Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

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Auch der Tag war vorüber. Ich hatte mir die fünf Stunden Schlaf redlich verdient, um sieben Uhr trat ich aus dem Zelt und fand die Gefährten am Ufer des Teiches versammelt.

Mein Verhältnis zu Wera war nun vollständig zu harmloser, freundlicher und vertraulicher Brüderlichkeit abgeschwächt. Wir trugen uns gegenseitig nichts nach, das Verbindende zwischen uns war doch nur der aufstachelnde Reiz gemeinsamen Erlebens gewesen.

Tübbicke nahm mich beiseite.

»Olaf, Lady Jane und Sussik lagern draußen bei den Bischarin . . . Die Filmkompagnie ist abgezogen – endgültig. Es besteht wohl kaum noch die Aussicht, Cordy zu fangen, und gerade das erhöht mein Wohlbehagen keineswegs . . . So lange der Kerl noch frei umherläuft, kann man sich auf so allerlei gefaßt machen . . . Mylady läßt noch nach ihm suchen, gewiß, sie hat alle Bischarin ringsum alarmiert, aber – – die Hetze nach dem schlauen Fuchs dürfte umsonst sein . . .« Wir schritten in das Tal hinaus – immer weiter, bis zur Dünentreppe. Droben auf dem Kamm standen drei Bischarin, sicherlich Leute mit vorzüglichen Augen – – Cordys wegen!

»Olaf«, begann Tübbicke nach längerem Schweigen, »ich kenne Ihre Zukunftspläne nicht . . . Möglich, daß auch für uns sehr bald die Scheidestunde schlägt, möglich, daß wir uns dann nie wieder sehen.«

»Wahrscheinlich nicht«, – ich drückte ihm fest die Hand. »Trotzdem werde ich Ihrer stets gern gedenken . . .«

»Ich auch . . .! – Ich möchte Ihnen noch etwas anvertrauen . . .« Er zauderte unschlüssig . . . »Sehen Sie, Olaf, so ohne Ziel und Zweck sparte ich doch nicht all die Jahre. Ich . . . ich wollte Gewißheit haben über das Schicksal meiner Eltern und meines einzigen Bruders Theodor . . . Mein Vater war Schiffskapitän . . . Der Hafen Fosser am Roten Meer war damals vor fast sechzig Jahren noch ein halbes Räubernest, meine Eltern wagten sich von dort aus ins Innere – – niemand sah sie wieder. Ich war bei Verwandten in Hamburg geblieben, ein zweijähriger Junge . . .«

Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

. . . Ich sah mich neben dem Pater Theodorus auf der Ringmauer stehen, hörte noch seine schmerzlichen Worte über seine ungewisse Herkunft.

»Tübbicke, Sie wollten doch noch nach dem Kloster St. Antonius!« rief ich atemlos.

Er blickte mich groß an . . . »Ja . . . Weil es dort einen Mönch geben soll, der . . .«

Ich legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Tübbicke – nicht soll!! Es muß Ihr Bruder sein . . .!!«

Ich hatte den frischen, heiteren Adolar nie weinen sehen . . . Ich ging still von dannen . . . Die Dämmerung senkte sich über die Oase herab . . . Und doch war es Licht geworden in dem Herzen eines Mannes, den man lieb haben mußte, der ausgezogen war zu suchen – nicht Gold! Und der nun den Bruder finden würde . . . –

Leichten, schwebenden Schrittes kam mir unter den Bäumen Gussy entgegen. Sie schaute sich erst vorsichtig um, dann flüsterte sie hastig . . .

»Er ist hier!!« Sie war so erregt, daß sie die Worte mit ganz veränderter Stimme hervorstieß.

»Wer?!«

Sie drängte sich an mich. »Cordy!« hauchte sie. »Aber du . . . du darfst um keinen Preis an die Palme heran . . . Merkt er etwas, so . . . erschießt er dich . . . gerade dich . . . Er hat es sehr schlau angefangen, Olaf, – er tat nur so, als ob er in die Wüste hinausfloh, – er kehrte zurück, er . . .«

»Mädel – kalt Blut!« Ich rüttelte sie leicht. »Du zitterst ja . . . Er kann doch nicht in der Krone einer Palme stecken, – das wäre . . .«

Sie flüsterte bittend: »Olaf, wenn du mir versprichst, daß du dich keiner Gefahr aussetzt, – – sieh, wir saßen doch am Weiher, und uns gegenüber erhob sich die verdorrte Palme, die die weißköpfigen Geier, die in der Krone horsten, durch ihren Unrat zum Absterben gebracht haben . . .«

»In dem Geiernest?« fragte ich ungläubig . . .

»Ja! Ja! Aber – du wirst nichts tun . . .« – sie umklammerte mich . . . »Olaf, überlaß es mir . . . Ich . . . ich werde seine Aufmerksamkeit ablenken. Dann könnt ihr ihn . . . ausräuchern oder erschießen . . . oder sonst etwas . . . – Wir saßen da, der kleine Mac, Tübbicke und ich . . . Und ich wunderte mich, daß die beiden großen Geier immerfort auf der einen Palme sich niederließen, die Köpfe so komisch drehten und wütend krächzten . . . Mit einem Male stieß der eine Geier, wohl das Weibchen, wie ein Pfeil hinab auf das Nest, und . . . da . . . da . . . sah ich eine Hand mit einem Messer blitzschnell hochfahren, – und der Geier flog davon . . . Cordy steckt da oben . . .! – Und, Olaf, – ich werde ihn . . . foppen, Olaf . . . Der Onkel-Ekel-Darß hatte da in London von einem Artisten eine Schlange gekauft, – in der einen der Kisten befindet sie sich . . . Natürlich keine richtige Schlange, nur so eine mechanische Spielerei mit starken Sprungfedern – sehr starken. Ich wiege nicht viel, höchstens neunzig Pfund, und das Ding schnellt mich mit hoch, wir haben es schon versucht, Darß wollte die Schlange nötigenfalls als Schreckmittel gegen die Nubier verwenden, – ich habe in der Kiste meine Wäsche mit verpackt . . . Mitten im Teich ist doch eine Sandbank, – dorthin schleppe ich die Kiste und . . .«

»Gut, – tue es . . .!!« Ich wollte Cordy lebend haben um jeden Preis . . . – –

. . . Heute, wo seit jenem Abend so viele Tage bereits verronnen sind, brauche ich die Augen nur zu schließen, und alles, was damals geschah, erscheint mir als unvergängliche Reihe wildbewegter Szenen. Ich sehe noch immer die überschlanke Gussy aus der Kiste hochfahren, die schon völlig im Schlammsand eingesunken war, – emporschnellen mit den Windungen des künstlichen Ungetüms . . .

Ich sehe Wera, Cudderson, Mac, Tübbicke am Ufer – – sprachlos emporstarrend, – ich höre noch ihr Händeklatschen, ihre ahnungslosen Bravorufe . . .

Ich sehe mich selbst noch in der Krone der Nachbarpalme . . . Ein Ast bricht, Cordys Kopf fährt herum . . . er schaut in meine Pistolenmündung, springt über den Rand des Nestes hinweg, gleitet an der grünen Girlande abwärts, – – und Gussy schlägt mit dem Jagdmesser zu . . . Die Ranken reißen, Cordy saust mit dem Ende, an dem er hängt, in die Tiefe, – – sein Schädel zerkracht an dem Felsstück am Ufer . . .

Ich habe ihn doch nicht lebend gefangen.

Der Aasgeier Cordy war tot. – –

. . . Ich habe die Feder soeben eine Weile ruhen lassen. Und in dieser Pause habe ich innigst des lieben Mädels gedacht, das mir einige Tage des Glückes schenkte und das dann doch so vernünftig war, Lady Janes hochherziges Anerbieten anzunehmen . . .

Es waren schöne Tage.

Einsam sitze ich heute an meinem Schreibtisch und sehe in die Einsamkeit vor meinem Zelt hinaus . . .

Sehe, wie die Sonne am Horizont verschwindet, – wie der Schatten des Zeltes immer länger wird. Leicht kratzt es am Eingang meines Zeltes. Wrangel schiebt sich, müde von der Jagd und der Hitze, hinein und legt sich zu meinen Füßen. Er rollt sich zusammen.

Wrangel, – einziger Gefährte aus früheren Tagen, der bei mir geblieben ist.

Ich bücke mich und streichle über sein struppiges Fell.

Er knurrt leicht.

Er fühlt sich wohl.

Langsam rollt er sich wieder auseinander, hebt den Kopf und sieht mich mit seinen treuen Augen nachdenklich an.

Weiß er, daß ich mit meinen Gedanken heute fern von hier weile?

Fern von hier, – im Norden?

England!

Bei Gussy, der lieben kleinen Frau?

Wrangel stellt sich auf die Vorderbeine, hebt den Kopf und legt ihn in meinen Schoß.

Ich schließe die Augen.

Wenn ich jetzt ein bißchen Phantasie habe, kann ich mir einbilden, daß es immer noch Gussys Kopf ist, den ich jetzt streichle.

Es waren schöne Tage.

Hätte ich nachgeben sollen, als Gussy mich bat, hier bei mir bleiben zu dürfen?

Leise klingt es durch das singende Geräusch des Windes:

»Olaf, bitte, bitte, laß mich bei dir bleiben!«

Doch ich bin hart geblieben. Ich habe das einzigste Wesen, die einzigste Frau, die erste seit Jahren, fortgeschickt. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, sie für die Dauer an meine Seite zu fesseln.

Jung gehört zu jung.

An Jahren war ich doppelt so alt wie sie. Aber kann man bei einer Frau nach Jahren zählen?

Sei ehrlich, Olaf, du selbst bist in diesen Tagen auch wieder jung geworden.

Tage und Wochen schönster Zweisamkeit, – hier am Rande der Wüste. Ausflüge mit Gussy.

Ich muß lächeln, wenn ich an den Tag denke, als all das Schöne begann.

Tübbicke war der letzte der Gruppe, der sich auf den Weg machte. Er wollte Gussy mitnehmen und sie in Kairo absetzen.

Lange stand ich an diesem Nachmittag vor meinem Zelt und sah den beiden nach.

Auch an diesem Tage wurde es Abend. Sussik, der bei mir bleiben wollte, brachte mir gerade das Abendbrot, als es plötzlich vor dem Zelt raschelte.

Aufmerksam horchten wir nach draußen. Ich sah auf Wrangel, der damals wie heute vor meinen Füßen saß. Er rührte sich nicht. Gerade wollte ich aufstehen und draußen nachsehen, als der Vorhang des Zeltes zur Seite geschoben wurde und herein kam Gussy . . .

Ich muß ein blödes Gesicht gemacht haben, denn Gussy fing an zu lachen, es klang, als würden kleine Silberglocken aneinander geschlagen. Dann wirbelte sie wie ein Windhund auf mich zu und hing an meinem Hals.

Ihre Lippen suchten die meinen und preßten sich gegen sie.

Ich erwiderte den Kuß wie ein Verdurstender.

Doch dann stand ich auf.

»Gussy, wo kommst du her?«

»Aus der Wüste, Olaf, mitten aus der Wüste!«

Ratlos sah ich sie an.

»Du wirst mich doch nicht wieder in die Wüste zurückschicken, Olaf?« fragte sie mit ihrer unschuldigen Stimme.

»Denk' an Tübbicke«, sagte ich. »Er wird in Sorge sein um dich!«

Ich hatte verlernt, daß man eine Frau, noch dazu eine liebende, mit solchen Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe bringen kann.

Vorerst küßte sie mich noch einmal lang und stürmisch, dann flüsterte sie:

»Tübbicke weiß alles. Ich habe es ihm gesagt, daß ich wieder zu dir zurück gehe!«

Mit leichter Gewalt löste ich ihre Arme von meinem Hals und hielt sie weit von mir weg. So weit, wie meine Arme es erlaubten.

So ernst wie ich konnte, sah ich sie an.

Sie aber lächelte.

»Gussy, denke daran, daß ich ein Leben führen muß, welches hart und entbehrungsreich ist. Ich kann es nicht verantworten, dich hier zu behalten. Du mußt zurück!«

»Was ich muß, weiß ich am besten selbst«, bestimmte sie. »Und vorläufig muß ich bei dir bleiben. Willst du mich blamieren?«

Ihre Augen blitzten.

Ja, was sollte ich da machen?

Zornig stampfte sie mit ihren kleinen Füßen auf den Sandboden.

»Wenn du mich also nicht behalten willst, dann werde ich eben für mich alleine hier bleiben. Du kannst es mir nicht verbieten, daß ich mich in einem der Nachbarzelte aufhalte. Ich bin immerhin mündig und kann tun und lassen was ich will. Meine Eltern leben nicht mehr und von anderen Leuten lasse ich mir keine Vorschriften machen.«

Sprach's und verschwand, nachdem sie noch einmal wie ein kleines übermütiges Füllen auf den Boden gestampft hatte, aus dem Zelt.

Einige Minuten später kam Sussik und sah mich schweigend an. Ratlos hob ich die Schultern.

Sussik lächelte. Ein infames Lachen.

Darüber ärgerte ich mich.

Warum weiß ich nicht. Jedenfalls brüllte ich los:

»Miß Gussy wird im Nachbarzelt wohnen. Sorge dafür, daß sie etwas zu essen bekommt!«

Lächelnd verließ auch Sussik das Zelt.

Ja, damals habe ich mich wohl reichlich dumm benommen.

Wie ein Löwe bin ich dann in meinem Zelt auf und ab gelaufen.

Ich verfluchte die Welt, im besonderen aber alle Frauen.

Ich wollte mich ohrfeigen, weil ich mich damals in den Bergen, als es mit Gussy begann, nicht beherrscht habe. Aber was nützte das. Zu guter Letzt bin ich dann mit Wrangel in die Nacht hinausgelaufen und habe mich mit dem Wind und dem Sand unterhalten.

Erst wollte ich gar nicht wieder in mein Zelt zurück.

Ich fürchtete mich. Wollte es nicht wahr haben, daß ich mich im tiefsten Winkel meines Herzens über die Frau freute.

Mitten in der Nacht schlich ich wie ein Fremder vorsichtig in mein Zelt. Vorsichtig wickelte ich mich in meine Decke und schlief endlich ein. Im Traum verfolgte mich:

Gussy!

Am nächsten Morgen hatte ich nicht ausgeschlafen. Mürrisch saß ich beim Frühstück. Gussy mußte davon gehört haben. Vielleicht hatte Sussik ihr etwas erzählt. Jedenfalls sie ging mir, wo sie nur konnte, aus dem Weg.

Und das ärgerte mich eben auch wieder. Wenn sie schon hier war, dann sollte sie sich auch um mich kümmern.

Wütend machte ich an diesem Tag einen Spaziergang weit in die Wüste hinein. Spät in der Nacht kam ich zurück.

In dieser Nacht schlief ich wohl etwas besser, aber so gut wie sonst ruhte ich nicht.

Auch am nächsten Tag verzog ich mich gleich in der Frühe wieder. Ich wollte niemanden sehen.

Doch noch jemand hatte seinen dicken Kopf aufgesetzt. Jemand, von dem ich es am wenigsten erwartet hätte.

Wrangel.

Ich pfiff und rief ihn. Vergebens. Er, der sonst der erste war, wenn es nach draußen gehen sollte, rührte sich heute nicht.

Als ich ihn ausschimpfte, hob er nur müde den Kopf, sah mich treuherzig von unten herauf an, so, als wenn er sagen wollte:

Wenn du schon verrückt spielst, dann aber alleine. Mich laß gefälligst zufrieden. Als ich gar keine Ruhe gab, erhob er sich, streckte sich erst hinten und dann noch einmal ausgiebig mit den Vorderläufen, trat schnüffelnd an den Ausgang des Zeltes, hob die Nase in den Wind und ging dann mit gemächlichen Schritten davon.

Gerade konnte ich noch sehen, wie sein Hinterteil im Zelt von Gussy verschwand.

Wütend schmiß ich meinen Hut in den Sand und trat mit den Füßen darauf herum, als sei er schuld an dieser ganzen Misere. Was sollte ich nun machen?

Allein gehen?

Das war gefährlich.

Aber jetzt erst recht. Ohne mich noch einmal umzusehen, ging ich pfeifend davon. Nicht weit, aber immerhin kehrte ich wieder erst spät am Abend zurück.

Auch Sussik war schon schlafen gegangen, als ich müde in mein Zelt schlich.

Wenn das so weitergeht, wirst du bald verkommen.

Müde schmiß ich mein Hemd in die Ecke, zog mir einen Schlafanzug an und ließ mich auf den Rand meines Lagers nieder.

Was war das?

Meine Hand stieß an einen Widerstand.

Als ich mich, um genauer hinsehen zu können, über das Lager beugte, umfingen mich zwei warme weiche Arme, so fest, daß es mir unmöglich war, wieder loszukommen.

Unaufhaltsam zogen sie mich herunter . . .

Zwei weiche Lippen suchten meinen Mund . . .

 


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