Walther Kabel
Mein Feind Cordy
Walther Kabel

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Cordys lärmende Stimme nebenan verebbte, und durch die Stille drang laut und klar Wera Zubanoffs helles Organ.

»Niemals!! – Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen, Sie Elender!«

Dann wurde es ganz still.

Als ich vorhin aus der Betäubung erwacht war, hatte ich Wera nur flüchtig gesehen. Sie durfte sich frei bewegen, aber sie wurde ständig bewacht, sie allein hätte nichts für uns tun können, – für Wrangel war sie freilich Lebensretterin geworden, und das danke ich ihr von Herzen als guter Freund.

Nun lebten in der Oase neue Geräusche auf, Cordy beobachtete wohl das Nahen seiner Leute mit den Tieren, seine Befehle waren kurz und nervös, seine Stimme ertönte stets in der Nähe, er behielt Wera im Auge.

». . . Kettet den Elefant weiter weg an . . . Die Dromedare sollen ungehindert weiden . . .«

». . . Abu Tirr, du bewachst unseren Harem!«

Dann Schritte, – Abu Tirr kam, und Cordy entfernte sich. Er würde nun sein Gelichter einweihen, er würde Wachen verteilen . . . Ich durfte ihn nicht unterschätzen! – Ich war gespannt, wie er uns für die Nacht unterbringen würde, wie er die Komödie vorbereitete, von der er ein zärtliches Schäferspiel zwischen Wera und mir und die Enthüllung des letzten Geheimnisses erhoffte, von der ich ganz anderes erwartete, das mit Gold und Liebe nichts zu tun hatte, weit eher mit Chemie.

Gupa sagte plötzlich halblaut zu dem schwarzen Herkules, der in einem schmierigen Beduinenmantel steckte, denn für die Figur paßte kein normaler Anzug:

»Warst du es, der den . . . Spion lebendig begrub? Ich glaube ja . . .«

Der Neger fletschte das prachtvolle Gebiß. Er war ein Vollblutneger irgendwo aus der Gegend der großen Seen wohl, wo der Nil entspringt.

»Halts Maul!« grinste der Schwarze. – Er war sicherlich in Kairo oder Alexandria Lastträger gewesen – oder weit Schlimmeres, denn er trug am kleinen Finger einen dicken silbernen Ring mit einem Skarabäus und in den Ohren rote Korallen.

Gupa sagte etwas lauter: »Ich sah dich in Bir Schikr, schwarzes Schwein, – du wartetest dort auf deinen Herrn und . . . – auf die Hölle. Deinen Herrn hast du schon, in die Hölle kommst du noch!«

Der Neger warf ihm den zerkauten Zigarrenstummel ins Gesicht. »Wenn ich dich in eine der Grabkammern lege, werde ich dir die Hölle in deinem Bauche bereiten, Chinesenhund!!« Und er zog sein Messer und fuhr mit der Schneide über den Daumennagel hin.

Gupa lachte – sein Lachen.

Sussik aber hüstelte, – und das war jetzt nötig, denn sobald der Schwarze Sussik wiedererkannt hätte, würde des Bischarin Leben geliefert gewesen sein. – Nur die entsetzliche Hungerkur mochte Sussiks Züge so verändert haben, daß der Neger bisher ahnungslos geblieben.

Draußen wiederum Schritte, der Zeltvorhang wurde gehoben und Cordys wildes Gesicht erschien im Lichtschein. Er winkte dem Schwarzen . . .

»Erst den da!« – und er deutete auf Gupa. »Wir werden sie einzeln an die Palmen fesseln, weit auseinander, – verbinde ihnen auch die Augen.«

Gupa besaß schon Kräfte, – der Schwarze die dreifachen.

Er warf sich Gupa wie einen Strohsack über die Schulter, schritt davon, und James Cordy blieb im Eingang stehen. Am Ledergürtel trug er drei Pistolen, die vierte hielt er in der Hand.

Ich mußte sehr vorsichtig sein. –

Tübbicke und der Bischarin wurden weggetragen, – als letzter ich . . . der Neger, begleitet von Cordy, stellte mich an der Nordseite des Teiches an eine Palme. Er hatte sich einen langen Strick um den Hals gehängt, dazu einen leeren Sack.

Cordy schickte ihn weg. »Schneide Zweige für den Elefant . . . Ich werde diesen Kerl festbinden – selbst, er ist der gefährlichste . . .«

Als wir allein waren, flüsterte er triumphierend: »Sind Sie zufrieden? Ich denke, so ist es am besten. – Meine Leute schicke ich als Wachen oben auf die Dünentreppe . . . Ich bleibe in Ihrem Zelt. Da Sie den Stollen nicht kennen und da auch Wera ihn bestimmt nicht kennt – wir haben sie mit einer Decke überm Kopf hereingeführt –, seid ihr beide mir sicher . . .«

Er funkelte mich bösartig an . . .

»Sie sind mir ein zu gerissener Kunde, um Ihnen blindlings zu vertrauen! Sie können mir das nicht verdenken . . . Wir sind bis auf die Zähne bewaffnet, Ihnen haben wir selbst das Messerchen abgenommen, Abelsen! Machen Sie keine Dummheiten! Ehrlich Spiel!!«

»Ehrlich Spiel! Nur mein Feuerzeug und zwei Zigarren spenden Sie mir, Cordy. Ich bin Kettenraucher . . . Und ich brauche das Nikotin . . . Es wetzt den Verstand, Cordy . . . Wera wird nicht so leicht zu überlisten sein . . . Auch Küsse unter Palmen nützen nicht viel, wenn man nicht seine fünf Sinne beisammen hat . . . Oder betrachten Sie Zigarren als Wurfkeulen?! Haben Sie Angst?!«

Er hielt mir seine Pistole vor die Stirn . . .

»Angst?! Ich?! Aber Sie warne ich!! – Ich werde Sie ganz lose festbinden . . . Wir pflegen das Weib für die Nacht zu fesseln. Sie werden die Knoten unschwer lösen können . . .«

Fuselgeruch schlug mir aus seinem Munde entgegen . . .

»Sie sollten besser nicht saufen!« meinte ich absichtlich. »Unser Geschäft verlangt klaren Kopf. – Wie wird es mit Ihren Leuten nachher, falls . . . es glückt?«

Er tippte achtmal auf den Pistolenlauf. »Acht Schuß, ein Sandloch, – – vorbei! – Der Elefant trägt uns beide und das Gold und . . . das Weib, wenn Ihnen etwas daran liegt . . . Seit ich Kokain schnupfe, ist das für mich abgetan . . .«

Dann band er mich an die Palme, holte mir vier Zigarren, schnitt die Spitzen ab und gab mir auch mein Feuerzeug.

Als er es mir in die Tasche schob, wußte ich, daß wir frei sein würden.

»Danke, Cordy . . . Sehr liebenswürdig . . . Sie werden mit mir zufrieden sein. – Gehen Sie jetzt . . . Wera könnte uns beobachten.«

Er feixte. »Sie ist schon im Zelte festgebunden, Abelsen . . .! – Viel Glück also – und ehrlich Spiel!«

Er entfernte sich, nachdem er mir den Sack so über den Kopf gelegt hatte, daß ich die Augen frei hatte.

Ich war allein mit dem uralten kahlen Marabu, der zehn Schritt weiter im Wasser wie immer auf einem Beine stand. Er schlief. Die gelben faltigen Lider bedeckten seine Augen. Er hatte es besser als ich. Was meiner wartete, waren peinliche Stunden. Das Wiedersehen mit Wera würde viel Taktgefühl erfordern. Ich dachte an ihre Nachricht, die sie mir nach Antonius sandte: Ich komme!

Und als ich mir dies ins Gedächtnis zurückrief, als ich an den greisen Bruder Türhüter dachte und an die hohe Ringmauer und des Bruders melancholische Äußerungen über seine unbekannte Herkunft, da schien mir das alles so unendlich fern zu liegen – so fern wie vor vielen Jahren Erlebtes. Zwischen jenen Tagen in St. Antonius und Cordys ersten meuchlerischen Schüssen, die mir als dem Vertrauten Weras galten, und der Gegenwart häuften sich die neuen Eindrücke zu grellbunten Schleiern. Was dahinter lag, war verschwommen, traumhaft . . . –

Ich hörte in der Oase Stimmen, – sie verklangen . . . Cordys Gesindel betrat den Plattenpfad, den Todespfad . . .

Dann wurde es eine geraume Weile ganz still. Und dann kam das vierbeinige Raubzeug mißtrauisch herbeigehuscht, stillte seinen Durst, knurrte sich an . . .

Die Mondsichel sank.

Es mochte zwei Uhr morgens sein. Es wurde Zeit. Ich streifte die Stricke ab, ich warf den Sack beiseite, ließ mich ins Gras sinken und rollte den Strick zusammen und schob ihn unter die Jacke.

Für Cordy – vielleicht . . .

Langsam schob ich mich weiter. In der Nähe der Zelte schlug ich einen Bogen, um von hinten an Weras Zelt heranzugelangen. Daß Cordy scharf aufpassen würde, wußte ich. Ob er mich hier im Schatten der Büsche erspähen konnte, war eine andere Frage. Er steckte in dem Zelt am weitesten nach Süden, in meinem Zelt, Wera im zweiten. Wollte er mich beobachten, mußte er also, da sein Zelteingang nach Osten wies, die Zeltbahn aufgeschnitten haben.

Ich war in all diesen Dingen kein Neuling. Ich konnte mit demselben schlichten Kombinationsvermögen, das mein unvergeßlicher Freund Coy besessen hatte, mir die Gesamtlage klar vor Augen führen. Die Redensart von »logisch geschultem Denken« ist leere Redensart. Halbe Naturkinder wie meine araukanischen Freunde, wie die Australneger, wie die Dajak wissen nichts von »Logik«. Das »richtige« Denken ist ihnen anerzogen durch den Daseinskampf, und sie denken schärfer als mancher Stubengelehrte, der Kants »Kritik der reinen Vernunft« zitiert. Mein Sussik hat keinen Schimmer von all den lächerlichen Phrasen, aber was er tut und spricht, trifft den Nagel auf den Kopf. –

Aufgeschlitzt . . .

Und das stimmte . . .

Ich sah zwei Finger, die den Schlitz auseinanderhielten.

Ich lachte still in mich hinein.

Cordys Chancen sanken, denn die Finger sah ich nun von der Seite, als ich mich hinter Weras Zelt vorbeischob.

Coy wäre mit mir zufrieden gewesen.

Ich sah noch mehr.

Das Zeltleinen war über dem Schlitz nach außen gewölbt. Dort lag also Cordys Stirn, und Cordy wartete und hatte mich nicht bemerkt.

Ich tastete nach einem handlichen Felsbrocken, fand ihn, kroch weiter, richtete mich halb empor . . .

Gerade da stimmten die Dibs wieder ihr Klagegeschrei an, und . . . ich schlug von der Seite zu – genau auf die Zeltbahn, auf den Buckel . . .

Der Hieb saß, – im Zelt Gepolter, – schon war ich durch den Vorhang geschlüpft, warf ihn beiseite, – der Mond zeigte mir Cordy bewußtlos quer über einer Kiste liegen.

Ich ließ mir Zeit. Ich fesselte ihn an die Kiste, knebelte ihn . . . Auf meine Knoten konnte ich mich verlassen.

Ich machte Licht, suchte aus der Ecke meine Waffen hervor und lief dann bis zu dem ersten Palmenstamm, der unten stark angeschwollen war. Die Geschwulst war Adolar. Ich befreite ihn, drückte ihm eine Pistole in die Hand . . .

»Holen Sie Gupa und Sussik . . . Aber leise!!«

»Leiser wie eine Laus!« – er fragte nichts, er handelte, verschwand.

In der Ferne hörte ich Wrangel an seiner Kette leise winseln. Armer Kerl, – er mußte noch warten, sein Freudengebell hätte die Herrschaften droben auf der Düne warnen können.

Nun kam das Schlimmste: Wera!

Ich kehrte um. Als ich um die Büsche bog und die Zelte vor mir lagen, stutzte ich und warf mich sofort lang hin.

In beiden Zelten brannte Licht . . .

Was war geschehen?! Hatte sich Cordy befreit?!

Ausgeschlossen . . .! Cordy war noch bewußtlos gewesen, und nach einem solchen Hieb mit einem Stein gegen die Stirn könnte nur ein Neger mit Eisschädel so rasch erwachen.

Ich entsicherte die Büchse. – Hatte Cordy mich etwa genasführt, hatte er nicht alle fünf Kerle auf den Dünenkamm geschickt?!

Die Lage wurde kritisch.

Ich hob den Kopf . . .

Sprach da nicht jemand in Weras Zelt?!

Jetzt glitt ein Schatten über das Leinen, – ein Mann war im Zelt!

Ich schob den Büchsenlauf in die linke aufgestützte Hand . . .

Jetzt . . . lachte Wera . . .

Der Schatten wurde deutlicher . . .

Ein zweiter löste ihn ab, eine kleinere Gestalt mit erstaunlichen O-Beinen.

. . . Und dieser Mann trat jetzt ins Freie. Ich hatte ihn nur einmal bisher gesehen, ganz flüchtig.

Es war Mac Owen, Cuddersons Diener, diese Perle von einem Diener, ohne den sein Herr ein hilfloses Kind blieb, wie Ralph Cudderson selbst betont hatte.

Mac Owen trug im rechten Arm einen kurzen Karabiner, in der Linken eine jener langläufigen automatischen Pistolen, die einen sicheren Schützen durchaus eine Büchse ersetzen.

Owen schaute dorthin, wo ich lag, verneigte sich und rief gedämpft:

»Es hat nichts weiter auf sich, Mr. Abelsen. Wir sind es . . . Kommen Sie nur.«

Ich stand vor ihm . . .

»Seit wann sind Sie denn hier?!«

Er war mir ein Stück entgegengekommen . . .

Er sah auf seine klobige Armbanduhr.

»Genau seit acht Minuten, Mr. Abelsen . . . Wir wollten Sie nicht stören. Wir beobachteten, wie Sie die Fliege mit dem Stein an dem Zeltleinen totschlugen, und dann wollte Mr. Cudderson zunächst Frau Zubanoff begrüßen, womit ich einverstanden war.«

Ich konnte nur den Kopf schütteln. »Sie sind wirklich eine putzige Kruke!!«

»Mac Owen ist mein Name, – Schotte von Geburt, daher die roten Haare . . .«

Er lüftete seinen Tropenhelm.

Sein Haar interessierte mich nicht.

»Wie sind Sie denn aber hier in die Oase hineingelangt?!«

»Auf die bequemste Art von der Welt . . . Durch den alten unterirdischen Gang. Lord Cordy hatte den Eingang zwar wieder verschüttet, aber – ich heiße Mac Owen, und ich war zehn Jahre Diener bei . . .«

»Und wo liegt dieser Eingang?«

Er starrte mich verblüfft an. »Nun – dort in den Dünen doch . . .«

Vielleicht hätte dieser vortreffliche Mac mir noch mehr Grund zum Verblüfftsein gegeben, – aber Tübbicke, Gupa und Sussik näherten sich, blieben stehen . . .

Ich winkte.

Mac sagte hastig: »Ich denke, Mr. Abelsen, wir stören meinen Herrn vorläufig nicht . . . Frau Zubanoff interessiert ihn sehr, und es wäre vielleicht angebracht, die fünf Kerle festzunehmen, die der Lord bei sich hat. Wo sind sie?«

Adolar Tübbicke war der Situation entschieden mehr gewachsen als ich. Er klopfte Mac auf die Schulter . . .

»Mann, Sie sind doch sicherlich Cordy heimlich gefolgt . . . Haben Sie denn Lady Jane und ihre Bischarin befreien können?«

Owin verneint. »Die Dame haben wir gar nicht zu Gesicht bekommen . . . Es ist doch hoffentlich nichts Unangenehmes passiert?«

Tübbicke blickte mich an. »Abelsen, dann müssen wir erst einmal schleunigst die fünf vom Dünenkamm entfernen und dann noch schleuniger Lady Jane helfen . . .«

»Und wie wollen Sie die fünf verjagen, Tübbicke?! Die Plattentreppe liegt drüben im kahlen Gelände, – die Schufte schießen uns von oben wie die Hasen ab . . . Aber weg müssen sie! Anders bekommen wir die Dromedare nicht heraus, und bis zur Gräberstadt ist es ein Tagesritt . . . Trotzdem, versuchen wir es!«

Hinter uns erklang abermals gedämpftes Lachen aus dem Zelt. Leise Bitterkeit stieg in mir hoch . . . nur einen Augenblick! Mochte Wera mich auch vergessen haben, – es war ja am besten so!

Wir schritten durch die Oase . . .

Unter einer bestimmten Palme machte ich halt.

»Tübbicke, was vergrub ich hier?«

»Ein Kistchen, in dem die mehrfach eingewickelte Dynamitpatrone nebst Zündschnur liegt.«

»Richtig. Und hier wollte ich Wera hinführen, hier hätten wir uns niedergesetzt, hier hätte ich die Patrone herausgewühlt, und dann . . . wäre Cordy sehr bald erledigt gewesen. Das war mein Plan. Aber ein Schlitz und zwei Finger und ein Stein änderten alles . . . – Sussik, buddele! Gupa, hole mir eine der hellen Wolldecken . . . Ich werde die fünf da oben ausräuchern.«

Mac Owen räusperte sich kräftig . . .

»Verzeihung, Mr. Abelsen, – das wird nicht nötig sein, nicht sofort . . . Ich war zehn Jahre Elefantenwärter im Zirkus Sarasani . . . Jeder zahme Elefant gehorcht mir. Kennen Sie den Trick?!«

»Welchen?«

»Einen fremden Elefanten sofort zutraulich zu machen . . . Man füttert ihn, nimmt den Rüssel und drückt die Spitze in die Achselhöhle. Der Schweißgeruch hat mehr Einfluß auf die Tiere, als jemand ahnt.«

»Nun – und?! Wollen Sie mit dem Elefant die Treppe hoch?!«

»Ja. Mit Ihnen, Mr. Abelsen . . . Wir hängen uns hinten an . . . – Das Dynamit hätte den Nachteil, daß es einen Teil der Treppe zerstören würde, und mit diesem Pulversand ist nicht zu spaßen . . .«

»Sie haben recht, Owen . . .! – – Schnell, – Lady Jane muß befreit werden . . .

 


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