Jean Paul
Titan
Jean Paul

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Neunzehnte Jobelperiode

Schoppes Trostamt – Arkadien – Bouverots Porträtmalerei

82. Zykel

Da Albano nun ohne Liebe und Hoffnung lebte – da er den Angelstern seines Lebens als eine Sternschnuppe in seine totenstille Wüste hatte fallen sehen – da jede seiner Handlungen jetzt einen Skorpionenstachel ausstreckte und jede Erinnerung, und er Lianens Briefe zurücksandte, Lilar verließ, das Haus des Doktors, den Lektor, Lianens Verwandte und den frommen Vater – da er sein allmählich bleich werdendes Gesicht nur auf Bücher und nach Sternen richtete: so mußten Menschen, die keinen höhern Schmerz kennen als den eigennützigen, glauben, seine Brust werde von nichts gedrückt als vom Schutte der zertrümmerten Luftschlösser seiner Hoffnung und Jugendliebe. Aber er war edler unglücklich und trostlos, er wars, weil er zum erstenmal einen Menschen und den besten elend gemacht – seine Geliebte blind; – in diese Vertiefung seines Herzens flossen alle benachbarten Quellen des Leidens zusammen. Die kleinsten bunten Scherben seines Glückstopfes wurden gleichsam von neuem zerschlagen, wenn er von Tag zu Tag vernahm, daß die Arme, obwohl täglich auf das Wasserhäuschen vor die heilenden Fontänen gestellt, doch immer ohne Lichtschein zurückgebracht werde und daß sie jetzt auf dieser Raub-Erde nichts weiter fürchte und bejammere, als daß der Tod vielleicht die Augen schließe, ehe sie noch einmal die Mutter angesehen.

O die Wunde des Gewissens wird keine Narbe, und die Zeit kühlt sie nicht mit ihrem Flügel, sondern hält sie bloß offen mit ihrer Sense. Albano rief sich Lianens bitteres Flehen um Schonung zurück, und da tröstete es ihn nicht, daß er unter jener Sonnenfinsternis nicht ihre Augen aufopfern wollen, sondern nur ihr Herz. Im Brenn- und Vergrößerungsspiegel des Erfolges zeigt uns das Schicksal das leichte, spielende Gewürme unseres Innern als erwachsene und bewaffnete Erinnyen und Schlangen. Wie viele Sünden gehen wie nächtliche Räuber ungesehen und mit sanften Mienen durch uns, weil sie, wie ihre Schwestern in Träumen, sich nicht aus dem Kreise der Brust verlaufen und nichts Fremdes anzufallen und zu würgen bekommen! – Die schöne Seele entdeckt leicht im Zufall eine Schuld; nur jene harten Himmels- und Erd-Stürmer, vor deren Siegeswagen vorher eine Wagenburg voll Wunden und Leichen auffährt, nämlich die Väter des Krieges – welches in der ganzen Geschichte öfter die Minister waren als die Fürsten –, nur diese können ruhig alle Vulkane der Erde anzünden und alle ihre Lavaströme kommen lassen, bloß um – Aussichten zu haben. Sie düngen elysische Felder zum Schlachtfeld, um darin einen Rosenstock für eine Geliebte röter zu ziehen.

Das erste, was Albano tat, als er in des Doktors Hause ankam, war, daß er darauszog in die ferne Talstadt hinab, um weder den verdächtigen Lektor zu sehen, noch weniger den boshaften Doktor Sphex über das Rezidiv der Blindheit täglich zu hören. Nur der treue Schoppe zog mit, zumal da er durch ein zweckmäßiges Betragen sich unter der Sphexischen Familie selber hatte eine Oppositionspartei zu bilden gewußt, die ihn nicht mehr im Hause litt. Die bibliothekarische Wärme hatte mit des Lektors Kälte sehr gegen den Grafen zugenommen – und aus gleichen Gründen; das kecke Ausziehen nach Lilar und die leidenschaftliche Wildheit hatten ihn näher an Albanos Seite geschlossen: »Ich dachte anfangs,« (sagte Schoppe) »der junge Mann lasse sich zu nichts an als zu einem ältlichen, als ich ihn so in die Schule schreiten sah. Ich hielt oft den Mann im Mond, wo es bekanntlich aus Mangel an Durst und Dunstkreis nichts einzuschenken gibt, für einen größern Trinker als ihn. Aber endlich greift er aus. Ein Jüngling muß nicht, wie der alte Spener, alles in der Vogelperspektive, von oben herab darstellen. Er muß anfangs wie Inzipienten in Schreib- und Malerstuben alle Züge ein wenig zu groß machen, weil sich die kleinen geben. Es gibt Donnerpferde, aber keine Donneresel und Donnerschafe, wie doch die Hofmeister und Lektores gern hätten und gern vor sich hertrieben, die wie die Billard-Markörs kein offnes Feuer in der Pfeife leiden, sondern nur eines unter dem Deckel.« –

Jetzt lebte Albano einsam unter den Büchern. Der Bruder Lianens kam selten und eiskalt zu ihm; und schwieg über die Leidende, ob er gleich immer um diese blieb. Da er selber das erste Gewebe zu dieser Blindheit einmal gesponnen: so mußt' er, zumal bei seiner ungeschminkten Feuerliebe für seine Schwester, den ordentlich hassen, der es wieder über sie hereingezogen – glaubte Albano und ertrug es gern zur Strafe. Desto öfter ließ sich der Hauptmann zum deutschen Herrn hinziehen, bei dem er jetzt wider Erwarten gewann. Es ist die Frage – nämlich keine –, ob nicht seine Fähigkeit und Neigung, sich mit den unähnlichsten Menschen zu verflechten, bloße Kälte gegen alle Herzen ist, die er alle nur bereiset, weil er keines bewohnt.

Auch Rabette schrieb dem Grafen mehrere Klage-Zettel über den weichenden Hauptmann; in einem sagt sie sogar: »Könnt' ich dich nur sehen, um einmal jemand zu haben, der mich weinen ließe, denn das Lachen kenn' ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr.« Der gute Albano zeichnete auch dieses Entweichen in sein Sündenregister ein, gleichsam als Enkel seiner Teufelskinder.

Die Fürstin vermocht' ihn zuweilen aus der Einsamkeit zu locken, wenn sie ihre leise Lockpfeife an die schönen Lippen legte. Sie schien des Vaters wegen wahren Anteil am trüben Sohn zu nehmen, der zwar keine Schmerzen, aber auch keine Freuden zeigte. Auch das Mann-Weib, das mehr gehelmte als gehaubte, rückt gern unter das kranke Haupt das Ruhekissen und unter das ohnmächtige als Lehne den Arm; und tröstet gern und zart, oft zärter als das zu weibliche. Fast täglich besuchte sie ihre künftige Hofdame und Gesichts-Schwester bei dem Minister und konnte daher dem Geliebten alles sagen. Indem sie tat, als wisse sie nichts von Albanos Verhältnissen zur Blinden – schon das Verstellen verrät zarte Schonung gegen zwei Menschen auf einmal, sagte Albano –: so konnte sie ihm frei alle Krankenzettel der schönen Dulderin geben, so wie die Gutachten über sie überhaupt. Nach der Sitte der Kraftweiber ließ sie ihr alle lobende Gerechtigkeit ohne weibisch-kleinlichen Abzug angedeihen und wünschte nichts so sehr als ihre Herstellung und künftige Gegenwart.

»Ich bin fähig, für ein ungemeines Weib alles zu tun, so wie alles gegen ein gemeines«, sagte sie und fragte ihn, ob ihm schon sein Vater über ihren Plan mit Lianen geschrieben. Er verneint' es; und bat sie darum; aber sie verwies ihn auf den väterlichen Brief, der bald kommen müsse. Sie tadelte bloß Lianens Neigung, immer Fantaisie-Blumen in ihr Leben zu sticken, und nannte sie eine reine Barockperle.

Aber aus allen diesen Unterhaltungen kehrte Albano nur betäubter zu Schoppe zurück; er hörte nur Wort-Trost und das Todes-Urteil, daß die geduldige Seele, der er die Schöpfung gestohlen, noch immer eingemauert sei in die tiefste Höhle des Lebens, neben welcher bloß die tiefere des Grabes hell und offen liegt. Jedes sanfte, lindernde, ihm von den Wissenschaften oder Menschen geschenkte warme Lüftchen ging über jene kalte Höhle und wurde für ihn ein scharfer Nord. O, hätt' er sie aus seinen sinkenden Armen entlassen müssen unter schöne Tage, in ein langes, ewiges Paradies, und sie hätte ihn trunken vergessen: das hätt' er auch vergessen können; aber daß er sie hineingestoßen in ein kaltes Schattenreich und daß sie sich seiner erinnern muß aus Schmerz – – nur das mußt' er sich immer erinnern.

Schoppe wußte gegen alle diese Not kein »Pflaster als« (nach seinem schönen Wortspiel) »das Steinpflaster«, nämlich eine Flugreise. Wenigstens, schloß er, hören außer Landes die Fragen über das Befinden und die giftigen Sorgen über das Antworten auf; und bei der Retour finde man viel Schmerz erspart oder gar allen gehoben.

Albano gehorchte seinem letzten Freund; und sie reiseten ins Fürstentum Haarhaar ab.


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