Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

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Wenn man von dem Rätsellächeln der Asiaten spricht, von diesem Lächeln, das alles und nichts besagen kann: Mein Kamerad Gupa war Asiate, war sogar reinblütiger Mongole vom großen Volke der Chalcha, – aber sein Lächeln war so selten wie der Regen im Felsengewirr des Wadi Arabah, jenes Kalkplateaus mit den tiefen, breiten Talkerben, das nun meine neue Heimat geworden war.

Wenn Gupa, ein Riese von ebenmäßigem Körperbau, überhaupt lächelte, verzog er den Mund nur zu einem spöttisch-geringschätzigen Bogen.

Und als er damals über mein verwirrtes Gesicht lächelte, nachdem ich Wera Zubanoffs Brief gelesen hatte, empfand ich keinerlei Ärger über diese seine schlecht verhehlte Verachtung für zartere Gefühle, denn – er war Mongole, und die Frauen bedeuteten ihm nur Spielzeug oder Sklavin. –

Der Morgen weckte mich in meiner kleinen Zelle. Zu den altgewohnten Störenfrieden des Klosters St. Antonius gehören die in den Felsklüften zahllos nistenden Raben. Diese schwarzen Gesellen vertreten hier die nützlicheren Herren einer Hühnerschar. Kein Hahnenschrei weckte mich: Rabengekrächz!

Es war eine unruhige Nacht gewesen.

Wera kommt . . .!

. . . Ich träumte von Fesseln, die meine Freiheit für immer beschwerten . . . Ich hatte es verlernt, mich auf etwas zu freuen. Das war es.

Nur das?!

Oder hatte ich mich nicht vielmehr an diese schrankenlose Freiheit zu sehr gewöhnt?! Würde mir diese Frau nicht jenen Weg weisen, der nichts anderes war als die ausgetretene Straße des Alltags?!

. . . Ich hatte rasch gefrühstückt ... Eine Handvoll Datteln, ein Trunk Wasser genügten. Leise verließ ich die Zelle. Über den Klosterbauten lag noch das fahle Licht der Dämmerung, in dem Garten zeigte sich noch keiner der arbeitsamen jüngeren Mönche, der Bruder Torhüter fragte erstaunt:

»So früh?! Wohin?!«

»Zu Gupa . . . Wir werden Wera Zubanoff entgegenreiten . . .

Gupa mied das Kloster. Er hauste droben in den weißen Klippen, von denen man ein Stückchen des Nordteiles des Roten Meeres erspähen kann. Seine Höhle war lang und schmal und hatte noch einen zweiten Ausgang und kleinere Abzweigungen.

»Sei vorsichtig!« mahnte der alte Mönch, den ich nie ohne seinen Tschibuk sah. »Denke an die Kugeln, denke an . . .«

Ich klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Kolben der Büchse, und dann streichelte ich meines Hundes rostbraunen Kopf.

»Die beiden schützen mich, Bruder . . . Keine Sorge!«

Der Greis, dem der Pfeifenrauch den weißen Bart um den Mund gelblich gefärbt hatte, sagte trotzdem nochmals und eindringlicher: »Die Kugeln gestern in der Dunkelheit galten dir . . .! Eine Kugel ist unberechenbar wie ein störrisches Maultier. Du mußt einen Feind haben, Bruder.«

Er blickte mich dabei aus noch immer seltsam klaren Augen vertraulich an. Wir standen hier auf der Ringmauer des Klosters, und Wrangel, mein Hund, und die frechen Raben waren die einzigen Zeugen seiner Warnung. »Die Frau, die hierher kommen will, hat einen Gatten, Bruder . . . Er ist koptischer Christ wie ich, – trotzdem . . .«

»Zubanoff der Schütze?! Niemals!« – und das war meine ehrliche Überzeugung.

Der Greis meinte sanft: »Ich kenne nichts von der Welt und ihren Fallstricken, nichts von den Lastern, Vergnügungen und Zerstreuungen all der Abermillionen, die jenseits dieser weißen, ewig sonndurchglühten Berge wohnen. Ich kam als vierzehnjähriger Knabe hierher. Darüber ist ein Menschenalter vergangen . . .«

Seine graublauen Augen, die jetzt auf den Kuppen der Felswildnis mit verlorenem Ausdruck ruhten, waren durchaus die eines reinblütigen Europäers. Seine faltige Gesichtshaut freilich hätte mehr auf einen Bewohner des nur hundertfünfzig Kilometer entfernten Niltales hingedeutet.

Dieser Bruder Pförtner, Theodorus ward er genannt, war im Vergleich zu den übrigen Koptemönchen dieses ältesten Klosters der Welt ein verschlossener Charakter. Heute schien er in ganz bestimmter Absicht das Gespräch auf seine Vergangenheit zu lenken.

». . . Bruder Olaf, es sind fast sechzig Jahre her. Unser Kloster war damals, als ich hierher kam, erst wieder durch milde Spenden der koptischen Gemeinden bewohnbar gemacht worden. Es hatte lange Zeit leer gestanden. Ich kam hierher, weil einige Brüder, die nach Kairo pilgerten, um notwendige Dinge einzukaufen, unterwegs eine von Wüstenräubern überfallene kleine Karawane fanden – nur Tote . . . Ich . . . war der einzige Überlebende. Ich hatte mich während des Angriffs der Beduinen in den Klippen verkrochen, aber der Schreck und die Angst hatten mir die Sprache geraubt und warfen mich monatelang auf das Krankenlager. Als ich hier in diesen friedlichen Mauern endlich genesen war, war auch mein Gedächtnis tot. Da die Brüder bei den bereits in Verwesung übergegangenen Leichen keinerlei Papiere gefunden hatten und da sich auch nicht feststellen ließ, woher die kleine Karawane in diese öden Berge des Wadi Arabah gelangt sein könnte, weiß ich nichts über meine Eltern, über meine Heimat, über meinen Namen . . .«

Sein Blick streifte mein braunes Gesicht. »Bruder, du bist einer der Ruhelosen . . . Ich kenne deine Schicksale. Deine nordische Heimat mußt du meiden. Wir alle haben dich gern. – Bruder, ich weiß nur eins über meine Eltern . . . Sie müssen wie du ziellose Erdenpilger gewesen sein, denn die Behörden in Ägypten konnten über die zehn Toten, alles Europäer, nichts in Erfahrung bringen. Es sind sechzig Jahre seit jenem Überfall dahingegangen, und . . .« – er zögerte – ». . . und selbst du, der vielleicht mein Sehnen nach Aufklärung über meine Herkunft stillen könnte, wirst kaum etwas ausrichten.«

Also, das war es!

Ich reichte ihm die Hand. »Bruder Theodorus, wir werden ein andermal eingehender darüber sprechen. Jetzt muß ich aufbrechen. Der Anstieg zu Gupas Höhle im Sonnenschein ist eine Qual, und Gupa und ich werden Wera Zubanoff entgegenreiten. Sie wird den Weg über Ab-el-Ejam vom rechten Nilufer wählen, es ist der für Dromedare bequemste, und als gute Kamelreiterin dürfte sie für die Strecke kaum zwei Tage brauchen . . . Lebe wohl, Bruder, auf Wiedersehen.«

Der Hund und ich schritten auf der breiten Ringmauer hin nach Osten bis zu der verfallenen Treppe.

Eine seltsame Schwere lastete auf meinen Gliedern, das ekle Geschrei der Raben war mir widerwärtig, und ich fühlte bereits die Unfreiheit, die meiner drohte. Ich war ehrlich vor mir selbst: Ich taugte nicht zum Liebesgefährten einer Frau von Weras bezaubernder Schönheit. Erst einmal Sklave solcher Schönheit, und meine Lebenslinie würde abbiegen in das Grau des Alltags, die Ernüchterung würde kommen und dann vielleicht . . . ein Auseinandergehen voller Enttäuschung, voll geheimen Hasses.

Nur das nicht! –

Ich begann zu klettern. Und die Anspannung der Muskeln, das Spiel der Kräfte war Ablenkung und frohe Aufmunterung.

Vor Gupas Höhle zog sich eine Terrasse hin, in deren nördlichem Schattenwinkel eines jener nie versiegenden, daher rätselhaften Wasserlöcher sich befand, die dem Gebirge ringsum eigentümlich sind.

Gupa stand vor der Zisterne und holte gerade am langen Strick den Wassereimer hoch.

»Morgen, Gupa . . .«

»Morgen, Olaf . . .«

Er ließ sich nicht stören, er wandte kaum den Kopf. Er war nackt bis auf ein Hüfttuch, und dieser muskelstrotzende athletische Körper erregte erneut meine Bewunderung.

Gupa nahm sein Morgenbad, goß sich den gefüllten Eimer über den Kopf und schüttelte die Nässe ab, legte dann seine Kleidungsstücke an, ganz leichte Unterwäsche, darüber einen braunen, mehr grauen, mantelartig geschnittenen Leinenstoff, den er mit einem Lederriemen zusammenhielt. Er zog die derben Sandalen an, kämmte sein Haar mit den Fingern nach hinten und stülpte die Lammfellmütze über. In wenigen Minuten war er fertig.

Gupa betrat seine Wohnhöhle, kam mit Sattel, Zaumzeug, Büchse, Pistole, Messer und Satteltasche wieder heraus und schritt vor mir her in die westlichen Täler hinab.

Er war wortkarger denn je.

Die wenigen Sätze, die wir wechselten, bezogen sich auf den unbekannten Schützen, der es auf mich abgesehen gehabt hatte und den wir nicht gefunden hatten. Gupa meinte, der Fürst Zubanoff käme hier nicht in Frage, – ich gab ihm recht.

Unter uns tauchten die Klosterbauten auf, die uralte Kapelle, die neuere Kirche, die gekalkten Vorratshäuser, das Grün des großen Gartens, die Felder, die Palmen . . . Jenseits des Tales verschwommen Hügel und Berge in violetter Verwaschenheit.

Außerhalb der hohen Ringmauer weideten drei magere Dromedare. Gupa hatte sie erst vorgestern von einem Araber des Wadi Warag gegen Goldkörner eingehandelt, die er im Lederbeutel bei sich trug: Erinnerungen an die Goldfelder des Amur, um die so heißer Streit entbrannt gewesen, – gewesen. Auch das gehörte der Vergangenheit an.

So jämmerlich die Dromedare auch aussahen, ihr Trab war flott und weit ausgreifend, und Wrangel mußte galoppieren, um gleichen Schritt mit uns zu halten.

Wir bogen nach rechts ab. Etwas wie ein Weg, gekennzeichnet durch dürren Tierdünger von Eseln, Maultieren, Kamelen und Schafen sowie durch einen kaum sichtbaren blanken Strich mit zermahlenem Gestein, lief aufwärts in die grelle, helle Felswildnis. Kein Baum, kein Strauch, kein Lebewesen, tödliches Schweigen, – das ist für den Neuling der niederdrückende erste Eindruck dieses Wadi Arabah.

Die Hitze nahm zu. Ich holte mir Wrangel in den Sattel, denn von dem langhaarigen, dickpelzigen Tiere, das aus dem unwirtlichen Sachalin stammte, war es nicht zu verlangen, hier stundenlang über kahles Gestein zu laufen.

»Gupa . . .?!«

Er schaute auf.

»Was hast du heute? Du bist so still.«

Er kniff die Mongolenaugen noch kleiner.

»Was soll werden, Olaf?!«

»Du meinst, wenn Wera da ist?«

»Was sonst . . .?!«

Ich war um eine Antwort verlegen.

Aber ich spürte: Gupa, der Treue, war eifersüchtig.

»Ich . . . weiß es selbst nicht . . .«

Er lachte. Sein Lachen . . .

»Nun also! – Ich kenne dich, Olaf . . . Es ist der heiße Wind der Leidenschaft. Die Nacht wird kommen und mit ihr der kühle Tau. Dann wirst du einsehen, daß die Frau dir nur eine Last ist.«

Ich wagte nicht zu widersprechen. Gupas wilde Vergangenheit umfaßt dunkelste Berufe. Gupa ist Menschenkenner geworden.

Wir ritten in eine Schlucht hinab, wieder einen Paß empor, und vor uns lag wie eine trügerische Fata Morgana eines jener kleinen fruchtbaren Täler, die in diese Einöde Bilder freudigster Üppigkeit hineinzaubern. – Sie sind selten, aber sie sind da . . . Man könnte sie Oasen nennen, wenn sie nicht so winzig wären und wenn hier flache oder wellige Wüste sich dehnte.

Wir rasteten hier.

Gupa sattelte die Dromedare ab, legte ihnen die Fußriemen um, – wir beide und der Hund lagerten im Schatten und waren im Paradiese.

Was sollte werden?! – Der Gedanke verließ mich nicht. Scheu musterte ich Gupas harte Züge. Er hatte den Kopf nach Westen gewandt und schien zu lauschen. Ich wünschte, ich hätte sein feines Gehör.

»Schüsse«, sagte er leise . . .

Da war es auch mir, als ob ich einen ganz fernen Knall vernähme.

Der Hund, die Ohren hochgestellt, knurrte.

»Aufbruch!« Ich lief zu den Tieren, eine dunkle Vorahnung sagte mir, daß Wera sich in Gefahr befände.

Auch Kamerad Gupa beeilte sich. Die Dromedare, empört über die zu kurze Rast, keilten aus. Kostbare Minuten vergingen. Das Lasttier war am störrischsten. Gupa hieb ihm die Faust zwischen die Ohren, und es knickte vorn ein.

Wir trabten weiter, Wrangel war besessen von Eifer, ich mußte ihn immer wieder zurückrufen.

Einen Berg hinan, – am tiefen Abgrund entlang, – wieder ein Tal . . .

Auf diesen hellen Felsen, deren Farbe nur selten in düsteres Grau oder Braun übergeht, erkennt man fremde Gegenstände auf weite Entfernung. Die Luft ist klar und dünn, – die Luft flimmert, aber es war ein totes Kamel, das da auf der Talsohle zwischen Geröll neben einem lang hingestreckten Manne in Beduinentracht lag.

Der Mann lebte noch. Das Reittier war tot.

Ich kniete neben dem Araber, sein Gesicht war grau und eingefallen, die Lippen farblos, die Augen geschlossen. Die Whiskyflasche gab ihm letzte Kraft trotz der beiden Kugeln quer durch die Brust. Er konnte wenige Worte flüstern, er war von Wera als Führer angeworben worden, – hier an dieser Stelle hatten plötzlich aus den Steinblöcken Schüsse geknallt . . . Mehr wußte er nicht. Er starb, und wir begruben ihn in einer Felsspalte.

Gupa sagte nur: »Ich wußte, daß Ähnliches geschehen würde . . . Die Mörder werden sterben.« – Viel Worte machte er nie.

Wir hatten den Hund. Ohne ihn wäre es zwecklos gewesen, nach Fährten zu suchen. Zwischen den Felsblöcken fand er vier Patronenhülsen von Winchesterbüchsen, dazu drei Zigarettenstummel und Pfeifentabakreste.

Im Spurendeuten war ich Gupa doch über. Ich erkannte, daß hier drei Leute versteckt gewesen, – ich erkannte weiter, daß ein vierter in einer nahen Schlucht vier Dromedare bewacht hatte. Dann fehlte jegliche Fährte. Die Mörder waren mit Tieren, denen die Hufe umwickelt gewesen, hierher gekommen und genau so entflohen – zu fünfen mit Wera. Aber wir hatten den Hund, und Wrangels Nase ist vorzüglich.

Während ich die Fährten studierte, hatte Gupa die Umgebung scharf überwacht. Wir mußten immerhin damit rechnen, daß es sich bei diesen Entführern Weras um dieselben Personen handelte, zumindest um denselben heimtückischen Schützen, der mich gestern zweimal bedacht hatte – ein Sauschütze freilich, denn seine Schüsse waren nur Pulververschwendung gewesen.

Gupas Zuruf lockte mich aus der Schlucht wieder in das Tal. Von Westen her kam ein Mann auf einem Maultier dahergetrabt, und ich lernte so eine der sonderbarsten Gestalten kennen, die mir je über den Weg gelaufen sind.

»Rechnungsrat a. D. Tübbicke, Berlin«, stellte er sich vor.

 


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