Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nach der Karte konnte es die Nordspitze des Wadi Kebir, einer Abzweigung des Wadi Keneh, sein, wo wir Stunden später im Morgengrauen lagerten. Wir hatten gehofft, hier auf Wasser zu stoßen (Tübbickes Handbuch verzeichnete hier verschiedene Bir oder Brunnen), die Felslöcher waren jedoch leer, – kein Wunder, denn es mußte in dieser Gegend wochenlang eine grausame Hitze geherrscht haben, die Felsen waren derart durchglüht, daß sie auch nachts förmliche Glutwellen aushauchten. Die Örtlichkeit war trostlos, ein paar Palmen, verdorrte Büsche, versengtes Gras, dazu überall zahllose Tierspuren, – aber wir waren am Rande unserer Kräfte, ebenso unsere Dromedare, nicht minder der Hund, – unsere Wasserschläuche leer, an Proviant nur noch kärgliche Mengen Mehl und Hartbrot.

Der Morgen zog herauf. Gussy Gollan lag mit verbissener Miene auf meiner Wolldecke, Tübbicke rieb die Dromedare ab, Gupa stand als Wache zwischen den Felsen der südlichen Talwand und ich wollte versuchen, irgend etwas Genießbares zu schießen. Unterwegs hatten wir absichtlich jeden Schuß vermieden.

»Tübbicke, geben Sie scharf auf das Mädel acht!« ermahnte ich ihn nochmals. »Die Kerle haben ihr Flugzeug, und . . .«

Freund Adolar schmunzelte. »Ich denke, Olaf, ich habe in dieser Nacht mein Hauptexamen zum Trapper für Ägypten und umliegende Dörfer mit ›Genügend‹ bestanden . . .

»Allerdings, das haben Sie, aber mit ›Sehr gut‹ . . . Trotzdem – unsere Lage ist ziemlich heikel . . .« Wir sprachen deutsch . . . »Sehr heikel, denn nun sind auch noch diese Leute aus Hollywood hinter uns her – etwas viel für drei Mann und einen Hund, schätze ich.«

Gussy in ihrem Schlafanzug, über den sie noch im Zelt sehr kokett einen farbenfrohen Kimono geworfen hatte, – die kleine zierliche, jungenhafte Hexe überraschte uns jetzt durch die schnippische Bemerkung – auch in deutscher Sprache:

»Wir werden später miteinander reden, Herr Lensen. Houston hat sich da eine kapitale Dummheit geleistet, als er Sie drei für Verbündete Cords hielt . . . Ich weiß nun besser Bescheid. Ich werde nicht fliehen, ich werde auch dem Flugzeug, falls es erschiene, keinerlei Zeichen geben – nicht ohne Ihre Zustimmung. Genügt Ihnen das?«

Sie, die bisher sich völlig still und scheinbar teilnahmslos gezeigt hatte, – sie, die uns als Luft behandelt und nur zweimal unterwegs eine kurze Rast gefordert und sich dann ein Stück entfernt hatte, war zweifellos zu besserer Einsicht gelangt. Sie saß aufrecht da, sie schaute mich an und bat in einem Atem: »Nehmen Sie mich mit, Herr Lensen . . . Ich muß mir Bewegung machen, ich bin an körperliche Anstrengungen gewöhnt, und dieser Ritt hat mich nur gründlich durchgeschüttelt, – das war kein Training nach meinem Wunsch!« Sie sprang auf und reckte und dehnte sich . . . Ihre weiten Ärmel fielen herab und enthüllten zwei wunderbar modellierte, aber ebenso muskulöse Arme.

»Donnerwetter!« entfuhr es Tübbicke anerkennend. »Das also ist die andere Seite Ihres Wesens, Miß Gollan!«

»Nein« – und ihre kecken Augen sprühten vor Übermut, »das – bin ich, Gussy Gollan, Tochter von Pierre Gollan, Großfarmer bei Santa Maria, Texas, – Cowboy-Königin mit fünfzehn Jahren, – – aber meine Karriere dürfte Sie kaum interessieren . . .! Also – nehmen Sie mich mit, Herr Lensen . . . bitte . . . bitte . . . Ich werde auch ganz artig sein, ich verscheuche Ihnen sicherlich kein Wild, ich schieße zwar miserabel, aber mit dem Lasso fange ich jedes Tier . . .

Mir lag nichts an ihrer Begleitung. Aber unter meiner Obhut schien sie mir sicherer als hier bei Tübbicke und Freund Gupa. Dieser kleine sprühende Satan hätte den beiden Kameraden zu leicht Hörner aufgesetzt. Ich traute dieser Gussy nicht. Ich hatte mir auch bereits so meine eigenen Gedanken über diese Filmleute gemacht . . .

»Gut, kommen Sie mit . . .

Ihre gestickten Lederschuhchen waren für diesen scharfkantigen Felsboden so ungeeignet wie nur möglich. Mir war dies gleichgültig . . . Lief sie sich Blasen an – ihre Schuld!

Wir schritten südwärts. Ihren Kimono hatte sie jetzt mit einem langen schmierigen Weidestrick der Dromedare umgürtet. Das Tal war breit, sehr breit, überall gab es steile Seitenschluchten, Felsgeröll, Sandstrecken, die auf die wasserreiche Zeit hindeuteten, Schutthalden und schmale Streifen runder Kiesel.

Das Mädel plauderte durchaus harmlos mit mir . . . Sie sprach von den gewaltigen Unkosten dieser Expedition, von dem großen Frachtdampfer, der die Elefanten eigens bis nach Alexandria gebracht hatte . . . Sie gab unumwunden zu, daß die Vorbereitungen in aller Heimlichkeit getroffen seien . . . »Sehen Sie, Herr Lensen, bei unserem Geschäft dürfen wir oft mit der Filmidee und allem, was zur Fertigstellung gehörte, erst dann vor die Öffentlichkeit treten, wenn wir die Konkurrenz nicht mehr zu fürchten brauchen . . .«

Was mich all das wohl interessierte?! Und doch gab es ein »Aber« dabei: Traf mein Verdacht zu, so hatten wir drei mit diesen Leuten und ihrem großen Troß noch sehr zu rechnen.

». . . Sie wollen hier wohl einen Film aus den Zeiten der Mahdistenkämpfe drehen, Miß Gollan . . .!« – es war ein behutsames auf den Busch-Klopfen . . . »Oder soll es ein historischer Film aus dem Pharaonenreiche werden, vielleicht über die Ausgrabungen, die reichen Funde an Kleinodien.«

Ich blickte sie von der Seite an. Ihre getuschten Augenbrauen, nur dünne Striche, hatten sich einen Moment scharf zusammengezogen. Dann wandte sie langsam den Kopf. Ihre Augen sollten harmlos wirken, aber Gussy Gollans schauspielerische Fähigkeiten reichten doch nicht dazu hin, den Schreck zu bemänteln, den meine letzte Bemerkung ihr zweifellos eingejagt hatte.

»Wie . . . kommen Sie auf Kleinodien!! Sind Sie Goldsucher?!« Das sollte Ironie sein . . . Das war nur ein grober Fehler . . .!

»Goldsucher – hm, wir alle jagen dem Golde nach«, – und mir gelang der gleichgültige Ton besser . . . Ich war stehen geblieben. Wir hatten soeben die östliche Talwand erstiegen, und unten in der Tiefe einer Schlucht zwischen dürftigen Büschen und Gräsern weideten arglos fünf prächtige Antilopen, abseits ein einzelnes Stück, das beträchtlich lahmte und zweifellos früher einmal eine schwere Verwundung davongetragen hatte.

Gussy flüsterte hastig: »Schießen Sie doch – schießen Sie doch, da . . .«

Sie hob die Hand und zeigte auf dieselbe Antilope, die auch ich bereits als leichteste Beute ins Auge gefaßt hatte. Gerade dieses Tier zu erlegen, war beinahe ein gutes Werk . . . Doch wichtiger blieb mir dieses schlauen Mädels allzu eifriges Ablenkungsmanöver . . . Meine Äußerung über allgemeine Goldgier hatte ihr noch mehr mißfallen als meine erste Bemerkung.

». . . Sie würden doch gegen ein paar Zentner Goldbarren sicherlich nichts einzuwenden haben – ich gewiß nicht!« – mein Lachen klang sicherlich sehr echt, denn jetzt wußte diese kleine Katze gar nicht mehr, woran sie mit mir eigentlich war. Ihr unsicherer, prüfender Blick verriet übergenug – für mich alles!

Im Nu hatte ich die Büchse hoch, im Nu knallte der Schuß, die Antilope brach nach zwei Sätzen zusammen, die anderen Tiere gingen flüchtig ab, – Unmengen Geröll prasselten unter ihren flüchtigen Hufen den Steilhang hinab . . .

Und in diesen Lärm der polternden Steinbrocken hallt hinter mir der kleinen Wildkatze schriller Befehl – wie das Klingen einer überspannten Bogensaite, – das Ohr peinigend, doppelt unschön aus so jungem Weibesmund:

»Rühren Sie sich nicht!! Die geringste Bewegung und ich schieße . . .« Ihre Worte überstürzten sich in Feindseligkeit und Triumph . . . »Zum Glück haben Sie meine kleine Pistole nicht gefunden . . . Rühren Sie sich nicht!! Bei Gott – ich drücke ab, ich werde Sie nicht schonen, ich bin kein leichtfertiges, dummes Mädel, das nur nach vergänglichem Ruhme giert, ich . . . – – rühren Sie sich nicht!!« Und diese letzte Warnung noch schriller, – wie ein Pfeifen und Zischen aus überheiztem Kessel . . .

Ich drehte mich bedächtig um, ich hatte die Büchse noch im Arm, – drei Schritt vor mir Gussy Gollan, kreidebleich vor ungeheurer Erregung, die kleine Repetierpistole im Anschlag . . .

»Werfen Sie die Büchse hin!!« kreischte sie wie eine Irrsinnige . . . »Wollen Sie mich zur Mörderin werden lassen . . . – sind Sie toll, daß Sie mich derart herausfordern?! Ich will frei sein – ich werde es auch sein, – – ich schieße, – lassen Sie Ihre Waffe fallen!«

Mein leises Lächeln brachte sie völlig außer sich . . .

In ihren Augen sprühten jetzt Haß und ernster Wille zum Töten . . .

»Weg mit der Büchse – – weg damit!« – – grell stach ihre plötzliche unnatürliche Ruhe gegen ihre bisherige fiebernde Nervosität ab . . .

Ich fühlte: Sie würde abdrücken!

Und – – ich lachte ihr ins Gesicht . . .

»Schießen Sie doch!!«

Ihr Mund war nur noch eine verkniffene Linie.

Ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug, die Mündung der Pistole war genau auf meine Stirn gerichtet, und diese Mündung schwankte nicht, wie im Schraubstock lag die kleine Waffe in der leicht gebräunten, tadellos gepflegten Hand . . .

Ein leises metallisches Knacken . . .

Nur das . . .

Kein Schuß . . . Nur das Anschlagen des Bolzens gegen ein nasses Zündhütchen der leeren Patrone . . .

Nochmals versuchte es Gussy Gollan . . .

Mit einem mitleiderregenden Schluchzen sank ihr Arm hinab . . .

»Ja, Tübbicke hat die Patronen etwas präpariert, als Sie noch ohnmächtig waren«, sagte ich nachsichtig. »Glaubten Sie wirklich, wir würden Sie nicht nach Waffen abfühlen?!«

Sie errötete tief . . .

». . . Glaubten Sie wirklich, daß ich mich so leicht überrumpeln ließe?!«

Jetzt trat bei ihr die Reaktion ein . . . Sie mochte vieles in ihrem jungen Dasein bereits erlebt haben, – sie war sicherlich kein Durchschnittsweibchen, – aber sie blieb Weib.

Sie weinte. Sie taumelte zu einem nahen Felsblock, ihre Pistole fiel in das Geröll, sie selbst brach auf dem harten Sitz zusammen und bedeckte das Gesicht mit den Händen . . . Ihre Gestalt pendelte hin und her . . . Ihre Nerven versagten vollständig.

Ich trat neben sie. Ich sah in ihr nicht die Feindin, – ich hatte ja mit ihr gespielt, ich hätte es nie so weit kommen lassen sollen . . . Ich hatte vorausgeahnt, weshalb sie mich begleiten wollte.

Meine Hand stützte sie . . .

»Dummes kleines Mädel, – für den Film mögen Ihre Nerven genügend gestählt sein, – für sorgsam vorbereitete Sensationen und Tricks – dergleichen! Aber hier, – nein, Kind, hier wo die große, feierliche Erhabenheit einer noch unverfälschten Natur andere Ansprüche stellt, wo das unvorbereitete Abenteuer sich Ihnen nähert und den Einsatz einer ganzen Persönlichkeit verlangt, da – – fallen Sie ab . . . Wie sollte es auch anders sein?! – Ich rechne auch nicht zu den ganzen Persönlichkeiten, so anmaßend bin ich nicht . . . Aber, Kind, seit Jahren lebe ich in innigster Verbundenheit mit dieser unverfälschten Natur, wandere Wege, die keine Wege sind, nehme dankbar hin, was mir die eigene Freiheit und die Freiheit freien Landes beschert . . . Und das ist sehr viel, Gussy Gollan, denn das freie Land nenne ich jede Stätte, an der die große Lügnerin Zivilisation sich noch nicht breitmachte . . .«

Ob sie auf meine Worte geachtet hatte, – sie hob jedenfalls den Kopf, blickte zu mir auf und haschte nach meiner Hand.

»Sie . . . Sie . . . verachten mich nicht?« – Die Worte waren kaum vernehmbar . . . »Ich . . . schäme mich jetzt . . . Ich muß völlig von Sinnen gewesen sein . . .«

»Das waren Sie! Und – weshalb?! Wer hat Sie dazu getrieben, Ihre Weiblichkeit derart zu vergessen, wer vergiftete Ihr Hirn mit irgendwelchen maßlosen Wünschen und Hoffnungen, daß Sie ein Menschenleben vernichtet hätten, nur um Leuten entfliehen zu können, die Ihnen und Ihren Begleitern nichts Böses angetan haben – nichts, – wer war dies, und – weshalb?!«

Sie antwortete nicht. Ihr Blick wich zur Seite, ihr Kopf senkte sich und das letzte, was ich von ihrem unklaren Mienenspiel bemerken konnte, war ein Zug herber Entschlossenheit. Ihre Tränen waren versiegt, zusammengekrümmt saß sie da, das Kinn in die Linke gestützt . . .

Ein buntes, verirrtes Vöglein in ihrem für diese Umgebung lächerlichen Kostüm!

Langsam ließ ich mich an ihrer Seite nieder.

Mitfühlend strich meine Hand über ihr Haar. –

Die Berührung mit diesem seidigen Etwas ließ mir das Blut in den Adern erstarren. – Dazu zog der Geruch des Weibes in meine Nase und betäubte meine Sinne . . .

Schnell wollte ich mich wieder erheben. –

Gussy hob den Kopf und sah mich mit großen Augen an. Dann umfaßte sie mit ihren kleinen Fingern meinen Arm und zog mich wieder zurück.

Verwirrt blieb ich sitzen.

Und wußte nicht, wohin ich blicken sollte. –

Meine Vernunft sagte mir, daß ich am besten sofort aufstehen müsse.

Aber wo bleibt schon in solchen Minuten die Vernunft?

Wo ist der Mann, der, wenn er gleich mir, sich seit Monaten, ja sogar schon seit Jahren abseits vom Alltagswege herumtreibt, in einer solchen Situation auf die Stimme der Vernunft hören kann?

Mit sanfter Gewalt zog Gussy mich zurück. Ihr kleiner wohlgeformter Kopf, mit dem zierlichen Mund, dessen Lippen wie ein paar reife Kirschen leuchteten, bot sich mir an . . .

Noch einmal rief eine mahnende Stimme in mir mich zur Vernunft, – aber – ich hörte sie nicht, – wollte sie auch wohl gar nicht hören.

Willenlos versank ich in einen Abgrund, der sich über mir schloß . . .

Zarte weiche Arme umfingen mich . . .

 


 << zurück weiter >>