Jean Paul
Titan
Jean Paul

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Neunundzwanzigste Jobelperiode

Julienne – die Insel – Sonnenuntergang – Neapel – Vesuv – Lindas Brief – Streit – Abreise

111. Zykel

Nach einer langen Nacht wehte der frische Morgen, wo Albano die Schätze des seligsten Traums, die vom Monde geöffneten Blumen des Glücks, vor der Sonne wiederfinden sollte. Ihm jauchzete das Leben, da er die gestrigen Höhen, die vom Firniß des Lichtes überzogen glänzten, wieder bestieg; nicht zu einem Rosenfest, sondern zu allen Blumen- und Erntefesten auf einmal, zu Myrten- und Lilienfesten, zu Ährenlesen und Blütenlesen ging die Sonne über den glücklichen Boden hervor, und wie ein Pfau mit seinem schleppenden Regenbogen in einen Blütenbaum hineinfliegt, so hob sich der junge Tag farbenschwer und mit Gärten beladen und voll Widerscheine auf die blauen Höhen und lachte kindlich in die Welt. – Albano sah jetzt von seiner Höhe unten das Zauberschloß, worein sich gestern die mächtige Zauberin verloren.

Er kam unten an. Ein singendes Mädchen auf dem blumenvollen Dache, das auf ihn gewartet zu haben schien, zeigte, unter dem Fortsingen sich herüberbeugend, ihm das nahe Zimmer unter ihr, in das er gehen sollte. Er trat hinein; es war einsam – durch die Fenster aus geöltem Papier quoll ein wunderliches Morgenlicht – auf die hölzerne Stubendecke waren Figuren aus dem Herkulanum gemalt – in einer kampanischen Vase standen gelbe Schmetterlingsblumen und Myrtenblüten und zogen einen süßen Duftkreis um sich her. Die sonderbare Umgebung umschloß ihn immer enger, da er gar einige Bilder und Geräte fand, die ihm bekannt vorkamen. Endlich erblickte er bestürzt auf dem Tische einen halben Ring. – Er nahm seinen halben hervor, den er im gotischen Zimmer in jener Geisternacht von der angeblichen Schwester bekommen und den er für den Zufall der Vergleichung immer bei sich trug. Er drückte die Halbzirkel ineinander – plötzlich schlossen sie einfassend sich zu einem festen Ringe zu – Gott! dacht' er, was greift wieder ins Leben! –

Da wurde hastig die Tür geöffnet, und die Prinzessin Julienne eilte lächelnd und weinend herein und rief, ihm zufliegend: »O mein Bruder! mein Bruder!« – »Julienne,« (sagt' er ernst und innig) »bist du endlich meine Schwester wirklich?« – »O lange genug ist sie es«, versetzte sie und sah ihn zärtlich und selig an und lächelte ins Weinen. Dann umarmte sie ihn wieder und sah ihn wieder an und sagte: »Du schöner Albano-Bruder! – So lange bin ich wie ein Mond um dich herumgezogen und mußte kälter und weiter bleiben wie er; und will ich dich auch ausnehmend liebhaben, so recht zurücklieben und vorwärts dazu!« – »Allmächtiger!« (brach Albano weinend aus, da er sich so plötzlich von einem gebenden Arm aus der Wolke umschlungen fand) »das alles gibst du mir auf einmal jetzt?« – »Ach,« (rief Julienne lebhaft) »weint' ich nur auch vor lauter Freude! Aber ich esse mein bitteres Stück Schmerz mit dazu! Lieber Bruder, Luigi schreibt mir gestern aus Pestitz, ich sollte zurückeilen, sonst erleb' er schwerlich meine Wiederkunft. Dacht' ich das bei der Abreise? So soll ich, was ich mit der einen Hand einnehme, mit der andern ausgeben.« Albano schwieg dazu, weil er am Fürsten keinen Anteil nehmen konnte. Desto mehr erquickt' er sich mit frischer klarer Freude am offnen wehenden Orient der frühesten Lebenstage, an dem Blicke auf diese junge reine Blume, die gleichsam in und aus der hellen frischen Quelle seiner Kindheit wuchs und spielte.

»Aber Himmel! erkläre mir,« (fing Albano an) »wie alles zuging.« – »Jetzt, weiß ich, hebt das Fragen an« (versetzte sie) – »Die ostensible Hauptsumme sollst du kurz haben – fragst du nach mehr, willst du ins Geheimbuch gucken, so schlag' ichs zu und sage dir einige Lügen vor. Im nächsten Oktober, wohl eher, kommt alles ans Licht. Zu allererst! Meine Mutter war und bleibt wahrlich rein und heilig bei dieser Verwandtschaft, bei dem allmächtigen Gott!« –

»Welch ein Rätsel!« (sagt' er) »bist du die Tochter meines Vaters? Ist Luigi mein Bruder? Ist meine tote Schwester Severina deine Schwester?« fragt' er.

Julienne. Frage den Oktober!

Albano. Ach Schwester!

Julienne. O Bruder! Traue der Tochter Melchisedeks. Ferner: ich war wohl die erscheinende Schwester, die der Mensch mit dem kahlen Kopfe dir in Lilar zuführte; ich konnte nicht, ich mußte dich haben, eh' du ins Ausland entflogst. Das Alter, das ich damals im Spiegel hatte, war, wie du siehst, nur vom KunstspiegelEs gibt metamorphotische Spiegel, die junge Gesichter veraltet darstellen. gemacht.

Albano. Wahrlich, ich dachte damals an niemand als an dich. Nur wie kommt ein Mensch wie der Kahlkopf und wie der Vater des Todes – der mir so unbegreiflich in Mola vorausgesagt, daß ich dich finden würde – –

Julienne. Das ist unmöglich – Meinen Namen nannt' er?

Albano. Bloß dieser fehlte. Der Pater ist übrigens nach aller Wahrscheinlichkeit mit dem Kahlkopf ein Mensch. Er fuhr dabei gen Himmel.

Julienne. Da bleib' er ja und der andere mit. Geht und ficht mich oder dich dieser dunkle Zauber-Bund etwas an, der in seinen falschen Wundern bisher immer durch seltsame wahre unterbrochen wurde? Ich kam damals in Lilar unschuldig dazu und verhütete vielleicht etwas Fürchterliches.

Albano. Bei Gott, ich muß fragen. Was ist denn sein Zweck, wer sein Leiter, sein Oberer? –

Julienne. Vermutlich der Vater der Gräfin, denn er lebt noch unbekannt und ungesehen, hör' ich, obgleich dein Vater Vormund ist. Erstaune, wenn du zu Hause bist, und lasse die Rätsel, die sich ja für uns beide schon so freudig entwickeln, und erwarte die Oktobertage.

Albano. Aber eins, geliebte Schwester, versage mir doch nicht, ein klares Wort über mein und dein wunderbares Verhältnis zur edlen Gräfin! Nur das!

Julienne. Hat dirs denn schon mein Herz versagt? – Die Herrliche! – Wohl ihr und mir und dir! Dein erstes Wort der Liebe – die Götter setzten dies nun so fest – sollte das Merkwort zu dem meinigen an dich werden, erst von der Geliebten durftest du die Schwester empfangen. Was Gaukler und Geister dazu und davon taten, das weiß niemand besser als der – Oktober; was soll ich erst lange zwischen Lügen und Meineid auslesen? Ich tat bloß alles, euch beide nur voreinander hinzustellen; das Übrige wußt' ich voraus. Nichts gelang – lauter erwürgender Wirrwarr – alles ging bergan – ich sah teuere MenschenIhn und Liane. in einem unseligen Frühling entsetzliche Schmerzen säen und dabei so voll Hoffnungen lächeln und konnte ihre unglücklichen Hände nicht halten – ich, die so gewiß allen Jammer vorauswußte. – »O du fromme reine Seele droben!« sagte sie auf einmal mit zitternder Lippe zum Himmel hinauf – die Geschwister umfaßten sich sanft und weinten still über das unschuldige Opfer.

»Nein,« (sagte Albano sehr warm) »kein Höllenbund konnte uns scheiden, wäre sie nur bei mir geblieben oder doch auf der Erde.« – »Sieh, Albano,« (sagte Julienne, ihre frohern Lebensgeister wieder zusammenrufend, und öffnete alle dunkele Fenster) »wie der Morgen-Hügel auf und ab prangt und wallet! – Lasse mich ausreden! Recht zum größten Glück erfuhr ich im Winter, daß du nach Neapel gedächtest. Linda war schon einmal dagewesen, und ihre Mutter in den hiesigen Bädern. 'Mir,' (sagt' ich zu ihr) 'täten Ischias Bäder so wohl als einer, reise mit, den tristen Vormund in Rom wollen wir gar nicht berühren und besuchen.' Sie willigte leicht ein. Deiner wurde natürlich nicht gedacht, vorher aber oft genug in Briefen und sonst, wo ich dich immer unmäßig lobte. – Und nun nous voici donc! – Gestern erhielt ich in Neapel den traurigen Brief meines Bruders. Von deiner Ankunft wußt' ich noch nichts. Ich ließ die Gräfin allein zu deinem Ton-Fest gehen und eilte mit dem schweren Herzen heim. Da sie freudig kam, tat sie ihres auf und sagte mir alles – und dann ich ihr alles. – Ach, gottlob,« (setzte sie, ihm an den Hals fallend, dazu) »daß wir nun endlich im Elysium ausgestiegen sind und daß uns der morsche Charons-Kahn nicht hat ersaufen lassen. – Aber für ganz Europa, auch für deinen Dian, bleibet auf unserer Verwandtschaft das Sekretsinsiegel daran, merke!« Er mußte noch einige Fragen tun; sie antwortete immer aufgeweckt: »Der Oktober, der Oktober!« bis sie auf einmal, wie erwachend, ausrief: »O wie kann ich das so lustig sagen?« aber ohne sich darüber zu erklären.


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