Walther Kabel
Mein Feind Cordy
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. . . Sussik war nackt. Was ihn bekleidete, genügte nicht recht, er war nur gefesselt, und das Stück Leinen in seinem Munde war auch kein Schurzfell.

Sussik war auch mehr tot als lebendig. Er hatte tagelang in der Grabkammer auf Teilen des wahren Eigentümers gelegen und sicherlich nie mehr gehofft, daß er je wieder die Sonne wiedersehen würde.

Als Tübbicke und ich ihn durch das von mir in die Mauer gebrochene Loch ins Freie schafften, wurde er ohnmächtig. Aber ein Bischarin hat eben eine andere Widerstandskraft als ein Europäer, und wenn bei Sussik auch alle Rippen zu zählen waren, wenn auch die Stelle des Bauches eine Grube darstellte: Ohnmächtige Bischarin erholen sich sehr bald, und nachdem er erst ein paar Streifen Bratfleisch, obwohl es schon stark duftete, verschlungen und Wasser mit Whisky geschluckt hatte, bat er in überraschend höflichem Tone und ganz nettem Englisch um ein Stück Decke als Umhang.

Tübbicke, als Krankenpfleger eine Perle, erklärte freundlichst, daß wir leider nicht in der Lage seien, eine Decke zu zerschneiden . . . »Aber hier hast du die meine vorläufig, mein Sohn . . . Ich werde sie zwar gründlich lüften müssen, da deine Haarpomade allzu stark nach Hammel duftet, – wenn schon!«

Tübbicke blieb bei dem neuen Gefährten, der uns lediglich seinen Namen nannte, aber über die Gründe für sein »Begräbnis« zu schweigen vorzog, Gupa und ich ritten zu dem Riesengrab der Karawane, denn dort hofften wir so manches herauszuwühlen, was uns dringend fehlte.

Wie reich die Ausbeute dieser fünfstündigen Arbeit war, wie rasch dabei Freund Gupas Arm abschwoll, wie gierig wir die Kisten aufschlugen, mit welchem Genuß ich wieder mal eine Zigarre anzündete . . . – was da alles im Sande aufgestapelt wurde, und wie sorgfältig wir die menschlichen Skeletteile sammelten und nebenbei vergruben, sehr gern denke ich an jene Stunden zurück, in denen wir Ströme von Schweiß vergossen . . . –

Etwa zwanzig Jahre war es her, als diese Expedition hier zugrunde ging. Wahrscheinlich durch einen tagelangen Glutsturm, denn an keinem der vierzehn Menschenschädeln nahmen wir Spuren von Verletzungen oder Kugeln wahr, – im Kampfe waren diese Unglücklichen nicht gefallen, das Gold hatte sie gemordet . . . –

Ich fand auch die letzten Aufzeichnungen des Expeditionsleiters in einer der Kisten . . . So stieß ich auf den Namen Archibald Houston.

Houston!

Sollte es ein bloßer Zufall sein, daß jetzt ein Howard Houston mit großem Troß hier weiter nördlich sich als Filmregisseur betätigen wollte?!

»Der Name ist zu häufig«, wies Gupa meine Vermutungen zurück.

Wir musterten unsere Schätze. Um all das wegschaffen zu können, dazu hätten fünf Lastdromedare gehört.

Während Gupa und ich noch mißmutig dastanden und einsahen, daß wir uns im Grunde ganz zwecklos all die Stunden abgequält hatten, näherten sich Tübbicke und Sussik mit den Tieren. Der Bischarin riß die Augen vor Staunen gefährlich weit auf. Aber sofort besann er sich auf das Wenige, was er den Europäern abgelauscht haben mochte, – er milderte die Verblüffung seiner verhungerten Züge und sagte: »Das hat niemand von meinem Volke geahnt, daß diese Düne solche Schätze enthielt. Allerdings meiden wir dieses Tal der Toten, und nur selten wagt eine Abteilung unserer Stämme drüben in der Oase zu rasten.«

Es waren die ersten längeren Sätze aus seinem wulstigen Munde, sie waren an mich gerichtet, mich betrachtete er als seinen Retter.

Er wurde nun überhaupt gesprächiger. Die Bischarin sind keine verschlossenen Nomaden, sie tragen das Herz auf der Zunge, aber sie lügen auch mit seltener Virtuosität. Vielleicht liegt dies daran, daß diese Kinder eines Landes, das heute noch, wie ich betonen möchte, keineswegs ganz erforscht ist und von Europäern kaum besucht wird, eine Vorliebe für Märchen haben. Die Anzahl ihrer überlieferten Sagen und Abschnitte der Geschichte ihres Volkes ist sehr groß. Greise, die frei erfundene Geschichten am Lagerfeuer erzählen, werden hoch geachtet. Ein Naturvolk mit so reger Phantasie empfindet die Lüge daher nie als etwas Verwerfliches.

Sussik begann zu fragen. – Wohin wir wollten? Was wir vorhätten? – Immer wandte er sich an mich, und in seinen dunklen Augen lag mir gegenüber stets ein Ausdruck dankbarster Ergebenheit. – Es ist eigentümlich, daß uns eine innere Stimme häufig schon beim ersten Zusammentreffen mit einem Menschen zuraunt, wir dürfen gerade ihm volles Vertrauen schenken. So erging es mir Sussik gegenüber. Ich sagte ihm die Wahrheit.

»Wir suchen einen Ort, der von hier kaum mehr anderthalb Tagesritte entfernt sein kann. Dieser Ort dürfte entweder sehr schwer zugänglich oder noch schwerer zu finden sein.«

Er blickte mich unverwandt an.

Ich fügte hinzu: »Eine Frau, eine Weiße, kennt den Ort bestimmt . . . Lady Jane Cordy!«

Als dieser Name sein Ohr erreichte, trat er unwillkürlich einen Schritt zurück, verneigte sich ganz tief und sagte:

»Lady mit dem guten Herzen!« Es war, als ob er den Namen einer Gottheit ausspräche, so feierlich und ehrfurchtsvoll klang es.

Dann blickte er mich schärfer an. Mißtrauen war in seinen Augen. »Seid ihr Freunde Lady Cordys?« fragte er bedächtig.

»Weder Freunde noch Feinde. Wir wissen nur, daß Lady Janes Gatte eine Frau geraubt hat, die er hierher bringen wird, und diese Frau wollen wir befreien, es ist eine Fürstin Wera Zubanoff.«

Sussik schaute an mir vorüber ins Weite. Er überlegte offenbar.

»Mr. Olaf«, erklärte er erst nach geraumer Zeit, »ich werde euch zu dem Orte hinführen . . . Vielleicht ist es der richtige. Es gibt hier in weitem Umkreise nur eine einzige Oase mit uralten Mauerresten, zu der man nur gelangen kann, wenn man den Pfad schon einmal gegangen ist – den Pfad! Ich betrat ihn noch nie, aber unsere alten Männer berichten von einer Zeit, in der . . .« – er stockte, machte eine abschließende Handbewegung:

»Wir werden finden!« –

Was wir von den ausgegrabenen Dingen nicht mitnehmen konnten, verbargen wir im Sande. Am Spätnachmittag brachen wir auf. Sussik wollte es so. »Die Nacht, Mr. Olaf, ist die Freundin der Geheimnisse.«

Er bekam unser Packtier. Ich ritt mit ihm voran, ich wollte mir auch so weit sein Vertrauen erringen, daß er mir Näheres über Lady Jane Cordy und deren Beziehungen zu den Bischarin sowie über seine eigenen letzten Erlebnisse berichtete. Er war jedoch nur zu kärglichen Äußerungen zu bringen, die das Dunkel in keiner Weise lüfteten. Sussik gab nicht einmal zu, daß er Lord James kenne, und doch war ich davon fest überzeugt, mehr noch: Sussik und mein Feind Cordy hatten wohl untereinander so manches abzumachen. –

Nächtlicher Ritt . . .

Der Mond als Sichel am Himmel, kein Wölkchen sonst, das Firmament in unbeeinträchtigter Pracht, und die endlose Wüste nur belebt von all den schattenhaft dahinhuschenden Tieren, die tagsüber in ihren tiefen kühlen Felslöchern ruhen . . . –

Sussik führte uns zumeist durch steinige flache Täler, machte weite Umwege, – alles nur, um unsere Fährten zu verbergen. Zweimal sahen wir in der Ferne Lagerfeuer und ruhelose dunkle Gestalten: Schafherden der Bischarin. Zweimal ließen wir kleinere Trupps Bischarin vorüber . . .

Dann beschleunigte Sussik das Tempo. Wir durchquerten kahle Berge, wir kamen gegen Morgen wieder in die flache, aber wellige Wüste, vor uns stiegen Sanddünen hoch, der Sand wurde immer weicher, lockerer und feiner, die Tiere sanken tief ein, – da hielt Sussik mitten zwischen phantastischen gelbweißen Riesenhügeln, deren Kämme vom Wind zu den seltsamsten Gebilden geformt waren.

»Wartet hier«, sagte der junge Bischarin, nahm seine Büchse, Erbstück der verwehten Karawane, und schritt zu Fuß nach Norden.

Tübbicke und Gupa lagerten sich, aber in mir war eine Unruhe, die auch mich davontrieb. Wrangel begleitete mich, wir gingen in entgegengesetzter Richtung – auf gut Glück . . . Vielleicht konnte ich einen Hasen erlegen, vielleicht war es auch etwas anderes, mir selbst Unbewußtes, das mich in diese Dünen hineinlockte, die niemand erklettern konnte, da der lockere Sand stets nachgab und man nur immer einen Schritt vorwärts und drei rückwärts tat.

Wir hielten uns in den Tälern, der Hund und ich  . . .

Wir sahen nicht einmal eine Springmaus. Hier gab es weder Grashalme noch lebende Wesen, nur Sand . . . Sand, Pulversand, heimtückisch, die Stiefel festhaltend wie mit tausend Zwergenfingern.

Ich wollte umkehren. Es gab kein Vorwärts mehr, ringsum steile, himmelhohe Sandwände, hinter mir den einen schmalen Talschlitz.

Wrangel wollte nicht. Ich hatte ihn an der Leine, ich fühlte, wie er mit aller Kraft weiterdrängte. Ich gab nach . . .

Was er da tat?!

Nur ein Hund hat die feine Nase, eine Steinplatte zu wittern, die im Sande vergraben liegt.

Er kratzte wie toll, der Sand flog ihm am Bauche entlang, sein Eifer steckte mich an.

Meine Hand stieß auf etwas Hartes . . .

Stein!

Es war eine fast zwei Meter lange und etwa ebenso breite Platte aus Schiefergestein.

Das Sternenlicht genügte: Oben in die freigelegte Platte waren Hieroglyphen eingegraben!

Seltsam: Wrangel buddelte jetzt neben der Platte, und – da kam schließlich ein dicker Pfahl zum Vorschein, – und ein Taschentuch . . .!

Ich hob es auf . . .

Es hatte einen bunten Rand . . . Es war genau so groß, genau so gemustert wie das Lord Cordys – wie jenes blutgetränkte vom fernen Paß im Wadi Arabah!

Ich befühlte den Baumstamm. Die Platte lag mit einer Kante auf, und in der Platte waren Löcher und Pflöcke, die die Platte festhielten.

Ich hatte den Plattenpfad gefunden, – nein, Wrangel! Und es war auch kein Plattenpfad, sondern eine gigantische Treppe, uralt – uralt, – über der ersten wühlte ich aus dem Sande eine zweite frei, eine dritte, vierte . . .

Und dann kamen die Gefährten mit Sussik und den Tieren. Sussik schrie gellend auf, als er die Riesenstufen gewahrte . . . er schrie etwas in seiner Sprache! –

Achtundzwanzig Stufen nach oben zum Dünenkamm, sechsunddreißig drüben hinab . . .

Bis zum Mittag arbeiteten wir . . . Aber bereits vom Kamm des Sandberges sahen wir tief unter uns das gelobte Land . . .

Unsere Oase!! –

Zwei Tage noch, und wir hatten alles das, was wir in der Nähe der Stadt der Toten vorsichtig verscharrten, abgeholt und die Treppe wieder verschüttet. Wer genau wußte, wo sie sich befand, kam die Sandmauern auch so empor, denn über den Stufen rutschten die feinen Körnchen nicht nach.

Das ist der Weg, den wir benutzen, wenn wir in der Ferne jagen wollen . . .

Und das ist unsere Oase: Ein grüner Fleck inmitten unersteigbarer Dünen, eine uneinnehmbare Festung!

So . . . dachten wir.

. . . Menschen pferchen sich in den Städten zusammen, Menschen kämpfen wie Hyänen zwischen diesen steinernen Kästen, in Qualm und Gestank um das bißchen täglich Brot . . . In den Elendsvierteln meiner Heimatstadt hausen Menschen in Löchern, Verbrechen, Sünde, Haß erfüllt die engen Höfe . . .

Würde man einer dieser Familien vorschlagen: Zieht in die freie Ferne, lernt die Natur lieben, die euch alles schenken wird, lebt mit der Natur! – sie würden den, der so spräche, fassungslos anstarren. Und – sie bleiben Sklaven der ererbten Gewohnheit, der ererbten Enge, bleiben Herdentiere. – Möglich, daß sie sich selbst hier in diesem unseren Paradiese nicht glücklich fühlen würden, daß ihnen der Herdentrieb den Sinn zu sehr vergiftet hat.

Ich liebe die Einsamkeit, ich liebe diese Oase, von der es noch so unendlich viel zu sagen gibt.

Sie zieht sich nach Nordost fast zwei Meilen weit durch die Dünen, aber ihr grüner Kern liegt an dem uralten Gemäuer, ihr Teich blinkt in der Sonne, Palmenkronen spiegeln sich darin, der greise kahle Marabu spiegelt sich auch . . .

In der äußersten Nordostecke gibt es Schiefergestein, einen verschütteten Wald, und eine heiße Quelle, die sofort wieder zwischen dem Gestein versickert und nur ihre weißen Salze ablagert. So ist dort im Laufe der Zeit ein ovales schneeweißes Bassin entstanden.

Unsere Badewanne, sagt Tübbicke.

Das Wasser ist ungenießbar, aber die Bäder sind Jungbrunnen. Adolar badet jeden Tag. Gupa und Sussik nie, ich jeden dritten Tag.

In diesem entlegenen Talwinkel hausen unsere Tiere in ihren Löchern und Klüften. Wir schonen sie, sie sorgen schon gegenseitig dafür, daß sie nicht zu zahlreich werden, – der Dib frißt den jungen Fennek, der Schakal frißt den jungen Dib, die Geier fressen alles, was irgend herumliegt. –

Wieder ist ein Tag dahingegangen, es ist Abend, wir sitzen unter den Palmen, wir fünf, denn Wrangel zählt mit.

Über dem Feuer, dessen Qualen oben die noch unreifen Datteln etwas anräuchert, liegt in den Gabeln am Spieße das Hinterviertel einer Antilope, – Gupa dreht, begießt . . .

Dann essen wir . . . Essen ganz manierlich von Aluminiumtellern mit Messer und Gabel, trinken Tee, rauchen nachher, nur A. A. A. raucht nie. Er hat Grundsätze. Vielleicht werde ich mit sechzig Jahren nicht so frisch sein wie er. Ich habe keine Grundsätze, ich lasse mich vom Schicksal treiben . . . oder es treibt mich. »Es« begann mit einem Fehlurteil über einen Menschen, der in Notwehr handelte. Ein Weib beschwor das Gegenteil. Wera ist auch ein Weib. Trotzdem habe ich Verpflichtungen der Kameradschaft ihr gegenüber, – das Herz spricht nicht mehr mit, das war einmal, die Wüste hat mich geheilt, wie sie die armen Lungenkranken, Nierenkranken heilt, die, an eine letzte Hoffnung sich klammernd, nach Ägypten kommen und nicht enttäuscht werden.

Wenn wir mit der Abendmahlzeit fertig sind, tut jeder das, was hier selbstverständliche Pflicht ist. Sussik und Gupa säubern Geschirr, Adolar und ich füttern die Dromedare, holen Gras vom fernen Talwinkel und Moos. Es wächst dort neben der Marmorbadewanne an den Felsen eine Moosart mit langen Stengeln und eine graue Flechte, – beide fressen die Tiere ganz gern.

Und dann, wenn die Sterne schon sehr hell schimmern, muß abwechselnd einer von uns die Plattentreppe empor mit meinem Glase und Ausschau halten.

So ist unser Leben, einfach, natürlich, zweckmäßig und gesund.

Morgen früh werden Sussik und ich einen langen Ritt unternehmen. Es erscheint mir immer bedenklicher, daß auch nicht eine einzige der vier verschiedenen Gruppen von Leuten, die wir erwarten, bisher hier in der Nähe eingetroffen ist. Vier: Lady Jane, Lord Cordy, Ralph Cudderson, die Filmleute. – Die fünften Mitspieler sind wir.

Mitspieler – wobei?! Wird überhaupt nichts geschehen?! Ist dies gar nicht der Ort, um den sich alles dreht?! Irre ich mich in dieser Beziehung?! – Wenn nur Sussik sprechen wollte. Er weiß, er als einziger.

Ich packe meine Schreiberei weg . . . die anderen schlafen schon. Wrangel liegt neben meinem Steinschreibtisch und träumt, seine Pfoten laufen im Traum, sein linkes Ohr hat einen neuen Riß, er balgt sich immer mit den abscheulichen Dibs herum, die draußen im Chor heulen, nur im Chor, – wie auf ein Zeichen stimmen sie ihre herzzerreißenden Klagelieder an, – man glaubt Kinder schreien zu hören. Wenn sie schweigen, beginnen die Fenneks mit ihrem hastigen Gekläff, und dann gibt es einen Höllenlärm, einen Kampf aller gegen alle. Die hellgelben Fenneks sind in der Überzahl, und sie verbeißen sich trotz ihrer kleinen Schnäuzchen mit ihren nadelscharfen Zähnen so fest, daß der Dib sie nicht abschütteln kann. Wehe dem Dib, den sie irgendwo in die Enge treiben können! Und dabei fressen sie alles, Eidechsen, Mäuse, Junghasen, Datteln – ja, die Datteln nicht zu vergessen. Wenn im August die Dattelreife beginnt, haben die Fenneks es gut, sagt Sussik. Aber, sagt er auch, es sei Unsinn, daß behauptet würde, die Fenneks könnten klettern. – Ich habe nie einen Fennek auf einem Baume gesehen.

Morgen reiten wir, und dann muß Sussik sprechen, muß! Ich will endlich Klarheit haben. –

. . . Eine Woche ist es her, als ich diese Blätter weglegte und schrieb »Morgen reiten wir!« – Wir ritten nicht. Es kam alles ganz anders, und alles ist nun vorüber. Gupa schläft dort drüben im Palmenhain den ewigen Schlaf, fern von seiner mongolischen Heimat, Adolar ist unterwegs nach St. Antonius, und die anderen . . .? Viele bedeckt der feine Pulversand draußen im Dünenmeer, manche entflohen, der Rest ritt davon, zum Teil enttäuscht, zum Teil beglückt.

Sussik, Wrangel und ich sind allein in unserer Oase. – –

. . . Ich war wie immer so auch damals noch vor dem Schlafengehen draußen umhergewandelt, hatte mich über das Getier gefreut, das so zahm geworden, daß es kaum von mir Notiz nimmt. Im Sternenlicht buddelten Fenneks am Rande des Haines nach Mäusen, ein Dib schärfte sich die Zähne an dem Antilopenschädel und versuchte das Hirn freizulegen. Ich stand im Schatten, und Wrangel schlief im Zelt.

So kam es. Wrangel hätte mich gewarnt.

Sie kamen lautlos herangeschlichen, – ein riesiger Neger war es, der mir seine Pranken um den Hals legte, und Cordy schlug mit dem Pistolenkolben zu, ich verlor für kurze Zeit die Besinnung.

Den Freunden erging es ähnlich, und Cordy hätte meinen Hund niedergeschossen, wenn Wera ihm nicht in den Arm gefallen wäre. Da haben sie denn Wrangel an die Kette gelegt. Das war aber auch der einzige Beweis für ein besseres Gefühl, den James Cordy halb gezwungen lieferte. Im übrigen war er ein von Goldgier besessener Teufel.

Sie hatten uns in meinem Zelt auf die Bodenmatte gesetzt, uns vier, mit dem Rücken gegen zwei Kisten gelehnt und sehr zuverlässig gefesselt.

Sie – das waren Cordys Gesellen: Drei Araber, ein Neger, zwei Mischlinge, alles Kanaillen bösester Art.

Ich hatte meinen Feind Cordy so noch nie gesehen. Er saß zurückgelehnt da, die Zeltlampe schien ihm hell in das braune, verwüstete Gesicht. Sein dünnes graues Haar lag wirr um die hohe Stirn, eine Strähne beschattete das linke Auge, das rechte funkelte um so niederträchtiger.

Er hatte seine Garde weggeschickt. Der Neger sollte Wera nebenan bewachen, die anderen sollten die Reit- und Lasttiere über den Plattensteig in die Oase bringen.

Cordy war bartlos, seine äußere Erscheinung vernachlässigt, sein Körper irgendwie ruiniert. Seine schmutzigen Hände flatterten nervös, sein Mund zuckte, aber – noch hatte er Gewalt über sich.

»Also das sind Sie!« sagte er mit kaltem Hohn zu mir. »Das ist der Abelsen, der Wera Zubanoff im zärtlichen Spiel das Geheimnis ablocken wollte!«

Eine Antwort hätte sich erübrigt. Der Mensch war keine Antwort wert. Aber es ging hier nicht allein um meine Person.

»Und das ist«, sagte ich, ». . . das ist Lord James Cordy, der mich mit der Kugel verschiedentlich fehlte . . . – ein Meuchelmörder, ein Frauenräuber, ein . . .«

»Seien Sie nicht albern, Mann!! – Haben Sie das Gold gefunden? Sie müssen es gefunden haben . . . Sie sind lange genug hier . . .« Seine Worte überstürzten sich. »Lange genug, um genau suchen zu können . . . Sollten Sie es anderswo verborgen haben, – ich werde euch schon die Zunge lösen!! Reden Sie!!«

»Sehr gern . . .« Es war die Wahrheit. Vielleicht hing hier alles davon ab, wie ich redete. Dieses schlotternde Bündel verbrauchter Nerven da konnte unmöglich mir geistig gewachsen sein. Nur von Cordy konnte ich die Schleier lüften lassen.

»Ich habe das Gold leider nicht gefunden. Ich bezweifele auch, daß etwas zu finden ist. Hätten wir es entdeckt, wären wir nicht mehr hier, denn die Dummheit werden Sie uns wohl kaum zutrauen, hier das Eintreffen der anderen Anwärter abzuwarten und somit zumindest blutige Kämpfe zu riskieren!«

Er blickte mich scharf an. Dann beugte er sich vor und lachte mir schrill ins Gesicht. »Die anderen Anwärter liegen in der Totenstadt der Berge . . . Meine teure Gattin war nicht vorsichtig genug. Sie und ihre Bischarin teilten das Schicksal des Spions, den ich dort schon vorher mal lebend begraben ließ. Die Steinhütten eignen sich prächtig dazu. Wenn man die Löcher dort in der Außenmauer wieder verschließt, ahnt niemand, daß dort drinnen Lebende verhungern . . .«

Neben mir hüstelte Sussik warnend. Er hätte es nicht zu tun brauchen, ich war schon im Bilde: Sussik war der Spion, den Cordy soeben erwähnt hatte . . . Also der eine Punkt war bereits geklärt, auch das andere, die Hauptdinge, würden folgen.

Cordy war in seiner satanischen Genugtuung über den Streich, den er seiner Frau gespielt hatte, Sussiks Warnungszeichen entgangen. Er lehnte sich wieder zurück . . .

»Und Sie . . . Sie werden denen da Gesellschaft leisten!« fügte er mit einem schrecklichen Grinsen hinzu. »Ich kann keine Mitwisser dulden – keine!«

Er beobachtete mich lauernd.

»Natürlich nicht«, sagte ich gleichgültig. »Ich würde nicht anders handeln . . . Hätte ich Wera Zubanoff in der Gewalt, würde mir es genügen!«

Es war eine plumpe, inhaltlose Anzapfung. Er fiel prompt darauf herein.

»Aber das infame Weib verrät nichts, das ist es!« zischte er fast geifernd.

Da lachte ich ihn an. Ich konnte die inneren Zusammenhänge noch immer nicht richtig zusammenfügen, ich wußte zu wenig, – nur eins konnte ich: diesen Verbrecher aushorchen.

»Sie wäre ja eine Närrin, gäbe sie die Waffe aus der Hand, Mr. Cordy . . .! So lange sie schweigt, ist sie vor Ihnen sicher . . . Es sei denn, Sie fänden das Gold ohne Weras Angaben, was ich bezweifele. Ich habe hier alles um und um gekehrt, kein Fußbreit Boden blieb undurchsucht, – es ist nichts da!«

Er nagte mit den gelben Oberhauern die Lippe. Er schielte mich höhnisch an . . . »Was können Sie groß gesucht haben!!« meinte er wegwerfend. »Sie fanden nicht einmal den alten Stollen.«

»Allerdings nicht. – Stollen?! Das ist mir neu . . .«

»Und das Neue bricht Ihnen das Genick, – Sie fanden den Stollen nicht, ich kannte die Treppe nicht, nun bin ich jedenfalls hier, und das Frauenzimmer wird reden!! Sie weiß Bescheid, ihr Mann hat es ihr anvertraut, aber der blöde Kerl ist ja jetzt unauffindbar, soll irgendwo in einem Koptenkloster stecken und seine Sünden abbüßen, der Idiot!! Sünden – lächerlich!«

»Die Nubische Goldminen-Aktiengesellschaft . . .« gab ich ihm auf gut Glück ein anderes Stichwort.

Er war in dem Wahn befangen, Wera hätte mir mindestens die Hälfte des großen Geheimnisses offenbart. Und ich – wußte nichts!

»Ja, Lord Fattmoore war mitbeteiligt«, nickte Cordy eifrigst. »Fattmoore war Zubanoffs Freund, – was man so Freund nennt . . .«

»Dafür modern seine Gebeine am Amur, Mr. Cordy . . .«

»Ist mir bekannt . . . Fattmoore war ein Schwätzer . . . Sein älterer Bruder rüstete damals 1903 die Expedition aus und nannte sich bescheiden Houston, ein Name, der zu nichts verpflichtet . . .«

»Nur zum Sterben, – Houston kehrte nie zurück . . .« Ich sagte das mit einem kühlen Achselzucken. Innerlich jubelte ich, denn nun lichtete sich das Dunkel, nun wurde mir auch klar, wer der Filmregisseur Howard Houston sein mußte.

»Das Weib hat Ihnen ja recht viel erzählt! Stimmt, nur der Zettel, den Houston kurz vor der Katastrophe durch einen Araber nach Bir Schikr sandte, war das letzte Lebenszeichen von ihm.« Cordy nagte wieder die Unterlippe . . . »Wenn man nur wüßte, ob der Zettel noch vorhanden ist?!« Wieder traf mich der lauernde Blick. »Sprach Wera davon, Abelsen?!«

»Andeutungen – nur in Andeutungen . . . Sie ist sehr vorsichtig, Cordy.« Ich schlug einen vertraulichen Ton an. »Wir sollten uns zusammentun, Cordy . . . Sie allein erreichen nichts . . . Ich verlange nur ein Viertel des Gefundenen. Das genügt uns . . .«

Sein Blick flog über meine Gefährten hin . . . Ich las ihm die Gedanken von der Stirn ab.

Prächtig war es, wie Freund Adolar mir da half.

Er schrie empört: »Und wir, Abelsen?! Wollen Sie uns etwa im Stiche lassen?!«

Gupas Baß mengte sich ein.

»Du bist ein Schurke, Abelsen! Jetzt erst erkenne ich dich!!« – und er spie mir vor die Füße.

Das Theater klappte . . .

Ein Mensch wie Cordy konnte sich natürlich gar nicht vorstellen, daß jemand alles Gold der Welt verachtete und nicht einen Finger rühren würde, um Gold zu erbeuten.

Er stand auf, zerschnitt rasch meine Fußfesseln, half mir auf die Beine und führte mich ins Freie.

Hinter uns drein klangen Tübbickes wütende Schimpfworte.

Wir standen dicht am Teich. Cordy flüsterte nur noch: »Abelsen, – ich bin einverstanden . . . Ein Viertel Ihnen, den Rest mir . . . Werden Sie aber die Zubanoff so weit . . . einseifen können, daß sie . . .«

». . . Meine Sorge!! – Wir müssen es nur geschickt machen . . .« – Ich blickte mich scheinbar scheu um und fuhr noch leiser fort: »Geben Sie mir Gelegenheit, noch in dieser Nacht auch Wera zu befreien . . . Alles zum Schein . . . Tun Sie nachher vor meinen Begleitern so, als ob wir nicht einig geworden . . . Fangen Sie jetzt an zu fluchen, werden Sie grob . . . stoßen Sie mich in das Zelt zurück . . . Meine Begleiter würden Wera warnen, – Sie verstehen!!«

»Oh – ein schlauer Hund sind Sie!!«

Und er . . . fluchte, brüllte, drohte, jagte mich mit der Pistole in der Hand in das Zelt, fesselte mich von neuem . . .

». . . Sie Idiot!! Sie Idiot!! Rücksicht auf Ihre Freunde . . .!! Für so dumm hätte ich Sie nicht gehalten . . .!!«

Dann ließ er uns allein, schickte jedoch den Neger als Wächter und vollführte im Nebenzelt bei Wera einen ähnlichen wilden Tanz: Ein betrogener Betrüger, der sich selbst betrog. – Tübbicke blinzelte mir verständnisvoll zu, Gupa betrachtete den Neger, der sich in dem Stuhl rekelte und dem eine Zigarre zwischen den Wulstlippen hing, etwa mit dem Interesse eines Henkers für den Delinquenten, und Sussik schielte zum Zeltdach hoch, wo eine Ganseidechse am Rande des Lichtscheins der Lampe auf fliegendes Gewürm lauerte.

Tübbickes zufriedenes Blinzeln war verfrüht. Mir selbst erschien die Zukunft durchaus nicht so rosig. Meine Spiegelfechterei gegen Cordy mochte Erfolg gehabt haben, aber Cordy würde es schon so einrichten, daß die Vorteile kurzer Freiheit und kurzen Beisammenseins mit Wera gering blieben, wir würden unausgesetzt umlauert werden und, selbst im günstigsten Falle, würde es mir kaum gelingen, die Freunde und Wrangel oder gar die Dromedare mit uns zu nehmen. Wenn dies wegfiel, durfte ich mit Wera nicht fliehen. Die Wüste draußen barg zweifellos noch mehr Gegner mit noch stärkeren Hilfskräften: Den angeblichen Howard Houston aus Hollywood mit seinem Riesentroß! Dieser Houston war ein Bruder zweier Toten. Der eine lag am Amur verscharrt, des anderen zerstreute Gebeine hatten wir im Tale der Stadt der Toten der Erde wieder übergeben.

Ich sann vor mich hin . . . Mir ward dabei nicht eben leichter ums Herz. Es mußte schnell gehandelt werden, Lady Jane und die Bischarin durften nicht in den Grabhütten verhungern. Ich mußte hart und erbarmungslos sein wie ein Felsblock, der im Absturz alles zermalmt. Diesem Ungeheuer von Cordy gegenüber wäre Menschlichkeit Schwäche gewesen.

In dem Augenblick fiel mir etwas ein . . .

Mein Gesicht überzog sich mit tiefer Röte, mein Herz hämmerte, beruhigte sich wieder.

Cordys Urteil war gesprochen.

 


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