Jean Paul
Titan
Jean Paul

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4ter Jenner. Lothsblatt

Fortsetzung der Freudenhimmelchen

Loths Freudenhimmel vom Salze seiner Frau an bis zur Traube herab sind weder unsere noch unbekannte.

Kleine Leiden dienen als Steine, die man, wie der Vogel, zum Verdauen des Futters verschluckt; kleine Freuden sind das Futter. Das Leben liebt, wie die Österreicher, DeminutivenGanz natürlich, da wir selber so klein sind. Denn (nach Modeer) gehen in einen Wassertropfen nicht mehr als 2½ Million Infusionstierchen; hingegen bloß auf unserem Wasser- oder Erdkügelchen sind unserer schon an tausend Millionen heraus; und es ist noch Platz.

Anmerkung der Redaktion
, oder wie die Letten (nach Merkel) Deminutiven von Deminutiven der Deminutiven; darum, andächtiger Leser (ich werde gemeint), gib scharf darauf acht, ob du froh bist, weil du es sonst nicht innen wirst. Halte dir den Traiteur vor, den du auf der Universität gesehen, der morgens schon um 9 Uhr ein sauberes Tischtuch auflegte – Couverts, zwei Wasserflaschen und Biergläser abgemessen aufsetzte samt wenigen Weingläsern, die ganz unnütz waren, weil nur junge Theologen sich an sein Hungertuch nagend setzten – der dann aufmerksam die Küchenzettel für die zu Hause speisenden Herren entwarf und so in milder An- und Abspannung seinen ergiebigen Tag verbrachte – diesen Mann, der kein Wort davon merkte, daß ihm besser und nachhaltender zumute war als dem Kurfürsten, halte dir vor, damit du es bei dir merkst. Dauert eine Lust jahraus, jahrein, so ist sie kaum mehr kenntlich; Freuden und Freunde haben uns bloß bei Ankunft und Abschied beim Herzen. Das Himmelblau in uns färbt sich, wie das über uns, wenn es einige Wochen steht, ganz grau. Ja du kannst mit süßen (und auch bittern) Gefühlen auf die Welt gekommen sein, von denen du gar nichts innen wirst, bloß weil sie nie nachgelassen. Würde uns die schöne Lust, zu sein, nicht jede Nacht sieben Stunden lang vor dem Munde weggezogen, so schmeckten wir wenig von ihr, weil dazu das Aufwachen gehört.

Unser Lebensweg steht auf beiden Seiten so voll Bäumchen und Ruhebänke, daß ich mich wundere, wenn einer müde wird. Es summiere doch einer einmal, wenn er kann – aber das bild' er sich nicht ein –, die außerordentliche Anzahl von Zwecken, die er nur an einem mäßigen Sommertag erreicht und wovon jeder sein eignes ephemerisches Freudenblümchen ernährt und zeitigt. – Z. B. der Setzer dieser Morgenbetrachtung gelangt mit jedem Buchstaben, den er daran setzt, zu einem Ziel und mithin zu einem kleinen (freilich nicht großen) Paradiesgärtchen; liefert er nun an einem Tage dem Drucker nur einen Bogen (und das verlangen wir von einem expediten), so fället ihn an bloßen Lettern – die Pagina, die Interpunktionszeichen und den Kustos schlag' ich nicht einmal an – täglich eine Einfuhr von 8000 Freuden zu, des unbeschreiblichen Vergnügens kaum zu gedenken, womit er dieses Freuden-Sportularium und Ernteregister hier setzt – – eine wahre, kaum übersehliche Scherbenorangerie süßblühender Minuten!

Bei Lesern und Autoren ist die Orangerie noch länger; aber dazu gehören Rechenmaschinen und Rechenkammern. Allein gerade die Freuden werden, ungleich den Stimmen, nicht gezählt, nur gewogen; nur auf einem morastigen ausgefahrenen Lebenswege schrauben wir Schrittzähler an, nicht auf dem weichen grünen. – Wär' es sonst denklich, daß so viele Männer und Gottesgelehrten über das Vergnügen weggesehen haben, das man schöpft aus dem eignen Namen, wenn ein anderer ihn führt und er damit in den Druck kommt – ferner aus dem gedruckten Namen der Wohnstadt – aus dem bloßen Schauessen des Tischtuchs – aus dem Anblick seines Handwerkgerätes – aus dem vom Roste grünen Turm und aus grünen Jalousieladen mitten im Winter – aus dem gedruckten Wort Franzosen, wenn man ein Demokrat, oder Alliierte, wenn man ein Aristokrat ist – aus Antikritiken – aus den bloßen J. J. (Jean Jaques), wenn man ein Student ist – aus durchschnittenen Kartenblättern, wenn man in, nicht auf ihnen Gold bekam – aus den beiden melancholisch-schön einander entgegenziehenden Brücken-Prozessionen, wenn man in Dresden ist – aus den geländerlosen Brücken, diesen Triumphbogen, wenn man in Venedig – aus den goldenen Lettern über den Gewölben, wenn man in Leipzig – und aus dem Volksglück, wenn man in einer Residenzstadt ist wie – –

F – k?


5ter Jenner. Simeonsblatt

Unbedeutender Anhang zum vorigen Blatt

Simeon ist ein sanfter segnender Name; Sonnabend (der heute ist) erinnert an die Ferien des Lebens, an den Ort der Ruhe und an vieles, was die Wogen stillt, die unser Ufer hohlspülen. Ich trete den Meinungen, die das vorige Mitglied im Enochs- und Lothsblatte so launig geäußert, vielleicht weiter bei, als es denkt. Wir sind alle Erdschnecken, die sich hinter die Erdscholle gegen den beizenden Sonnenstich anlegen; und darum zeregge keiner dem andern die Scholle, hinter der er klebt. – Jeder will zwar, daß man den Lustwald des andern schone, aber nicht dessen Lusthecke, indes er doch sein eignes Schimmel-Gärtchen respektiert wissen will; wir befehlen uns selber Gerechtigkeit gegen andere an, diesen andern aber – Großmut gegen uns, und des jus aggratiandi (des Begnadigungsrechtes) begeben wir uns gern gegen andere, wollen es ihnen aber gegen uns nicht abgestritten haben. –

Die moralische Welt kann nicht weit und breit genug, die physische nicht enge genug sein. MünterSiehe dessen Beschreibung von Sizilien und Neapel. bemerkt, daß die Griechen das künftige Elysium, je länger sie reiseten und lernten, immer weiter in die Welt hinaus- oder hineinschoben, anfangs nach Arkadien – dann in den Epirus – dann nach Neapel – dann über die Herkules-Säulen hinaus; – gerade so brauchen die Leute immer mehr Platz und Länder für ihr jetziges. Aber der würdige und launige Verfasser der vorigen Blätter fordert zu einem Sitz der Seligen nichts mehr als überhaupt einen Sitz oder Stuhl. Ich brauche nicht einmal diesen, sondern es ist für mich so: wenn in Fabriken und auf Messen leicht zu sehen ist, daß man der menschlichen Glückseligkeit jährlich neue Ingredienzen zumischt, neue Möbeln, neue Mondscheine, Visitenkarten, Taillen, Länder und dergleichen, so daß dieses stillende Markgrafen- oder Niklasschlafpulver unsers beunruhigten Kinderlebens, dieser echte Mithridat, gleich dem offizinellen, schon zu Celsus' Lebzeiten aus 38 Mitteln bestand, dann zu Neros Zeiten noch 20 neue überkam – fünf alte blieben weg –, ja daß Andromachus durch 28 frische – nur noch sechs alte merzt' er aus – die Bestandteile dieser stärkenden Medizin hinauftrieb bis zu 75 – –: so bereitet hingegen der Verfasser dieses Blattes das Spezifikum wirklich einfacher, zwar nicht aus Mumien, aber doch aus Menschen; und zwar bloß aus ihrem – Herzen. Und wem man letztere gibt – und wär' es eines –, der hält damit aus bis an sein Ende.

V – r.


6ter Jenner. Drei-Königsblatt

FehltDieses ist kein satirischer (schon längst vermooseter) Spaß, sondern ein ernsthaftes Faktum, dessen Bericht nicht hieher gehört.


7ter Jenner. Isidorusblatt

Beschreibung der Öffentlichen und Privatbibliotheken des Pfarrdorfes Hukelum

Literarische Anzeiger – dergleichen Anzeigen – Programmen – Vorreden – Hirschings Bibliothekenbeschreibungen – Literatoren und Bibliographen waren von jeher (besonders wenn sie heftig gegeneinander fochten) das im geistigen Sinn für mich, was Hunde im kulinarischen für erzgebürgische Bergknappen sind, nämlich Leibgerichte; ja ich erhalte mich unter dem Lesen solcher Werke in der süßen Täuschung, als hätt' ich sie selber für das Realblatt verfertigt, und dann kommen sie mir sogar scherzhaft vor. Desto vergnügter geh' ich hier selber von den literarischen Gütern eines durch seinen Pfarrer so berühmten Dorfes ein kleines Güterbuch. Für einen Mann wie ich, dem es an Gelehrsamkeit fehlet, in Städte zu reisen und über deren Sprachschätze Produktenkarten und Bodenregister aufzusetzen, ist es genug, wenn er imstande ist, in Dörfer zu reiten und da alles zu immatrikulieren, was aussieht und riecht wie ein Buch. So wird doch etwas getan und über alte Bibliotheken eine frische zusammengebracht.

Das Pfarrdorf ist der gelehrten Welt bekannt genug durch meinen Gevatter, den Pfarrer Fixlein, dessen Leben ich ihr gegeben und der ihrs selber gewidmet durch mehrere gute Werke, die er seitdem erscheinen lassenIndes ist sein neuestes, Hukelum subterranea, autore Fixlein, meines Wissens noch nirgends angezeigt, außer in der Erlangischen gelehrten Zeitung. Ein Maulwurfsgang ist ihm darin eine Katakombe und nichts verächtlich.. Dahin macht' ich im vorigen Sommer einen Abstecher. Dem Gelehrten muß es – wenn er nicht gerade mein Leben liefert – ganz gleichgültig sein, wie mich meine Gevattern empfingen oder das Patchen; ich tu' es daher beiseite und ziehe nur diese Notizen aus. In Hukelum fand ich alles wie vor sieben Jahren; ein hoher Stein im Fuhrwege, über welchen jeder Bauer fluchend und mühselig seinen Wagen wegklettern ließ, lag noch unverrückt im Weg, weil keiner dem andern den Gefallen tun wollte, ihn hinauszuwälzen. Gegen die Dorf-Lazzaroni ging ein langer wachhabender Spieß mit einem kleinen diensthabenden Jungen herum. Die Fixleinischen waren außer sich vor Freude. (Ich war seitdem berühmter geworden durch die Güte der Rezensenten.) Der Pfarrer, sonst sein eigner leiblicher Epitomator, hatte sich wie Gold ausgestreckt und sah etwas gleich; die gute Thiennette sah so ältlich aus wie sonst. Unter vielen ähnlichen Kindern konnt' ich kaum mein aufgeschossenes Patchen ausfinden, das zweimal einen wohlgesetzten Scharrfuß auf Verlangen machte, erst links, dann rechts. Der Wohlstand, die Heiterkeit und die Möbeln waren seitdem herangewachsen; und Fixlein konnte mich fragen, ob ich glaubte, daß in der Kammer die Kapitalien sicher ständen. Wie befriedigt und befestigt kommt ihr guten Menschen dem irren geflügelten Weltmann vor, dem jede Allee in der Ferne der Zukunft immer spitzer zuzulaufen scheint! Wie glücklich dem Dichter, dem nicht nur die Welt zu klein ist, sondern auch die Welten! Euch ist, so wie ein Garten eine verkleinerte Landschaft ist, euere Stube eine verkleinerte Welt. Ach ist es denn nicht mit den Paradiesen wie mit den Fischteichen, die man stets mitten zwischen der höhern und tiefsten Gegend anlegen und graben muß? –

Ich habe schon gesagt, daß ich Privatsachen, die nur mich berühren, schweigend weglasse; – und darunter gehört das umsonst verbetene diner dinatoireMan sagt déjeuner dinatoire, d. h. ein mittägliches oder mittagendes Frühstück. Arme Leute haben noch ein souper déjeunatoire, d. h. ein frühstückendes Abendessen.. Unter dem Essen erzählte mir der Pfarrer – während die Frau zerlegte –, er habe die beste Nachricht von seiner Bibliothek, die man gegenwärtig besitze, in den literarischen Anzeiger inserieren lassenIch ersuche den Anzeiger, es irgendwo bekannt zu machen, ob er die Nachricht aufgenommen oder nicht.. Hier rückte ich mit meinem Plane heraus, die Hukelumer Bibliotheken in den Pestitzer Realblättern zu beschreiben. Fast wie frappiert über den Gartendiebstahl eines ihm so nahe um die Fenster wachsenden Lorbeerastes, sagte er: er zweifle fast, ob mit den Bauern sehr viel zu machen sei. »Die großen Bauern« (sagte Thiennette) »sind hier grob und massiv.« – »Aber hier ist etwas für solche Herren«, sagt' ich und zog eine dicke Vollmacht vom Hukelumer Justitiarius aus der Tasche, die mich gänzlich berechtigte, eine Präliminar-, Interims- und vorläufige Feuerschau in allen Häusern vorzunehmen, verfallende Frevel getreu zu Protokoll zu bringen und den Ortsschulmeister dazu zu requirieren als Schreiber.»Und bei dieser Occasion« (schloß ich) »beseh' ich gelegentlich ihre Privatbibliotheken mit.« –

Fixlein gestand, so geh' es, und hielt im voraus um Einsicht der literarischen Akten an. Thiennette sagte vom Schulmeister: »Der Mann und die Frau sind ein aufgeblasenes Paar; ich schenkte ihr neulich eine abgelegte weiße Schürze; aber sie ließ sie aus Hochmut in der Stadt ponso färben.« – »Darüber sei still,« (versetzte Fixlein) »der Mann ist der Narr; ich schwör' es Ihnen, solang' ich im Amte stehe, war der Flegel noch nicht dahin zu bringen, daß er seinem Vorgesetzten den Priestermantel nachgetragen hätte aufs Filial.« – Aber den Mischlingen und dem Grenzwildpret zweier Stände ist Vernunft und Demut nicht leicht. Wie der Apotheker gegen den Arzt hinschillert, der Kopist gegen den Advokaten, der Kammerdiener gegen den Mann von Stand: so ist der Schullehrer eine der Pastoral-Hyperbel ewig sich nähernde Asymptote, der wieder der Küster sich nähern will. Der Mann will als Tierpflanze das Schulmeisterreich mit dem Gelehrtenreich, ohne deutliche Naht, verknüpfen; seine Frau ist auch eine Blumenpolype und will ihrerseits wieder das Schulmeisterreich mit dem Bauernreich vernähen, und man soll weit und breit davon reden.


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