Wilhelm Jensen
Auf dem Vestenstein
Wilhelm Jensen

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Zwölftes Kapitel

Über die Brücke aber schossen, von dem Eulenschrei benachrichtigt, Menz und ein Haufen Payrsberger Waffenknechte, als ob der Sturm sie wie Blätter jage, ins Innere der Burg hinein. Beim Gerassel ihrer Eisenkleider fuhren die um den Eichentisch Sitzenden auf, starrten aus trunken-ungläubigen Augen; vom Lichtwurf auf der Flurhalle geführt, drangen die Ankömmlinge schon mit blitzenden Schwertern ins Gemach. Christoph Teitenhofen hatte der Wein noch so viel Besinnung gelassen, daß er das Unerklärbare als eine Wirklichkeit erkannte; blitzschnell verschwanden er und seine Frau durch eine schmale Seitentür in der Wand aus dem Raum. Die andern dagegen waren, ehe sie sich zur Wehr setzen konnten, überwältigt, zu Boden gestreckt, gebunden und geknebelt. Mit lodernden Kienspänen rannten die Payrsberger überall, atemlos suchend, umher, bis von untenher ein Ruf erscholl: »Hier!« Menz Romwald stürzte herzu; durch eine aufgerissene Falluke ward am Grund eines Felskellerloches die Gestalt Ulbert Siekmosers erkennbar. Er lag ohne sich zu regen, vorsichtig hob ein halbes Dutzend von Armen ihn herauf, einen Toten, schien's. Aber er lebte noch, seine Augen öffneten sich einmal, sahen die über ihn gebückten Gesichter bewußtlos an und fielen wieder zu. Menz gebot, daß er über die Brücke getragen und drüben niedergelegt werde; die Vollstrecker des Auftrages trafen vorm Burgtor auf den ebenso regungslosen Körper Willanders und taten mit ihm das gleiche. Andere hatten in allen Räumen der Burg Umsuche nach den beiden beim ersten Getümmel rasch aus der Trinkstube Verschwundenen angestellt und brachten jetzt Botschaft: »Sie sind zum Turm hinauf und haben die Leiter nachgeholt.« Kurz antwortete Menz Romwald: »Schafft alle Lebendigen hinaus!« und die beiden gebundenen Knechte wurden mit Konrad Teitenhofen ebenfalls über die Brücke davongeschleift; sein jüngerer, erst halbwüchsiger Bruder Karl mußte hinter einer Bettstelle, unter die er sich verkrochen hatte, hervorgeholt werden und gleicherweise die alte Ursel aus einem Küchenversteck. Mit zahnlosen Kiefern klappernd, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen, beteuerte, die heilige Madonna anrufend, ihre Unschuld und Unwissenheit von allem, was auf der Burg vorgegangen, doch das böse Gewissen starrte ihr unverhehlbar aus dem verzerrten Gesicht.

Nun stellte Menz mit lautem Ruf an die beiden zur Plattform des Bergfrieds hinauf Geflüchteten, sichtbar droben Stehenden die Forderung, herabzukommen und sich zu ergeben. Der Teitenhofener antwortete nicht drauf, schien zu erkennen, daß Widerstand unmöglich sei; die Übelhörin dagegen schrie hohnblickend: Hündischer Knecht! Holt das! Bring' das dem Bankert im Wolfsturm von mir, daß sie sich die Kehle dran stickt!« Ihre Hände rafften von oben angehäuften Felsbrocken einen halbzentnerschweren in die Höh' und warfen ihn über die niedrige Brüstung auf Menz Romwald nieder, der nur eben noch durch einen Seitensprung der Zerschmetterung entging. Danach scholl seine Stimme auf: »So holt der rote Hahn euch herunter!« und seine Beihelfer, die darauf gewartet, häuften im Nu aus der Küche her Reisig, Holzscheite und Strohwische im Erdgeschoß des Turmes an, schleuderten brennende Kienspäne nach. Flammen lohten, und Rauch qualmte bis zum Oberrande des Bergfrieds empor; jetzt rief Christoph Teitenhofen: »Macht das Feuer aus! Wir geben uns!« Aber die Frau neben ihm stieß wild vom Mund: »Ich nicht – ich will nicht dem Bankert in die Hand!« Widrig klang's, doch lag etwas heroisch Trotziges drin und zugleich der ingrimmige Haß, den sie von Kindheit auf gegen ihre schöne Halbschwester in sich genährt; so mochte einst ihre Ahnmutter Margarete Maultasche mit kochendem Blut blindlings gerast haben. Das Mondlicht fiel gegenwärtig frei und hell auf die Plattform, man sah von unten deutlich die beiden Gestalten. Der Rauch schnob dichter, und der Mann wollte am Boden die Falluke öffnen, um durch einen Niedersprung dem sicheren Verderben zu entkommen. Aber das Weib wehrte ihm, hielt ihn gefaßt, schrie: »Du gehörst mir – ich hab' dich nicht verhungern lassen – vorm Richtbeil gerettet, als sie dich von Payrsberg zu mir brachten.« Er stieß zurück: »Du triebst mich zu den Karsthansen – deine Gier – kein anderer hätt' dich – jedem grauste vor deinem Maul –«

Beide rangen miteinander um die Luke; sie war stark, und das letzte Wort ließ wütende Kraft in ihr anschwellen. Aber seine Stärke, von der Angst vor dem Verbrennen verdoppelt, war ihr doch überlegen; ihm gelang's, sie aufzureißen und mit den hervorgekeuchten Worten: »Du bist ein Tier!« an die Brüstung zu schleppen, sie über diese in die Luft zu schwingen. Was er wollte, war unverkennbar, sich von ihr frei machen, um sich ungehindert durch die Luke noch retten zu können. Sie fühlte es, und, kraftgebrochen, war sie nicht mehr fähig, sich gegen sein Vorhaben zu wehren. Ihr Körper ward schon zur Hälfte von ihm über den Abgrund vorgebogen, doch im letzten Augenblick packte ihre Hand krampfhaft nach seinem Haar. Er konnte sich nicht davon befreien, verlor den Halt unter seinen Füßen. Ihr schweres Gewicht zog ihn im Niederfallen nach, riß ihn mit über die kaum kniehohe Brüstung, und zugleich mit ihr schoß er an dem senkrechten Absturz der Felsennadel auf das weißüberschäumte Steingeblöck hinunter, von dem Willanders sein Aufklimmen zum Vestenstein begonnen hatte.

In kaum längerer Zeit als einer Minute war's vor den Augen der unter dem Turm Stehenden vorgegangen, der Mond beglänzte die leere Plattform. Menz Romwald durchfuhr kurz ein Rütteln der Glieder, aber dann sagte er gleichmütig: »Sie haben dem Scharfmacher in Bozen die Arbeit gespart.« Die Waffenknechte wollten Anstalt treffen, das Feuer im Innern des Bergfrieds wieder zu löschen, doch er hielt sie ab: »Laßt das Aasgeiernest brennen! Wir haben Wichtigeres zu tun. Richtet Bahren zu, den Herrn und den Knaben, der ihn gerettet hat, hinunterzubringen; Tag wird's, bis wir hinkommen. Ich sagte ihm, unmöglich wär's. Eine Fee muß ihm Flügel gegeben haben, sonst läg' er jetzt da, wo die beiden sind.«

Eilfertig wurden Tragbahren zurechtgemacht, die jenseits der Schlucht wie tot am Boden Hingestreckten draufzulegen. Mit gefesselten Armen mußten Petz und Wetzel, sowie Konrad Teitenhofen gehen, sein kleiner Bruder lief verständnislos frei nebenher, während die Ursel noch unter gleichem Jammern von ihrer Unschuld zu überzeugen suchte. Hinter den Davonziehenden ragte der Bergfried, in ein rotes Flammenkleid eingehüllt, gleich einer Feuersäule, weithin im Etschtal sichtbar, in die Luft. Die Fallbrücke lag, wie zum Besuch auf den Vestenstein einladend, niedergelassen da; jetzt konnten auch Fuchs und Wolf zu ihm hinüber.

Langhin ging's in der Schlinge, unter den Mauern von Payrsberg fort, von dem durch die Luft so nahen Wegziele erst weitabführend; Menz Romwald hatte, Willanders Berechnung entsprechend, in anhaltlosem Lauf mehr als drei Stunden zum Hinaufkommen mit den hurtig bereit gewesenen Beihelfern gebraucht. Bis über' Gebirg' hinunter begleitete den Zug der Mond noch, versank erst, als sie Nals, doch mit diesem die Talstraße erreichten, auf der den Bahrenträgern auch im Dunkel ein behutsames Vorwärtsschreiten möglich ward. Wo der umgefällte Baum den Weg versperrte, brach ein erstes Morgengrauen an, zeigte, wie sich das Hindernis umbiegen lasse; anders gingen schwankend Wetzel, Petz und der junge Teitenhofener hier, als sie im Beginn der Nacht mit ihrer in der Falle verstrickten, halbbetäubten Beute triumphierend steilauf an der Bergwand emporgestiegen, doch reichte das Licht schon zum Erkennen aus, daß ihre Zähne sich trotzig fest zusammenbissen, auf keine Frage einen Antwortlaut hervorzulassen. Wo die Straße gradaus durch Andrian nach Bozen lief, trieb ein Teil der Waffenknechte die gefangen Mitgeführten weiter, der Stadt zu, vor sich her; die andern schlugen rechtshin den Kürzungsweg zum Wolfsturm ein.

In diesem hatten die drei Frauen, eng auf einer Bank zusammengedrängt, schlaflos die Nacht verbracht, auf etwas wartend, doch keiner wußte worauf. Menz und Willanders waren nicht wiedergekehrt, kein Wort von ihnen hatte kundgetan, was sie gewollt, was sie taten. Helena und ihre Mutter trugen die schreckensvolle Gewißheit in sich, es sei nichts zu tun, aller Beistand könne nichts ausrichten; beide besaßen genaueste Kenntnis von der Unnahbarkeit des Vestensteins, und bis zum Eintreffen von beweglichem Feuergeschütz aus Bozen müsse es zu spät werden. Nur Luitgard war nie droben gewesen, kannte die Veste einzig aus Willanders Schilderung, und ihr allein kam einmal eine Frage vom Mund, ob denn niemand imstande sei, an dem Felsen bis zur Burg aufzusteigen. Darauf antwortete Maddalena Übelhör, von grausamer Erinnerung überkommen:, »Kind, wenn du's sähest! Wer das versuchte, dem müßt' sein Leben nichts wert sein, daß er's wegwerfen wollte. Hundertmal, könnt's geschehen, würd' er zu Tod stürzen, und am letzten, unter der Mauer, wär's doch alles umsonst gewesen.« Die einzigen während der Nacht durch's Gemach klingenden Worte waren's; auslöschend brannten die Kienspäne zum Ende, ohne daß jemand sich regte, neue anzuzünden, lautlos saßen die Frauen im toten Dunkel. Dann schlich langsam die Dämmerung heran, schritt zur beginnenden Taghelle vor, und wie zum Hohn blitzte nach der wilden Sturmnacht über Bozen her ein Sonnenstrahl durchs Etschtal.

Da hallten dröhnende Schläge ans Tor; Menz Romwald war vorausgelaufen, rief atemlos den drei Herausstürzenden entgegen: »Wir bringen ihn – er lebt!« Kurz rang er noch heraus, wie's möglich geworden, Willanders wär' zum Vestenstein aufgeklettert. Von den Lippen des Mädchens flog ein Aufschrei: »Lebt er auch?« – »Man sieht's nicht, er liegt wie tot – aber der Herr holt Atem.« –

Auch die Träger der Bahren folgten jetzt nach, und Helena warf sich vor der ihres Mannes auf die Knie, suchte seinen Kopf aufzurichten, rief ihn zärtlich bei Namen. Er schlug seine Augen wieder auf, sah sie an und sagte mit traumhafter Stimme: »Du? Warum weinst du? –«

Doch hinein flog von seitwärts ein Ausruf: »Er ist noch warm – er lebt!« Luitgard hatte, gleichfalls zu Boden gekniet, eine von den Händen Willanders gefaßt und ihre beiden um sie zusammengepreßt. Aber er regte sich nicht; was ihn in dem Augenblick, als seine Hand mit letzter Kraft das Brückenseil durchhauen, überwältigt und niedergeworfen, übte die gleiche Macht noch über ihn fort. Er war, hundertfach dem Tod trotzend, zum Vestenstein hinangeklettert, und der Tod, dem er entronnen, suchte nachträglich ein Anrecht auf ihn geltend zu machen. Nur ein Lebenszeichen tat sich an ihm kund; er hatte im Fallen das Schwert nicht fahren lassen, das die Träger, als sie ihn aufgehoben, aus seiner Hand wegnehmen gewollt. Doch die Finger waren krampfhaft um den Griff verschlungen geblieben, so daß sie davon abstehen, ihn mit dem Schwert herunterbringen gemußt, und so hielt er's noch.


Der Hieb, von dem Ulbert Siekmoser zwischen dem Baumgezweig hingestreckt worden, war nicht tödlich gewesen, aber er hatte seine Eisenkappe zerspaltet und ihn so schwer betäubt, daß er nichts von allem, seit dem Augenblick mit ihm Vorgegangenen wußte. Auf seiner Lagerstatt gleich wieder in Besinnungslosigkeit zurückgefallen, blieb sein Kopf im Gang der nächsten Tage noch unfähig, das Geschehene mit nur äußerst langsam aufwachender Fassungskraft anzuhören; ein aus Bozen herbeigeholter Arzt ordnete sorglichste Vermeidung jeder Aufregung für ihn an, damit sein mutmaßlich heftig erschüttertes Gehirn durch Ruhe zur Gesundung zurückgelangen könne. Dagegen kam Willanders am zweiten Tage einmal plötzlich zu sich, zwar zunächst gleichfalls ohne irgendwelche Erinnerung in sich zu tragen, so wie wenn er die Lider von einem gewöhnlichen Schlaf im Wolfsturm aufgetan habe. Erst aus einer Frage Menz Romwalds: »Wie hast du's möglich gemacht, daß du hinaufgekommen bist?« schoß ihm jäh ins Gedächtnis und durchfuhr jählings dabei seinen ganzen Körper mit einem grausenvollen Schauder, daß er zum Vestenstein hinaufgeklettert sei, und er sprang mit einem verworrenen Schreckenston in die Höh', als fühle er in diesem Augenblick zum erstenmal den Tod die eisige Hand nach ihm ausrecken, sich unentrinnbar von ihr gepackt. Wie von einem Blitz überflammt stand's vor seinen Augen, er habe als ein Nachtwandler etwas vollbracht, was wachen Sinnen unmöglich gefallen sein würde; wäre er nur für eine Sekunde von der Erkenntnis seines Tuns angerührt worden, so mußte derselbe Augenblick ihn zerschmettert in den Abgrund hinuntergestürzt haben. Verstört wieder von der Denkfähigkeit verlassen, sah er um sich; Menz mußte ihn halten, auf das Lager zurücklegen, und er verfiel aufs neue in Bewußtlosigkeit. Doch atmete seine Brust jetzt allmählich tiefer und gleichmäßiger, bekundete, ein kräftigender, die irre Erregung in ihn niederkämpfender Schlaf habe sich wohltätig seiner angenommen. Beruhigt sahen Helena und ihre Mutter, die öfter eine Zeitlang neben ihm saßen, auf ihn hin; sie sprachen zuweilen in fast unhörbar flüsternder Weise miteinander, die Alte redete meistens am lebhaftesten, und die andere nickte beipflichtend dazu. Luitgard betrat Willanders' Kammer nicht, ihre nur im ersten Augenblick aufgeblitzte Anteilnahme an seinem Zustand schien erloschen zu sein; sie hielt sich, wenn die beiden Frauen nicht zugegen waren, als Wächterin am Bett ihres Vaters auf und ging, von ihnen abgelöst, still ihren häuslichen Obliegenheiten nach.

In Bozen aber befliß man sich einer ungewöhnlichen Eilfertigkeit, die sicher hinter Schloß und Riegel verbrachten Gefangenen ins Verhör zu nehmen; erkennbar trat daraus zutage, welche Wichtigkeit die reiche Handelsstadt dem seit manchen Jahren sich vielfach wiederholenden spurlosen Verschwinden ihr Angehöriger im Etschtal beimaß. Der Verdacht, daß diese sämtlich von den Vestensteinern beraubt und ermordet worden seien, hatte sich fast zur Gewißheit angesteigert, doch bei der genauen Durchsuchung aller Räume der Felsenburg waren keinerlei Anzeichen davon zu entdecken gewesen, und die an Wetzel und Petz gerichteten Fragen bezweckten vor allem, Auskunft über das Verbleiben der Beraubten zu gewinnen. Von solchen indes wußten die beiden nichts, einzig von dem Überfall Siekmosers, an dem der Herr von Teitenhofen nach Fug und Recht für ihm zugefügten mehrfachen Unglimpf Vergeltung üben gewollt. Zwar besaß die Zeit von altersher überaus wirksame Hilfsmittel, derartige Fragen zu »verstärken« und halsstarrige Zungen zu lockern, doch bei Petz und Wetzel versagten auch die Streckleiter, Schrauben und Zangen des »Scharfmachers« den Dienst; sie bissen unter den wütendsten Folterschmerzen wildtrotzig die Zähne zusammen, ließen diesen keinen Laut ausfahren, starrten die erfolglosen Handhaber der sonst so beredt machenden Werkzeuge nur aus grimmfunkelnden Augen hohnblickender Gesichter an. Erst als einer der »rechtskundigen« Beisitzer von einem nützlichen Gedanken erleuchtet ward, änderte sich die aussichtlos erscheinende Sachlage. Er gab Auftrag, die alte Ursel herbeizuholen, hieß sie gleichfalls einer »peinlichen« Befragung auf der Streckleiter – selbstverständlich unter sorglichster Rücksichtnahme auf ihre weibliche Sittsamkeit – unterziehen. Ein paarmal ertrug auch sie mit einem gewissen heldenhaften Starrsinn das verlängernde Ausrenken ihrer Beine und Halswirbel, aber bei einer »verschärften« Wiederholung der Frage schrie sie plötzlich einmal jämmerlich auf: »Kasatsch – Kasatsch«. Das war zunächst unverständlich, allein da es ihr vom Mund gefahren, mußte sie sich dreinfügen, das ausgestoßene Wort zu erklären, und infolge davon machte sich noch am selben Tage eine vom Gericht abgesandte Schar auf den Weg zur Umgegend von Nals, dort Nachforschung anzustellen. Die Beauftragten stiegen durch fast unzugängliches Dickicht uralten düsteren Fichtenforstes zu den Trümmerresten der verrufenen, von jedem Menschenfuß scheu gemiedenen Pfeffersburg hinan, aus der bei ihrem Eintreffen ein Schwarm von Raubvögeln und Raben aufstob und den Platz für die Nachsuche deutete. Rasch fanden diese ein brunnenartig-tiefes Verlies der alten Raubburg auf, das beinah bis zur Hälfte mit Gebeinen und drüber gelagerten, noch frischeren Leichen angefüllt, grausig offenbarte, wohin die nächtlich im Etschtal Überfallenen und spurlos Verschwundenen weggeschleppt worden seien, und daß die sagenhaften Überlieferungen dort jahrhundertelang von den früheren Teitenhofener Burgbesitzern verübter schwerer Missetaten in vollstem Maße auf Wirklichkeit beruht hätten. Die noch mit lebendigen Sinnen Begabten mußten sich schnell von der entsetzlichen Moderstätte wieder abkehren, aber dem von ihr gelieferten Zeugnis gegenüber erkannten die beiden Vestensteiner Waffenknechte bei erneuten »Befragungen« als nutzlos, auf ihrem verbissenen Mundtrotz fortzubeharren. Um sich wenigstens noch vor der ihnen sonst zweifellos drohenden näheren Bekanntschaft mit dem »Rade« zu bewahren, legten sie ein offenes Geständnis ab, fügten diesem auch hinzu, daß Christoph Teitenhofen, von seiner Frau dazu angestachelt, als verkappter Anführer der Bauernrevolte die Erstürmung von Payrsberg ins Werk zu setzen versucht habe, doch dabei von dem wuchtigen Schwerthiebe des Burgwarts Siekmoser fast zu Tod getroffen, seitdem unterlaßlos mit dem Plan, sich dafür an ihm zu rächen, umgegangen sei. Das war durch die List des Einäugigen, der das Mittel ausgedacht, ihn in die Baumfalle zu locken, beinahe gelungen, und sie hatten ihn nach ihrer Trunkeinnahme in die Gaidener Bachschlucht hinunterwerfen wollen; von wann die Fallbrücke niedergelassen und so das Herüberkommen der Payrsberger möglich geworden, bildete für sie ein unlösbares Rätsel. In der Tat gelang es Petz und Wetzel vermittels dieser Bekenntnisse, dem allmählichen Zerbrochenwerden ihrer lebendigen Gliedmaßen auf dem Rad zu entgehen, sie wurden am nächsten Tage nur kurzweg auf dem Vozener Galgenberg am Querbalken aufgehenkt, um für einige Zeit dem Wind zur Spielbelustigung und den »Tauben des Henkers« zur Schnabelbefriedigung zu dienen. Der Ursel dagegen blieb, besonders unter Anrechnung ihres verdienstlichen Jammergeschreis: »Kasatsch – Kasatsch!« die gleiche öffentliche Schaustellung erspart; sie ward statt dessen in einen augenentrückt sicheren Gewahrsam versetzt, als nur vieljährige Mitwisserin der vom Vestenstein aus begangenen Verbrechen hinter Gittern ihren Lebensrest in beschaulichem Nachdenken bei Brot und Wasser zuzubringen. Die Unkosten dafür wandte die Handelsstadt Bozen in Anbetracht der Unschädlichmachung des Raubnestes auf der Felsennadel mit größter Willfährigkeit auf.


Mittlerweile jedoch war im Wolfsturm nicht nur Willanders zu vollklarer Besinnung zurückgekehrt, sondern auch Ulbert Siekmoser so zur Besserung vorgeschritten, daß kein Bedenken mehr abhielt, ihn eingehend von allem nach seinem bewußtlosen Zusammenbruch Geschehenen zu unterrichten. Abwechselnd taten's Menz Romwald und Helena, indes auch die alte Maddalena vermochte einiges beizufügen, was außer ihr niemand gewußt, sie allein bei dem oftmaligen Zusammensein mit ihrer Enkelin im obersten Turmgemach, von der letzteren selbst ungeahnt, allmählich in Erfahrung gebracht hatte. Das hörte der Genesende nachdenklich, aber merkbar mit besonderer Teilnahme an, und an einem schönsonnigen Vormittage, der alle übrigen bei ihm im Gemach versammelt hielt, ließ er von Menz auch seinen jungen Hausgenossen hinzuholen, streckte dem Eintretenden von der Lagerstatt aus die Hand entgegen und sagte: »Setz' dich her und sprich mir auch einmal von dem, was kein Mensch außer dir angesehen hat und erzählen kann, wie du zum Vestenstein hinaufgekommen bist.«

Der Befragte blieb einen Atemzug lang stumm, eh' er Antwort gab: »Ich weiß es nicht – kann nichts davon sagen.«

»Aber du weißt doch, warum du's getan hast.«

Nun versetzte der Jüngling mit rot überflammtem Gesicht stotternd: »Ich wollte –«

»Du wolltest zeigen, was in dir stecke, daß auf dem Blatt von deiner Mutter Hand Wahrheit geschrieben stehe. Das wolltest du beweisen und damit groß tun.«

»Nein – ich wollte – ich mußte – weil ich Euch droben in Not und Todesgefahr wußte –«

Plötzlich aber stand jetzt Luitgard mit ganz blassem Gesicht auf und sprach laut: »Ich weiß es allein, Vater, warum er's getan hat. Die Ahne hat's in der Nacht gesagt, wer das täte, dem wär' sein Leben nichts wert, daß er's wegwerfen wollte. Aber er konnt's nicht, der Fels durft's nicht nehmen, denn es gehörte nicht ihm; er hatte es mir gegeben, bevor er wegging. Ich muß es ihm wiedergeben, Vater, so wie er's mir gab, mein's für seines – ob Ihr ihn und mich aus Eurem Hause weggehn heißt – ich gehe mit ihm, wohin er geht.«

Mit unbeirrbar fester Entschlossenheit schlang sie den Arm um seinen Nacken und gab ihm den Kuß zurück, mit dem er beim Wegstürzen wahrscheinlich für immerdar von ihr Abschied genommen. Jetzt war ihr Antlitz hochrot aufgeblüht und das seinige wie zu Tode erblaßt, er schwankte, als ob er von einer Ohnmacht überwältigt wieder bewußtlos wie auf der Zugbrücke droben niederzusinken drohe.

Nach seinem Arm greifend aber schnellte sich Ulbert Siekmoser kraftvoll vom Lager herunter und stieß aus: »Bist du ein Villanders? Großer Bub! Ich könnt' glauben, du wärest mein Sohn, der seine Schwester zur Frau haben wollte. Sich ihn an, Helena, steht er nicht vor deiner Tochter da, wie ich ehemals vor dir, und bringt kein Wort vom Mund! Ich glaube, er kletterte eher noch einmal zum Vestenstein in die Höh'. Das könnte Luit nicht, aber sie hat tapfer gesprochen. Uns bleibt nichts anderes, als sie mit ihm weggehen zu lassen, wenn sie nicht zusammen bei uns bleiben wollen. Denn wohin sie miteinander gehen sollten, weiß ich nicht.«


Am Mittag stellte sich als ein unerwarteter Gast der Waffenschmied Berlt Warnkönig im Wolfsturm ein. Er kam im Auftrag der Stadt Bozen, Willanders ihren Dank für das, als etwas noch kaum zu Glaubendes, von ihm Vollbrachte auszusprechen. Die großen Handelsherren ratschlagten, in welcher Art sie sein Verdienst um die Stadt würdig zu entgelten vermöchten.

Der Platner traf seinen jungen Schützling Hand in Hand mit Luitgard stehend an, sah wohl ein wenig überrascht, doch ohne eigentliche Verwunderung draufhin und sagte mit einem lächelnden Spiel um die Mundwinkel: »Hast du bei deiner Bärenjagd dem Petz eine Kralle abgeschlagen? Ich riet's dir und gab dir das Schwert dazu. Du siehst, keine Fabel war's und auch nicht, daß man Eisen nicht hämmern wollen muß, solang es spröd ist und sich dagegen wehrt.« Doch danach geriet ein schwermütiger Ausdruck in die Augen des Sprechers, wie er hinzusetzte: »Ich wollte, deine Mutter könnte dich noch sehen. Was sie für dich hinterlassen hat, konnte dir zu nichts nützen, du mußtest dir selbst einen Namen schaffen. Ich denke, wir heißen dich Willanders vom Vestenstein.«

Das letzte sagte Warnkönig wieder lächelnd; er berichtete weiter vom »peinlichen« Verhör der beiden Waffenknechte und der Vollstreckung des Urteils an ihnen auf dem Galgenberg. Die Zeit stattete die von ihr Erzeugten mit starken Nerven aus, auch die der zuhörenden Frauen ertrugen die Schilderung der grausigen Entdeckung in den Trümmern der Pfeffersburg; allen an den Missetaten Beteiligten war Recht und Billigkeit widerfahren. Um Christoph Teitenhofen und die Ubelhörin, dasjenige, was von ihnen übrig geblieben, hatte sich niemand bekümmert; daß sie nicht mehr lebten, stand außer Zweifel, die hochschwellenden Spätherbstwasser mochten ihre Reste aus der Gaidener Schlucht in die Etsch davontragen oder Raubgetier auf Wegschaffung derselben bedacht sein; auch ihnen war volles Recht geschehen, selbst Maddalena und Helena wandelte kein mütterliches und schwesterliches Mitgefühl an, sie hatten immer ein geheimes Grauen vor der Nachkommin der »Maultasche« in sich getragen. Konrad Teitenhofen saß, wie die Ursel, in Gefängnishaft, die Regierung zu Innsbruck sollte entscheiden, was mit ihm zu tun sei.

Zufall ließ den Waffenschmied noch Mitteilung von einer am gestrigen Tage in Bozen eingetroffenen Nachricht machen, der junge Erzherzog Ferdinand habe gegen den Willen seines Vaters die Tochter eines großen Augsburger Kaufherrn, namens Philippine Welser, auf sein Schloß Ambras über Innsbruck gebracht und dort heimlich eine rechtsgültige Ehe mit ihr abgeschlossen; jeder, der sie gesehen, sei von staunender Bewunderung ihrer Schönheit und ihres jungfräulichen Zaubers erfüllt. Bei dieser Berichterstattung flogen Willanders und Luitgard unwillkürlich von ihren Sitzen in die Höh' und sahen sich stumm mit glänzendem, traumhaft-seligem Blick in die Augen. Niemand der anderen begriff, was über sie gekommen sei, erst auf Fragen erzählten sie etwas befangen von ihrem Zusammentreffen mit jenen beiden unter dem Zürgelbaum der Waldkammer, und das Mädchen holte die Gedichte Walters von der Vogelweide herbei, auf deren erstes Blatt der Erzherzog Ferdinand und Philippine Welser für sie ihre Namen eingetragen hatten. Aber davon, daß Willanders an der gleichen Stelle Luitgard das nämliche getan, was sie dem Herzog seiner heimlich Geliebten beim Weggang zwischen dem Buschgezweig antun gesehen – daß er sie nach den Worten: »Ich möchte wissen, ob deine Lippen von den schwarzen Kirschen auch so süß geworden sind, wie die Nachtigall singt,« zum erstenmal geküßt habe – davon ließen beide nichts verlauten.

Überrascht vernahmen alle Zuhörer von der absonderlichen Begegnung, aus der hervorging, daß der zukünftige Herzog von Tirol schon seit längerer Zeit die Absicht seiner jetzt vollzogenen, unebenbürtigen Eheschließung in sich getragen habe, nur Berlt Warnkönig sah mit schweigsam nachdenklichem Gesicht drein. Der Dezembertag brachte schon frühes Abenddunkel, und er brach gleich nach der Mittagsmahlzeit zur Rückkehr nach Bozen noch im Hellen wieder auf. Als er sich verabschiedete, kam ihm noch einmal ein Scherzwort vom Mund: »Möge deine Bärenkralle ihre Kraft weiter bewähren, Willanders, dir und der Jungfrau. Ich kann heute ohne Besorgnis vor einem Überfall heimreiten, das flößt mir Zutrauen auf ihre Wundermitgift ein. Auf Wiedersehen!«

Nicht recht verständlich war's, was er mit dem letzten gemeint habe, er schüttelte den beiden herzlich nochmals die Hand und trabte rasch durch Andrian davon.


Um ein paar Tage später hat der im ganzen Tiroler Lande hochangesehene Waffenschmied Berlt Warnkönig sein Pferd wieder gesattelt und ungeachtet der schon winterlichen Jahreszeit noch einen Geschäftsritt über den Brennerpaß nach Innsbruck unternommen. Der Zweck, von dem er dorthin geführt worden, nötigte ihn zu unvorgesehen längerem Aufenhalt, so daß Wochen vergingen und das neue Jahr anbrach, ehe er auf tiefverschneitem, eisumfangenem Wege durch die froststarre Hochgebirgswelt wieder zur milddurchsonnten Luft des »Bozener Boddens« hinunterkehrte.

Als dann aber zwischen den Terlaner Reben das Gezweig der Mandelbäume sich rötlich zu färben und an den südlichen Berghängen die großen Knospen der Felsenbirne weiße Blütenkelche zu entfalten begonnen, ist im Wolfsturm eine seltsame Botschaft eingetroffen. Ein Schreiben der hohen Innsbrucker Regierung zeigte an, daß dem Edelknecht, der bisher Willanders genannt worden, um besonderer preislicher Verdienste willen die Verstattung erteilt sei, hinfort den Namen seiner Mutter zu führen, und der Urkunde lag ein von Herzog Ferdinand an den »Edlen Wilhelm von Villanders« gerichteter Brief bei mit der Aufforderung, sobald er seine Braut heimgeführt habe, nach Schloß Ambras zu kommen, um in diesem eine Stellung, wie sie seiner Abkunft gebühre, und er sie sich nach seinem Gefallen auswählen möge, zu bekleiden. Dann hatte eine den Lesenden schon bekannte Handschrift nachgefügt:

»Es freut sich, daß Luitgard verstehen gelernt hat, was der blaue Vogel sang, und hofft sie bald so glücklich, wie die, welche dieses schreibt, hier wiederzusehen, Philippine Welser.«

So ist's, bald nachdem in der alten Terlaner Kirche die eheliche Verbindung »des Herrn Wilhelm von Villanders mit der Jungfrau Luitgard von Siekmoser« stattgefunden, geschehen, und auch die anderen Bewohner des Wolfsturms sind nach der Stadt Innsbruck übergesiedelt, dort in der Nähe der Kinder und Enkel ihr Leben weiterzuführen. Sie haben erlebt, daß nach dem Tode Karls des Fünften sein Bruder Ferdinand den Kaiserthron bestiegen und eines Tages auf dem Schloß Ambras von einem jungen Weibe im Gewande einer Pilgerin mit einem Bittgesuch angesprochen worden, deren Gewährung er der vor ihm Niedergeknieten, von ihrer wundersamen Schönheit und unwiderstehlichen Anmut ihres Wesens verzaubert, nicht weigern gekonnt, sondern ihr zugesagt, sie möge verlangen, was immer es sei. Da war die Bittstellerin seines Sohnes jugendliche Gemahlin gewesen, die von ihm väterliche Verzeihung für sie beide ersteht, und daß sie diese dem besiegten Zorn des Kaisers abgerungen, fand Ausdruck darin, daß er seinen Sohn Ferdinand zum Herzog von Tirol einsetzte und Philippine zur Markgräfin von Burgau ernannte. Zusammen mit ihren beiden, den gleichen Namen führenden Söhnen haben die Knaben des Villandersschen Ehepaares manche Jahre lang um das Schloß Ambras fröhliche Kinderspiele betrieben.

Der Brand im Innern des Bergfrieds auf dem Vestenstein hatte die übrigen Teile der kleinen Burg nicht mitergriffen, sie waren erhalten geblieben, doch nach der Gepflogenheit der Innsbrucker Regierung sind gleichfalls manche Jahre vergangen, ehe ein Entscheid von ihr erfolgte, wem sie den Besitz des verfallenen Lehens zuspreche. Konrad Teitenhofen kam nicht in Betracht, ihm war's in einer Nacht gelungen, aus seinem Bozener Gefängnis zu entkommen und spurlos zu verschwinden; er soll, in die Fußstapfen seines Vaters getreten, als Anführer einer Räuberbande im Kampf gegen päpstliche Soldaten gefallen sein. So wurden schließlich die beiden noch unmündigen Knaben Karl Teitenhofen und Josef Siekmoser als erbberechtigt erklärt und zu gemeinsamen Inhabern des Vestensteins eingesetzt; für ihren Sohn indes leisteten Helena und Ulbert Siekmoser Verzicht, so daß der Alleinbesitz an den Teitenhofener Sprößling übergegangen und, wie es scheint, auch noch zwei Geschlechtsfolgen nach ihm verblieben ist. Aber eine Raubburg ist auf dem Felsenpfeiler über der Gaidener Bachschlucht nicht mehr wieder erstanden.

Viertehalb Jahrhunderte sind seit dem Berichteten verflossen, und der Wolfsturm befindet sich, wie der größte Teil der kleineren Etschtalfesten, schon seit langer Zeit wieder in Bauernhänden; doch hat er sich mit seiner hohen, gezinnten Umfassungsmauer und dem drüber aufragenden Bergfried bis heute in merkwürdig gutem Stande bewahrt, nur die Menschen, die später noch in ihm gehaust haben mögen, deckt völlige Verschollenheit zu. In Andrian weiß niemand, wer ihn erbaut, wem er gehört hat, und keine Chronik meldet davon.

Der Vestenstein dagegen liegt als vollständige Trümmerstätte da, nur zerschartete, gestrüppumwachsene Mauerreste und ein übriggebliebenes Bergfriedstück steigen noch in die Luft auf. Von seiner Geschichte ist als frühestes bekannt, daß »Hans von Villanders« im vierzehnten Jahrhundert mit ihm belehnt worden; wann und wie die endgültige Zerstörung der kleinen Burg stattgefunden, oder ob sie von selbst allmählich in sich zerfallen, berichtet ebenfalls keine Überlieferung. Zweifellos war die Ruine, als etwas gänzlich Nutzloses, schon seit manchen Geschlechtern auch in bäuerlichen Besitz geraten, nur in jüngster Zeit hat der jetzige vermögliche Eigentümer eine Summe auf ihren Ankauf verwandt, um aus ihr einen drolligen, doch nicht eingeschlagenen Nutzen zu ziehen.

Die Natur um den Vestenstein aber hat ihr Gesicht jedenfalls nicht wesentlich verändert. Fuchs und Wolf vermögen an seiner Felsennadel nicht hinaufzuklettern, höchstens könnten's Luchs und Wildkatze, doch beide sind in der Bergwelt unterm Gantkofel so wenig mehr vorhanden, als Bären. Verblieben dagegen ist da und dort der seltsame, bis zum Etschtal vorgedrungene Einwanderer aus dem Süden, der Zürgelbaum – Celtis australis – und wer einen solchen, zu besonderer schlanker Höhe und Schönheit emporgediehen, kennen zu lernen wünscht, vermag ihn, im Spätsommer mit »schwarzen Kirschen« bedeckt, in der nächsten Nähe von Terlan in Augenschein zu nehmen. Ob er der Lotos der Lotophagen gewesen, dessen Früchte in den Gefährten des Odysseus das Gedächtnis an die Heimat, den Wunsch, zu ihr zurückzukommen, ausgelöscht, ist nicht mit Gewißheit festzustellen, wird behauptet und bestritten.


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