Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

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Zwei Tage darauf sah ich zum ersten Male von den Höhen nordöstlich von Cotsch das wahre Gesicht Ägyptens: Den Nil, das fruchtbare Niltal, die zahllosen Fellachendörfer – und drüben jenseits des zwei Kilometer breiten Stromes das blendende, endlose Sandmeer der Lybischen Wüste.

Das war also der zweitgrößte Fluß der Erde, das war »das fließende Geheimnis«, dessen wahres Quellgebiet erst 1876 durch Stanley festgestellt wurde!

Was ich sah, wirkte im Glanze der Morgensonne überwältigend. Vielleicht könnte ein gottbegnadeter Dichter diesen Eindruck in wenige Sätze zusammenfassen, – ich war jedenfalls für lange Minuten verstummt und ließ die Blicke staunend über ein Landschaftsbild schweben, das gerade infolge seiner scharfen Kontraste kaum seinesgleichen haben dürfte.

Tübbicke schwieg gleichfalls, nur Gupa sagte völlig unberührt von alledem:

»Dort liegt eine Jacht!«

Wir suchten einen Weg zu der Landzunge, wir umgingen die letzten Fellachenhütten und führten die Dromedare am Zügel.

Die Minnawatta hatte an einem brüchigen Dampfersteg festgemacht, an Deck stand Ralph Cudderson, winkte uns zu, – englische Matrosen in blendend sauberen Anzügen brachten unsere Tiere an Bord, Cudderson drückte uns flüchtig die Hand, sprach irgend etwas von »Frühstück«, und ehe wir recht zur Besinnung kamen, befanden wir uns im Achtersalon der Jacht an einer glänzend gedeckten Tafel, – – wirklich, ehe auch ich recht zur Besinnung kam, sonst hätte ich unbedingt stutzig werden müssen. Cudderson war zu nervös, zu fahrig.

». . . Setzen Sie sich . . . So . . .«

». . . Es war für fünf gedeckt. Der Platz mir gegenüber blieb frei – vorläufig.«

». . . Ich freue mich außerordentlich«, sagte der Engländer jetzt mit eigentümlichem Lächeln . . . Dieses Lächeln war nicht nur erkünstelt, sondern auch verzerrt, und ursprünglich gab da irgendeine ganz feinfühlige Zelle in meinem Hirn das Signal: Gefahr!!

». . . freue mich außerordentlich, Sie an Bord zu haben . . .«

Unsere Büchsen hatte uns ein steifer, anmaßender Steward vorhin schon abgenommen . . .

». . . Legen Sie doch bitte Ihre lästigen Ledergürtel mit dem lächerlichen Behang ab . . . – Morris, helfen Sie den Herren!«

Der Steward verbeugte sich neben mir . . . »Mein Herr . . .!!«

Gupas Blick suchte den meinen. Gupa lächelte selten. Jetzt grinste er, senkte die Hände in die weißen Falten des Damasttuches der Tafel und brachte sie nicht mehr leer zum Vorschein.

Cudderson sah es, und sein Unterkiefer sank, die oberen Schneidezähne entblößten sich vor Schreck, der Steward neben mir erhielt einen sanften Ellenbogenstoß in den Leib, der ihn auf den dicken Teppich beförderte, und Adolar Tübbicke war rasch an der Gangtür und verschloß sie, war noch rascher auch bei der zweiten Tür.

Ralph Cuddersons grau verfärbtes Gesicht zeigte die Bewölkung des Schuldgefühls und der Angst.

»So, jetzt können wir frühstücken«, meinte ich. »Lieber Tübbicke, stellen Sie unsere Büchsen doch in Greifnähe. – Sie, Mr. Cudderson, hätten die elektrische Beleuchtung der Jacht nicht so stark in Anspruch nehmen sollen. Alle Fenster sind verhängt, alle Lichter brennen hier, und . . .«

Gupas Baß fauchte den Erblaßten weniger zart an . . .

»Schurke, Verräter . . .!!«

Ich winkte Gupa beruhigend zu. »Vergessen wir die Umgangsformen nicht, Freund Gupa! – Also, Mr. Cudderson . . .?!«

»Coddersohn . . .« warf Adolar Tübbicke bissig ein. »Ein richtiger Codder, Waschlappen . . .! Der Kerl erbleicht vor der eigenen Schufterei.«

Der Engländer saß mit einem Gesicht da, als ob ihm die ganze Szene mehr als widerwärtig wäre. Der Ausdruck des Schuldbewußtseins in seinem sonst zweifellos durchaus sympathischen Gesicht hatte sich verändert.

»Ich bin ein Narr gewesen, daß ich mich auf die Geschichte überhaupt einließ!« sagte er geradezu gequält. »Nun muß ich mir hier Dinge an den Kopf werfen lassen, die im Grunde berechtigt sind.«

»Weshalb ließen Sie sich auch von Lady Cordy einwickeln!« platzte Tübbicke heraus. »Die verdammten Weiber!! Wo schon ein Unterrock sich einmischt, ist stets . . .«

». . . Lady Cordy?!« fragte Cudderson in maßlosem Erstaunen. »Wie kommen Sie darauf?! Ich kenne Lady Cordy nicht!« Er sprach immer schärferen Tones. »Ich werde Lord James Cordy, meinen Bekannten von Kairo her, holen und . . .«

In dem Moment übersah ich endlich die Sachlage.

Die Erregung riß mich von meinem Platze hoch.

»Lord Cordy erschoß den Führer Wera Zubanoffs, Lord Cordy feuerte auf seine Gattin, – ich habe gleichzeitig auf ihn geschossen, ich traf auch. Ist er verwundet?!«

Ralph Cudderson stieg das Blut bis in die Stirn.

»Der . . . infame Lügner!« keuchte er. »Ja – er ist verdammt verwundet – Streifschuß an den Rippen! Ich Narr!« Er sprang auf. »Kommen Sie mit, Mr. Lensen . . . Cordy wartet drüben in der Kabine . . .!!«

Ich mußte lachen.

»Sie naives Gemüt!! Er wartete! Wartete! Er ist längst auf und davon, er wird gemerkt haben, daß . . .«

Cudderson rannte zur Tür . . .

Die Kabine stand offen . . .

Oben an Deck – die Jacht schwamm schon in der Fahrrinne des Stromes – sahen wir das kleinste Boot der Minnawatta mit einem einzelnen Ruderer eiligst dem Ostufer zustreben.

Cudderson brüllte den Kapitän an:

»Ist das Mylord?! Wie konnten Sie das Boot ausschwingen lassen?! – Ihm nach! Ich will rein dastehen vor diesen Herren, ich bin . . .«

Mein warnendes Hüsteln, mein Blick brachten ihn zur Vernunft. Es war nicht nötig, daß die Besatzung mit eingeweiht wurde. Mochten die Leute denken, was sie wollten, die Wahrheit sollten sie nicht erfahren.

Die Jacht änderte den Kurs. Lord Cordy ruderte wie ein Verzweifelter. Er hielt den Kopf tief gesenkt, er hatte noch dazu den Tropenhelm tief ins Gesicht gezogen.

Cudderson war außer sich. Er nahm uns beiseite. Er konnte kaum sprechen. »Meine Herren, entschuldigen Sie . . . Ich bin schamlos hintergangen worden, Cordy ist eine Zufallsbekanntschaft, er wohnte auch im Mena House, und wir hatten insofern Anknüpfungspunkte, als er Hauptaktionär der verkrachten Nubischen Goldminen‑A.‑G. ist, bei der auch mein Vater Millionen einbüßte . . .«

Er rang förmlich nach Luft. Um seine Nase zeigten sich die weißen Flecken ungeheurer Aufregung.

». . . Ich traf ihn dicht vor Kairo, als wir uns getrennt hatten . . . Ich hatte ja keine Ahnung von alledem, was Sie vorhin andeuteten, Mr. Abelsen . . . Ja . . . Abelsen, denn er verriet mir Ihren richtigen Namen, er erzählte mir, daß Sie steckbrieflich wegen Mordes gesucht werden, er behauptete, Sie hätten Wera Zubanoff verfolgt . . . Alles Lüge, – und ich verdammter Narr glaubte ihm, ich gab mich dazu her, Sie hier an Bord mit Ihren Begleitern festzunehmen und der Polizei auszuliefern . . . Ich kann nur nochmals um Entschuldigung bitten. Ich bin also absolut unerfahren in allen Dingen, die nicht gerade mit Sport zusammenhängen . . . Ich hätte auf meinen Mac hören sollen. Dem gefiel der Lord gleich nicht. Mac besitzt Menschenkenntnis . . .«

Sein Blick irrte dauernd nach dem flüchtenden Boote hin . . .

»Ah – wir fangen ihn – wir fangen ihn . . . Da, – wie er sich anstrengt . . .! Und wir müssen ihn haben! Er würde Sie sofort bei der Polizei denunzieren, Mr. Abelsen . . .«

Die Jacht rückte allerdings sehr schnell auf. Aber der Nil hatte niedrig Wasser, die so heiß ersehnte und segenbringende Überschwemmungsperiode, die stets mit großen religiösen Feierlichkeiten begrüßt wird, setzt erst im Juli ein, wenn die Regenfälle in den abessinischen Bergen den Attara-Fluß, den rechten bedeutendsten Nebenstrom, zehn Meter höher anschwellen lassen.

Es war nicht nur der niedrige Wasserstand, der mir zu denken gab. Der Nil ist bei Kairo in der Fahrrinne durchschnittlich zehn Meter tief, während des Hochwassers steigt er um acht Meter, außerhalb der eigentlichen Stromrinne gibt es überall sehr flache Stellen, endlose Sandbänke, Inselchen und leider auch die berüchtigten schwimmenden Grasinseln, – – ich bin kein Neuling auf dem Wasser, ich sah das Unheil voraus, und mein warnender Zuruf an den Kapitän kam zu spät.

Die Jacht lief auf, wir spürten den leichten Stoß, der Kapitän ließ die Schrauben sofort rückwärts arbeiten, der Nilschlick wirkt jedoch wie ein Riesensauger, – die Minnawatta lag fest.

Und das war schlimmer als alles andere.

Cordy hielt auf das Dorf Cotsch zu, – auch dort befand sich eine Polizeistation, auch dort gab es Telephon . . .

Es handelte sich jetzt um meine persönliche Freiheit, und etwa darauf warten, daß die Jacht wieder freikäme, wäre unter diesen Umständen Wahnsinn gewesen.

»Mr. Cudderson, lassen Sie Ihre Pinasse zu Wasser bringen«, sagte ich zu dem zitternden, vor Ingrimm farblosen Engländer. »Wir müssen in Ihrem Interesse Komödie spielen. Sie würden die größten Unannehmlichkeiten haben, wenn Sie mir freiwillig zur Flucht verhelfen wollten . . .«

Ich hielt ihm die Pistole vor die Brust. Jetzt brüllte ich. Und Tübbicke und Gupa, rasch im Bilde, halfen bei dieser bitterernsten Posse.

»Die Pinasse ausschwingen!! Los!!«

Meine beiden Freunde stürzten sich auf die Pinasse und wollten sie zu Wasser lassen. Ich hielt mit meiner Pistole den wie ein Espenlaub zitternden Cudderson in Schach. Ich weiß nicht, warum der Kerl so zitterte, ich wollte ihm doch im Ernst gar nichts zuleide tun.

Während Tübbicke und Gupa wie rasend an der Verzurrung des Beibootes arbeiteten, drehte ich meinen Kopf herum und versuchte festzustellen, wie weit Cordy inzwischen gekommen war.

Cordys Boot war nicht mehr zu sehen.

Es wurde also Zeit, denn sicher war er schon unterwegs zur Polizeistation, und ich glaubte mich nicht zu täuschen, es konnte nicht lange dauern, bis sich von Land her eine Pinasse unserer Jacht nähern würde.

Und dann . . .?

Ich konnte es mir genau ausmalen, was dann passierte . . .!

Die Beamten der Kolonialpolizei pflegten nicht lange zu fackeln. Ein Paar Armbänder aus Stahl, eine Eskorte, bestehend aus einigen Beamten . . . und an Land ein finsteres, dreckiges Loch. Nicht zu vergleichen mit dem, was ich vor Jahren in meiner Heimat verlassen hatte . . .!

Sollte ich deshalb damals diese wahnwitzige Flucht unternommen haben, um mich hier . . .?

Niemals!

Lieber würde ich, wenn mir gar nichts anderes übrig blieb, über Bord springen, in das schlammige Wasser des Nil. – Lieber in diesem Dreck ersaufen, – lieber von Krokodilen aufgefressen, als . . .

Tumult an Deck ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken . . .

Was war das?

Gerade sah ich noch, daß Tübbicke und Gupa von mehreren Männern angesprungen wurden . . .

Da sie nicht mit einem Angriff gerechnet hatten, wurden sie schnell überrumpelt . . .

Cudderson hatte damit anscheinend nichts zu tun, denn er stand nach wie vor zitternd vor mir . . .

Mit einem Satz sprang ich auf die Horde zu, die sich gerade anschickte, meine beiden Gefährten zu fesseln. –

Tübbicke wehrte sich verzweifelt und auch Gupa, der bestimmt nicht zu den Schwächsten gehörte, schlug mit Armen und Beinen um sich . . .

Aber, – können sich zwei Männer gegen eine Gruppe von vier oder fünf ebenfalls nicht schwachen Seeleuten erfolgreich wehren?

Im Film schon . . .

In Wirklichkeit?

Leider nicht. Ich kam zu spät.

Tübbicke war schon durch die schmale Tür des Niedergangs gezerrt und Gupa hielt sich mit letzter Kraft mit seinen Händen an den Decksaufbauten fest.

Ich schnappte mir den ersten dieser Gruppe, den ich erreichen konnte und wollte ihn mit einem unsanften Stoß an die Seite befördern, – aber auch ich hatte mich verrechnet. –

Seeleute stehen auf festen Füßen.

Der Kerl vor mir drehte sich blitzartig herum, – so schnell, daß ich gar keine Zeit hatte, mich darüber zu wundern, – und schon verpaßte er mir einen Kinnhaken, der mich mit unaufhaltsamem Schwung wieder zurück in die Arme des sprachlos dastehenden Cudderson trieb.

Meine Pistole flog im hohen Bogen davon und landete mit leichtem Aufklatschen im Wasser.

Verdammt, – jetzt wurde es ernst!

An Cuddersons Brust fing ich mich auf. – Vielmehr eigentlich auf seiner Brust, denn durch den Anprall war er ins Taumeln gekommen und schließlich in seiner ganzen Länge hingefallen.

Nun diente er mir als Sitzkissen.

Erstens war das nicht bequem und dann hatte ich weiß Gott etwas anderes zu tun, als mich hier an dieser ungastlichen Stelle auszuruhen . . .

Sofort war ich wieder auf den Beinen. – Mit der linken Hand hob ich Cudderson, den ich wie ein Bündel an der Brust gepackt, mit auf und hielt ihn wie ein Schild vor mir . . .

Am ausgestreckten Arm hielt ich ihn seiner heranstürmenden Besatzung entgegen . . .

Verdattert blieben sie stehen, als sie ihren Chef in dieser Situation vor sich sahen . . .

Mein Gesicht muß auch nicht gerade freundlich ausgesehen haben, jedenfalls, der Angriff kam ins Stocken.

Tübbicke war nicht mehr zu sehen, Gupa stand von seiner Eskorte umgeben noch immer in der Türöffnung . . .

Vor mir standen drei Mann der Besatzung und wußten nicht, was sie nun machen sollten . . .

Die Verlegenheit stand ihnen deutlich im Gesicht geschrieben.

Einer kratzte sich mit einer Inbrunst die Haare, daß man in einer anderen Situation leicht auf ungebetene Kopfbewohner hätte schließen können.

Vor mir, in meiner unmittelbaren Nähe, stand Cudderson.

Mit eisernem Griff hielt ich ihn am Schlafittchen.

Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich wette heute noch darum, zehn zu eins, daß es nicht gerade geistreich ausgesehen hat . . .

Daß die Seeleute keine Piraten waren, sah ich an ihren Gesichtern. Das waren anständige Kerle, die sich nur um ihrem Chef zu helfen in diesen Kampf gestürzt hatten . . .

Ich war davon überzeugt, daß sie, wenn Cudderson sie aufklärte, sofort ihre Feindseligkeiten einstellen würden.

Ich schüttelte den wie ein nasses Handtuch an meiner Hand Hängenden:

»Reden Sie doch, Mann!« brüllte ich.

Ich sah, daß er ein paarmal zum Sprechen ansetzen wollte, aber kein Laut kam über seine Lippen . . .

Vorsichtig lockerte ich den Griff meiner Hand etwas . . .

Mit einem tiefen Atemzug pumpte sich Cudderson voll Luft. Dann fing er an zu schreien. Ich habe nicht geglaubt, daß so ein Dandy so gemein schreien kann:

»Ihr Idioten«, brüllte er los. »Sofort geht ihr an eure Plätze zurück. Seht ihr denn nicht, daß ihr hier vollkommen fehl am Platze seid?«

Dann drehte er sich zu mir herum und gab mir die Hand.

»Entschuldigen Sie, Mr. Abelsen, es ist ein Irrtum. Wenn Sie sich nicht erst auf meiner Brust niedergelassen hätten und mir später mit Ihrem festen Griff fast die Luft abgedrückt, wäre es nicht soweit gekommen!«

Er wandte sich wieder den Leuten seiner Besatzung zu, die immer noch verlegen vor uns standen:

»Laßt die beiden Freunde von Mr. Abelsen wieder frei. Sofort!

Wird's bald?«

Nach dieser mit allem Nachdruck ausgesprochenen Forderung traten die Männer, die Gupa umstanden, zurück. Man sah es ihren Gesichtern an, daß ihnen nicht ganz wohl bei dieser Geschichte war.

Gupa war gerade aus der Türöffnung herausgetreten, als es hinter ihm zu krachen anfing.

Was war denn nun schon wieder los?

Ein Knäuel flog aus der Öffnung, stolperte über die Schwelle, prallte gegen einen Mann der Besatzung, riß ihn mit zu Boden und schlug noch im Fallen auf diesen ein . . .

»He, Tübbicke, lassen Sie den Mann am Leben«, rief ich.

Erstaunt ließ Tübbicke von dem Mann ab und sah auf.

»Nanu, Abelsen, was ist los?«

Langsam stand er auf. Seine flinken Augen blickten von einem zum anderen.

Ich konnte mir nicht helfen. Ich mußte lachen.

Angesteckt von mir, fingen nun auch die anderen Herren an Bord an zu lachen, und wenige Minuten später hatte sich der Irrtum, der mir und meinen Freunden hier an Bord bald zum Verhängnis geworden wäre, aufgeklärt.

Verlegen traten die Männer der Besatzung auf uns zu und gaben uns die Hand. Mit einfachen Worten entschuldigten sie sich.

Brave Kerle.

Die Jacht lag noch immer fest. Ein Blick an Land zeigte uns, daß Cordy immer noch verschwunden war.

Wie lange noch?

Cudderson versammelte seine Leute um sich und klärte sie auf. Die Zeit, die wir durch unseren Irrtum verloren hatten, holten wir jetzt wieder auf.

Alle Mann an Bord halfen jetzt, die Jacht wieder frei zu bekommen. Das ging mit einem Eifer vor sich, der mir in einem anderen Fall bestimmt Spaß gemacht hätte.

Auf Verabredung versammelten wir uns alle an einer Seite des kleinen Schiffes und liefen dann auf Kommando auf die andere Seite.

Immer hin und her.

Der Kapitän stand auf der kleinen Kommandobrücke und brüllte den Takt zu unserem Lauf.

Immer hin und her. Aber die Jacht rührte sich nicht.

Die kleine Schraube arbeitete mit voller Kraft auf Rückwärtsstellung. Braungelber Schlamm wurde vom Grund aufgewühlt und umgab das ganze Boot.

Die Planken zitterten, aber der Schlick hielt fest.

Cudderson, der an meiner Seite lief, wischte sich den Schweiß mit einem seidenen Taschentuch aus dem Gesicht.

»Abelsen, wenn Sie hier durch meine Schuld nicht wieder wegkommen, gehe ich mit Ihnen!«

Verwundert sah ich ihn an. Ich konnte es nicht glauben, daß in diesem verwöhnten Kerl soviel Charakter saß.

»Ich werde das Deck verteidigen lassen, wenn die Polizei kommen sollte«, sprach er weiter. »Hier an Bord werden Sie nicht festgenommen, das verspreche ich Ihnen. Und wenn man Sie schnappen sollte, werde ich nicht eher wieder ruhen, bis man Sie wieder freigelassen hat!«

Ich drückte ihm so gut es ging die Hand.

Hin und her rannten wir an Deck. Der Kapitän schrie sich fast heiser. Die Männer der Besatzung stampften übers Deck und rüttelten an der kleinen Reling, daß sie fast zerbrach.

Die Jacht lag fest.

Tübbicke, der auf meiner anderen Seite lief, schrie plötzlich auf.

Als ich ihn ansah, zeigte er mit der Hand an Land. Ich drehte mich um.

Der Nil ist hier an dieser Stelle immerhin noch gut und gern einen halben Kilometer breit. Ich mußte mich deshalb erst einmal anstrengen, bis ich unter meinen schweißverklebten Lidern das Ufer erkennen konnte.

Dann sah ich es.

Aus dem Schatten der Büsche löste sich ein kleines Boot. Unverkennbar hielt es sofort auf uns zu.

Polizei. Cordy!

Auch die anderen Männer entdeckten das Boot bald. Sie verdoppelten ihren Eifer.

Cuddersons Stimme trieb sie an.

Ich selbst beteiligte mich nicht mehr an den Bemühungen. Was hatte es für einen Zweck? Die Jacht saß fest. Ich war gefangen.

Leb wohl, Freiheit. Leb wohl, Wera. Das Schicksal hat es nicht gewollt, daß ich dich wiederfinde.

Meine Augen wurden feucht. Das Boot kam langsam näher. Vier kräftige Eingeborene ruderten mit aller Kraft. In der Mitte standen drei Polizisten. Ihre Augen blickten auf uns.

An meiner Seite rührte sich etwas. Ich wurde zurückgedrängt. Männer der Besatzung drängten sich nach vorn, in ihren Händen trugen sie schwere Karabiner, die sie jetzt auf die Brüstung legten.

Das Polizeiboot kam immer näher.

Schüsse peitschten auf. Erschrocken sprang ich auf Cudderson zu.

»Machen Sie sich nicht unglücklich«, rief ich.

Cuddersons sonst so harmlos blickende Augen blitzten mich hart an.

»Mr. Abelsen, wir schießen nur in die Luft. Ich will sie nur davon abhalten, daß sie hier an Bord kommen. Ich habe Sie in diese scheußliche Situation gebracht und werde Sie auch wieder hier hinausbringen. Wenn es sein muß, mit Gewalt!«

Beim Aufpeitschen der Schüsse wurde das Polizeiboot abgestoppt. Die Polizisten steckten die Köpfe zusammen, während die Eingeborenen sich auf den Bänken zusammenduckten.

Anscheinend war man sich an Bord des Bootes einig geworden. Einer der Polizisten stellte sich in Positur, legte die Hände vor den Mund und rief uns an.

»Stellen Sie sofort das Schießen ein. Nehmen Sie die Gewehre von der Brüstung!«

Die Matrosen der Jacht, die die Gewehre in der Hand hatten, sahen sich bei diesen Worten nach Cudderson um. Dieser bedeutete ihnen, die Gewehre im Anschlag zu lassen. Er selbst ging an die Reling, ließ sich ein Megaphon bringen und rief das Boot an:

»Was wollen Sie von uns?«

»Sind Sie der Eigner der Jacht?« klang es zurück.

»Yes, ich bin es!«

»Wir fordern Sie auf, den an Bord befindlichen Mr. Abelsen und seinen Anhang an uns auszuliefern«, wurde er aufgefordert.

»Sorry, Mr. Abelsen ist mein Gast, ich denke nicht daran, ihn auszuliefern«, schrie Cudderson zurück.

»Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß Mr. Abelsen steckbrieflich gesucht wird!«

»Ich weiß es. Wenn Sie ihn haben wollen, müssen sie ihn holen, ich habe kein Boot zur Verfügung!«

Cuddersons Stimme triefte vor Hohn. Aufmerksam sahen wir alle, die wir an Bord standen, auf das Boot. Die Polizisten beratschlagten eifrig. Anscheinend trauten sie dem Frieden nicht.

Mir selbst war gar nicht lustig zumute. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg. Was hatte ich davon, wenn ich durch meine Anwesenheit die Jacht in Schwierigkeiten brachte?

Mit einer leichten Kopfbewegung bedeutete ich Tübbicke, daß er an meine Seite kommen sollte. Auf der anderen Seite der Jacht trafen wir uns. Aufgeregt flüsterte ich ihm zu:

»Tübbicke, ich gehe über Bord. Vielleicht gelingt es mir, an Land zu schwimmen!«

Tübbicke sah mich traurig an. Mit dem Daumen seiner rechten Hand deutete er über Bord auf den Fluß.

Dunkle Schatten umkreisten das Schiff.

Krokodile!

Gefangen.

Ein Sprung ins Wasser wäre gleichbedeutend mit Selbstmord gewesen.

Tübbicke sah mich an.

»Mensch, Olaf, dann bringen Sie sich lieber hier an Bord um!«

Verzweifelt starrte ich ins Wasser. Auf der anderen Seite an Bord verhandelte Cudderson noch immer mit dem Polizeiboot.

Gerade verlangte er einen Durchsuchungsbefehl von dem Beamten:

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Sie nicht eher an Bord lasse, bis Sie mir einen Haftbefehl für Abelsen vorweisen. Wenn ich den sehe, liefere ich ihn sofort aus!«

Gupa hatte uns entdeckt und kam auf uns zu. Seine schrägen Augen blinzelten traurig.

»Was tun, Olaf?«

Ich zuckte die Schultern. Dann sagte ich ihm, daß ich über Bord springen möchte, um schwimmend an Land zu kommen. Nachdenklich sah er ins Wasser und schüttelte den Kopf:

»Aussichtslos!«

»Ja, aber soll ich mich denn hier an Bord wie eine Maus gefangennehmen lassen?« rief ich verbittert aus.

Gupa schüttelte den Kopf.

Cudderson hatte anscheinend sein Gespräch mit der Polizei abgebrochen. Langsam kam er übers Deck auf unsere Gruppe zu. Seine Augen blinzelten fröhlich.

»Die Herren sind zurückgefahren. Sie müssen sich jetzt erst einen Haftbefehl besorgen!«

Er lachte schallend auf.

»Bis die wiederkommen, wird uns schon noch etwas einfallen. Meinen Sie nicht auch?«

Er legte seine Hand auf meine Schulter und sah mich an.

Cudderson, damals wäre ich dir am liebsten um den Hals gefallen.

Mit aller Kraft arbeitete jetzt die ganze Besatzung wieder daran, das Boot freizubekommen. Der Kapitän wetterte und fluchte und trieb seine Leute an.

Wir standen neben ihm auf der Brücke.

»Das sage ich Ihnen, Mr. Abelsen«, meinte er mit seiner rauhen, aber herzlichen Stimme zu mir. »Wenn diese Piraten Sie hier von Bord holen, gehe ich auch an Land.«

Er fluchte einige Male kräftig, spuckte im hohen Bogen seinen Priem in die trüben Fluten.

»So wahr ich ein englischer Seemann bin, diese Schweinerei mache ich nicht mit!«

Dann schrie er durch das Sprechrohr, welches nach unten in den Maschinenraum führte und forderte den Maschinisten auf, noch mehr Dampf unter seine alte Kartoffelmühle zu machen.

Die ganze Jacht zitterte bis in die Mastspitzen, so drehte der arme Maschinist das Ventil auf. Peitschend schlug die Schraube durch den Dreck.

»Und wenn der ganze Kahn in die Luft geht, entweder wir kommen hier weg, oder wir gehen alle baden!« murmelte der Kapitän.

Cudderson hielt ein Fernglas vor seine Augen und beobachtete aufmerksam das Ufer. Fluchend ließ er es sinken.

»Die Burschen kommen schon wieder!«

Er reichte mir das Glas, doch ich winkte ab. Meine Augen waren noch so gut, daß ich auch ohne dieses das kleine Boot bemerkt hatte, welches sich gerade wieder aus dem Schatten des Ufers löste.

Es war dasselbe. Nur hatten die Polizisten sich anscheinend Verstärkung mitgebracht. Es standen jetzt vier Männer in der Mitte des Bootes.

Aufgeregt tanzte Cudderson an Deck herum.

»Abelsen, Sie können mich nicht daran hindern, ich schieße ein Leck ins Boot!«

Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf den Arm. Ich war jetzt ganz ruhig. Es sollte eben nicht sein. Vielleicht war es besser so. Nur Wera hätte ich gern noch einmal gesehen. Und mit Cordy, diesem Schuft, hätte ich zu gern noch abgerechnet.

Es wurmte mich, daß ich jetzt durch einen Lumpen, der mehr auf dem Gewissen hatte wie ich, meine Freiheit, auf die ich so stolz war, wieder verlieren sollte.

So war das im Leben. Der eine ist ein armer Hund und muß für einen Dreck sein ganzes Leben lang büßen, – der andere kann anstellen was er will, – ihm passiert nichts.

Im Vergleich zu Cordy, der mich an Land denunziert hatte, war ich ein Unschuldslamm. Aber was nützte das?

Die Polizei fragte nicht danach.

Cordy – Lord Cordy – hatte Meldung gemacht, daß sich hier an Bord ein Verbrecher befand. Die Polizei tat nur ihre Pflicht, wenn sie diesen einfing. Gegen einen Mr. Cordy lag nichts vor.

Ach, was hatte das Ganze noch für einen Zweck.

Am besten ist es, wenn du dich jetzt über Bord fallen läßt und . . . dann ist in wenigen Minuten alles vorbei.

Schade ist nur, daß ich dann die erbosten Gesichter der Polizisten nicht mehr sehen kann. Ob die es wohl glauben werden, daß ich über Bord bin?

Ich schob mich langsam und unauffällig näher an die Reling heran. Schon lag meine Hand auf dem trockenen Holz der Brüstung.

Tu' es schon, Olaf!

Sei nicht feige!

Es ist ja nur ein Augenblick, du spürst nichts davon!

Fester umklammerten meine Hände die Reling.

Ich schloß die Augen. Wenigstens wollte ich nicht sehen, wohin ich fallen würde.

Meine Muskeln spannten sich.

Jetzt!

Spring!

Ich holte tief Luft, biß die Zähne zusammen und . . .

Tübbicke erwischte mich am Bund der Hose.

Ich wurde an Bord zurückgeschleudert.

Als ich endlich wieder stand, blickte mich Tübbicke mit blitzenden Augen an:

»Feigling!«

Und schon schlug er zu.

Die Schläge brannten auf meiner Backe. Beschämt blickte ich auf das Deck.

Ich wehrte mich nicht. Ich wußte, daß er recht hatte.

Ein Mann flieht nicht aus dem Leben.

Nie.

Und wenn es noch so schwer sein sollte, wenn es sein muß, muß man der Gefahr in die Augen sehen und sie auf sich zukommen lassen.

Selbstmord ist gleich mit Selbstverurteilung!

Tübbicke zog mich von der Reling zurück.

»Verzeih, Olaf. Ich vergaß mich!«

Ich drückte seine Hand.

»Wenn es sein muß, dann gehen wir mit dir, Olaf, wir lassen dich nicht im Stich. Ich werde alles daran setzen, dich so bald wie möglich wieder freizubekommen!«

Ich nickte.

Gerade wollte ich mich zu Cudderson begeben und mich von ihm verabschieden, als ein heftiger Ruck durch den Schiffskörper ging.

Was war das?

Alle rannten an die Reling.

Sollte in letzter Minute?

War das möglich?

Ich rannte so schnell ich konnte ans Heck.

Ein neuer Ruck erschütterte das Schiff.

Die Mannschaft fing an zu jubeln.

Die kleine Schiffsschraube zog und zerrte mit der Gewalt eines Riesen an dem großen Körper des Schiffes.

Aufmerksam beobachtete ich, über die Reling gebeugt am Heck des Schiffes stehend, wie unter mir das Wasser aufgepeitscht wurde.

Wieder ging ein Ruck durch den Schiffskörper – noch einer . . . Am Heck gurgelte die schlammige Gischt, wurde heller . . . noch heller . . . langsam glitt die Jacht in tieferes Wasser.

Gerettet . . .!

In letzter Minute . . .

Ich sah auf. Das Polizeiboot blieb hinter uns zurück.

Aufgeregt fuchtelten die Beamten mit ihren Armen in der Luft hinter uns her. Verwischte Schreie erreichten uns:

»Halt . . .

Ein donnerndes Lachen antwortete ihnen.

Als ich mich umdrehte, standen Tübbicke und Gupa hinter mir.

Beide lachten.

Auch Cudderson kam mit seinen schlaksigen Schritten nach hinten. Der Kapitän begleitete ihn.

Alle drückten mir die Hand.

»Na, da wären wir ja noch einmal davongekommen«, brüllte der Kapitän lachend und schlug mir mit seiner Pranke auf die Schulter, daß ich glaubte, zusammenzubrechen.

Lachend standen wir am Heck und sahen auf das hinter uns zurückbleibende Boot.

Tübbicke holte in seinem Übermut ein Taschentuch aus der Hose und winkte zurück.

Auf das drohende Winken der Fäuste, welches die Polizisten uns nachschickten, erklang eine Lachsalve der vereinten Besatzung.

In schneller Fahrt zog das kleine Schiff stromabwärts.

Wenige Minuten später war das Boot mit den Polizisten nur noch ganz undeutlich zu sehen.

Zehn Minuten später legte die Minnawatta stromabwärts hinter einer felsigen Halbinsel am Ostufer am Dampfersteg einer Handelsgesellschaft an.

Unterstützt von der Besatzung, brachten wir drei unsere Tiere an Land. Alle drängten sich um uns. Jeder wollte sich von uns verabschieden. Viele schwielige Fäuste drückten die meine.

Phantastische Kerle.

Als letzter kam Cudderson zu mir.

»Ich beneide Sie um Ihre Mannschaft«, sagte ich zu ihm.

Lächelnd nickte er.

»Die Leute halten treu zu mir!«

»Das haben wir bemerkt«, murmelte Tübbicke. Versonnen rieb er sich eine große Beule, die seinen Kopf zierte.

Cudderson hielt meine Hand. Zögernd sah er in meine Augen.

»Nur eins noch, Abelsen: Wo ist Wera Zubanoff?«

Ich zauderte erst. Aber er war ein anständiger Kerl . . .

»Cudderson, benutzen Sie von Assuan die östliche Karawanenstraße bis Bir Schikr . . . Ich werde Ihnen in Bir Schikr weitere Nachricht zugehen lassen . . . – Wiedersehen – vielleicht . . .«

Noch ein verständnisinniges Blinzeln, – wir steckten die Pistolen weg, und vorüber an den erstaunt glotzenden Arbeitern der Dattel-Exportgesellschaft – vorbei an Stapeln süßlich duftender Kisten und langen Lagerhäusern trabten wir einen Hohlweg des hier recht steilen Ufers hinan – hinein in das Wadi Tarfe, das unser tüchtiger Alterspräsident A. A. A. bereits vorher nach seinem Reisehandbuch als günstigsten Weg ausgewählt hatte.

Doch schon nach einer Stunde schärfsten Rittes hatten wir die Siedlungen hinter uns und damit auch die Gefahren-Zone. Wir bogen in eine schmale Schlucht nach Süden ab, wir hatten den Tieren die Hufe umwickelt, ich hatte Wrangel vor mir im Sattel, und gegen Mittag erreichten wir die kleine Sandwüste zwischen dem Wadi Tarfe und dem südwärts gerichteten Wadi Keneh, ein gänzlich unbewohntes Gebiet, das erst bei der Nilschleife von Keneh wieder ein Ausbiegen nach Osten nötig machte. Abends lagerten wir in einer kleinen, von Bergen eingeschlossenen Oase, in der wir keinerlei Spuren von Menschen fanden.

Lord Cordys Anschlag war endgültig mißglückt. Wir waren in Sicherheit. Keiner freute sich darüber mehr als Adolar Tübbicke. Er kam immer wieder auf die Vorfälle auf der Jacht zu sprechen, er fühlte sich so etwas als Held des Tages, denn durch seine Äußerung über Lady Cordy war ja erst die entscheidende Wandlung eingetreten.

Gupa sagte gar nichts. Ihn interessierten lediglich die beiden Hammelschenkel, die über dem Feuer brozelten und schmorten. Mit der stoischen Ruhe und Sachkenntnis des Mongolen drehte er den Spieß, fing den herabtröpfelnden Saft in einem Aluminiumteller auf, begoß die Bratenstücke geradezu andächtig und meinte nur gelegentlich: »Wir haben also bis Bir Schikr mindestens zehn Tage zu reiten, da wir die Karawanenstraße meiden müssen.«

Dann ging der Mond über den östlichen Höhen auf – eine runde, glänzende Scheibe . . . Wrangel nagte an dem Hammelknochen, ringsum meldete sich das Getier der Einsamkeit, ich nahm vor dem Schlafengehen noch ein Gießbad, rasierte mich und fand die Gefährten, als ich von der brunnenartigen Quelle zum Lagerplatz zurückkehrte, Tübbicke und Gupa bereits in tiefem Schlafe.

Es gab eine Zeit, wo ich es gelernt hatte, im Pferdesattel einzunicken und den Nachtschlaf so zu ersetzen. Das war damals, als wir mit Coy durch die Pampas ritten . . . Im Dromedarsattel ist es mit dieser Art Ausruhen schlecht bestellt. Mein Bischarinkamel hatte allerdings einen sehr gleichmäßigen Gang, und wenn wir flache Sandebenen durchquert hatten, war ich doch zuweilen leicht eingeschlummert. Auch das Bad hatte mich munter gemacht, – ich rauchte noch eine Zigarre, saß mit dem Rücken gegen eine alte Dattelpalme, Wrangel lag neben mir, und ich beobachtete eine Rieseneidechse, einen Waran, ein Tier von einem Meter Länge, das soeben aus seiner Felsspalte aufgetaucht war und im dürren Grase hörbar schnüffelte.

Die Waraneidechse hatte offenbar ein Schlangenloch entdeckt. Unser Feuer war niedergebrannt, ich verhielt mich völlig still, der Waran grub mit der Fixigkeit eines Maulwurfes die Erde auf, und dann gab es einen eigentümlichen Kampf zwischen ihm und einer großen, dicken Hornviper, daß ich wirklich bedauerte, keine Blitzlichtaufnahme von dieser sonderbaren Kampfmethode des Waran machen zu können.

Die Riesenechse wich jedem Vorschnellen der Viper geschickt aus, warf sich herum und schlug mit dem Schwanze nach der Schlange, traf auch schließlich, trommelte dann weiter mit dem Schwanzende auf das halbtote Reptil ein, verspeiste es nachher – bis auf den Kopf.

Ich hatte bisher jene bescheidenen Grünflächen der Wüsten des Nordstreifens Afrikas nie kennengelernt, es war dies die erste Nacht, die ich in einer wirklichen Oase verbrachte, ich wußte wohl von meiner Studienzeit her, daß tief unter diesen verwitterten Schichten Kalkgesteins starke Wasseradern sich hinziehen, daß die »Brunnen«, die erst die Entstehung der Oasen ermöglichen, zumeist dürftige Rinnsale dieser reichen Wasseradern sind, im übrigen war mir hier alles neu, denn Tier- und Pflanzenwelt zeigten bereits ein völlig anderes Gepräge als droben im Wadi Arabah, das ich in meinen Mußestunden vom Kloster aus durchstreift hatte.

Die Oasen sind die eigentlichen Stützpunkte des Tier- und Pflanzenlebens dieser Einöden, und gerade die Nacht ist die einzige Zeit, in der man die vielfachen Bewohner dieser unendlichen Durststrecken zu Gesicht bekommt. Wir waren während des Tagesrittes nur vereinzelten Antilopentrupps begegnet, wir hatten lediglich Springmäuse und Hasen in größerer Zahl angetroffen, aber auch diese Tiere waren so scheu und vorsichtig, daß ich auch nicht einen einzigen Hasen erledigen konnte. Tübbicke hat ein paarmal danebengeknallt, Gupa versuchte es gar nicht, und so hatte der im letzten Fellachendorf gekaufte und sofort ausgeweidete Hammel auch für die Abendmahlzeit herhalten müssen.

Die Nacht änderte dies. Gerade diese selten oder nie von Nomaden besuchte Oase schien von dem Getier ringsum als Tränke bevorzugt zu werden. Schattengleich erschienen die für die Umgebung des unteren Niles charakteristischen Donkasantilopen. Das Trampeln ihrer Hufe verstummt plötzlich, das Leittier windet mißtrauisch nach unserem Lagerplatz hinüber, und – im Galopp gehen die Tiere ab. Igel, Stachelschweine, Dachse lösen sich in bunter Reihe ab, am frechsten sind die Stachelschweine, ihr Geruchsinn ist schlecht entwickelt, und trotz ihres Stachelpanzers fallen sie unschwer den schlauen Wüstenwölfen zum Opfer. In manchen Landstrichen sind sie daher völlig verschwunden, auch die Profitgier der Eingeborenen ist daran schuld, die Stacheln werden zu »Reiseandenken« für die Touristen verarbeitet . . .

Ich langweilte mich nicht. Meine Zigarre war längst erloschen . . . Es mochte elf Uhr sein, und da erst fanden sich auch die Räuber der Wüste ein, harmlos für den Menschen, gefährlich für das andere Getier. Aus Höhlen und Klüften erschienen sie, – unglaubliche Entfernungen legen sie zurück, lautlos gleiten sie dahin, man muß schon sehr scharf aufpassen, um das leise Geräusch ihrer Krallen auf dem harten Gestein zu vernehmen, – im Sande schleichen sie näher ohne das geringste Anzeichen ihres Kommens, – nicht einmal Schatten, nur die glühenden Augen verraten sie . . . Die Farbe ihres Pelzes paßt sich der Farbe des Wüstenbodens genau an. Nur der lybische Luchs, dessen Vorhandensein östlich des Nils vielfach bestritten wird, macht hier insofern eine Ausnahme, als er in gebirgigen Gegenden recht dunkel getönt ist, während sein Fell in Sandwüsten mit nur vereinzelten Felspartien ins Gelbrötliche spielt.

Mit einem Schlage war nichts mehr von den gelbgrünlichen Lichtern zu entdecken . . . Nur ein Stachelschwein und zwei Igel und die überall in erschreckender Menge vorhandenen Ratten ließen sich nicht stören. Was aber mochte das Raubzeug verjagt haben?!

Mein Mißtrauen regte sich. Ich hatte die Büchse neben mir liegen, ich war seit dem Vorfall auf Ralph Cuddersons Jacht für alle Zeit gewarnt. Nie mehr würde ich hier meine Waffen außer Griffnähe lassen, – mit dem Kulturlande Ägypten hatte es doch seine eigene Bewandtnis. Kultur?! Gewiß: Am Nil entlang liefen die Schienenstränge der Sudanbahn, liefen Telegrafen- und Telefonleitungen, auf dem Nil verkehrten weiße Luxusschiffe, angefüllt mit reichen Touristen aller Länder, – altertümliche Schiffe mit spitzen Segeln, floßähnliche, plumpe Fahrzeuge, Privatjachten, Motorboote, – – Technik allermodernster Art und allerälteste Schiffstypen, nicht zu vergessen die für die Stromschnellen besonders konstruierten Flachboote – belebten den weltberühmten Strom, an dessen Ufern einst die Pharaonen geherrscht und eine fanatische Priesterkaste mit noch heute ungelösten Mysterien das Volk unter strengster Fuchtel gehalten hatten. Aber – zehn Meilen landeinwärts, und dieses ungeheure ägyptische Reich zeigt sein zweites Gesicht . . . Es ist gelb-weiß, braun-gelb, Wüstensand, – es ist voller Runzeln: kahle Gebirgsmassen, – es zeigt Spuren von Tränen: halb ausgetrocknete Flußtäler, – es zeigt seine verschleierten, geheimnisvollen Augen: Nächte wie diese!

Das ist Ägypten. Land voller Kontraste, Land voller Erinnerungen an entschwundene Zeiten, Land der gewaltigen Pyramiden, goldgefüllter Grabkammern, Spuren erster christlicher Glaubensentfaltung, weggewischt von dem mächtigeren Fanatismus des Islam . . .

Wer dieses Ägypten bereist, wie es die meisten tun: als Globetrotter, – der lernt es nie kennen. Nur abseits der gebahnten Straßen, nur in Sandeinöden, nur in hellen Gebirgsklüften, nur in den ungeheuren Sümpfen, im Süden offenbart es sein ehrliches Antlitz. Alles andere ist Trug.

. . . Wie weggefegt waren die glühenden Punkte. Ich nahm die Büchse, nahm den Hund an die Leine, erhob mich und schritt tiefer in die Schlucht hinein – nach Norden zu, erklomm die zerklüftete Südwand, und vor mir lag die Wüste, mondhell, fast wie am Tage . . .

Eine unwirkliche Beleuchtung war es, ein seltsames Licht, vielleicht dem Morgengrauen am wolkigen Tage vergleichbar – vielleicht . . .

Eine vereinzelte, abgestorbene, kümmerliche Palme stand hier. In ihrer Krone hingen Nester wie schwarze Flecken, Nest an Nest, – ganz oben der Horst eines Schopfgeiers, ein liederliches Gefüge von Ästen, Zweigen, Gras und . . . weißen Tierknochen.

Ich lehnte mich an den Baum, mein Blick schweifte in die Weite, meine Gedanken waren bei dem einen flüchtigen Satz, den Ralph Cudderson bedeutungslos hingesprochen hatte: Daß James Cordy Hauptaktionär der Nubischen Goldminen‑A.‑G. gewesen sei!

Goldminen!! – Und dazu der Zettel in Lady James Etui . . .!! – Um Gold ging es hier. Der Goldbarren, den Gupa gefunden hatte, war nur ein weiteres Glied in der Kette der Beweise.

Gold . . .!! Quell aller Übel, aller Verbrechen, jeder Niedertracht, jeder Erbärmlichkeit! – Gold, Habgier, – scheußliche Geschwister, verderbliche Zwillinge, umgeben von einem ebenso unedlen Verwandtenkreis: Geiz, Neid, Luxus und . . . Lüge.

– Im Vatikan befindet sich die berühmte Marmorgruppe, die den Nil als liegende männliche Gottheit darstellt, umgeben von sechzehn spielenden kleinen Knaben, die auf die sechzehn Ellen hindeuten, die der Strom im Altertum anschwellen mußte, um die Ufer befruchtend überfluten zu können.

Dieser Nilus mit seinen Beifiguren konnte ebensogut ein Bild des Goldes sein. Mit Leichtigkeit könnte man die sechzehn Knäblein auch als die aus dem Goldhunger entsprießenden Untugenden deuten.

Das ging mir so flüchtig durch den Kopf . . . Seltsame Gedanken drängten sich mir in stillen Nächten häufiger auf. Die Nacht schärft die Sinne, das Sonnenlicht macht sie stumpf, der geheimnisvolle Mond wirkt auf die Seele ein, – Mondsüchtige klettern auf Dächern, suchen den Mond, das Nachtgestirn zu erreichen, – stürzen vielleicht ab und brechen das Genick. Es gibt noch so zahllose ungelöste Rätsel unseres Innenlebens . . .

Mein Blick glitt suchend, voller Argwohn umher . . . Über mir krächzten die jungen, hungrigen Geier . . .

Mein Blick fand nichts, – und ich stellte das Fernglas ein, zerbeult, zerkratzt . . .

Ich suchte. Was?!

. . . Geheimnisvolle Zusammenhänge verbinden uns mit der Natur, mit Erde, Firmament, Sternen. Sollte alles nur Unsinn sein, was die Sterndeuter des Altertums über Menschenschicksale errechneten?!

Meine Gestalt straffte sich . . .

Da – war etwas . . .

Drüben, wo die Flugsanddünen sich wölbten, bewegten sich unklare Punkte . . .

Menschen?! Verfolger?!

Von dorther waren wir gekommen, hatten die Dünen umritten, hatten uns keine Mühe mehr gegeben, unsere Fährten zu verwischen.

Tiere nur?! Antilopen?!

Da – – ein feines Leuchten flackerte empor, – ein greller Strahl schoß ins Weite, erlosch . . .

Seltsam, – was war es gewesen?! Das Licht einer starken Laterne?!

Mir taten die Augen weh vom beharrlichen Hinstarren, ich ließ das Glas sinken . . .

Wrangel saß neben mir, die Ohren nach vorn gerichtet, den dicken Kopf leicht vorgeschoben.

»Alter Freund von Sachalin her, – siehst du etwas?«

Der Hund knurrte. Ein dumpfes Grollen kam aus seiner Kehle . . .

»Alter Freund, ich verstehe deine Sprache . . .! Hier ist es nicht mehr geheuer!«

Eilends zum Lagerplatz zurück . . .

Gupa im Augenblick wach, Tübbicke schwer schlaftrunken . . .

Ich sattelte schon die Tiere.

»Natürlich blinder Alarm!« murrte Freund A. A. A.

Der Schuß und die Kugel, die mir den Hutrand aufriß, waren Beweis des Gegenteils.

Wir warfen uns in das dürre lange Gras . . . Unsere Dromedare wandten die Schwanenhälse unruhig hin und her, – das meine war gesattelt . . .

Ich wußte: Cordy, kein anderer!!

Mein Feind Cordy!!

. . . Ein Satz in den Sattel, ein Zuruf, – das Tier erhob sich . . .

Eine zweite Kugel fegte mir durch den Ärmel, dann jagte ich die Schlucht hinab, wo linker Hand eine flache Lücke die Wände durchschnitt. Diesmal sollte er mir nicht entkommen, gegen mein Bischarin kam kein arabisches Vollblut auf . . .

Hinaus in die Wüste, Büchse entsichert, Wrangel von der Leine befreit . . .

»Such, mein Hund . . .

Aber er stand vor mir, hinten zusammengeduckt, das Nackenhaar gesträubt, – – und . . . zitterte.

So hatte ich ihn noch nie gesehen.

Er, der dem stärksten Bären auf Sachalin das Fell zerzaust hatte, der sich in der Kehle des Feindes festbiß und wie eine Klette im Pelze hing, – er . . . zitterte, winselte leise . . .

Und starrte dorthin, wo nun aus dem Schatten schwarzgrauen Urgesteins ein plumpes Riesentier hervorbrach, ein Koloß mit Säulenbeinen und hochgerecktem Rüssel . . .

Ich traute meinen Augen nicht . . .

Hätte nicht Tübbicke, A. A. A., hinter mir gebrüllt: »Ein Elefant?!« – ich würde geglaubt haben, ich schliefe und träumte nur . . .

»Ein Elefant . . .!!«

Tübbicke verhielt sein Dromedar neben mir . . .

Allen Respekt vor diesem Sechzigjährigen, – er saß ohne Sattel auf dem weißgrauen Bischarin, den Sattel hatte er im linken Arm . . .

Der Elefant trabte nur, aber der weitausholende Trab dieses Dickhäuter schlägt jeden Renner.

Auf dem Halse des Elefanten hockte ein Mann in Beduinentracht mit Kopftuch und Büchse . . . Der Mantel flatterte . . .

Es war wie ein Spuk.

Wie kam James Cordy zu einem Elefanten?!

Hier gibt es diese Rüsseltiere nicht – nicht einmal unten im Sudan, da mußte man noch weiter südwestlich bis zu den großen Seen, aus denen der Nil entsprang.

Gupa trabte heran, – jagte vorüber . . .

Auch wir trabten an . . . Wrangel hielt sich hinten, das Untier dort war ihm unheimlich . . .

Dann kollerte der arme Tübbicke in den Sand. Ohne Sattel, – wer einmal auf einem Dromedar gesessen, wird dies begreifen.

Ich hielt mich nicht bei ihm auf. Gupa hatte hundert Meter Vorsprung, der Elefant zweihundert, aber es wurden dreihundert, vierhundert . . .

Das Klappern des schlecht verstauten Kochgeschirrs in den Satteltaschen machte mich krank . . . Vorwärts . . .! Ich mußte ihn haben . . .! Wo Cordy, da auch Wera Zubanoff!!

Und so rasten wir durch die mondhelle Wüste den Flugsanddünen zu, wo ich vorhin den blendenden Blitz gesehen hatte. Dort mußte Cordys Bande lagern . . . Dort war auch Wera, die . . . für mich nur noch Erinnerung an erloschenes Feuer irriger Leidenschaft bedeutete . . . –

Die Dämmerung hatte das Riesentier verschluckt.

Weiter . . .!

Der Vorsprung Cordys wuchs . . .

Weiter!

Noch zehn Minuten . . .

Aus dem verschwommenen Gelb der Dünen schälten sich noch hellere Zelte heraus . . . drei . . . vier . . .

Dromedare standen da, – vier Elefanten . . .

Hunde kläffen . . .

Eine Magnesiumfackel zischt auf, streut blendendes Licht über schlaftrunkene Männer in Schlafanzügen, über tiefbraune Arabergesichter, über ein zierliches Weiblein mit strohblondem Köpfchen . . .

Aus der beunruhigten Menschengruppe tritt ein einzelner hervor, lang, dürr, Gesicht wie gegerbt, Schauspielerzüge . . .

Gupa hält. Ich halte . . .

– Was wußte ich, der seit drei Jahren als Flüchtling die Welt durchirrte, von den Millionen, die die großen amerikanischen Filmgesellschaften riskieren – – für Sensationen?!

Nichts . . .!

Der Yankee redete uns an.

Fragen, Antworten gehen hin und her . . .

Ich antwortete vorsichtig, ich frage eindeutig.

Der Amerikaner, ohne Arg, erzählt von dem heutigen zufälligen Zusammentreffen mit einem einzelnen Europäer . . .

Cord hat er sich genannt, Forscher wollte er sein . . .

Abends hatte die Begegnung stattgefunden, und nun zeigte sich, sie hatte den Filmleuten den besten Elefant gekostet . . . Cord war verschwunden . . . Cord war ein Schlaufuchs, hatte uns hierher gelockt, wo er mit längerem Aufenthalt für uns rechnete, war weitergejagt, hatte nun eine Viertelstunde Vorsprung mindestens . . . –

So lernte ich Gussy Gollan kennen, Star von Hollywood, kleiner Teufel mit frechem Gamingesicht, große Diva im Reiche des flimmernden Gottes.

Es war einmal ein besonderer Happen . . .

 


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