eher zu entsprechen als der Aufenthalt in der väterlichen Schreibstube. So wurde er denn, im Widerspiel mit so vielen andern Jünglingen in ähnlicher Lage, unter bester Zustimmung und Hoffnung, wohl ausgestattet und empfohlen, zur Reise nach den berühmtesten Kunstschulen entlassen und fand bei den namhaftesten Meistern, welche ihre Werkstätten zu öffnen pflegten, willige Aufnahme. Im Anfange ging die Entwicklung ganz frisch und ohne Unterbruch vonstatten, besonders da der junge Mann, zwar nicht übereifrig und mehr lebenslustig, doch keine wirklichen Pausen in seinem Fleiße eintreten ließ und sowohl mit seiner prächtigen Gestalt als seinem heiter frohen Ernste eine Zierde der Ateliers bildete. Aber die Fortschritte gingen nur bis zu einer gewissen Grenze und standen dann unerbittlich still, auf geheimnisvolle Weise, da jedermann die schönsten Hoffnungen hegte und in der Führung des männlich ruhigen Scholaren keine Änderung eingetreten war. Erikson ward des Phänomens zuerst inne, glaubte aber dagegen ankämpfen, dasselbe überwinden und beseitigen zu können. Er veränderte den Ort, versuchte sich auf allen Gebieten, wechselte Meister um Meister – umsonst, er fühlte, daß ihm die Gewalt zur Erfindung sowohl wie zur Fülle der Ausführung abging, daß ihn das innere Sehen auf einem deutlich erkennbaren Punkte verließ oder höchstens sich vereinzelt gleich einem glücklichen Würfelspiel einstellte, welches sich nicht wiederholte, und schon hatte er sich entschlossen, den beschämenden Kampf aufzugeben und heimzukehren, als ihn die Nachricht von dem Ruin des väterlichen Hauses ereilte. Derselbe war so vollständig und hoffnungslos, wenigstens auf Jahre hinaus, daß die Heimkehr des Sohnes als eine Vermehrung des Übels betrachtet und bestimmt gewünscht wurde, er möge zusehen, wie er sich mit den Früchten seines bisher so löblichen Fleißes nun weiterhelfe.

So war denn sein Entschluß bald verändert. Mit unbestechlich bedächtiger Selbstkritik durchsuchte und verglich er das ganze Gebiet dessen, was in seinem Vermögen stand, und gelangte nach reiflichem Nachdenken zu dem Ergebnisse, daß er mit Sicherheit und Verständnis allereinfachste Landschaftsbilder im kleinsten Maßstabe, belebt mit vorsichtig hingesetzten Figürchen, alles dies mit einem gewissen Reiz ausgeführt, hervorbringen könne. Ohne Zaudern machte er sich daran, und zwar mit redlichem und anständigem Sinne. Denn anstatt mit leichter Arbeit auf falsche Effekte und irgendein manieriert modisches Gepinsel loszugehen, das sich sozusagen von selbst hinschmiert (gerade das wäre für manchen andern so recht angezeigt gewesen), blieb er wie ein wahrer Gentleman den Grundsätzen einer ehrlichen Vorbereitung und Vollendung getreu, und hiermit erneuerte sich bei jedem neuen Bildchen für ihn Arbeit und Mühe. Glücklicherweise gelang die Sache. Gleich das erste Produkt, das er ausstellte, wurde rasch verkauft, und es dauerte nicht lange, so suchten die für feinere Kenner geltenden Sammler die sogenannten Eriksons zu guten Preisen zu erwerben.

Ein solcher Erikson enthielt etwa im Vordergrunde ein helles Sandbord, einige Zaunpfähle mit Kürbisranken, im Mittelgrunde eine magere Birke, dann aber einen weiten flachen Horizont, dessen wenige Linien mit weiser Berechnung angelegt und in Verbindung mit der einfach gehaltenen Luft die Hauptwirkung des Werkleins hervorbrachten.

Obgleich dergestalt Erikson als echter Künstler angesehen wurde, verleitete ihn das weder zur Selbstüberschätzung noch zum Geiz; sobald seinem Ausgabenbedürfnisse genügt war, warf er Pinsel und Palette hin und ging ins Gebirge, wo er sich als Jagdgenosse so einheimisch gemacht, daß er sogar zur Bärenjagd, wenn sich eine solche auftat, zugelassen wurde. Den größeren Teil des Jahres brachte er, fern von der Stadt, auf diese Weise zu.

Es gehörte nur zum Bilde des allgemeinen Lebens und seines Haushaltes, wenn ich jetzt genötigt war, dem wackeren Gesellen, der sich selbst nicht für einen Meister hielt, die Geheimnisse des Handwerks abzulauschen.

»Nun ist's aber genug!« rief Erikson plötzlich, »auf die Art kommen wir nicht fort. Überdies wollen wir im Vorbeigehen einen Kameraden abholen, bei dem Sie Besseres sehen können, heißt das, wenn wir Glück haben! Kennen Sie Lys, den Niederländer?«

»Nur vom Hörensagen«, versetzte ich, »ist es der Sonderling, von dem niemand weiß, was er malt? der niemanden in seine Werkstatt läßt?«

»Mich läßt er schon hinein, weil ich kein Maler bin! Sie vielleicht auch, weil Sie noch nichts können und es noch unentschieden ist, ob Sie überhaupt je ein Maler sein werden! Na, werden Sie nur nicht mauserig, etwas werden Sie schon werden und sind es ja bereits. Lys hat's, Gott sei Dank, nicht nötig, er ist reich und kann schon alles, was er will, nur ist es nicht viel; denn er tut fast nichts. Am Ende ist er auch kein Maler, wenigstens sollte man keinen so heißen, der nicht wirklich malt, er müßte denn Abhaltungen haben, wie jener Leonardo, der Talerstücke an die Domkuppel warf!«

Ich half ihm rasch sein Zeug reinigen, das er stets in so guter Ordnung hielt, daß er auch jetzt nachsah, wie ich es gemacht. »Denn es ist nicht gleichgültig«, sagte er, »ob man mit Mist malt, wenn man doch die Absicht hat, einen lauteren Ton zu treffen. Wer immer Dreck in seinem Zeug hat, oder das Unverträgliche mischt, ist wie ein Koch, der das Rattengift zwischen die Gewürze stellt. Aber die Pinsel sind rein, Gott segne Sie! von diesem Punkt aus kann man Sie unbescholten nennen! Sie haben eine ordentliche Mutter, oder ist sie tot?«

Nachdem wir einige Straßen zurückgelegt, betraten wir die Niederlassung des mysteriösen Niederländers, welche so gewählt war, daß die Fenster des geräumigen, von ihm allein bewohnten Stockwerkes auf den freien Horizont und offenen Himmel hinausgingen und von der Stadt selbst nichts zu sehen war als ein paar edle Architekturen und massige Baumgruppen. Befand man sich in dieser Gegend auf freier Erde, so sah man nur den unfertigen Rand einer Stadt mit Bretterwänden, alten Baracken und Wirtschaftlichkeiten versetzt; die Fenster des Herrn Lys, welche nichts als jene in einer Flut goldenen Lichtes ruhenden idealen Gegenstände zeigten, schienen daher mit sorgfältigem Geschmacke herausgefunden zu sein. Wenigstens wirkte die glänzende Durchsicht der großen Fenster durch eine offenbar bewußte Einfachheit und Ruhe in der Ausstattung der Zimmer in doppeltem Maße.

Zu meiner Verwunderung hatte Lys, der uns freundlich empfing, nichts Holländisches an sich, wie man sich dieses vorzustellen pflegt. Ein mittelgroßer, schlanker Mann von vielleicht achtundzwanzig Jahren, war er dunkel an Haar und Augen, letztere von einem fast melancholischen Ausdruck gleich dem hübsch lächelnden Munde. Noch mehr wunderte ich mich, daß das Zimmer, in welchem wir uns befanden, keine Spur von Kunsttätigkeit verriet, vielmehr dem Aufenthalt eines Gelehrten oder Politikers glich. Große mit Gardinen verhangene Regale bargen eine Menge Bücher, worunter, wie ich später erfuhr, manche Raritäten und erste Ausgaben. An den Wänden hingen nicht etwa Bilder oder Studien, sondern Landkarten, auf einem Tische lag ein Haufen Journale verschiedener Sprachen, und an einem breiten Schreibtische schien Lys soeben gearbeitet zu haben.

»Ich bin mir noch den Nachmittagskaffee schuldig«, sagte er, als wir uns setzten, »halten die Herren mit?«

»Da wir vermuten, er werde nicht schlecht sein, gewiß!« antwortete Erikson für uns beide, und Lys klingelte einem jungen Menschen, der ihn bediente. Inzwischen sah ich mich immer noch im Raume um, nicht eben im Besitze des guten Tones.

»Der wundert sich auch«, rief Erikson, »wo die Staffeleien und Bilder dieses Kunsttempels seien! Nur Geduld, junger Herr von Strebsam, der Mann zeigt sie uns noch, wenn wir schön bitten! Aber wahr ist es, lieber Lys, bei Ihnen sieht's aus wie im Arbeitszimmer eines großen Publizisten oder eines Ministers!«

Etwas düster lächelnd versetzte der andere, er sei nicht aufgelegt, seine Arbeiten heute noch zu sehen; schon zum dritten Male müsse der Bursche die Paletten unverrichteter Dinge abends wieder absetzen, und unter solchen Umständen sei es wohl verzeihlich, daß er nicht gern ins Atelier hinübergehe, sei es allein oder mit Fremden. Wirklich erteilte er dem Diener, als der mit dem Kaffeebrett erschien, den Auftrag. Brett und Geschirr aber glänzten, mit Ausnahme der chinesischen Tassen, in schwerem Silber und waren in dem nüchternen neugriechischen Stile früherer Jahrzehnte gearbeitet, ein Zeugnis, daß Eltern und Familie des Niederländers von der Erde verschwunden waren und er als allein Übriggebliebener das Erbstück mit sich führte, um einen letzten Schimmer des verlorenen Vaterhauses um sich zu haben. Bei einer späteren Gelegenheit behauptete Erikson vertraulich, Lys bewahre in seinem Schreibtisch auch das goldbeschlagene Kirchenbuch seiner Mutter auf.


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